Treuekreisläufe, Teufelskreise, Technopanik

Selbstbestimmte Publizisten vs. journalistische Redaktionstiere. Googles Gänseessen. Googles Entflechtung? Ist Tommy Buhrow ein Kunstbanause? Welche Stadt Deutschlands ultimative Fernsehsendermetropole wird. Wo die Frauenquote besonders niedrig liegt.

Sprachkritik-Kritik ist kein Einzelfall. Immer mehr Autoren greifen in Debatten, was wie formuliert gehört, ein.

Nun übt auch Henryk M. Broder die Kunst des bewusst zuspitzenden Missverstehens am weiterhin diskussionswerten, ausdrücklich als "nicht abschließend" gemeinter "Debattenbeitrag" bezeichneten Glossar der Neuen deutschen Medienmacher.

Nur zum Beispiel zititert er:

"Auch beim Umgang mit dem Wort 'Wir' das zunächst 'harmlos' erscheint, sollte man bedenken, dass es 'ohne ausgesprochen zu werden, für wir Deutsche (ohne Migrationshintergrund)' steht und damit ausgrenzt".

Originaler heißt's:

"Wir - ist zunächst ein harmloses Wort, das jedoch ausgrenzend verwendet werden kann. Oftmals steht wir, ohne ausgesprochen zu werden, für wir Deutsche (ohne Migrationshintergrund). Journalisten sind gut beraten, bewusst damit umzugehen und durch die Verwendung keine Zuschauer, Zuhörer oder Leser außen vor zu lassen."

Vielleicht ist beim Konzern, der vermutlich mit der Super-Top-Schlagzeile "Wir sind Papst" assoziiert bleiben wird, bis er auch seine letzten Printmedien abgestoßen haben wird, bereits bewusster Umgang mit "Wir" ein rotes Tuch.

Anderer tagesaktueller Einzelfall: Dass der Begriff "Blogger" sich "aus dem Mund von Journalisten oft noch herablassend" anhöre, beklagt der lousypennies.de-Blogger und Journalist Karsten Lohmeyer unter Berufung auf einen älteren, bei ihm eingebundenen Teresa Bücker/ @fraeulein_tessa-Tweet.

Als neuen besseren Begriff stellt Lohmeyer "selbstbestimmter Publizist" vor und gleich dem Typus des "journalistischen Redaktionstiers" entgegen. Und fordert am Ende dann "weniger Hybris und Standesdünkel". Lassen Sie das mal bitte sacken.

Der eben hier - online kommt's ja auf die Zeichenzahl nicht so an - verwandte Behelfs-Formulierung "Blogger und Journalist" ist ein unscharfes Zitat aus Richard Gutjahrs neuem großen Stück bei krautreporter.de:

"Die Haderthauer-Affäre zeigt, wie das Internet das Machtgefüge aus Politik und Medien verschiebt und wie Journalismus funktionieren kann, wenn Blogger und Journalisten zusammenarbeiten",

lautet die prägnante Zusammenfassung oben drüber. Es geht außer um die Haderthauers auch um den weit über Bayern hinausweisenden Fall Gustl Mollath. Das Ganze ist das aufbauende, (die genannten Berufsgruppen) versöhnende Feelgood-Stück, das der Einstieg verspricht. Bettina Reitz, beim BR teilweise oder einst Kollegin des freilich selbstbestimmteren Autors, wäre gut beraten, gleich die Filmrechte für einen ARD-Eventproduktion (zuzüglich Anne-Will- oder sogar Günther-Jauch-Talkshow) zu erwerben. Und die Titelrechte! "Die Fünfte Gewalt" heißt es.
 
####LINKS#### [+++] Die vorgestern und gestern in Gang gekommene EU-Parlament-/Google-Frage hat ungeachtet ihres bescheidenen Kerns weitere Dynamik gewonnen.



Heute ist Abstimmung in Straßburg. Den Kern umreißt die elektronische Presse der Seriositätsmarke tagesschau.de unter der Überschrift "Droht Google die Zerschlagung?" so:

"So oder so wird die verabschiedete Resolution des EU-Parlaments an die Kommission nicht bindend sein, sie hat lediglich Appellcharakter. Dennoch wird von ihr ein starkes politisches Signal ausgehen, das den Druck auf die Kommission im Wettbewerbverfahren gegen Google erhöht. Doch selbst wenn Google am Ende zur Entflechtung seiner Internetdienste verurteilt wird, kann der Konzern dagegen immer noch in Revision gehen. Die letzte Entscheidung liegt dann beim EuGH."

Andererseits hat Google, das ja Grippewellen früh erkennt, vielleicht auch antizipiert, dass da was im Schwange ist. Und "offenbar mit einigem Erfolg auch US-Diplomatie und -Abgeordnete" mobilisiert (der österrichische Standard, der auch von der "Google-Gansl-Gaude" berichtet, einer Festivität des kalifornischen Konzerns für österreichische "Medienleute"). "In einer Fülle von Briefen warnen führende Kongressmitglieder in Washington die europäischen Parlamentarier vor übereilten Entschlüssen und bezweifeln den europäischen Einsatz für offene und faire Märkte" (FAZ-Wirtschaftressort, S. 18).

Und frei online warnt Jeff Jarvis (zeit.de), u.a. vor "Technopanik":

"Ich mache mir Sorgen um Technologie in Deutschland. Ich befürchte, dass der Protektionismus, der von Institutionen ausgeht, die vom Internet bedroht werden -  das sind vor allem Medienkonzerne und die Regierung - sowie die zunehmende kulturelle Technopanik zu schlechter Gesetzgebung, unnötiger Regulierung und gefährlichen Präzedenzfällen führen wird."

Eines der valideren Argumente lautet, dass Springer-Konzern, der mit dem Argument, "Google nutze seine Marktmacht auf unfaire Weise aus", zweifellos "Lobbyarbeit gegenüber der EU" betreibt, den von ihm geforderten Maßstäben aber "selbst nicht gerecht" werde:

"In dem Video, in dem sie Google angreifen, schlagen die Verleger vor, bei Google nach 'Schuhen' zu suchen: Man fände Googles Werbekunden an der Spitze der Suchergebnisse. Alles Weitere zum Thema Schuhe folge darunter. Und jetzt gehen Sie auf Springers Bild.de, klicken auf den 'Schuhe'-Link oben auf der Seite, und Sie werden die Werbekunden der Bild finden - und nichts anderes. Soll man den Spiegel verpflichten, für den Focus zu werben? Wäre das nicht fair?"

Die infrastrukturelle Bedeutung, die Google als quasimonopolistische Suchmaschine in Europa nun mal besitzt, Springer jedoch selbst in reichweitenstärksten Zeiten zum Glück nie besaß, blendet Jarvis auf eine Weise aus, die schon an Beleidigung seiner Leser heranreicht. Um stattdessen zum 100.000sten Mal die "wertvollen persönlichen Beziehungen ... und die vielen Chancen", die das Internet bietet, herunterzuleiern.

Der neue deutsche Google-Antagonist ist der Europaparlamentarier Andreas Schwab von der CDU (bzw. EVP). In einem gestern vormittag veröffentlichen faz.net-Interview äußert er die Ansichten,

"dass unter den gegebenen Bedingungen eine Entflechtung der Suchmaschine von den anderen kommerziellen Diensten der schonendste Eingriff in den Markt selbst wäre",

und,

"dass Google mit den unglaublich hohen Werbeeinnahmen mittels der Suchmaschine, die wir ohnehin nicht mehr aufhalten können, zunehmend auch bestehende Märkte in Europa wegrationalisiert. Das ist wettbewerbsrechtlich schlicht nicht akzeptabel."

Was im Interview fehlt (auf der Gansl-Gaude aber betont wurde): dass Schwab für die Anwaltssozietät CMS Hasche Sigle arbeitet, so wie auch "Ole Jani, der wesentlich am deutschen Leistungsschutzrecht arbeitete" - also dem von fast niemandem für gelungen gehaltenen Gesetz, das sich auch schon an der extremen Marktmacht Googles abgearbeitet hat.

[+++] Die ARD hat am Mittwoch ihre turnusmäßige Pressekonferenz abgehalten und ein vergleichsweise überschaubares Füllhorn an Pressemitteilungen geöffnet.

Moderate Neuigkeiten gibt's zum Jugendkanal, der "nicht in Baden-Baden, wie es der SWR einmal wollte und nicht in Berlin, wie es andere Intendanten wünschten ... sondern in Mainz" sitzen soll (SZ-Medienseite). Womit Mainz endgültig zu der Fernsehsendermetropole Deutschlands werden könnte ... Die ARD glaubt sich bereits im Besitz eines "Überflusses an Ideen" (dwdl.de zitiert Lutz Marmor). Ob auch schon welche für den "knackigen Titel", den das "junge Angebot" noch bekommen soll (Tagesspiegel), darunter sind, wurde noch nicht verraten. Start wird aber ohnehin erst 2016 sein.

Außerdem will die ARD, anders als das ZDF, wohl wieder Tour de France übertragen (Tsp. selber Link), außerdem will sie "so lange wie nötig" undigitales UKW-Radio verbreiten (horizont.net) usw.

Der interessanteste Artikel zu faszinierenden Biosphäre ARD steht auch im Tagesspiegel, hat aber wohl wenig mit der aktuellen PK zu tun. Tatjana Kerschbaumer gibt einen Überblick über Geschichte und Zukunft der in den Anstalten gesammelten Kunstbestände. Das Ausmaß ist beträchtlich:

"... NDR-Intendant Lutz Marmor ... sagt, 'der Sender sei gesetzlich verpflichtet' gewesen, 'überschüssige Einnahmen für Kunst auszugeben'. Der WDR wiederum beruft sich bei seiner Sammelleidenschaft darauf, dass man nach dem Krieg unter den Nazis verfemte Künstler - wie etwa Kirchner oder Beckmann - rehabilitieren wollte."

Besser, als in "Deutschland, deine Künstler" den "Tatort"-Darsteller Axel Milberg zu präsentieren, war das wohl. Und gelungen ist die Rehabilitierung ja tatsächlich. Kirchners sind heute auch inflationsbereinigt sehr viel mehr wert als die 600 DM, für die der WDR anno 1956 einen erwarb. "Ich habe mich mit dieser Sammlung identifiziert", sagt der ehemalige ehrenamtliche Kunstbeauftragte des Senders, Walter Vitt. Muss Intendant Tommy Buhrow nun als "Kunstbanause" gelten, wenn er Kunst verkaufen lässt? Andererseits, sollten eher die Gebühren erhöht werden? Schwieriges Thema, lesenswertes Stück.

[+++] Mehr mit dem Zustand des Fernsehprogramms zu tun hat ein Interview, das ungewöhnlicherweise auf der TAZ-Meinungsseite steht. Aus dem top-politischen Anlass der just beschlossenen Frauenquote in Aufsichtsräten (TAZ-Titelseitenkommentar) geht es dort um den erstaunlichen Umstand, dass "der Anteil von Regisseurinnen ... im Fernsehen ... bei rund 10 Prozent" läge. Regisseurin Connie Walther von der Initiative Pro Quote Regie erklärt das so:

"Dieser Treuekreislauf ist erstaunlich. Es gibt viele Serienformate, wo die Regie, sofern handwerkliche Qualität vorhanden ist, recht austauschbar ist. Es wäre also ein Leichtes, die Vertragsvergabe zu pluralisieren. Doch hat eine Redaktion mit einem Regisseur gute Erfahrungen gemacht, wird er immer wieder beauftragt. Das ist verständlich. Aber in der Summe dieser Entscheidungen für das Bewährte und gegen das Unbekannte verschwindet die Varianz, die Pluralität, die Auswahl. Ein Blick über den eigenen Tellerrand der Entscheidungen ist notwendig. Der ökonomische Druck ist gewachsen (weniger Drehtage). Es wird weniger riskiert, nichts Neues gewagt. Die Angst wächst. Aus dem Treuekreislauf ist ein Teufelskreis geworden."

Womit dann auch der knackige Titels dieses Altpapiers erklärt wäre.


Altpapierkorb

+++ Morgenaktuell: "Erneut wissen die Eigentümer eines Traditionshauses nicht, wie sie auf den Medienwandel anders als mit einem massiven Personalabbau antworten sollen", berichtet Bülend Ürük bei newsroom.de. Es geht um die Kieler Nachrichten, die zu 49 Prozent von der eigentlich gerade inhaltlich ambitionierten Verlagsgruppe Madsack aus Hannover besessen werden (an der wiederum zu gut 23 Prozent die DDVG, also die SPD beteiligt ist). +++

+++ Nachtrag: Das erste Interview des RT Deutsch-Chefredakteurs Iwan Rodionow hat Harald Neuber am Montag bei Telepolis veröffentlicht. Rodionow benutzt sehr viel Ironie. Eine nicht ironisch gemeinte Aussage: "Ich bin hier mit dem Team meiner Kollegen dafür da, um dieses monolithische Meinungsbild zu zerstören und eine andere Perspektive in dieser Medienlandschaft zu gewähren." Über dieses "gewähren" ließe sich auch länger nachdenken. Mehr, v.a. kritische Meinungen zu RT Deutsch hat meedia.de gesammelt. +++

+++ Themen der FAZ-Medienseite: Medien in Russland und in den USA. "Ausländische Medienunternehmen fürchten, dass sie enteignet werden. Die wahren Opfer des Kreml-Kurses aber sind russische Journalisten", berichtet aus Russland Friedrich Schmidt. Während Aktivitäten ausländischer Medien in Russland nicht von dem neuen Gesetz, das ausländischen Verlagen nurmehr 20 Prozent Eigentum "am Stammkapital eines Medienunternehmens in Russland" zugesteht, "erfasst" seien (anders wohl als CNN kürzlich meinte), werde die Vielfalt russischer Medien weiter eingeschränkt. +++ Und beim Berichten aus Ferguson "verloren sich die Reporter von CNN und Fox News prompt im Fieber der nächtlichen Demonstrationen. Statt friedliche Kundgebungen ins Verhältnis zu Brandstiftern und Plünderern zu setzen, starrte die Regie wie gebannt auf Feuer, Tränengas und Ausbrüche von Gewalt - auch gegen die eigenen Reporter". Korrespondentin Nina Rehfeld wurde "das Gefühl nicht los, dass sich manche Reporter auf einem Abenteuerspielplatz wähnten". +++

+++ Über die irakische Comedyserie "Staat der Mythen" und weitere Persiflagen auf den IS-Terror berichtet Cigdem Akyol in der TAZ. +++

+++ Aufmacher der SZ-Medienseite: der neue Hauptsitz, den die TAZ sich baut. Renate Meinhof war im Kiez unterwegs, sprach mit Schuhmachern, die sich nicht über daa Bauvorhaben freuen, und mit Kalle Ruch, der ihrer, Meinhofs Meinung nach, doch "ganz ordentliche Schuhe an den Füßen" trägt. Warum Ruch so rasch, "in weniger als drei Monaten sechs Millionen Euro" zusammengekriegt hat? "Vielleicht, weil die taz vielen Menschen längst als gemeinnützig erscheint, auch wenn sie die Zeitung gar nicht lesen". Sagt nicht er, sondern meint die SZ. +++

+++ "Eine kleine Geschichte über fehlenden Respekt vor geistigem Eigentum", in der auch eine Gruner + Jahr-Zeitschrift vorkommt, erzählt der betroffene Onlineshop herrfuchs.net (mit inzwischen aktualisiertem Happy-end; siehe auch newsroom.de). +++

+++ "Wer die Bretagne und die Bücher um Kommissar Dupin mag", sollte sich die heutige deutsche Fernsehverfilmung nicht anschauen (Kurt Sagatz im Tagesspiegel). +++ "Sehenswert ist auch die Bildgestaltung (wie im ersten Film Klaus Merkel), zumal Meer und Küste ja integraler Bestandteil der Handlung sind. Zu Beginn wirken die Bilder unbeschwert karibisch, aber dann werden sie immer düsterer, bis sich schließlich im Hintergrund ein Unwetter zusammenbraut" (TPG hier nebenan). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.