Neuer Abbau bei Medien- und Mädchenzeitschriften. Neue Zeitschrift eines "renommierten" Verlags". Martina Gedeck beim Mittagessen und der Höhepunkt der ARD-Toleranzwoche im Kreuzfeuer der Meinungen.
Gleich mal in die Hände spucken: Der Aufruf "Nutze Deine Chancen - Aufstieg in der Medienbranche" ging gestern als "Kracher & Lacher des Tages" (@joleffers) bei Twitter herum, da die im Originalkontext damit beworbene Veranstaltung in Kooperation mit der Brigitte stattfindet. Also just mit der Zeitschrift, die in der Nische inzwischen vor allem dafür bekannt ist, demnächst ohne sog. schreibende Redakteure gefüllt werden zu sollen (Altpapier).
Hinter der Power-Zeile verbirgt sich ein zurzeit auf hamburger-karriereschmiede.de zu findender Veranstaltungshinweis mit der "PR-Leiterin aller deutschen Marken des führenden Medienhauses Europas":
"'Nutze Deine Chancen und bleib neugierig!' so das Credo, das Sabine Grüngreiff auf ihrem bisherigen Karriereweg begleitet und angetrieben hat. Auch ihre Begeisterungsfähigkeit für neue oder herausfordernde Themen hat zu ihrer beruflichen Entwicklung beigetragen. In ihrem Vortrag gewährt sie Einblicke in ihren Werdegang, in Erfolge und Herausforderungen",
und zwar am 3. Dezember an der Trostbrücke in Hamburg. Unter Teilnehmern dieser auch zum "Netzwerken" gedachten Veranstaltung werden übrigens auch Karten für eine weitere Veranstaltung verlost, bei der dann die Brigitte-Chefredakteurin auf einer Theaterbühne die Bundesfamilienministerin interviewen wird (wobei solche Karten online auch einfach so verlost werden) ... Die Strategie, dass Verzicht auf Schreibende durch umso mehr um das Ausgangsprodukt herum entfachten Wirbel ausgeglichen werden muss, wird deutlich.
Ob die Karriereschmiede-Veranstaltung selbst gegendert ist oder bloß die Ankündigung (so dass "Teilnehmerinnen" für "Teilnehmerinnen und Teilnehmer" steht) - unklar. Herrenmagazine hat der Gruner ja weiterhin im Angebot.
[+++] Grundsätzlich geht's in der Medienbranche ab- und aufwärts zugleich. Abbau bei Gedrucktem wird aktuell in den Themenfeldern Medien und Mädchen betrieben. Zum einen gab die "Gesellschaft für Medienkultur und Qualitätsjournalismus" bekannt, dass ihre Zeitschrift Message als "gedruckte Ausgabe ... zum Ende des Jahres eingestellt" wird. Das ist auch wegen der klangvollen Namen bemerkenswert, zu denen außerdem ja Prof. Dr. Volker Lilienthal als Inhaber der "Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Praxis des Qualitätsjournalismus" zählt. Die in der Pressemitteilung genannten "rückläufigen Abonnentenzahlen für die Printversion", hat Lilienthal gegenüber turi2.de beziffert: "In seinen Hoch-Zeiten hatte das Quartalsheft 2.000 Abonnenten ... Inzwischen sind es noch 600". Dass die Alternative ausdrücklich "eine ... App oder ein ePaper" sein soll ("der Verlag ermittelt derzeit die Präferenzen der Kunden"), einfach beide digitalen Varianten aufzusetzen also scheinbar nicht zur Debatte steht, kann überdies nachdenklich stimmen.
Ebenfalls die relaunch-halber gerade umtriebigen turi2 bzw 3.de-Leute haben inzwischen die Redaktionsschließung bei der Zeitschrift namens Mädchen bestätigt bekommen. Auch dieser Titel wird jedoch weiterhin erscheinen, er sogar gedruckt, bloß von einer externen Agentur (des "Ex-'Bravo'-Chefredakteurs Jürgen Stollberg") erstellt.
Damit sind wir bei den Unternehmen, bei denen es quantitativ aufwärts geht: Der Bravo-Verlag Bauer verkündete gerade offiziell, "was die Spatzen seit Sommer von den Dächern der Verlagswelt" pfiffen (horizont.net): die bevorstehende Einführung der Zeitschrift namens People in Deutschland.
Der Lizenzgeber Time Inc. spricht außer von "Leidenschaft" auch von Bauer als einem "sehr renommierten Verleger im Bereich von Wochenzeitschriften". Vor dem Hintergrund, dass es vor allem darum geht, "in den Leser- und Anzeigenmärkten von Titeln wie 'Bunte' (Burda) und 'Gala'" zu "wildern" (horizont), also bei einem Top-Titel des nach eigenen Angaben "führenden Medienhauses Europas" (s.o.), dürfen sich Leser von buntem Gedruckten also auf einiges gefasst machen.
####LINKS#### [+++] Harter Schnitt. Nach allerhand mehr oder weniger bewusst lancierter Vorab-PR in der vorigen Woche (siehe u.a. dieses Altpapier) ist die ARD-"Themenwoche Toleranz" nun so trimedial am Laufen, wie die ARD wahrscheinlich gerne ihren Jugendkanal gefahren hätte. Das heißt, es gibt "außergewöhnliche Toleranz-Perlen im Web" anzuklicken (wenn Sie auf der Startseite scrollen) und Sascha-Lobo-Interviews in der elektronischen Presse zu lesen.
Und im Fernsehen läuft heute um 20.15 Uhr der mutmaßliche Höhepunkt: die Fernsehverfilmung des gleichnamigen Buches "Das Ende der Geduld" der Richterin Kirsten Heisig, also der Frau, "die es mit kriminellen Clans aufnahm und in den Freitod ging" (FAZ-Medienseiten-Überschrift), zuzüglich unmittelbar anschließender Anne-Will-Diskussion (aber ohne Heinz Buschkowsky!). Martina Gedeck spielt die nicht-gleichnamige Hauptrolle, deren Name "Corinna Kleist" lautet (welt.de: "Auf Nachnamen verwenden Drehbuchautoren immer ganz besondere Mühe, also steht Kleist für deutsche Romantik und Freitod", auch wenn die ARD womöglich an was noch ganz anderes gedacht haben könnte).
Vorab ist der Film bereits von einem "Weggefährten" Heisigs, dem Berliner Jugendrichter Andreas Müller, scharf kritisiert worden (EPD), und zwar in der Neuen Osnabrücker Zeitung. Er sei "schlecht, tendenziös und bedient Verschwörungstheorien" und "auch noch langweilig", meint wohl eher der Rezensent Hendrik Steinkuhl als der Richter.
Was sagen heute die überregionalen Rezensenten? Sie loben vor allem Martina Gedeck.
"Gedeck versucht keine Sekunde, Kirsten Heisig darzustellen, ihren Gang, ihre Stimme oder ihre Gestik zu imitieren. Corinna Kleist ist eine eigenständige Figur, die gerade mit dieser Distanz Respekt für die tatsächliche Richterin bekundet. Die Fiktionalisierung ist ein Akt der Pietät, und Martina Gedeck gelingt mit ihrem nuancenreichen Spiel das Paradox, ihre Figur rätselhafter zu machen, je mehr wir über sie erfahren."
Insofern sei auch das offene Ende in Ordnung, meint Ursula Scheer in der FAZ. Für die SZ-Medienseite traf Constanze von Bullion die Schauspielerin beim Mittagessen ("Gedeck gilt ja als Primadonna der deutschen Schauspielstars, aber sie wird in der nächsten Stunde ganz offen und ohne angezogene Handbremse über die Figur Kirsten Heisig reden") und blieb von ihr also so begeistert wie sie war. Allerdings aß Regisseur Christian Wagner auch mit. Da kommt ein kritischer Ton rein:
"Klar, räumt der Münchner Filmemacher ein, Neukölln sei anders: 'Man erwartet die Bronx. Aber wenn man da zum ersten Mal rumfährt, ist es fast idyllisch.' Vielleicht hätte Wagner hören sollen auf solche Überraschungen, das hätte Raum geschaffen für weniger holzschnittartige Figuren, die der Kiez auch hervorbringt: den Schauspieler Hassan Issa etwa," (imdb.com), "der den Missetäter Nazir spielt, die Rolle des bösen Buben im echten Leben aber satt hat. Der Mann, der Nazirs Vater spielt, ist ein intellektueller Blogger aus dem Libanon, erzählt Wagner. Warum verzichtet der Film auf solche Figuren, also Leute, die schwarzes Haar haben und trotzdem Grips? Aus 'erzählökonomischen Gründen', sagt der Regisseur."
"Martina Gedecks emotionales Spiel steht in unübersehbarem Gegensatz zu der restlichen Inszenierung", formuliert es Klaudia Wick bei tittelbach.tv. "Streckenweise klingen die Dialoge nun, als habe Thilo Sarrazin am Drehbuch mitgewirkt", schreibt gar Tilmann P. Gangloff, keiner der allerschärfsten Kritiker deutscher Fernsehfilme, hier nebenan.
Zwei positive Stimmen kommen aus zwei gegensätzlichen Ecken. "Gemessen daran, was es auch hätte werden können, ist das gar nicht mal schlecht gelungen", lobt Christiane Müller-Lobeck, eher kein Gedeck-Fan, in der TAZ. Der Film
"verweigert sich den üblichen Frontstellungen: hier Scharfmacher und Rassisten, dort die Neukölln-ganz-nett-Finder, denen der Name des Stadtteils jeweils nur eine Chiffre ist. Dafür allein lohnt sich das Anschauen."
Und auch Barbara Möller in Springers Welt und Funkes Hamburger Abendblatt. Die Überschrift "Richterin Heisig hatte die Multikulti-Hymnen satt" klingt zwar so, als hätten zielgruppen-orientierte Suchmaschinenoptimierer sie ersonnen, zeigt aber eben, dass dieses Filmlob aus einer anderen Ecke als das der TAZ kommt. Ein Film, der so eine Stimmevielfalt nach sich zieht, kann nicht ganz schlecht sein.
[+++] Dieser Springer-/ Funke-Redaktionsgemeinschaft übrigens, das ging gerade vom Ex-Mitarbeiter beider Titel, Kai-Hinrich Renner im Handelsblatt herum, "droht das Aus".
Was ja aber mal keine schlechte Nachricht ist, sondern eine geradezu antizyklisch gute. Solch ein Redaktionsgemeinschafts-Sterben würde ja zu einem Stückchen mehr Redaktionenvielfalt führen.
+++ "Ausnahmezustand" (digitalfernsehen.de) gestern beim WDR in Düsseldorf, und nicht wegen Karneval. Sondern wegen eines "beißenden, metallischen Geruchs, der sich am Dienstag im WDR-Gebäude im Düsseldorfer Medienhafen verbreitete" und zu einem "Großeinsatz der Feuerwehr" und Evakuierung des Funkhauses führte (dwdl.de). "Offenbar war im Keller eine noch unbekannte Flüssigkeit ausgelaufen". Nach WDR-Angaben war der Geruch allerdings eher "süßlich". +++ Sind womöglich die alten Süßstoff-Kanister porös geworden, seitdem die Degeto nur noch deutsche "Breaking Bad"s dreht? +++
+++ Neu gemacht: die Webseite der Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit. Ansonsten sei die Bilanz von Andrea Voßhoffs erstem Amtsjahr "desaströs: Sie blieb in allen Diskussionen zurückhaltend und konnte in bald einem Jahr im Amt keinerlei Akzente setzen, was schon fast als Leistung anzusehen ist, da doch jede Woche eine neue heikle Datenproblemlage die Gemüter bewegt". Findet Constanze Kurz (faz.net). +++
+++ Mit neuen "Klickkacheln" teilt bild.de die "Gefühlswelt ihrer Leser, ähnlich wie das Vorbild Buzzfeed, in fünf mögliche Kategorien auf...: Lachen, Weinen, Wut, Staunen, und, noch immer kein Scherz: Wow" (Süddeutsche). +++
+++ FAZ-Medienseite: "Auch das noch! Nichts bleibt Frankreich erspart. Jeder Tag bringt neue Nachrichten, die vom Niedergang der französischen Eliten und ihrer Verluderung Zeugnis ablegen. Die neueste Nachricht kommt aus einer ihrer Kaderschmieden: Agnès Chauveau, die Leiterin der Journalistenschule von Science-Po, wurde suspendiert. Sie war vom Internet-Portal 'Arrêt Sur Images' des Medienkritikers Daniel Schneidermann als 'Serial Copieuse' bloßgestellt worden. ..." Für Francophone: arretsurimages.net. +++
+++ Außerdem widerlegt Stephan Löwenstein ebd. gleich zweifach, nicht ganz unumständlich, ungarische "Medienzensur"-Vorwürfe: "Der Chefredakteur der 'Welt'-Gruppe, Jan-Eric Peters, fand ... , wenn man mit einem so umstrittenen Politiker wie Orbán spreche, dann müsse mehr als die eine kritische Frage nach Korruption und Einschränkung der Pressefreiheit drin sein. Also entschied er, den Text nicht ins Blatt zu nehmen und im Internet zu veröffentlichen". Ist das Viktor Orbán-/ Horst Seehofer-Doppelinterview also im Internet veröffentlicht, ist es nicht? Es ist, unter der Überschrift "Ein Ungar, ein Bayer - kein Streit". Hätte Orbán noch drei schriftliche Nachfragen wie die, "warum in Ungarn Hunderte unliebsamer Journalisten entlassen worden seien", beantwortet, wäre es auch gedruckt worden. Und zur neulich vermeldeten Nichtveröffentlichung eines Imre-Kertesz-Interviews der New York Times habe "die oppositionsnahe Zeitung 'Népszabadság'" vom Interviewer David Streitfeld erfahren, "Kertesz habe gesagt, er sei müde und nehme am öffentlichen Leben in Ungarn nicht teil; deshalb habe er das Interview nicht gebracht". +++
+++ Überdies empfiehlt in der FAZ Oliver Jungen die heutige ARD-Sendung um 23.30 Uhr, "Dieter Hildebrandt: Weiterlachen" um den "wohl komischsten Journalist und ernstesten Komiker Deutschlands". +++
+++ Die Deutsche Welle "will künftig mit den großen Jungs spielen", die alle nur englisch verstehen (Tagesspiegel). +++ Und nach dem "Spreewaldkrimi" ist vor dem "Spreewaldkrimi" (ebd.). +++
+++ Weitere Themen der SZ-Medienseite: das Bundesgerichtshofs-Urteil, dass, wenn ein begründeter Verdacht "nach der Klärung des Sachverhalts ... nicht mehr aufrechterhalten" wird, der Spiegel einen "Nachtrag", aber keine "Richtigstellung" muss. +++ Und die neue, Bildunterschriften schreibende Google-Software namens "Neural Image Caption". +++
+++ Das Arschloch namens Uber und die Journalisten: Thema vieler Agenturmeldungen und dieses TAZ-Artikels. +++
+++ Der Begriff "Kampagnenjournalismus" sollte positiver gesehen werden (Lorenz Lorenz-Meyer bei carta.info). +++
+++ Der Chefredakteur, Talkshowgastgeber und Talkshowgast Giovanni di Lorenzo zahlt einen ungenannten, aber "namhaften Betrag" dafür, dass er bei der Europawahl einmal zu oft abgestimmt hatte (Abendblatt). +++
+++ "Und auch wenn Kritiker jetzt sicher mahnend auf den Daten-Riesen Facebook im Hintergrund hinweisen werden: Das ist ein riesiger Schritt in die richtige Richtung" (heise.de über die neue WhatsApp-Verschlüsselung). +++
+++ Und sind noch Ernst Ludwig Kirchner-Kunstwerke im nur "fünfstelligen Euro-Bereich" zu haben? Jawoll, offenbar beim WDR (newsroom.de/ DPA). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.