Hubert Seipel konnte bei seinem Interview mit Wladimir Putin nur verlieren und darf sich dafür bei der ARD bedanken (unter anderem). Dort behandelt man anerkannte Kritiker mittlerweile wie andernorts Trolle. Außerdem will die Deutsche Welle mit Russia Today mithalten und Sven Regener hat die FAZ für sich entdeckt.
Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin dem ARD-Journalisten Hubert Seipel ein Interview gibt, dann ist das selbst im schnellsten aller Internetzeitalter für mehr als einen Tag ein Thema.
####LINKS####Das sei vorausgeschickt, damit Sie nicht glauben, wir seien alle in einem US-amerikanischen Film aus den frühen 90ern gefangen, in dem ein Murmeltier eine zentrale Rolle spielt, wenn es heute wie gestern um Putins Auftritt in der ARD und die zentrale Frage geht: Ist man beim öffentlich-rechtlichen Sender nun von der einen Parteilichkeit in die andere gerutscht?
Ja, meint Christian Weisflog bei der NZZ.
„Der Journalist (Hubert Seipel) durfte Putin 2011 während Monaten begleiten, um den Dokumentarfilm ,Ich Putin’ zu drehen. Im Zuge der Ukraine-Krise hat er öffentlich für mehr Verständnis für den Kremlchef geworben . Es erstaunt deshalb nicht, dass Seipel das nun publizierte Interview mit Putin zahnlos führte und wichtige Punkte gar nicht erst ansprach.“
Sieben Fragen hat Weisflog zusammengetragen, die er gerne beantwortet gesehen hätte, darunter „Warum durfte Tschetschenien nicht unabhängig werden?“ und „Ist Kosovo wirklich die Krim?“
Nein meint Michael Hanfeld heute auf der Medienseite der FAZ.
„Der Reporter Seipel, der einen guten Draht zum russischen Präsidenten hat, ist noch lange kein ,Putin-Versteher’. Bei ihm und bei der ARD konnte sich jeder vielmehr seine eigene Meinung bilden. Wir wurden sogar live Zeuge, wie Wladimir Putin versuchte, die Bundesrepublik Deutschland von ihren westlichen und europäischen Partnern zu trennen und auf einen russisch-deutschen Sonderweg zu locken. Das darzubieten ist genau die richtige Methode, dem grassierenden Medienbashing und Verschwörungsgeraune entgegenzutreten. Für ,Kreml TV’ sind sie bei ,RT deutsch’ zuständig.“
Allerdings, der letzte Satz weist darauf hin, geht es in dem Artikel auch und vor allem um das deutschsprachige Angebot des russischen Senders Russia Today:
„Laut und lustig, aufgedonnert und scheinbar selbstironisch kommt diese russische Staats-Propaganda auf Youtube daher – eine ideologische Freakshow. Doch man muss sagen, ganz ohne Ironie: Die Reporterin hat recht. Jeden Tag eine Packung ,RT deutsch’, und die Welt erscheint als eine, in der die Krim von der russischen Armee befreit worden ist und Wladimir Putin gar nicht anders kann, als die Separatisten im Osten der Ukraine und das Assad-Regime in Syrien zu unterstützen.“
Nun ist Hanfeld sicher frei von dem Vorwurf, einer solchen Gehirnwäsche erlegen zu sein. Aber wenn man ein paar Stunden RT geschaut hat, findet man sicher sogar "RTL explosiv" journalistisch.
Doch er bekommt Unterstützung, irgendwie, und zwar ausgerechnet von der taz, wo Andreas Rüttenauer scheibt:
„Man darf kritisieren, wenn Journalisten unkritisch mit ihren Interviewpartnern umgehen. Aber wäre die Kritik an Seipel auch geäußert worden, wenn er nicht unseren Lieblingsbösewicht interviewt hätte?“
Nun könnte man schließen mit der schönen Erkenntnis des Wie man’s macht, macht man’s verkehrt. Aber das eigentliche Problem wäre damit übersehen.
Denn Hubert Seipel hatte wohl tatsächlich schlechte Chancen, ein allseits anerkannt gutes Interview zu führen, weil sein Sender monatelang darauf hingearbeitet hatte, Putin eben nicht objektiv und neutral zu begegnen.
Dabei wäre es so einfach gewesen, denn der Mann disqualifiziert sich ja beständig selbst, nehmen wir nur mal seinen Umgang mit Homosexuellen, der freien Presse oder jeglicher Opposition. Aber diese Selbstdemontage war nicht genug; im Zuge der Ukraine-Krise musste er noch zusätzlich dämonisiert und die Berichterstattung in Schieflage gebracht werden. Seitdem ist Putin unser „Lieblingsbösewicht“ und manche Menschen glauben, wenn zuletzt einseitig schlecht über ihn berichtet wurde, sei er vielleicht auch sonst gar nicht so despotisch, wie immer gedacht.
Womit wir zum Vertrauensverlust kommen, den wir Journalisten nach Jahren der Kultivierung nun ernten können, und zu Kai Gniffke. Der Chefredakteur von ARD-aktuell hatte schon bei der Debatte über die Ukraine-Berichterstattung bewiesen, dass Selbstkritik nicht unbedingt zu seinen größten Stärken gehört. („Wir haben stets nach bestem Wissen und Gewissen sowie sorgfältiger Recherche berichtet. Es gibt keinen Grund, sich für Fehler zu entschuldigen oder in der Berichterstattung nun gar ,gegenzusteuern’“, siehe Tagesschau-Blog.)
Nun antwortet er wiederum im Tagesschau-Blog auf den Vorwurf Stefan Niggemeiers, die "Tagesschau" habe Putin in ihrer 20-Uhr-Ausgabe vom Samstag fälschlicherweise allein und isoliert an einem Dinner-Tisch zu Brisbane gezeigt, in einer Art und Weise, in der sonst Social-Media-Mitarbeiter Trollen begegnen.
„Fast hatte ich schon die Sorge, dass die ARD mit dem Putin-Interview von gestern in den Verdacht geraten könnte, Russland-Versteher zu sein. Da stellt Stefan Niggemeier unser Weltbild wieder vom Kopf auf die Füße. Wir sind und bleiben die heimlichen Unterstützer der NATO, die täuschen, fälschen und verdrehen.“
Ist das nun ironisch, arrogant oder glaubt Gniffke hier etwa, wirklich lustig zu sein? Klar ist: er nimmt die Kritik nicht ernst, sondern teilt lieber noch ein bisschen aus:
„Man muss uns schon eine Menge Verbohrtheit unterstellen, um zu glauben, dass wir exakt warten, bis der Kellner Frau Rousseff Wasser nachschenkt, damit man die Brasilianerin nicht sieht. Wirklich Leute, dafür gibt es Korrespondenten vor Ort, die die Bilder (zum Glück unvoreingenommen) einordnen können. Und Putin war auf diesem Gipfel isoliert, was durch die Recherche belegt ist und was durch das Bild auch noch augenfällig wird. Oder hatte jemand den Eindruck, dass es Putin und Rousseff am Tisch richtig haben krachen lassen?“
Und nun kommt das Problem: Natürlich ist die Sache mit dem allein am Tisch sitzenden Wladimir Putin ein wenig Erbsen-zählerisch. Hier hat die "Tagesschau" halt gemacht, was sie immer macht, um Bild-Text-Scheren zu umgehen, weshalb wir auch so oft um 20 Uhr rote Ampeln oder Gewitterwolken zu Gesicht bekommen: Sie wollte bebildern, dass Wladimir Putin in Brisbane isoliert war, also hat sie ihn isoliert gezeigt. Aber: dass er wirklich isoliert war, und dass die Korrespondenten vor Ort tatsächlich unvoreingenommen an die Sache herangegangen sind, diesen Vertrauensvorschuss hat die ARD in den letzten Monaten selbst demontiert.
Mag Kai Gniffke das auch noch so lustig finden. Ernst nehmen sollte er es trotzdem.
Zumal derweil auch von ganz anderer Seite an der Glaubwürdigkeit von Filmmaterial gesägt wird, wie Ronen Steinke auf der Medienseite der SZ heute über den Youtube-Film „Syrian Hero Boy“ schreibt. Nachdem die Sequenz, in der ein syrischer Junge ein Mädchen aus dem Kugelhagel rettet, durchs Internet gewandert war, stellte sie sich als vom einem norwegischen Regisseur auf Malta inszeniert heraus.
„Verschwörungstheoretiker greifen den Klevberg-Fake im Netz bereits genüsslich auf, zumal der norwegische Filmemacher sich nicht nur klar zu einer politischen Seite bekannt hat – er habe sich beim Dreh auf Malta von syrischen Assad-Gegnern helfen lassen, erklärte er am Wochenende einer Reporterin des TV-Senders Euronews. Sondern weil er auch Geld aus drei Fördertöpfen der norwegischen Regierung erhalten haben will. Das Nato-Land finanziert Fake-News gegen Assad? Aha! Wie viel Wahrheit steckt dann bitte in den Berichten über die Verbrechen des syrischen Assad-Regimes, über Fassbomben und Giftgas, wenn doch nirgends unabhängige Journalisten sind, die das überprüfen können? Und wie viel Propaganda, inszeniert wie in der amerikanischen Mediensatire ,Wag the Dog’ von 1997, in der Dustin Hoffman einen kompletten Feldzug im Studio entstehen lässt?“
Die Weltenlage ist unübersichtlich und kompliziert, die technischen Möglichkeiten spielen der Propaganda von beiden Seiten in die Hände, und bei der "Tagesschau" wischt man Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit als Majestätsbeleidigung vom Tisch.
Es gibt wohl kaum einen schlechteren Zeitpunkt, um als Journalist die Selbstgerechtigkeit vor die Kritikfähigkeit zu stellen.
+++ Ein 16-Jähriger kauft seine erste Zeitschrift und berichtet darüber. Klingt nach Postillon, steht aber bei Spiegel Online. +++
+++ „Es gibt einen Haufen Motive. Wenn die Zusammenstellung auf der Seite des Verbands vollständig sind, sind es 18. Einige erregen so viel Mitleid, dass man sich fragt, warum Bob Geldof auf diesem Auge so vollkommen blind ist.“ Ralf Heilmann hat die Anzeigenkampagne „Print wirkt“ der Verleger entdeckt und präsentiert in seinem Blog noch ein paar alternative Plakatmotive. +++
+++ „Ich möchte mit meinem Lebenswerk nicht zu einem Experiment beitragen, das nach meinem Gefühl Autoren, Produzenten und Künstler nicht fair entschädigt. (...) Der Sound bei Spotify ist schlecht, und niemand verdient daran: Das Unternehmen macht Verlust, und für die Künstler gibt es quasi nichts. (...) Mit Spotify haben wir zum ersten Mal in der Musikindustrie einen Akteur, der ein finanzielles Interesse daran hat, dass möglichst wenig Musik gehört wird.“ Sven Regener ist immer noch nicht gut auf dieses Internet zu sprechen und darf dies diesmal auf der Medienseite der FAZ kundtun. +++
+++ Um biedere deutsche Serien und ihre aufregenderen amerikanischen Verwandten geht es heute in der NZZ. +++
+++ Peter Limbourg will das internationale Feld nicht länger den CNNs und RTs dieser Welt überlassen und das englischsprachige Angebot der Deutschen Welle ausbauen. Doch dafür braucht er mehr Geld, schreibt der Tagesspiegel. +++
+++ Der Schweizer Rundfunk hat ein Magazin gefunden, bei dem die Print-Ausgabe noch gut läut: die Tierwelt. Das überraschende Erfolgsgeheimnis gibt es hier in voller Länge zum Anhören; als kleiner Spoiler sei schon mal verraten, dass man in die Redaktion investierte, als die Leser ins Internet abzuwandern drohten. +++
+++ Multitasking ist in, kein Wunder also, dass nun auch amerikanische Serien von Menschen verantwortet werden, die Chefautor und Produzent in Personalunion geben. Sie nennen sich Showrunner, und David Steinitz schreibt heute auf der Medienseite der SZ über sie. +++
+++ „Es gibt Berufe, wo die Ehefrau immer noch die wackere Frau an seiner Seite ist, ob sie will oder nicht. Eine ist die Botschaftergattin, eine andere die Präsidentengattin, weniger bekannt ist das Schicksal der Journalistengattin.“ Christine Brinck, Gattin des Zeit-Herausgebers Josef Joffe, rezensiert „Die Frau des Journalisten“, das jüngst erschienene Buch von Ilse, Frau von Ulrich Kienzle, ebenfalls in der SZ. +++ Passend dazu als Aufsetzer auf der Seite: fünf neue Zeitschriften mit schönen Namen wie Salon oder My Harmony, die auf die weibliche Zielgruppe setzen. +++
+++ „,Junior’, ,Schwan’ und der ,Professor’ spionierten aus politischer Überzeugung. Sie sahen sich als ,Kundschafter an der unsichtbaren Front’, glaubten an eine bessere, eine sozialistische Welt.“ Die Doku „Honeckers letzte Spione oder Junior und der Schwan" erzählt die Geschichte dreier US-Bürger, die für die Stasi spionierten. Heute Abend läuft sie im RBB; die taz berichtet. +++
+++ Es folgt ein Satz, den man als Medienjournalist dieser Tage immer gut gebrauchten kann: „Wenn's gut läuft, könnte am Ende eine neue Plattform für anspruchsvollen Online-Journalismus stehen. Könnte aber auch schief gehen, so recht lässt sich das noch nicht abschätzen.“ Er stammt von Thorsten Zarges, der bei DWDL über das „probono Magazin“ berichtet, das Friedrich Küpperbusch für seinen Youtube-Kanal produziert. +++
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.