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Gruner + Jahr hat im Optimierungs-Rattenrennen panischer Verlage wieder die Nase vorn. Außerdem: eine Krautreporter-Analyse, eine Optimierungs-Gegenbewegung.

Die Zahlen selbst beeindrucken nicht ungeheuer. Bei Zeitschriften des Verlags Gruner + Jahr werden "insgesamt 25 Mitarbeiter entlassen" (Tagesspiegel), wird also ein weiteres Achtel Sechzehntel der "bis zu 400 Stellen" abgebaut, deren Abbau schon im August (Altpapier) bekannt gegeben wurde.

Eher sorgt das Berufsprofil, das Zeitschriften mit noch halbwegs klangvollen Namen nun abschaffen, für Aufsehen, "überrascht in" seiner "Radikalität dann aber doch" (TAZ), hätte nicht "drastischer ... ausfallen können" (SPON):

Die Brigitte, das "ehemals wichtigste Frauenmagazin" (taz.de-Kommentar), das "immer mehr als andere Frauenzeitschriften von der Güte" seiner "Texte lebte" (SZ-Medienseite), "schafft schreibende Redakteure ab" (horizont.net). Dass es "alle schreibenden Redakteure entlässt" (sueddeutsche.de), stimmt in dieser Verkürzung nicht ganz. Die gedruckte SZ präzisiert:

"Als reine Autoren angestellt sind 15 Redakteure, davon müssen ... neun gehen, sechs weitere rücken in eine 'neue zweite Führungsebene' auf, werden Stellvertreter der Ressort- oder Redaktionsleiter oder des Textchefs. In Zukunft scheint es in der Redaktion also nur noch Chefs zu geben."

Heißt: "Wer nicht komplett gehen muss, rückt stattdessen in die Vize-Ressorleitung auf" (dwdl.de). Und es heißt, dass das Schreiben, also ein im Text (und auch Foto-)orientierten Journalismus eigentlich ziemlich wichtiger Vorgang, signifikant entwertet wird.

Das, was Führungsebenen so machen müssen - Inhalte überarbeiten, verwalten und, im G+J-Leitbild längst verankert, in Form von "Zusatzgeschäften" verwerten - wird in Form wahrscheinlich vergleichsweise gut bezahlter Festanstellungen aufgewertet. Das, was verwertet werden soll, also Inhalte in Textform, wird finanziell abgewertet, indem es von nicht mehr fest angestellten Freien kommt. "Artikel recherchieren und schreiben? Das sollen künftig freie Mitarbeiter erledigen" (newsroom.de/ Pro Quotes Dorothea Heintze).

Besonders die Sprache, die G+J so benutzt, als könnten immer noch irgendwelche Öffentlichkeiten mit Euphemismen im Dynamiksound getäuscht werden, verwundert bis verärgert.

Während die Redaktionen der Zeitschrift Geo und einiger, aber nicht aller ihrer zahlreichen Ableger "zu einer Netzwerkredaktion ..., die mehr Inhalte von außen einkauft" (sueddeutsche.de) "und eine flexiblere Gestaltung der Titel ermöglichen soll" (meedia.de), umgebaut wird, bekommen die Brigitte-Hefte ein "agiles, kreatives und flexibles Kompetenzteam". So lautet der tagesaktuelle Top-Terminus aus einem überall zitierten internen G+J-Text, der auf der aktuell besonders trist anmutenden G+J-Pressemitteilungs-Webseite allerdings nicht zu finden ist.

Das agile Team drinnen soll künftig "Vielfalt und Potenzial von außen rein" holen, so soll aus der Brigitte dann "Deutschlands modernste Frauenzeitschriftenredaktion" (Hamburger Abendblatt) werden. Und "aus dem Umfeld der Verlagsleitung um [Geo-]Publisher Alexander Schwerin wird darauf verwiesen, dass die Kürzungen nicht nach dem 'Rasenmäher-Prinzip' erfolgten, sondern Teil von Optimierungsprozessen seien, die in enger Abstimmung mit den jeweiligen Chefredakteuren entwickelt worden wären" (meedia.de noch mal).

Zumindest sprachlich also hat Gruner + Jahr im Wettlauf der Presseverlage um kontinuierliche Optimierungsprozesse vor dem Hintergrund "latenter Zeitungsverlags-Panikstimmung" (wie ich gestern hier in recht ähnlichem Zusammenhang schrieb) bzw. "wachsender Verzweiflung" (wie Lutz Meier in etwas anderem Zusammenhang in einem der viielen bunten stern.de-Blogs schreibt, die die schon länger ehemalige Online-Chefredakteurin Anita Zielina im Zuge früherer Optimierungsprozesse hatte anlegen lassen ...) die Nase wieder vorn.

####LINKS#### Auch interessant, sowohl an sich als auch natürlich im Hinblick auf Deutschlands künftig modernste Frauenzeitschriftenredaktion: das Gender-Profil. Der schon verlinkte newsroom.de-Artikel schlüsselt es auf: "Zehn Frauen und ein Mann verlieren bei der 'Brigitte' ihren Job. ProQuote beobachtet diese Entwicklung mit großer Sorge", nämlich dieser: "Wenn das Modell des 'Von-unten-wegsparen' Schule macht, werden die Medien noch viel einseitig-männlicher auf die Welt gucken als bisher". "Von-unten-wegsparen" ist ein präziser Terminus.

 

Auch immer interessant: der historische Aspekt. Etwas langjährigere Medienbeobachter wissen, dass G+J nicht der erste hanseatische Verlag ist, der "alle schreibenden Redakteure entlässt". Der Jahreszeiten-Verlag tat's vor viereinhalb Jahren schon (BLZ damals). Jahreszeiten-Verlag? Das ist dieser, mit Zeitschriften in genau den weniger harten Themenfeldern, in denen G+J auch unterwegs ist.

Und ebenfalls interessant, vor diesen Hintergründen sowie dem, dass es bei G+J umfangreiche, Arbeitsgänge verlangsamende Hierarchieebenen voller nichtschreibender Redakteure (die sicher oft gerne und gut geschrieben hätten, aber dafür eben nicht angestellt waren) schon immer gab, ist die Diskussion, die sich bei Facebook (in Teresa Bueckers Account) entwickelt hat. Sie wurde bei Twitter geteilt und besonders von der auch in diesem Journalismussegment erfahrenen Katja Kullmann geführt.

"Huihui, dieser Arbeitsmarkt ist also wirklich am Ende",

schreibt sie, und dann:

"Also, um sich das noch mal zu vergegenwärtigen: Dieser Verlag verkauft (wie der Jahreszeiten Verlag) sogenannte Magazine – die Menschen, die diese Magazine aber sozusagen herstellen, Redakteure/innen, Grafiker/innen, werden entlassen. Festangestellt, i.e. treu durchgefüttert, werden allein die Abteilungen, die im fast schon sprichwörtlichen 'sechsten Stock' sitzen: ein Klops von Marketing/Controlling/Vertriebsleuten bzw zzgl ein bischen aufgeblähtes 'Redaktionsmanagement' – eine Personalkohorte, eine verlagsintern Branche sozusagen die, auch ein Vierteljahrhundert nach Beginn der massenhaften Internet-Verwendung, bis heute keine Idee hat, wie selbiges ökonomisch zu nutzen sein könnte - 'Huch, wir haben Internet!' – wenngleich die Population der Betriebswirte und -wirtinnen doch eigentlich nichts anderes gelernt haben sollte, in ihren Spezialturboausbildungen. Was machen diese verleichsweise superkrass dick bezahlten Menschen eigentlich den ganzen Tag? Bitte?"

Klicken Sie hier! Aber Achtung, das große Foto zeigt weder Kullmann noch Buecker, sondern die vermutlich in ganz anderen Zusammenhängen versonnen schwarzweiß lächelnde, weiterhin amtierende Brigitte-Chefredakteurin Brigitte Huber (aus dem oben verlinkten Horizont-Artikel). So ist dieses Internet auch - alles kann immerzu dekontextualisiert werden.

[+++] Im Facebook-Strang geht's auch deshalb "etwas bratzig" zu, da ein Kommentator zwischendurch schrieb: "Genau, selbst schuld, die Brigitte-Redakteurinnen. Warum schreiben Sie auch nicht für coole linke Wochenzeitungen, die von reichen Verlagserben finanziert werden". Ich würde ja vermuten, dass G+J-Chefin Julia Jäkel noch weit davon entfernt ist, auch nur davon zu träumen, Honorare wie Jakob Augsteins Freitag zu zahlen ... Aber: Im Freitag steht jedenfalls eine ziemlich gute Analyse des zurzeit interessantesten alternativen Journalismusfinanzierungs-Projekts, krautreporter.de:

"Das größte Problem der Krautreporter ist aber, dass die Zusammenstellung der Beiträge völlig willkürlich wirkt. Wenn jeder schreibt, wozu er gerade Lust hat, kommt vielleicht ein Blogportal dabei heraus, aber kein Onlinemagazin. Eine redaktionelle Handschrift ist bisher nicht erkennbar. Länge und Entschleunigung sind ja noch keine Werte an sich. Man muss damit schon auch etwas wollen",

schreibt Jan Pfaff.
 


Altpapierkorb

+++ Eine Gegenbewegung zu den G+J-Optimierungen? "Der 'Weser-Kurier' in Bremen will zum Jahreswechsel fünf Außenredaktionen ins Haus zurückholen; die zuvor ebenfalls ausgelagerte Anzeigenabteilung arbeitet schon seit einigen Wochen wieder im Unternehmen. Betroffen sind mehr als hundert Mitarbeiter. Vorstand und Betriebsrat bestätigten entsprechende Informationen auf Anfrage", berichtet die FAZ-Medienseite. "'Es ging uns darum, dass wir das wieder aus einer Hand steuern können', sagte Vorstand Jan Leßmann. 'Und es sollte auch eine Corporate Identity wiederhergestellt werden'" Das sind Zeilen, die künftige Bertelsmann-Manager dereinst auch wieder aufführen könnten. Zumal ein Management-Trick in Bremen durchaus funktioniert hat: "Bedingungslose Freude macht sich ... indes nicht breit: Die Beschäftigten werden zwar bessergestellt, arbeiten aber weiterhin unter Tarif. Denn der Verlag hat die Tarifbindung verlassen, seit 2006 wurden nach Angaben des Betriebsrats mit einer Ausnahme in der Redaktion neue Leute nur noch mit abgespeckten Verträgen oder als Leiharbeiter eingestellt." +++

+++ Der jüngste Spiegel-Brandbrief, vom Betriebsrat an Klaus Boldts bzw. Springers Bilanz-Magazin sowie natürlich an die Spiegel-Redakteure verschickt, schlägt nicht besonders durch. In seiner "Existenz bedroht" ist der Spiegel sicher weniger als viele andere ... Dass der sog. Brandbrief "bereits vor einigen Tagen" als "Newsletter" "verschickt wurde", weiß der Tagesspiegel. +++

+++ Am Dienstag (Altpapierkorb) problematisierte die FAZ-Medienseite noch den Umstand, dass "das Urteil in Sachen Ulrich Hoeneß Wissenschaftlern und Journalisten nicht zugänglich" sei. Heute kann Michael Hanfeld berichten, dass "die Urteilsbegründung Anfang November veröffentlicht werden soll". Das könnte spannend werden. Er zitiert den Ex-Oberstaatsanwalt Walter Grasnick, der die Sache ins Rollen brachte: "Das Strafurteil gegen Uli Hoeneß wegen Steuerhinterziehung basierte auf einer konkludenten Absprache zwischen Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft. Sie reicht aber viel weiter als bislang angenommen. Denn die Absprache erfasst auch - und das ist nun für das Ansehen der Münchner Justiz tödlich - die Modalitäten der bisher verweigerten Bekanntgabe der schriftlichen Urteilsgründe." +++

+++ Kommentare zu Ungarns Internetsteuer: "Dass ausgerechnet eine Besteuerung des Internetgebrauchs die Leute auf die Barrikaden treibt, ist bezeichnend für die Auffassung von diesem Medium. ... Mit Medienfreiheit hat das Ganze aber nichts zu tun" ( Stephan Löwenstein, FAZ-Seite 8, der vor allem meint, es ginge die EU nichts an). +++ "Oppositionelle Radiosender wie Tilos oder Klubrádió sind außerhalb von Budapest nur via Internet zu empfangen. Die sozialen Medien dienen dem Austausch von Informationen, die es in die offiziellen Medien nie schaffen. Und genau das soll jetzt teuer werden" (Ralf Leonhard, vorn auf der TAZ). +++ Der Tsp. war beim Berliner Pressetermin mit den kürzlich in der Türkei zeitweise verhafteten deutschen Journalisten. +++


+++ "Lilyhammer" auf Arte: "Zwei Jahre nach ihrer Erstausstrahlung ist die erste Staffel der schwarzen Komödienserie 'Lilyhammer' nun auf Arte zu sehen. Zwei Jahre, das fühlt sich im Seriendauerhype so vergangen an wie die Spiele von Lillehammer. Trotzdem ist Lilyhammer spannend: Zum einen handelt es sich um die erste Eigenproduktion des US-Streamingdienstes Netflix ... Zum anderen ist die Serie eine Art inoffizielle Fortsetzung der 'Sopranos' -  jener TV-Show also, die den neuen Serienhype begründete" (SZ). Lesen Sie dazu natürlich Harald Kellers kürzlich hier empfohlenen Funkkorrespondenz-Artikel über deutsche Besprechungen amerikanischer Serien! +++ "Schönheitsfehler" (TAZ): "Im Original sprechen die Norweger zwar in Franks Gegenwart Englisch, jedoch fallen sie immer wieder, vor allem in überraschenden Situationen, ins Norwegische zurück. Wenn Frank ihnen mit leerem Gesichtsausdruck zuhört, ist das witzig und authentisch. Solche Zwischentöne gehen in der deutschen Fassung unter, womit ... ein erheblicher Teil des Charmes der Serie verloren geht." +++ "Die wahrscheinlich lustigste TV-Serie der Welt" (Markus Ehrenberg, Tagesspiegel). +++ Dass Netflix aber auch mal deutsche Serien produzieren will, erzählte dessen Chef Reed Hastings nun auch der Zeit. +++

+++ Die Deutsche Telekom hat den "Bereich 'Fernsehen' aus dem Innovationsbereich in den Deutschlandbereich verlagert, da das Produkt längst marktreif ist", meldet heise.de unter der Überschrift " Telekom baut hunderte Stellen im Digitalbereich ab". +++ Kritisches zum amerikanischen Corporate-Journalismus bzw. "Journalismus" von Verizon - einem der wenigen Telekomkonzerne, der durch NSA-Kollaboration Umsatz in Deutschland verliert - weiß die FAZ zu berichten. +++ "Twitters Geschäftsmodell basiert auf der Voraussetzung massiver Nutzerzahlen. Dass daraus aber nichts wird, ist nicht länger nur eine Tendenz, sondern eine Tatsache" (netzwertig.com). Die Strategie sei "gescheitert".+++

+++ "... Klinsmann hat ein unglaublich großes Ego." - "Ein großes Ego braucht man auch im Filmbusiness. Wie schwer ist es da, als Frau seinen Weg zu gehen?" "Ich kann nur für mich sprechen. ...": Da unterhalten sich Jörg Seewald und Film-/ Fernseh-Produzentin Gale Anne Hurd über Fußball und anderes (Tagesspiegel). Vieles, was Hurd so sagt, würde Klinsi aber auch unterschreiben. +++

+++ Für die SZ hat David Denk, einer der Medienjournalisten, die auch den Glamour der Medienberichterstattung zu schätzen wissen, einen vielfältigen ARD-Star besucht: "Francis Fulton-Smith wirkt ein wenig aufgeregt vor diesem Interview. Als man sich gut fünf Minuten verspätet, hat er schon eine Telefonkette in Gang gesetzt. Fulton-Smith gibt zunächst seiner Agentin Entwarnung, der Interviewer beruhigt den Presse-Mann. Fast wie in einem Bewerbungsgespräch ist Fulton-Smith zunächst sehr bemüht, bloß nichts Falsches zu sagen ..." Hat er dann auch nicht, oder Denk hat's für sich behalten. +++

+++ "Es war kein besonders ergreifender Anblick, aber da man zu dem Zeitpunkt schon fast zwei Stunden ausgelassenen Frohsinns hinter sich gebracht hatte, war man froh, dass das beschwipste Revival über die Bühne gegangen war, ohne größeren Schaden anzurichten. Niemand hat auf die Rückkehr dieser Show gewartet, und verschwände sie morgen wieder im Orkus, würde wohl kaum jemand eine Träne vergießen. Trotzdem war es nett, mal wieder zu sehen, was man früher so alles lustig und unterhaltsam fand" (Hans Hoff, sueddeutsche.de über "Geld oder Liebe" im WDR-Fernsehen). Klingt fast nach einem neuen Grimmepreis für Jürgen von der Lippe. +++

+++ "Einen starken Mutter-Tochter-Konflikt, in starken Bilder, die so lange für sich selbst stehen, bis einem die Füße einschlafen, oder so verwackelt sind, dass einem schlecht wird. Aber meistens zieht es sich und zieht sich und zieht sich ..." (wieder Hanfeld über "Mörderhus. Der Usedom-Krimi" heute in der ARD). +++ Aber TPG hier nebenan bleibt positiv: "Da die Geschichte von Mutter und Tochter noch längst nicht zu Ende erzählt ist, macht 'Mörderhus' neugierig auf die weiteren Filme". +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.