Toleranz-Intoleranz in der HR-Kantine

Die ARD möchte für mehr Toleranz werben und vergreift sich im Ton sowie im Plakatmotiv. Die Sache mit der Sicherheit im Internet wird immer komplizierter. Sogar ein professioneller Einsparer sorgt sich, dass die Verlage nicht genug in Journalismus investieren. Die dpa schürt Ebola-Panik, und beim Westfalen-Blatt hat man Ärger mit autorisierten Interviews und Bernd Lucke.

Toleranz, das Wort ist offenbar einfacher auf ein Plakat zu drucken als zu praktizieren. Das hat die ARD nun bewiesen, und zwar ausgerechnet mit der Kampagne, mit der sie ihre am Freitag startende „Themenwoche Toleranz“ bewerben will. Zu den vier Plakatmotiven gehören zwei Männer, die sich unter der Schlagzeile „Normal oder Nicht-Normal“ küssen und ein aus der Vogelperspektive fotografierter dunkelhäutiger Mann, bei dem sich die Frage „Belastung oder Bereicherung?“ zu stellen scheint (alle Motive gibt es hier).

####LINKS####Man möchte sich kurz aufregen, aus welchem Jahrzehnt eines vergangenen Jahrhunderts man sich bei der öffentlich-rechtlichen Anstalt die Annahme geliehen hat, Homosexualität könnte nicht normal sein, und warum ein Dunkelhäutiger automatisch einen Flüchtling suggerieren muss, auf den man auch noch von oben herabblickt. Aber da ist dann schon der Ankündigungstext des Hessischen Rundfunks (Dachzeile: „Was müssen wir uns gefallen lassen – was nicht?“) für ein im Rahmen der Themenwoche laufendes Streitgespräch, bei dem natürlich Matthias Matussek unter dem Titel „Der Tanz um die Toleranz“ diskutieren soll.

 

„Ist sich das knutschende schwule Paar in der U-Bahn eigentlich bewusst, wie viel Toleranz es seinen Mitreisenden abverlangt? Und mit welcher Beharrlichkeit die muslimische Kollegin den Betrieb in der Kantine lahmlegt, weil sie unbedingt wissen muss, ob in dem Essen auch wirklich kein Schweinefett enthalten ist.“

Denn wenn etwas unsere Toleranz auf eine harte Probe stellt, dann sind das nicht der elende Fischgeruch, der freitags immer durch die Kantine zieht, weil die Katholiken das so wollen, oder laktoseintolerante, glutenverachtende Veganer, die trotzdem gerne ihre Kaffee mit Schaum genießen, sondern Muslime, die nach Schweinefett fragen.

Bleibt zu hoffen, dass die Mitarbeiter der diversen ARD-Anstalten, die sich Plakate und Text ausgedacht haben, einmal selbst ihr bester Kunde sind und durchgehend Themenwoche Toleranz gucken. Da scheint es Nachholbedarf zu geben.

Das Twitter-Team des HR hat immerhin schon verkündet:

„Eure Kritik ist angekommen! Die Ankündigung zur horizonte-Sendung ist provokant formuliert, sollte aber niemanden diskreditieren. #Toleranz“

Sinnerfassendes Lesen scheint nicht Voraussetzung für ein Engagement beim HR zu sein, und die interne Kommunikation funktioniert auch nicht. Der Text steht auf jeden Fall weiterhin so auf der Seite.

„Man könnte das Spiel mit dem Vorurteil zunächst als Masche ansehen, um die Quote zu steigern. Das könnte man noch akzeptieren, wenn die Sendungen dann Aufklärung und Haltung liefern würden (...). Wenn man nun aber sogar eine Woche zur ,Toleranz’ allgemein mit einer Mischung aus toleranten und intoleranten Aussagen bewirbt, offenbart sich dahinter eine konsequent falsche Denkweise: Toleranz ist, wenn man ,darüber’ redet. Bzw. darüber reden lässt. Eine echte Toleranz, gar Akzeptanz oder Inklusion ist das nicht.“

Meint Norbert Blech bei queer.de. Ähnlich argumentiert auf Noemi Molitor, wenn sie bei taz.de schreibt

„Eine Kampagne, die Diskriminierung herausfordert, statt eingefahrenen Denkmuster zu bedienen, funktioniert mit Sicherheit anders, als die ARD denkt".

Beim deutschen Buzzfeed, wo man offenbar ein gutes Näschen für Themen mit Shitstorm-Potential hat, wurde gestern Nachmittag schon die Gegenkampagne an den Start gebracht. Hier ist es nun Günter Jauch, der sich fragen lassen muss: Belastung oder Bereicherung?

Am dicken Fell der ARD scheint das alles abzuperlen.

„Gut: Plakat-Aktion sorgt für Aufmerksamkeit. Weniger gut: Motiv soll zwar provozieren, aber nicht verletzen. #Toleranz“

lautete die einzige Reaktion des eigenen ARD-Themenwoche-Twitteraccounts. In anderen Worten: Es gibt keine schlechte PR, und das ist uns erstmal das Wichtigste.

[+++] Womit wir von einem Thema, zu dem alle eine Meinung haben, zu einem Thema kommen, für das man doch besser noch rasch einen Master in Computerhacken draufsattelt, um es wirklich zu verstehen.

Bereits am Wochenende hatten unser liebster Rechercheverbund aus NRD, WDR und SZ sowie der Spiegel berichtet, dass der BND insgesamt 300 Millionen Euro in ein Programm mit dem schönen Namen „Strategische Initiative Technik“ (SIT) investieren will. Ziel ist dabei unter anderem, Verschlüsselungstechniken wie HTTPS und SSL zu entschlüsseln, um daraus wiederum Informationen über Sicherheitslücken zu ziehen.

Ich habe besagten Master in Computerhacken nicht, aber für mich klingt das nach dem Kind, das einen Wecker auseinandernimmt, um zu schauen, wie er funktioniert, um dann später am erneuten Zusammenbauen zu scheitern. 

So ähnlich liest es sich auch bei sueddeutsche.de:

„Kritiker sehen in dem Einkaufsbummel auf zwielichtigem Markt die Gefahr, dass die Händler, die den BND beliefern würden, ihre Kenntnisse auch an Onlinekriminelle weiterreichen könnten. Wer zahlt, befördert das Geschäft.“

Die Nachricht ist, wie gesagt, schon vom Wochenende. Aber sie noch einmal zu wiederholen bieten einen schönen Hintergrund für die Meldung vom stillgelegten Tor-Netzwerk, die heute die Medienseite der FAZ erreicht hat, wo Morten Freidel schreibt:

„Für Nutzer von Tor und anderer Verschlüsselungstechnik, die nicht planen, im Dark Web Drogen zu kaufen, sondern die nur ihre Privatsphäre schützen wollen, sind das schlechte Nachrichten. Ihnen bleibt keine andere Wahl, als auf Dienste zurückzugreifen, die auch Kriminelle nutzen. Behörden, die jene Kriminellen bekämpfen und flächendeckend Sicherheitscodes knacken, überwachen damit immer auch unbescholtene Internetnutzer. Privaten E-Mail-Verkehr gibt es dann nicht, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung besteht nur noch in der Theorie.“

Auf der Suche nach ein bisschen Sicherheit im Internet bleibt damit für Nutzer wie BND nur der Gang in die Illegalität.

Finde den Fehler, oder nimmt Dir alternativ die Empfehlung zu Herzen, die Dana Priest von der Washington Post und James Risen von der New York Times den Besuchern einer Konferenz über digitale Sicherheit von Journalisten im Überwachungszeitalter mit auf den Weg gaben, wie auf der Medienseite der SZ nachzulesen ist (auf sueddeutsche.de gibt es mal wieder eine Extra-Version mit gleichem Inhalt).

„Beide werden bald 60 und warnten das ziemlich junge Publikum davor, Technik als Allheilmittel zu sehen. ,Ich bin kein Nerd, sondern vertraue auf persönliche Kontakte zu meinen Quellen, die ich lange kenne’, sagte Priest. Risen kennt Informanten, die Verschlüsselung aus einem anderen Grund ablehnen: ,Wer für eine US-Behörde arbeitet und entsprechende Software nutzt, ist sofort verdächtig.’ Technik ersetze nicht klassisches Reporterhandwerk, es gehe um ,sowohl als auch’, nicht um ,entweder oder’.“

Wer wirklich sicher kommunizieren will, geht mit seinem Gesprächspartner am besten in den Wald. Die Methoden der DDR-Dissidenten scheinen also auch 25 Jahre nach dem Mauerfall noch die beste Lösung zu sein.  

[+++] Mag man bei Vocer auch zu den Letzten gehören, die eine Meinung zur Entscheidung von Gruner und Jahr publizieren, viele Mitarbeiter zu entlassen und unter anderem ihre Brigitte in Zukunft ohne Redaktion zu erstellen (Altpapier). So gelingt es doch, etwas andere Töne anzuschlagen:

„Die veränderten Redaktionsmodelle von Jahreszeiten Verlag und Gruner + Jahr sind identisch und zeitgemäß.“

Schreibt Jan Klage, der in diesem Zusammenhang den Jahreszeiten Verlag nennt, weil er bis 2012 deren Geschäftsführer war und dort das vergleichbare Sparprogramm Jalag 2010 durchgeprügelt hat. Das er allerdings als notwenige Sparmaßnahme, aber nicht als wirklich zukunftsweisend einstuft:

„Die von Jalag und Gruner + Jahr vorgelegten Redaktionskonzepte mögen der effizienten Verwaltung einer Medienmarke in schwierigen Zeiten dienen, eine bahnbrechende verlegerische Idee fehlt dabei allerdings immer noch. (...) Nicht PR-Texte und Auftragsarbeiten schlecht bezahlter freier Journalisten werden die Schlacht um die Aufmerksamkeit moderner Zielgruppen gewinnen, sondern Geschichten mit Herzblut und Authentizita?t. Mut zum Dialog, echte News, erlebbare Na?he und fassbarer Nutzen, all das muss Content künftig leisten. (...) Auf dem Weg dorthin lässt sich allerdings kein Geld einsparen. Hier braucht es vielmehr entschlossene und zukunftsweisende Investitionen in festangestellte kreative Köpfe, Infrastruktur und Technik.“

Ein professioneller Einsparer, der lieber „Content“ als „Journalismus“ sagt, appelliert an die Verlage, in Inhalte zu investieren, um langfristig zu überleben.

Wer sich bislang noch keine Sorgen gemacht hat, sollte wohl jetzt damit beginnen.


Altpapierkorb

+++ Wem der gestern hier verlinkte Blogpost von Christoph Keese und wie er das Leistungsschutzrecht sieht zu lang war: Er hat das jetzt noch mal auf Twitter-Länge gebracht. Wie wird man sich bei Meedia ärgern, dass man sich für diesen Text noch durch die Langversion gequält hat. +++

+++ Das Problem mit den autorisierten Interviews hat nun auch das Westfalen-Blatt erreicht, wo AfD-Chef Bernd Lucke die Antworten zu Fragen nach der rechten Ausrichtung der Partei nicht freigeben wollte. Die Fragen hat man dennoch veröffentlicht. Newsroom hat dazu den Redaktionsleiter Ulrich Windolph interviewt. +++

+++ Am Mittwoch landet die Raumsonde Rosetta auf dem Kometen mit dem schwergängigen Namen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko, und bei der ESA gibt man gerade alles, damit das als Medienereignis nicht völlig untergeht, schreibt Kathleen Hildebrand auf der Medienseite der SZ. „Kaum ein Ereignis schafft es heute noch, wie 1969 Hunderte Millionen vor einem Programm zusammen zu bringen. Doch das ist nicht alles, was sich verändert hat. Die Faszinationskraft der Raumfahrt ist nicht mehr dieselbe. Es gibt keinen Wettlauf mehr um die Vorherrschaft im All. Und kein Politiker hält im Krisen-Europa pathetische Reden über den Aufbruch in fremde Welten. Der Weltraum als utopischer Ort scheint ausgedient zu haben.“ +++

+++ Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten haben sich leider immer noch keine Bindestriche gegönnt, aber netzpolitik.org abgemahnt. +++

+++ Jeta Xharra ist investigative Journalistin und moderiert seit neun Jahren „Jeta në Kosovë“, eine Fernsehsendung, deren hartes Nachfragen ihr schon Morddrohungen eingebracht habe, wie die NZZ schreibt. „Für ihr Magazin, mit dem sie 2005 auf Sendung ging, nahm sie sich BBC-Moderatoren zum Vorbild, die aggressive Fragen stellen. Der Journalist als scharfer Wachhund der Demokratie – das war ziemlich genau das Gegenteil des Journalismus in Kosovo, der lange Zeit der jugoslawischen Staatspropaganda gedient hatte. ,Meine Sendung war ein Schock', sagt Xharra.“ +++

+++ Wie deutsche Medien Ebola-Panik schüren, und dass dabei auch die dpa mitmischt, dokumentiert Boris Rosenkranz im Blog von Stefan Niggemeier. +++

+++ Menschen möchten gerne Unterhaltungsshows gucken, aber keine Rundfunkgebühren dafür zahlen. Zu diesem Ergebnis kommt man, wenn man Einschaltquoten mit dem Ergebnis einer Forsa-Studie kombiniert, für die ein paar Berliner befragt wurden, worüber wiederum der Tagesspiegel berichtet. „Von den 39 Prozent der Befragten, die angaben, dass sie die Rundfunkgebühren auch freiwillig bezahlen würden, plädieren fast alle für Investitionen in Nachrichtensendungen wie die ,Tagesthemen’ oder das ,heute journal’. Ebenfalls zahlen würden die Befragten für Dokumentationen (89 Prozent) sowie Magazine und Reportagen (82 Prozent). (...) Abgeschlagen sind dagegen Unterhaltungsshows à la ,Wetten, dass..?’ und ähnliche Formate: Für sie würden die wenigsten Befragten bezahlen.“ +++

+++ Ebenfalls beim Tagesspiegel stellt Kurt Sagatz dbate.de vor, die Video-Blog-Plattform des Dokumentarfilmers Stephan Lamby. „,Das Interesse an journalistischen Videos im Internet steigt, das Angebot an Material, das derzeit von millionenfachen Katzen- und Baby-Videos und Pornos geprägt ist, kann da nicht mithalten’, sagt Lamby. ,Mit den Videotagebüchern können wir sehr schnell sein’, sagt der Dokumentarfilmer. Damit lassen sich Bilder aus Welten finden, die für Journalisten nur schwer zu erreichen sind, weil sie entweder sehr weit entfernt sind, oder weil man aus anderen Gründen keinen direkten Zugang hat.“ +++

+++ Buzzfeed goes Bildblog. Sollte man auch mal erwähnen. +++

+++ Mehr als angetan zeigt sich Eva-Maria Lenz auf der Medienseite der FAZ von den ARD-Hörspieltagen. Ein kleiner Verdacht, woran das auch liegen könnte, liefert folgender Absatz: „So bewährte sich abermals die Zweigleisigkeit von Wettbewerb und Rahmenprogrammen in den akustisch hochkarätigen Vorführräumen des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medientechnologie, das sich samt der Hochschule für Gestaltung als Gast- und Ideengeber profilierte. Und wieder fand die Kopplung von Wettbewerb und öffentlicher Diskussion Anklang, wenn die Jury unter Vorsitz von Jochen Hieber, Feuilletonredakteur dieser Zeitung, an Konsens wie Kontroversen teilnehmen ließ.“ +++

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.