Wird die GDL, was einmal die IG Medien war? Zumindest kurbelt der Bahnstreik das klassische Kommentarwesen an. Außerdem: ein neuer dialektischer Streich des kleinen deutschen Goliaths im internationalen digitalen Mediengeschäft.
Lokführer sind Gatekeeper. Sie arbeiten auf einer Infrastruktur, auf der nur sie allein arbeiten dürfen, und wenn sie, bevor sie streiken gehen, ihre Arbeitsmittel geschickt stehen lassen (um noch einen auch von deutschen Managern gern verwendeten Anglizismus zu bemühen: an den richtigen bottlenecks), kann diese Infrastruktur erst recht niemand sonst benutzen.
Wenn jetzt der auch immer streitbare Vorsitzende einer der Journalistengewerkschaften, Michael Konken vom DJV, die Medien auffordert, über den von einer der Eisenbahner-Gewerkschaften ausgerufenen 100-Stunden-Bahnstreik "nicht tendenziös zu berichten", wird nicht nur an einer Stelle seines Appells deutlich: Konken hätte gerne, dass Journalisten auch noch so etwas wie Lokführer wären. Weselskyschen Biss besäße er.
Dass Journalisten keine Gatekeeper mehr sind, weil die von ihnen verwendeten Infrastrukturen nach rasanten, noch längst nicht abgeschlossenen Veränderungsprozessen im Prinzip allen offen stehen, könnte schon Konsens einer gesellschaftlichen Mehrheit sein. Tagesaktuell aufgeschrieben hat es Stefan Niggemeier in seinem Blog, mit einer Menge im Niggemeier-Sound eher ungewohnter Sätze ("Ich weiß es ja auch nicht", "Mein subjektiver (und natürlich zu pauschaler) Eindruck ..."). Es geht um Russland-/ Ukraine-Berichterstattung.
Worauf Konkens Stimmungsmache-Vorwürfe sich beziehen, hat horizont.net zum Durchklicken zusammengestellt. Mit Fokus auf weniger boulevardige Medien, mit historischem Verständnis und viiiel für die Streikenden (das ich nicht habe) , fasst auch Altpapier-Autor Frank Lübberding auf wiesaussieht.de die Berichterstattung zusammen. Eine Prognose, wiesausgeht, ist auch dabei.
Eine andere Prognose, die wiederum ebenfalls mit der Entwicklung der Medieninfrastrukturen zusammenhängt, hat Multikommentator Heribert Prantl heute auf der Meinungsseite der Süddeutschen:
"Die Drucker und die Lokführer waren einst kreuzbrave und von elitärem Berufsstolz getragene Berufe. Ihre Gewerkschaften waren zunftähnlich. Bei den Druckern änderte sich das in den Siebzigerjahren radikal, als durch elektronische Datenverarbeitung die alten Berufe der Druckvorstufe durch neue Berufe ersetzt wurden. Damals wurde die IG Druck und Papier, die spätere IG Medien, zum Inbegriff einer für deutsche Verhältnisse extrem kämpferischen Gewerkschaft. ... Eine ähnliche Entwicklung ... nimmt nun unter dem Druck der zu erwartenden Automatisierung des Eisenbahnbetriebs, die ... GDL."
Welche Rolle die Druckindustrie von damals inzwischen noch spielt, braucht an dieser Stelle nicht betont zu werden.
Prantls kurzer Kommentar, der dann eigentlich bloß "Mediation" fordert, steht am Donnerstagmorgen noch nicht frei online. Aber ein per Videointerview gegebener, in dem er Hoffnung auf ein Reichsarbeitsgerichts-Urteil setzt (auf eines aus der Zeit, als dieses Gericht noch in einer Demokratie zugange war, von anno 1930). Für Kuriosa in den klassischen Kommentarspalten ist der GDL-Streik also immerhin gut. Dass im Politikressort der FAZ "Privatisierungswahn" kritisiert und eine "Rückbesinnung auf hoheitliche Kernaufgaben" des Staates gefordert wird wie heute auf S. 8 von Reinhard Müller, ereignet sich z.B. auch nicht in jedem Jahrzehnt.
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[+++] Gatekeeper gibt es in der Digitalära natürlich auch und erst recht. Bloß sind es überwiegend keine staatlich oder öffentlich-rechtlich bestellten. Dem größten Gatekeeper, dessen Umtriebigkeit und Profitabilität Michael Hanfeld wieder beglossiert, will gerade wieder Axel Springer, der kleine deutsche Goliath im globalen Mediengeschäft, ans Schlafittchen.
Was faktisch geschah, ist eigentlich bloß, dass die "Gratiseinwilligung", die alle in der VG Media organisierten Verlage außer teilweis Springer vor zwei Wochen so "widerruflich" wie widerwillig Google gaben (Altpapier), nun unter der sehr ähnlichen Bezeichnung "Gratis-Lizenz" auch für Springers Webseiten welt.de, computerbild.de, sportbild.de und autobild.de erteilt worden ist. Auch das sei "nicht freiwillig" geschehen, heißt's in der Verlagsmitteilung, "sondern weil die Axel Springer SE wegen der Marktbeherrschung Googles und des daraus folgenden wirtschaftlichen Drucks keine andere Möglichkeit sieht."
Die Meldungen dazu geben einen Widerschein von der Variationsvielfalt der deutschen Sprachen: Springer "kapituliert" (dwdl.de), "streckt im Kampf gegen Google die Waffen", "gibt im Kampf gegen Google nach" (faz.net jeweils) sowie "gegenüber Google klein bei" (Tagesspiegel) und "knickt" außerdem "ein" (ebd.).
Doch Zahlenmensch und Storyteller, der er gleichermaßen ist, hat Springer-Chef Mathias Döpfner erstens den "wirtschaftlichen Druck" in der Testphase beziffern und hochrechnen lassen (auf "entgangene Vermarktungsumsätze im siebenstelligen Bereich pro Marke bezogen auf das Gesamtjahr"). Zweitens hat er am Rande der regelmäßigen Geschäftszahlen-Bekanntgabe, bei der er wie gewohnt wachsende Umsätze und Gewinne (welt.de) mit Geschäften, bei denen Journalismus, zumal gedruckter, eine zusehends kleinere Rolle spielt, der Story eine interpretierende Klausel beigefügt, die zum Drübernachdenken anregt:
"Das ist vielleicht der erfolgreichste Misserfolg, den wir je hatten. So traurig es ist, aber wir wissen jetzt sehr präzise, wie massiv die Folgen der Diskriminierung sind, wie sich die Marktmacht von Google tatsächlich auswirkt und wie Google jeden bestraft, der ein Recht wahrnimmt, das der Deutsche Bundestag ihm eingeräumt hat."
Die beste Pointe dazu hat wiederum Stefan Niggemeier: "Der Axel-Springer-Konzern diskriminiert kleinere Suchmaschinen und Aggregatoren", schreibt er in seinem Blog, weil der Konzern seine "Lizenz" nur Google gratis, dagegen "anderen, kleineren Anbietern", die auf dem deutschen Suchmaschinenmarkt noch existieren und Googles Marktanteil knapp unter 100 Prozent halten, nicht erteilt hat. Ein Herz für aussichtslose Davids hat der kleine Goliath also weiter nicht.
Eine weitergehende Pointe will netzpolitik.org erkennen:
"Ganz generell stellt sich aber die Frage, ob sich Axel Springers Datendokumentation nicht als großer Bummerang [sic] erweisen könnte. Denn vor allem wird dadurch dokumentiert, dass Google eine für Axel Springer kostenlose, allerdings äußerst wertvolle Leistung erbringt."
Andererseits: Döpfner kann sowieso nichts tun außer "Politiker, Gerichte und Kartellexperten allgemein aufzufordern, die Angelegenheit nochmals unter die Lupe zu nehmen", wie Caspar Busse und Claudia Tieschky auf der SZ-Medienseite schreiben. Und Dialektik beherrscht der Springer-Chef schon selbst, sonst könnte er ja nicht den Schöngeist geben und die Einnahmen der Bild-Zeitung verbuchen. Falls Google für diese wertvolle Leistung seinerseits kassieren wollen würde, hätte Döpfner doch einen noch erfolgreicheren Misserfolg als in den letzten zwei Wochen erzielt. Denn dann würde das Kartellamt, das von der digitalen Entwicklung ja nicht weniger überfordert ist als die deutschen Verlage, bestimmt eingreifen.
Am besten trifft Jürn Kruses TAZ-Kommentar unter der Überschrift "Sollen wir mal pusten?":
"Dabei hat Springer sich zu einem erheblichen Teil selbst in die Abhängigkeit von Google begeben. So wurden beispielsweise Welt-Mitarbeiter zu Fortbildungen geschickt, um dort zu lernen, wie man suchmaschinenoptimiert schreibt. Anscheinend mit Erfolg: Google sorgte in den vergangenen drei Monaten für mehr als ein Drittel des Traffics bei welt.de - deutlich mehr als bei den Wettbewerbern Spiegel Online, Sueddeutsche.de oder FAZ.net. Springer unterwirft sich also der Logik von Google, will deren Zufluss von Nutzern abschöpfen - und geriert sich dann als Opfer von Googles Marktmacht. Das ist verlogen."
Und allen, die deutsche Verlage grundsätzlich verlogen finden und so deren teilweise berechtigten Forderungen abtun, geben diese deutschen Verlage jede Woche neuen Stoff in die Hand, der nächste Woche dann zusätzlich wieder gegen sie verwendet werden wird. Das ist eher doof als verlogen.
[+++] Wo es in den klassischen Medien doch noch klassische Gatekeeper gibt: am Sturmgeschütz der Demokratie!
"Vieles an Protestaktionen ist denkbar, etwa eine Mitarbeiterversammlung während kritischer Produktionsphasen", zitiert meedia.de aus dem brandneuesten Brandbrief, der gerade bei Redakteuren des gedruckten Spiegel herumging. Und Storyteller fast auf Augenhöhe mit Döpfner, der er ist, hat Stefan Winterbauer noch nachgelegt und "'Entsetzen' bei Spiegel Online" ob dieser Aktion notiert:
"Statt über das Konzept Spiegel 3.0 inhaltlich zu sprechen, konzentrierten sich alle Aktivitäten der Print-Redaktion auf die Demontage von Büchner. Das Ganze habe Züge einer Treibjagd erreicht",
zitiert er eine anonyme "Spiegel-Online-Führungskraft".
Wahrscheinlich würde eine Mehrheit der Deutschen der Formulierung zustimmen, dass es besser wäre, wenn die Züge wieder kämen und halt einmal oder öfter kein neuer Spiegel an den Kiosk.
+++ Auch so was gibt's: netzpolitik.org und Springer Seite an Seite, und zwar in der Perspektive des Bundesrechnungshofs. "Der von Ihnen angefragte Bericht wurde bislang nicht vom Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages abschließend behandelt. Eine abschließende parlamentarische Behandlung ist aber Voraussetzung für die Prüfung und Entscheidung des Bundesrechnungshofes, Prüfungsergebnisse zu veröffentlichen (§ 96 Absatz 4 Bundeshaushaltsordnung). Wir bitten Sie zudem, das Notwendige zu veranlassen, damit der auf nachfolgender Seite veröffentlichte Bericht aufgrund des Urheberrechts und der Einstufung nach der Verschlusssachenanweisung des Bundes vom Netz genommen wird", habe dieser Hof an den Blog geschrieben und damit diese Seite gemeint, auf der netzpolitik.org auf den von welt.de online gestellten Bericht "IT-Konsolidierung Bund" verweist. Offenbar kann man die Netzkompetenz vieler staatlicher Stellen gar nicht niedrig genug einschätzen. +++
+++ Für die TAZ macht dann noch Felix Dachsel den Klaus Boldt und liefert ein großes Gruner + Jahr/ Bertelsmann-Stück: "Für die Angestellten von Gruner+Jahr ist es eine Frage der Existenz: Welches Verständnis hat Bertelsmann von und für Journalismus? Es ist schwer, diese Frage zu beantworten. Auch deshalb, weil Bertelsmann, abseits geschönter PR, wenig kommuniziert. Aber vielleicht kommt man einer Antwort mit zwei Anekdoten näher". Dass die auf bertelsmann.de noch präsentierte "International Academy of Journalism" schon wieder Geschichte ist, darf in der Tat noch mal erwähnt werden. +++
+++ Außerdem geht Anne Fromm ebd. der Frage nach, ob "das Hörspiel gerade eine Renaissance" erlebt. +++
+++ Der ziemlich große US-amerikanische Konzern Liberty Global soll "starkes Interesse haben, insgesamt 50 Prozent von Maxdome", dem Netflix-Mitbewerber von ProsiebenSat.1, zu kaufen (digitalfernsehen.de). +++
+++ Das neue Berliner "Tatort"-Kommissarsgespann hat einen ersten Pressetermin absolviert (BLZ, Tagesspiegel-Interview). +++ Der Tsp. stellt außer Meret Becker und Mark Waschke gleich auch noch Lisa Wagner und Florian Lukas vor, die gerade für die dritte "Weissensee"-Staffel drehen. +++
+++ Der Bundestag lässt die beliebte "heute-show" wieder zum Drehen rein (horizont.net/ DPA). +++
+++ Themen der SZ-Medienseite: die trimediale Aufklärungsreihe "Make Love" (ab 16. November im MDR, dann auch im SWR, im Radio und auf make-love.de), ein "unaufgeregtes und kein bisschen schlüpfriges Format". +++ Und die Frauenfußball-Zeitschrift Style Pass, ein "Heft für 'Girls, Ladys, Chicks, Senoritas', wie es im Editorial heißt". Es habe seine "Chance ganz schön versemmelt", findet Karoline Meta Beisel. Und es hat offenbar keinen Internetauftritt außer dem des Vertriebspartners Axel Springer ... +++
+++ Themen der FAZ-Seite: zwei ARD-20.15 Uhr-Filme ("Nord bei Nordwest - Käpt’n Hook" heute und "Krauses Geheimnis" morgen), sowie Facebooks Transparenzbericht (online ausführlicher). +++
+++ "Berlin - Die weltweit längste Werbebeziehung zwischen einem Prominenten und einem Unternehmen geht zu Ende ..." (Standard). Wir schalten in die Hans-Riegel-Straße nach Bonn ... +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.