Durch die Nacht mit ... einem Schinken

Spiegel Online feierte seinen 20. Geburtstag in Hamburg und im Netz, und Wolfgang Büchner wurde nicht ausgebuht. Die Lokalzeitungslandschaft Westdeutschlands hat einen neuen Zombietitel. Der Focus hat ein Problem mit unbequemen Wahrheiten. Und Sky hat ein vielfältiges Angebot (das aber nicht immer funktioniert).

Fassen wir zusammen: Der aktuelle Chefredakteur wird seit Wochen aus seinem Amt zu mobben versucht. Sein Konzept vom Spiegel 3.0 scheint niemanden ernsthaft zu überzeugen, die Vereinigung von Print und Online stockt, die Redakteure meutern, ständig sticht jemand neue blöde Details an die Konkurrenz durch – aber hey, Spiegel Online wird 20, lasst mal alle zusammen feiern!

Das ist definitiv einer der Momente, in denen man sich tendenziell doch eher freut, gerade nicht beim Spiegel-Verlag angestellt zu sein.

Obwohl sie letztendlich doch ganz friedlich abgelaufen ist, die Feierei, wie die Live-Berichterstattung auf Twitter belegt.

Weder die von Meedia prophezeiten Buh-Rufe und das Trillerpfeifen-Konzert pünktlich zu Wolfgang Büchners Festrede noch die von Steffen Grimberg im Zapp-Blog zugegebenermaßen etwas unernster heraufbeschworene Servietten-Petition gegen den amtierenden Chef wurden Wirklichkeit.

Worunter vor allem Lutz Meier und Grimberg selbst am meisten gelitten haben dürften, siehe

20:45 Uhr Ein Feuerwehrmann ist plötzlich am Mikrophon und redet etwas von ,Saal räumen!' und ,Fluchtwege freihalten' und dass man sein Handgepäck gefälligst da lassen solle. In der anschließenden Massenpanik klaut ZAPP Redakteur Grimberg den Schinken vom Buffett, während stern.de-Medienkolumnist Lutz Meier mit zwei Flaschen Champagner unterm Arm gesichtet wird.“

Dafür gab es Reden von Wolfgang Schäuble,

(„Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnte in seiner Rede vor der ständigen Beschleunigung des Netzjournalismus und einem ,Zustand permanenter Aufgeregtheit’. ,Ich glaube nicht, dass der Shitstorm die Weiterentwicklung der Demokratie ist’, sagte Schäuble.“ / Dpa/Newsroom)

und Olaf Scholz

(„Spiegel Online sei zu einem der Taktgeber aktueller Politik geworden. Die häufigen Themenwechsel auf der Startseite würden allerdings die Gefahr bergen, bei der Hatz nach der schnellsten Headline, Hintergründe aus den Augen zu verlieren. ,Ob man den Themen journalistisch gerecht wird, wenn sie nahezu stündlich wechseln, weiß ich nicht’“ / Hamburger Abendblatt).

Sowie natürlich die unbebuhte, aber laut Turi-Tweet uninspirierte Rede von Wolfgang Büchner, an der sich Christian Meier bei Meedia abarbeitet.

„Die Rede Büchners war sorgfältig abgezirkelt. Es kamen vor: Spiegel-Gründer und Lichtgestalt Rudolf Augstein (,wenn wir so mutig und innovativ sind wie Rudolf Augstein, gibt es keinen Grund, uns zu ängstigen’), die Spiegel-Satzung (,Du sollst nicht langweilen’), das Lob an die Kollegen (,ich verneige mich vor großartigen Journalisten’), die Betonung einer ,Spiegel-DNA’, der Appell an Teamarbeit (,wir müssen Digitalisierung als gemeinsame Herausforderung betrachten’), der kleine persönliche Schwenk auf den jungen Journalisten Büchner, der sich bereits sehr früh im Internet herumtrieb – und der darum nicht nur qua Amt eine digitale Vision für den Spiegel formulieren darf, sondern auch qua Befähigung (,wichtig ist nicht der Aggregatszustand einer Story’).“

####LINKS####Für die Menschen, die den Abend nicht mit Champagner und Schinken in Hamburg verbringen durften, hat Spiegel Online derweil ein kleines Feuerwerk auf die eigene Seite gestellt: Da gibt es die große Multimedia-Reportage zu Spon im Wandel der Zeit bzw. des Breitbandkabelausbaus, die zeigt, was die Kollegen sowohl inhaltlich als auch technisch alles drauf haben, wenn sie nicht zwischendurch immer die neuesten Entwicklungen in der Ehe und Körperfülle von Kim Kardashian im Blick haben müssen.

 

Außerdem dürfen wir in kleinen Filmchen die Macher der Seite kennenlernen und so zum Beispiel erfahren, was für Annett Meiritz die größte Herausforderung in der Parlamantsberichterstattung darstellt: die vielen Häppchen. (Also Parlament, Ministerien, Minister, Abgeordnete. Nichts mit Mett.)

Und Peter Glaser steuert einen Essay über die Geschichte des Online-Journalismus mit dem schönen Titel „Konfetti für den Weilchenbeschleuniger“ bei, der mit Vergleichen wie dem folgenden aufwartet.

„Für mich als Österreicher ist Aggregation nichts Neues. Seit jeher weiß ich die Zeitungstische in Kaffeehäusern zu schätzen, und im Grunde genommen ist auch Google eine österreichische Erfindung. Noch heute kann man sich etwa im Cafe Griensteidl in Wien in Wissenszweifelsfällen mit einer Sachfrage an das Bedienungspersonal wenden, das dann auf zwei vorrätige ,Brockhaus’-Gesamtausgaben zurückgreift, um eine Antwort servieren zu können.“

Für noch mehr Nostalgie lese man den „Surflehrer“, der offenbar 1996 Bestandteil von Spiegel Online war, oder die privaten Erinnerungen von Ole Reißmann, nur echt mit der Theorie, ein Spiegel-Online-Liveticker habe einst Angela Merkel zur Energiewende bewogen.

Wie es nach dem Fest mit dem Spiegel (hatten wir schon erwähnt, dass der Print-Spiegel den Geburtstag der Online-Kollegen mit keinem Wort erwähnt?) weitergeht, auch das wusste gestern schon Meedia.

„Nach MEEDIA-Infos hat die Mitarbeiter KG als Mehrheitsgesellschafter des Spiegel Verlags Mitte vergangener Woche den Beschluss gefasst, Wolfgang Büchner als Chefredakteur abzuberufen. Geschäftsführer Saffe soll sich aber (noch) dagegen sperren. (...) Als ,Notlösung’ stünde, wie vielfach außer- und innerhalb des Spiegel kolportiert wird, der aktuelle Vize Klaus Brinkbäumer bereit, vielleicht auch erst einmal ,interimistisch’.“

Ob sich dieses Orakel als so tragfähig erweisen wird wie die Sache mit den Trillerpfeifen – wie würde Meedia selbst es sagen? Ach ja: „bleibt abzuwarten“.

[+++] Kommen wir zu einer Rubrik, die einzuführen mittlerweile dringend geboten scheint: die Zombie-Zeitung der Woche. Dieses Mal fällt die Wahl auf die Münstersche Zeitung, seit einer so-called Sanierungsfusion im September Eigentum der Unternehmensgruppe Aschendorff.

„Ihre lokalen Inhalte soll die ,MZ’ ab dem 17. November von den ,Westfälischen Nachrichten’ beziehen, die ebenfalls zur Unternehmensgruppe Aschendorff gehören. Der Mantelteil kommt schon jetzt von den ,Ruhr-Nachrichten’ in Dortmund“,

schreibt das Handelsblatt unter der Überschrift „,Münstersche Zeitung’ ohne eigene Redaktion“.

Genutzt wird diese Umstrukturierung, um die Hälfte der gut 70 Redakteure und ein Drittel der Zusteller zu entlassen, was Meedia zur Headline „Aschendorff will bei Münstersche Zeitung die Hälfte der Belegschaft einsparen“ motiviert hat.

Bei Aschendorffs selbst liest sich das auf der Website der Münsterschen Zeitung dann wie folgt:

„Trotz der angespannten Lage können im Rahmen einer Umstrukturierung annähernd der Hälfte der Beschäftigten und etwa zwei Drittel der Zusteller Arbeitsplätze bei Aschendorff angeboten werden. Bei den anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sind betriebsbedingte Kündigungen wahrscheinlich unvermeidlich. (...) Durch diese Sanierungsschritte kann der Titel „Münstersche Zeitung“ erhalten werden und die Zeitung in der bewährten Form und Qualität weiter erscheinen; die Berichterstattung der Münster-Stadtteile wird zukünftig auf einer Seite gebündelt.“

Die dazugehörige Überschrift lautet: „Die Zukunft der Münsterschen Zeitung ist gesichert“.

Wer schauen möchte, wie es über die bewährte Form und Qualität hinaus um die Zeitungsvielfalt im Münsterland in Zukunft bestellt ist, lese den Artikel wortgleich auch in den Westfälischen Nachrichten, in dem nur der letzte Satz fehlt – interessiert den Abonennten der WN doch nicht, ob die MZ weiterhin erscheint.

Woraus wir lernen: Mag die Meldung von den Entlassungen bei der MZ auch gestern Abend erst zur schönsten Abendbrotzeit eingetrudelt sein. Thomas Knüwer hat dazu trotzdem schon einen Blogpost online.

Und bei Aschendorffs beherrschen sie nicht nur das Zombie-Zeitungs-Machen, sondern auch PR. (Auch wenn zu den „flexiblen Gestaltungen“ und „agilen Kompetenzteams“, zu denen Entlassungen bei Gruner und Jahr aufgeblasen werden, siehe Altpapier von Donnerstag, noch Luft nach oben ist.)

Bis-August-noch-MZ-Redakteur Ralf Heimann liefert derweil in seinem Blog eine Analyse, wie es überhaupt zur Kausalkette Sinkende Leserzahlen – Sinkende Auflage – Sinkende Redakteursanzahl gekommen sein könnte:

„Zu wenig Geld, zu wenig Zeit, zu wenig Rückgrat. Dazu kommt aber noch etwas viel Schlimmeres: die Überzeugung, dass der Leser doof ist – oder das meiste zumindest schon nicht merken wird.“


Altpapierkorb

+++ „Die dunkle Seite des Islam – Acht unbequeme Wahrheiten über die muslimische Religion” lautet die Titelschlagzeile des aktuellen Focus. Yassin Musharbash zeigt bei Zeit Online in acht unbequemen Wahrheiten, dass der Focus sich seine Geschichte ganz schön zurechtgebogen hat. „Der Islam braucht einen Luther, schreibt der Focus als Fazit. Mindestens genauso dringend braucht der Focus allerdings Journalisten.“ +++

+++ Gestern noch hat Sky erstmals auch in Deutschland Nettogewinne zu berichten gehabt (DWDL), heute schon darf Geschäftsführer Brian Sullivan im Interview mit Michael Hanfeld auf der Medienseite der FAZ den aktuellen Angebotskatalog herunterbeten: „Wir haben das hochauflösende HD-Fernsehen, wir haben mit Sky Go unser Programm für unterwegs, den Festplattenreceiver Sky Plus, den On-Demand-Service Sky Anytime, die Online-Videothek Snap, und in ein paar Tagen bringen wir Sky Go auf Android. Das ist das eine. Das Zweite ist, dass wir es unseren Kunden leichtmachen wollen, die Angebote von Sky zu bestellen. Das jüngste Projekt ist Sky Online.“ Dass das tolle Unterwegs-Programm Sky Go am Wochenende kläglich versagt zu haben scheint, wenn ich die Fußball-Fans aus meiner Timeline richtig verstanden habe, kommt nicht zur Sprache. +++

+++ Auch Youtuber haben nicht immer Bock auf Kommerz, schreibt Stefan Niggemeier bei den Krautreportern. +++

+++ Was können die Verlage fürs Internet von der Musikindustrie lernen? Sich von lustigen Drittangeboten zentral vermarkten zu lassen, schreibt Daniel Bouhs heute in der taz. „Readly, ein Import aus Schweden, bietet für zehn Euro im Monat ,unbegrenzten Zugang zu Hunderten Zeitschriften’ und ist damit eine Art Spotify für Magazininhalte. Blendle wiederum setzt auf das iTunes-Prinzip. Hier können Leser für ein paar Cent einzelne Texte kaufen statt wie üblich ein ganzes Magazin.“ +++ Irgendwie wie Readly, nur halt mit deutschen Privatradiostreams, soll auch der Deutsche Radioplayer funktionieren, von dem Anne Fromm ebenfalls in der taz berichtet. Blöd nur, dass es mit radio.de und phonostar bereits vergleichbare Angebote gibt. +++

+++ ZDF neo wird fünf Jahre alt und Karoline Meta Beisel schreibt auf der Medienseite der SZ dazu: „Die ersten Jahre gehörten in Sachen Eigenproduktionen dem, was man im Fachjargon ,Factual Entertainment’ nennt, also der Kunst, Informatives unterhaltsam zu präsentieren. Die Zukunft soll, Fachbegriff Nummer zwei, den ,Social Factuals’ gehören. Anspruchsvollen Dokumentar-Formaten also, die zur Diskussion einladen.“ +++ Zudem in der SZ: Ein Besuch in der Redaktion von Watson.ch, eine Art Schweizer Kinder der Liebe von Buzzfeed und Huffington Post. +++

+++ Wer noch Entscheidungshilfe braucht, was den heutige Fernsehabend betrifft: Michael Hanfeld gibt sich auf der Medienseite der FAZ erstaunlich angetan von Sat1-Film „Gegen den Sturm“, in dem zwei deutsche Ärzte nach einem Erdbeben auf Sumatra Katastrophenhilfe leisten. „Gutmenschen-Film mit Schmonzettenbeigabe möchte man da zunächst denken. Weiße Ärzte aus dem Abendland retten Eingeborene, die nur bewegliche Kulisse für eine Geschichte sind, in der es dann doch um eine Liebe in Afrika oder sonstwo und eine Frau zwischen zwei Männern oder einen Mann zwischen zwei Frauen geht. Aber erstaunlicherweise ist der Film, zu dem der sozial engagierte Hannes Jaenicke auch die Vorlage geschrieben hat, gar nicht so.“  +++ Beim Tagesspiegel ist Hans-Jörg Rother hingegen nur so mittelüberzeugt von der Arte-Doku „Wachstum, was nun?“ gegen die permanente Wachstums-Doktrin. „Der Sturmlauf der abendfüllenden Doku gegen die Wachstumsideologie bedarf offenbar nicht nur vieler weiterer Beispiele, sondern in erster Linie ausgereifter Modelle, damit aus bloßen Kassandra-Rufen ein Programm der Veränderung werden kann.“ +++

Frisches Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.