Problemflanellmännchen

Alte Fernsehschlachtschiffe erfreuen sich im Internet größerer Beliebtheit, als gedacht. Michael Jürgs hat die Verantwortlichen für die Entlassungen bei Gruner und Jahr auch im Internet gefunden. Wenn es um Berichte über den Streit um die Tagesschau-App geht, ist sich jedes Medium selbst das nächste. Bei Springer sucht man doch noch Menschen mit Spaß am Journalismus. Und Aldi Süd rettet die Print-Branche.

Beginnen wir mit dem Blick auf eine Seite, die bislang im Altpapier eine eher untergeordnete Rolle gespielt hat: die Facebookseite von Andy Borg. Dort hat dieser sich, wie wir dank dpa/Tagesspiegel wissen, erstmals zur großen Frage geäußert, ob der von ihm präsentierte „Musikantenstadl“ auch nach 2015 noch eine Zukunft haben sollte – wenig überraschend ist der Moderator der Sendung dafür.

„Können vier Millionen Zuschauer am Samstagabend irren? Ja, sagt das deutsche Feuilleton, dem die Haare schon bei Nennung unseres Sendenamens zu Berge steht [grammatikalisch ist da noch Luft nach oben]. Nein, sage ich, weil wir authentisch sind und ein auf die Bedürfnisse unseres Publikums zugeschnittenes professionelles Unterhaltungsangebot präsentieren.“

Im Schnitt sei das angesprochene Publikum übrigens 68 Jahre alt und nein, das sei gar kein Grund sich zu schämen, sondern nur ein Zeichen des demographischen Wandels, dem auch das Programm Rechnung tragen müsse.

Wenn die Intendanten das nicht zur Kenntnis nehmen wollten, müsse man ihnen schreiben:

„Es lohnt sich immer, für eine Überzeugung, für eine Sache, erst recht für unseren Stadl zu kämpfen. Darum versichere ich Euch meine Solidarität. Schreibt mir, aber auch den Verantwortlichen bei den Sendern weiterhin, wie Euch der Stadl gefällt, was ihr Euch wünscht, vor allem aber, haltet mit Eurer Meinung nicht hinter dem Berg. Und wenn Ihr wollt, dass es den Stadl noch weitere Jahre geben soll, dann scheut Euch nicht, dies dort zu sagen, wo man Euch nicht überhören kann.“

Nun könnte man sich lustig machen über in Sütterlin verfasste Postkarten, die demnächst wäschekörbeweise in die Redaktionen getragen werden. Wäre da nicht die Facebookseite „Wir sagen ja, zum Musikantenstadl im TV“, die nach Verlinkung von Andy Borg mit seinen 66.500 Fans sicher Potential hat.

Die Silver Surfer, sie sind unter uns, und ja, das ist auch eine etwas ungelenke Überleitung zu einem weiteren öffentlich-rechtlichen Schlachtschiff, das dieser Tage im Internet überraschende Erfolge feiert: „Wetten, dass..?“, nacherzählt von Will Arnett.

Bei Jimmy Kimmel hat der US-Schauspieler über seinen traumatischen Besuch in der Sendung vor ein paar Wochen erzählt.

(„They drove a jeep across the stage at one point.“ – „They were trying to give me a nervous breakdown. It worked.“ – „Backstage I walked past Diane Keaton, and she looked at me, I looked at her, and she was like: I don’t know.“)

####LINKS####Was uns zum einen lehrt, dass „Wetten, dass..?“ einen durchaus hohen Unterhaltungswert hat, wenn man es nicht drei Stunden moderiert von Markus Lanz ertragen muss (nie hat G.O.B. Bluth’ punchline „I’ve made a huge mistage“ besser zu Will Arnett gepasst als drei Sekunden nach Betreten der „Wetten, dass..?“-Bühne). Und zum anderen, dass diese Menschen im Internet, die das Video seit gestern wie wild weiterverbreiten, offenbar durchaus gewillt sind, ihre Zeit in die Auseinandersetzung mit einer Fernsehsendung aus dem Jahr 1981 zu investieren.

 

Diese Verbundenheit mit alten Medien sollte man vielleicht auch mal Michael Jürgs weitertragen, der sich heute auf der Medienseite der SZ entschlossen hat, oberflächliche, leicht angedummte Internetbenutzer zumindest eine Mitschuld am Fall des Hauses Gruner und Jahr (zuletzt das Altpapier gestern) zu geben.

„,If the news is that important, it will find me’ lautet heutzutage das coole Mantra einer Kundschaft. Wenn etwas wichtig ist, erfährt sie es automatisch, in welcher Form auch immer via Internet, Fernsehen, Radio oder Breaking news auf dem Smartphone. Früher musste man eine Tageszeitung, eine Zeitschrift, ein Magazin kaufen und lesen, um mitreden zu können. Heute genügen, siehe oben, die genannten 140 Anschläge, um auch unter Profis als informiert zu gelten.“

Und weiter:

Blogwarte jedweder Couleur ersetzen nicht eine – eben doch nötige – moralische Grundhaltung. Das ist altmodisch. Aber immer noch wahr.“

Noch mehr scheint er nur die Verlagsmitarbeiter zu hassen, die ihre Arbeitsräume Büro und nicht Redaktion nennen. Erst beschreibt er sie als

krawattenlose[...] Flanellmännchen, die ohne uns Journalisten gebrauchte Tablets verkaufen müssten so wie ihre Vorgänger einst, als es so etwas noch gab, Nähmaschinen, und die bei Entlassungen wie Pferdeflüsterer von Freisetzungen reden – bedeutet in Wahrheit ja etwas ganz anderes.“

Später erscheint ihm der Begriff „Flanellmännchen“ (dessen Gebrauch im Wandel der Zeit Stefan Niggemeier in seinem Blog dokumentiert) doch zu flauschig:

„Manchmal sind Journalisten mitschuldig, wenn wieder eine journalistische Tradition zu Grabe getragen wird. Bescheidenheit gehörte noch nie zu unseren wichtigen Eigenschaften. Aber auf der gegenüberliegenden Seite der Tische, die nicht konsensträchtig rund sein dürfen in diesen Zeiten, müssten Manager sitzen, die davon überzeugt sind, dass es möglich ist, mit neuen Ideen, egal in welcher Form, aber mit Sprache und Leidenschaft das Jammertal zu überbrücken. Wenn aber auf der anderer Seite Darth Vaders sitzen, die das, was Journalisten können, als Produkte betrachten, die man entweder günstig verkaufen oder aber, falls es nicht mehr so läuft, aus dem Regal werfen kann, ist es verlorene Liebesmüh, sich ungebrochen immer wieder unbeugsam auf die Suche danach zu begeben, was die Welt im Innersten zusammen hält.“

Noch mehr Wut und ein paar schöne Umschreibungen der goldenen, aber vergangenen Zeiten im Journalismus gibt es auf S. 45 der SZ (und sicher auch bald in diesem Internet).

[+++] Noch einmal Kampf zwischen Internet und Print, aber andere Baustelle: die Tagesschau-App. Seit 2011 läuft die Klage von acht Verlagshäusern samt BDZV im Rücken schon, am 30. April 2015 gibt es eine neue Runde vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe, schreibt die Funkkorrespondenz.

Dass sich Verlage und öffentlich-rechtliche Anstalten vor Gericht treffen, ist das eine. Dass sie dabei ihre eigenen Medien als Lobbyinstrument nutzen, das andere. Letzteres haben Martin Meuthen und Helene Pawlitzki in einer Untersuchung festgestellt, die im aktuellen Message (leider nicht online verfügbar) nachzulesen ist und auf die Petra Sorge in ihrer Cicero-Kolumne eingeht.

„Die Studienautoren attestieren in diesem Rechtsstreit sowohl Print- als auch Rundfunkmedien eine ,selbstreferentielle Berichterstattung’ und einen ,Mangel an Objektivität’. Sie fanden ,besonders einseitige Berichterstattung’ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ,anfänglich ziemlich aggressive Schreibe’ in Springers Welt. Am schlechtesten schnitt das WDR-Magazin ,Töne, Texte, Bilder’ in der Erhebung ab – es habe ,fast ausschließlich opportune Gesprächspartner aus dem Senderverbund’ präsentiert. Der WDR hatte in jener Zeit den ARD-Vorsitz inne und warb somit maßgeblich für die Tagesschau-App. Das, was da über den Sender lief, kann man also mit gutem Gewissen als parteiisch bezeichnen. Es war PR in eigener Sache. Ein Dammbruch.“

[+++] Manchmal findet man sogar bei Turi2 selbst den eigenen Anzeigenteil spannender als den redaktionellen. So ließ es sich zumindest am gestrigen Nachmittag diesem Tweet entnehmen, der wiederum auf diese Anzeige des Axel-Springer-Verlags verweist. Dort arbeitet man offenbar an einem „neuen Nachrichten-Start-up“, für das man nun Mitarbeiter Senior, Junior und Freie Redakteure sucht, genauer

„jemand mit Spaß am journalistischen Experiment;

jemand, der sich Mühe macht;

jemand, der sich mit Daten befassen will;

jemand mit Humor;

laufend im Netz;

auf der Suche nach einem Job, der richtig Spaß macht und dich endlich mal fordert.“

Zudem sollte man keine Probleme damit haben, später mal an die Funke-Gruppe verkauft zu werden oder für ein Angebot zu arbeiten, dass nicht bei Google gelistet wird. 

Falls nichts davon auf Sie zutrifft, Sie aber dennoch gerade einen Job suchen, wäre vielleicht der Posten des Direktors der Medienanstalt Berlin-Brandenburg interessant. Bis zum 25. November werden noch Bewerbungen entgegengenommen. Problematisch ist derzeit nur, dass erst noch der Medienrat neu besetzt werden muss, der den Direktor wählen kann (siehe auch dieses Altpapier).

Joachim Huber dröselt die komplette Problematik im Tagesspiegel auf und findet die Verantwortlichen dort, wo auch schon semierfolgreich ein Flughafen geplant wurde.

„Das Abgeordnetenhaus, der Senat, die Senatskanzlei haben die Frage der Besetzung des neuen Medienrates, des neuen Vorsitzenden (und damit des neuen Direktors) mehr als verschleppt. In einer Art und Weise, die für die Hauptstadt, die sich als Medienstandort feiert, blamabel ist.“


Altpapierkorb

+++ Print hat doch eine Zukunft: Aldi Süd schaltet wieder Anzeigen (Meedia, DWDL, Kress). +++

+++ Wer Fox News schaut, für den ist die Welt noch einfach. „Man schaltet abends Fox News an, es passieren schlimme Dinge, aber sie wirken vertraut. Die Auflösung ist immer die gleiche: Obama ist schuld. Obama. Ist. Immer. Schuld.“ Nicolas Richter hat sich im Vorfeld der Parlamentswahlen in den USA für die Seite 3 der SZ den konservativen Sender einmal genauer angesehen. ++

+++ Serien streamen macht nur halb so viel Spaß, wenn das Internet von der Datenmenge überfordert ist, schreibt Markus Ehrenberg im Tagesspiegel. „In der Realität weichen die Werte des Anschlusses oft deutlich vom versprochenen Maximaltempo ab. Das haben Messkampagnen der Bundesnetzagentur gezeigt. 2013 erreichten gut drei Viertel der Nutzer (77 Prozent) eine Geschwindigkeit, die mindestens der Hälfte der vermarkteten Datenrate entsprach. Nur 16 Prozent konnten mit der versprochenen Geschwindigkeit surfen.“ Einen Ausweg kann ein Kabelanschluss bieten. +++

+++ Boris Rosenkranz kann es einfach nicht lassen und arbeitet sich fleißig weiter am Rankingshowskandal ab. Im Blog von Stefan Niggemeier schreibt er nun über die neueste Erkenntnis: Der WDR mauert und nutzt Material aus Edeka-Werbefilmchen. +++

+++ Die Schweiz soll ihr öffentlich-rechtliches Fernsehen abschaffen, aber nicht die Redaktionen; die sollen nun multimediale Inhalte produzieren, die alle nutzen dürfen, lautet der Vorschlag eines Think Tanks, über den Jürg Altwegg auf der Medienseite der FAZ schreibt. Allerdings sind nicht alle Fans dieser Idee. „Der Medienunternehmer und -kritiker Kurt W. Zimmermann hält die Vorschläge für eine ,Schnapsidee’. In seiner Kolumne in der „Weltwoche“ schreibt er, das Ansinnen würde zu einem ,landesweiten Einheitsprogramm’ führen, weil die Privatsender ihre eigenen Redaktionen und Produktionen umgehend einsparen würden: ,Noch nie gab es in der Schweiz einen Vorschlag, der dem kommunistischen Ideal einer zentralistischen Medienlenkung so nahe kam: Alle senden dasselbe’ – produziert im Auftrag des Staats.“ +++

+++ Ebenfalls in der FAZ auch Lena Bopps Anneke-Kim-Sarnau-Portrait, die völlig zu Unrecht im Schatten von Charly Hübner im Rostocker „Polizeiruf“ agiere. „Denn ganz ähnlich wie im Fall der Münsteraner ,Tatort’-Kommissare Börne und Thiel, bei denen die ganze Exzentrik des Pathologen ja nur vor der spröden Stille des Kommissars richtig zur Geltung kommt, so hält auch die Figur der Katrin König das Rostocker Kommissariat erst zusammen. König bildet so etwas wie das Rückgrat dieses ,Polizeirufs’, der ohne sie von mächtigen Fliehkräften leicht in Stücke gerissen würde.“ +++

+++ „Er schraubt, er justiert, leises Schnaufen vor Anstrengung, manchmal der Anflug eines Selbstgesprächs. Er richtet etwas her, das sich schließlich als Beinprothese entpuppt, wienert das Leder des Schuhs, drückt den Stumpf in die Halterung, richtet sich stöhnend auf. Ein ganzer Film – oder die Idee einer Geschichte – in wenigen Minuten: Der scheinbare Bombenbastler ist ein Versehrter, der Täter könnte Opfer sein.“ Schreibt Holger Gertz auf der Medienseite der SZ über Götz Georges Performance in „Die besondere Schwere der Schuld“ – ein Film über einen nach 30 Jahren aus dem Gefängnis kommenden vermeintlichen Mörder, der Samstagabend in der ARD läuft. Auch Hanno Koffler spielt mit, den Jürn Kruse in der taz porträtiert. +++

+++ Ein langes Interview mit Simone Emmelius, der Chefin von ZDF Neo, gibt es zudem bei DWDL. +++

Der Altpapierkorb füllt sich am Montag wieder.