Halligalli auf dem Fernsehgipfel

Das Geheimnis der größten Programmerfolge und der toten Augen, Horst Seehofers "Hammerschlag", die jüngste Schlacht der VG Media: großes Kino im Kopf von den Elefantenrunden der Münchener Medientage. Außerdem: der Gipfel der digitalen Popkultur.

Kaum war der IT-Gipfel in Hamburg beendet (Altpapier gestern; ausgeruhte Kommentare gibt's von Falk Steiner bei heise.de und von Sascha Lobo bei SPON mit ganz besonderer besonderer Berücksichtigung der Bundesregierungs-Haltung, "die selbst mitverschuldete Totalüberwachung wegzuignorieren"), stieg schon in München der "Fernseh-Gipfel".

So heißt inzwischen die traditionsreiche Elefantenrunde, mit der immer die Medientage in München eröffnet werden. Am Mittwoch ging es gleich gut los mit einem Witz über Klaas Heufer-Umlaufs Mutter. Gemacht hat ihn der Pro Sieben-Comedian selbst. Er ist jugendfrei, die Münchener Medientage sind schließlich kein Zrikus Halligalli (und der buzzfeed-fähige Hype um das dritte "F-Wort" ging ja noch von "Mutti" Merkel auf ersterem Podium aus). Also:

"Meiner Mutter ist es egal, woher das Fernsehen kommt. So hat T-Home Einzug in mein Elternhaus gefunden",

dokumentiert natürlich bei meedia.de.

Außer Klaas Heufer-Umlaufs Mutter ideell saß in der "fast ausschließlich männlich besetzten Runde" (SZ-Medienseite) nur noch eine Frau; das war im August bereits Thema gewesen (journalistinnen.de). Was so gesagt wurde, fasst kress.de zusammen:

"Von einem 'Mind Reset der deutschen Produzenten, was die Qualität angeht', sprach Nico Hofmann. 'Was setzen wir 'Homeland' entgegen? Wir sind doch nicht blöd, dass wir so etwas nicht hinkriegen."

"'Wenn wir uns ans Netz anbiedern - ist es das auch nicht', warnte Wolfgang Link von ProSiebenSat.1'

"'Es war klasse, dass wir es versucht haben', blickte Lutz Marmor", der NDR-Intendant und derzeiige ARD-Vorsitzende, " auf die 'Quizduell'-Pannen zurück. 'Probiert was, riskiert was', lautet seine Devise."

Und noch mal Nico Hofmann, nun der dwdl.de-Zusammenfassung der "ganz munteren Plauderrunde" entnommen: "Die größten Programmerfolge sind immer gegen heftigste Widerstände entstanden."

Wow. Im Anschluss kommt Heufer-Umlaufs besserer Gag, der dem oben verlinkten meedia.de-Beitrag als Überschrift dient, doch besser:

"Nach langen Arbeitstagen gibt es manchmal nichts Schöneres, als mit toten Augen den WDR zu schauen."

Bzw. wie Jörg Seewald für den Tagesspiegel notierte, "'ins ARD-Lokalprogramm starren' zu wollen". Was insofern einen Unterschied ergäbe, als dass sich in letzterem Fall der anwesende Risikofreund Lutz Marmor angesprochen gefühlt haben müsste.

[+++] Ich hatte eben aus strategischen Gründen (der Klaas klickt einfach besser als Timotheus Höttges ...) die Chronologie aufgebrochen. Genau genommen begann die Münchener Veranstaltung mit dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom, der auf dem IT-Gipfel der Bundesregierung auch schon dabei gewesen war. Was Höttges sagte, war tatsächlich interessanter als die eben zitierten Höhepunkte, findet vor allem Henning Peitsmeier auf der FAZ-Medienseite:

"Die europäischen Wettbewerber sollten ... gemeinsam ... mit offenen Plattformen die Antwort auf die großen Internetmonopole geben. Die Politik forderte Höttges zum Handeln auf. Überregulierungen müssten beseitigt und gleiche Regeln für alle Anbieter geschaffen werden. Während Google heute ungehindert die Daten von Kunden verknüpfen und zu Geld machen könne, unterliege die Telekom zum Beispiel dem Fernmeldegeheimnis. Europa brauche eine Datenschutzverordnung, der sich auch die amerikanischen Konzerne unterordnen müssten, sagte Höttges."

Da ist natürlich die Reaktion des anschließend aufgetretenen bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer interessant.

"'Ich schimpfe nicht über Google, ich nutze Google', sagte der CSU-Politiker. Überhaupt sei das Internet 'ein Segen für die Menschheit'".

Ob Seehofer tatsächlich so nonchalant Google mit dem Internet gleichgesetzt hat oder die FAZ verkürzend ihre eigene Leier verfolgte ("So entspannt redet nur jemand, der dank Milliardengebühren die Dominanz von Google und Co. nicht zu fürchten braucht", schließt der Artikel; da geht's um Marmor), konnte ich am Donnerstagmorgen nicht genau feststellen; bayern.de/Reden reicht zurzeit bloß bis zum 13. Oktober in Ingolstadt. Dass der CSU-Chef "Telekom-Manager Timotheus Höttges in den Rücken" fiel, sah Tsp.s Seewald auch so. Liest man dann noch vom "Hammerschlag der Freiheit", von dem Seehofer in punkto Medienregulierung gesprochen hat (heise.de hier mit sachlicher Zusammenfassung inhaltlicher Positionen), entsteht zumindest fulminantes Kino im Kopf.

####LINKS#### [+++] Eine hart konkrete News ging ebenfalls gestern von München aus, und sie hat auch mit Google zu tun.

Der Hintergrund der kurzfristigen Absage eines für gestern anberaumten Hintergrundgesprächs, und zwar "um die anstehende Entscheidung des Bundeskartellamtes nicht durch ein Hintergrundgespräch [zu] erschweren" (VG Media, PDF), bestand offenbar darin, dass dieselbe VG Media ihren Hauptzweck sausen lässt. Die jüngste Mitteilung (PDF) dieser VG besagt, dass seit heute eine "gegen ihren Willen" und unter "erheblichem wirtschaftlichen Druck" erfolgte "widerrufliche 'Gratiseinwilligung'" der in ihr organisierten Presseverleger gegenüber Google "in die unentgeltliche Nutzung ihrer Presseerzeugnisse" gelte. Damit erreichen sie, dass Google sogenannte Snippets von ihren Seiten weiterhin so anzeigt wie bisher. Das krude VG-Deutsch lässt sich so übersetzen:

"Die 'Leistungsschutzrecht'-Verlage kapitulieren" (Fefe), zumindest vorläufig (@niggi), sie "geben klein bei" (turi2.de) bzw. "die Schlacht ... also vorerst verloren ..., den Krieg noch lange nicht", sie "knicken" bloß "ein" (dwdl.de).

Vorausgegangen war ein Münchener "Kreuzverhör"-Auftritt desjenigen, dem die Auslegung des abstrusen Leistungsschutzrechtes inzwischen offenbar allgemein überlassen worden ist, des Bundeskartellamts-Präsidenten Andreas Mundt. "Dezidiert äußerte sich Mundt ... zum Leistungsschutzrecht. Vermutlich nicht zur Freude der in der VG Media organisierten Verlage", schrieb meedia.des Christian Meier schon bevor deren neuester Schritt bekannt wurde.

Außer ums LSR wurde der Kartellamts-Präsident auch über die von ihm verbotenen deutschen Video-on-demand-Portal-Projekte à la "Germany's Gold" befragt.

"'Wir haben nichts dagegen, dass ARD und ZDF gemeinsam eine Plattform betreiben', beteuerte Mundt. Es komme aber eben auf die Parameter an. Man verstehe aber nicht, warum sie nur dann betrieben werden könne, wenn man sich schon vorher verständige, welche Filme darauf gezeigt werden dürfen oder dass man sich über die Preisgestaltung abspreche. 'Warum darf 'Derrick' nicht teurer sein als der 'Tatort'?', so Mundt",

fasst wiederum dwdl.de zusammen.

Dass es sich ganz so schlicht doch nicht verhalten haben mag, deutete das ZDF auf digitalfernsehen.de-Anfrage an. Wer es sich so vorstellt, dass das Bundeskartellamt, wenn Medienanfragen kommen, halt so agiert, wie es den Wettbewerb unter Automobilzulieferern und Lidl-Lieferanten erfolgreich am Laufen hält, tut der Behörde wahrscheinlich kein Unrecht. Noch mal meedia.de:

"Mundt gestand in der halbstündigen Befragung ein, dass das Internet das Kartellamt nicht nur im Mediensektor vor Probleme stelle. 'Neuland' seien solche Verfahren, 'wir haben hier gar nichts'."


Altpapierkorb

+++ Den "Gipfel der digitalen Popkultur" bilden Internet-Meme (-Memes?), die nun das "Vocer Innovation Medialab" "einen Monat lang im Newsroom von Zeit Online" auf die Spitze treiben möchte (vocer.org). +++

+++ "Der Ruf nach der Kartellbehörde ist verlockend. Aber was ist gewonnen, wenn aus einem Riesen-Amazon zehn kleine werden, die gemeinsam den Markt beherrschen?" Es gibt ja viele gute Gründe, nicht immerzu überall Wettbewerb zu fordern, aber Ulrike Herrmanns Kommentar "Amazon zerschlagen! Und dann?" vorn auf der TAZ ist in Teilen seehr seltsam. Es geht dabei nicht um deutsche Kartellwächter, sondern um amerikanische Amazon-Diskussionen. +++

+++ Wenn ein Buch, das von außen so aussieht, gelobt wird, es lese "sich wie ein beklemmender, existentialistischer Roman" ("Wenige Helden, einige Schurken, flüchtige Schönheit und ab und an der Trost des Humors - die Summe des Buches ist existentialistisch, aber die Lektüre ermüdet nicht, entmutigt nicht. Die Neugierde ist geweckt, man möchte dann noch viele derartiger Gespräche lesen, denn das Staunen hört nicht auf") - ist das dann tief empfundenes ehrliches Lob? Oder, wie meedia.de womöglich sagen würde, ein Hahnenkampf im Hochfeuilleton, dessen versteckte Anspielungen man erst mal decodieren können muss? Jedenfalls hat Nils Minkmar auf der FAZ-Medienseite ausgiebig über ein neues Giovanni-di-Lorenzo-Interviewbuch geschrieben. +++

+++ Wo meedia.de tatsächlich "Hahnenkampf" diagnostiziert: in der Auseinandersetzung zwischen Jürgen Trittein und dem Spiegel in Gestalt Nikolaus Blomes. Der Grüne will mit Spiegel-Leuten "nur noch 'unter Eins'" sprechen, schreibt er in einem neuen Offenen E-Brief (oder so was). +++

+++  Den bei startnext.de crowdfundbaren Plan, "eine althergebrachte Plattform für Journalismus einzuspannen: das Plakat, das alle erreicht, weil es einfach da ist und nicht erst gezielt angesteuert werden muss", den die Tonic Magazin-Macher ("Ihre Geschichten haben sie bereits zwei Mal auf totes Holz gedruckt. Vor allem aber befüllen sie damit fleißig eine eigene Seite im Netz") hegen, stellt Daniel Bouhs in der TAZ vor.  +++

+++ Außerdem empfiehlt Andreas Speit ebenda das ARD-Radiofeature "Nazi-Netzwerk NSU", dessen Autoren Ralf Homann und Thies Marsen "die Einzeltrio-Theorie zum Nationalsozialistischen Untergrund" bezweifeln. "Den 'Zusammenhang zwischen Terrorismus und militanter Nazimusik' hätten die Ermittler nicht erkennen wollen", sagen sie. +++

+++ An "at least 17" von der ISIS ermordete irakische Journalisten erinnert der Guardian. +++

+++  Ben Bradlee-Nachrufe: "Der am Dienstag im Alter von 93 Jahren gestorbene, legendäre Chefredakteur der Washington Post, war einfach greater than life", schreibt Reymer Klüver in der SZ. "Es muss Bradlee wehgetan haben zu sehen, wie sehr das Blatt, das er groß gemacht hatte, in den letzten Jahren einknickte unter dem Druck des digitalen Zeitalters." Inzwischen ist es ja vom Amazon-Milliardär Jeff Bezos besessen. +++ "Ein Glücksfall für die Glücksforscher! George Vaillant stellte an Bradlees Fall den Karrieretypus der lebenslangen Verkettung glücklicher Zufälle dar", so geht Patrick Bahners' FAZ-Ansatz. "Vor fünf Jahren zu Vaillants These befragt, dass das Geheimnis des Glücks die Subliminierung sei, fragte Bradlee zurück: 'Was bedeutet Sublimierung?'" +++ "Der Ruhm für die Watergate-Recherchen ging später vor allem an die beiden jungen Reporter, doch ohne die Rückendeckung von Benjamin C. Bradlee hätten die Enthüllungen nicht veröffentlicht werden können" (Tsp.). +++

+++ Eigentlich kein Medienthema, mittelbar aber doch: Dramen in der Druckmaschinen-Industrie. Eines mit 250 neuen Stellenstreichungen, das "kein Ende" nehme, "dabei liegt die Insolvenz noch gar nicht lange zurück. Und der Wandel in der Branche geht weiter", schildert die Augsburger Allgemeine. +++

+++ "In den vergangenen zehn Jahren war die Gala des Comedypreises oft die traurigste Veranstaltung des Jahres", schreibt Hans Hoff auf der SZ-Medienseite. Will er da den ehemaligen Deutschen Fernsehpreis posthum rehabilitieren? Nein, den Comedypreis 2014 loben: "Nach dem Tod des Fernsehpreises würde es den Comedypreis treffen, da war man am Dienstag im Kölner Coloneum ziemlich sicher. Vor der Veranstaltung. Nach der Veranstaltung lag ein seltsames Strahlen auf vielen Gesichtern", und das habe auch an einer Helene-Fischer-Parodie der Preisträgerin Carolin Kebekus gelegen. +++

+++ Wiederum in München trauerten die Gremienvorsitzenden der ARD dem linearen Fernseh-Jugendkanal nach (dwdl.de). +++

+++ "Gerät Politik auf die Bananenschale, geraten die Fernsehwelkes in Verzückung, ja Raserei", doch "Oliver Welke wird nie und nimmer Angela Merkel - höchstens Rainer Brüderle". Schreibt dann noch Joachim Huber vom Tagesspiegel in einem fein gedrechselten Kommentar zur "heute show"-Frage (Altpapier gestern). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.