Der Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels hat das Internet „so gründlich missverstanden wie kaum jemand anderes“. In der Türkei findet die Medienzensur nicht mehr auf brutale, aber dafür umso effektivere Weise statt. Außerdem: Zeitschriften und ihre „Aufgabe in der Gesellschaft“; der Pressekodex“ des IS; ein TV-kritiklastiger Altpapierkorb.
Viel wird ja gerade geredet über die Arbeit von Ghostwritern und darüber, was sie gemeinsam hat mit dem, was Journalisten tun. Anlass dafür ist bekanntlich das gerade durch eine Spiegel-Titelgeschichte geadelte Buch eines Ghostwriter-Routiniers (siehe dieses und dieses Altpapier), der am Donnerstag vor Gericht einen Erfolg feiern konnte. Das Thema Ghostwriter kommt einem aber auch in den Sinn, wenn man das Statement liest, das die Redaktionsbeiräte von Stern, Brigitte, art und Geo gestern bei einem Protestaktions-Mittagessen in der Verlagskantine (siehe Altpapier) vorgetragen haben. Haben die lieben Kollegen möglicherweise denselben Ghostwriter wie Joachim Gauck? Jedenfalls heißt es in dem Text:
„Wir fürchten, dass die Zeitschriften und digitalen Angebote von Gruner und Jahr künftig nicht mehr die Mittel, die Kraft und die Menschen haben werden, um ihrer Aufgabe in unserer Gesellschaft gerecht zu werden.“
Damit wir uns nicht missverstehen: Gegen den effektvollen Einsatz von Pauken und Trompeten und auch Geigen ist nichts zu sagen, im Kampf gegen die Finsterlinge aus dem „Haus der Hinterhalte“ ist vieles legitim, und angesichts der bei vielen Journalisten verbreiteten Lethargie ist der Aktivismus der Beiräte allemal preisenswert. Aber zu dick auftragen sollte man vielleicht doch nicht, denn sonst fragt sich vielleicht jemand, wie viele Titel und digitale Angebote Gruner + Jahr überhaupt im Repertoire hat, von denen sich sagen lässt, sie hätten eine „Aufgabe in unserer Gesellschaft“.
Am Ende des Statements bekommen die da oben was zu hören:
„Es waren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zeitschriften, die am Baumwall gemacht werden, durch die die Familie Jahr sehr reich geworden ist. Die Hamburger Zeitschriften waren es auch, die einen erheblichen Teil des Geldes erwirtschaftet haben, mit dem Bertelsmann zu Europas größtem Medienhaus aufgestiegen ist. Wir wissen, dass es naiv wäre, auf Dankbarkeit zu hoffen. Fairness erwarten wir trotzdem.“
Darauf ein dreifaches Vencemeros! Horizont hat Teile des Vortrags zitiert, und meedia.de hat eine Foto-Tweet-Sammlung vom Protest-Event kompiliert.
[+++] „Warum soll ich das lesen?" lautet eine permanent aktuelle Frage, und es wäre jetzt gemein, das nur auf G+J-Titel zu beziehen. Die Frage steht hier, weil eine neue Rubrik bei Zeit Online so heißt. Es ist eine Art ausgelagerte Hausmitteilung der gedruckten Wochenzeitung, mit der man Noch-Nicht- oder Gelegenheitsleser zum Griff ins Portemonnaie verführen will (siehe auch kress.de). Die erste Werbekolumne beginnt so:
„Frauen und Männer sollen ja recht verschieden sein. Besonders drastisch zeigt sich das, wenn es um die Quote geht.“
Es stellt sich also schnell die Frage, warum man die Kolumne, die „Warum soll ich das lesen?“ heißt, überhaupt lesen soll. Immerhin liefert das Foto zum Text einen Hinweis auf eine putzige Text-Bild-Schere auf der aktuellen Titelseite, die auch der stellvertretenden Chefredakteurin von Zeit Online aufgefallen ist.
####LINKS#### [+++] Um noch einmal anzuknüpfen an das Statement der G+J-Beiräte: Wer einen Überblick darüber bekommen will, wie die Zeitschriften der Bauer Media Group ihrer „Aufgabe in unserer Gesellschaft gerecht“ werden, ist künftig mit monatlich 9,99 Euro dabei. So viel kostet der All-you-can-eat-Zugang bei dem vor rund einem Monat schon einmal kurz im Altpapierkorb erwähnten Digital-Zeitschriften-Kiosk Readly, bei dem künftig für die eben genannte Summe der Zugriff auf mehr als 100 Titel aus dem Portfolio des hotten Globalkonzerns möglich sein soll (siehe DNV und kress.de). Seiner „Aufgabe in unserer Gesellschaft“ wiederum noch a bisserl besser nachkommen könnte möglicherweise der Spiegel-Verlag, hätte er nicht zwei Millionen Euro „versenkt“ bei einer Beteiligung am Kunsthandel Verlag und drei Millionen bei dem kurzen Abenteuer mit dem Wissenschaftsmagazin New Scientist. Dies in Erfahrung gebracht hat Springers Magazin Bilanz, das mit einer entsprechenden Vorabmeldung für seine heute erscheinende Ausgabe trommelt.
[+++] Als im Juni bekannt wurde, dass Jaron Lanier den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommt, herrschte an divergierenden Meinungen über diese Entscheidung kein Mangel (siehe Altpapier). In einem Text für den Freitag, der auf einer gerade bei der Buchmesse gehaltenen Rede basiert, begründet nun der Philosoph Byung-Chul Han, warum er Lanier für keinen geeigneten Preisträger hält:
„Angesichts der Internetmonopole wie Google und Facebook, die uns ausbeuten, uns einer digitalen Leibeigenschaft unterwerfen, bietet Jaron Lanier nun eine Lösung an. Sie ist wieder verblüffend und grandios naiv. Er schlägt vor, ein universales System der Mikrozahlung aufzubauen, das uns für die von Großkonzernen genutzten, von uns generierten Daten belohnt. Dadurch soll die verloren gegangene Machtsymmetrie wiederhergestellt werden. Wir liefern unsere Daten nicht mehr als kostenlosen Rohstoff an die Großkonzerne. Vielmehr werden wir bezahlt für Daten und Informationen, die wir generieren (...) Jaron Laniers abstruse Idee der Mikrozahlung würde zu einer totalen Ökonomisierung des Lebens, zu einer totalen Unterjochung der Kommunikation unter das Kapital führen. Wir würden dann in einer Welt leben, die schlimmer wäre als die heutige. Es gäbe nichts, das sich der Logik des Geldes entzöge.“
Ulrich Gutmair (taz) sieht es nicht unähnlich:
„Lanier (hat) das Internet so gründlich missverstanden wie kaum jemand anderes (...) (Es) ist anscheinend keinem aufgefallen, dass Lanier als guter libertärer Kalifornier an technologische Lösungen für ökonomische Probleme glaubt: Programmieren wir also einen Marktplatz dafür (...) Zuletzt hat Lanier das Internet für den Niedergang der Mittelklasse verantwortlich gemacht (...) Sicher ist das Netz Teil dieses Problems. Es ist aber weder seine alleinige Ursache noch seine Lösung (...) Nur wer flüchtig liest oder sich die Recherche spart, kann Lanier für einen humanistischen, sozialdemokratischen Ideengeber fürs digitale Zeitalter halten.“
Ein ähnliches Feld wie Lanier beackert bekanntlich der i. Ü. von Gutmair in Abgrenzung zu Lanier gelobte Evgeny Morozov, der im New Yorker die Ursprünge von Big Data in Chile zu Zeiten Salvadore Allendes ausmacht. Hier im Original, bestimmt ganz bald aber auch übersetzt in einem deutschsprachigen Feuilleton Ihres Vertrauens.
[+++] Zwei Texte über Rahmenbedingungen des Journalismus in der medial derzeit meistbeachteten Weltregion stehen heute ebenfalls auf der Agenda: Für Slate schreibt Jacob Weisberg über die Lage in der Türkei:
„Despite a diminished risk of criminal prosecution, media freedom in Turkey has deteriorated in other respects. Journalists we met with in Istanbul described a pervasive atmosphere of fear and self-censorship, a polarized, highly partisan media environment characterized by growing government control and fewer independent voices. The overall picture was of a new style of media censorship that is less brutal, less visible - and much more effective.“
Und auf der SZ-Medienseite beschäftigt sich Tomas Avenarius mit dem sog. Pressekodex des IS - und zieht folgendes Fazit:
„Ausländische Medienleute haben keine lebensnahe Chance, aus dem religiösen Absurdistan zu berichten, dass (sic!) der selbsternannte ‚Führer der Gläubigen‘ im Sommer in Teilen des Iraks und Syriens ausgerufen hat. Einige lokale Journalisten arbeiten aber mit dem IS-Medienbüro zusammen. Neben Kalifatsanhängern dürften es Reporter sein, die aus dem IS-Gebiet nicht fliehen können und dort zur Kooperation gezwungen werden. Der syrische Aktivist Maher aus Deir al-Zor schrieb auf Facebook: ‚Die Belästigung der Aktivisten zielt darauf ab, ihre Berichterstattung über die repressive IS-Herrschaft zu unterbinden.‘ Was unter Belästigung zu verstehen ist: Androhung der Kreuzigung des widerspenstigen Journalisten oder Verhaftung von Familienmitgliedern.“
+++ Angesichts der gestern hier erwähnten „fulminanten“ SZ-Diagnose bezüglich der Mittelmäßigkeit des deutschen Fernsehens und angesichts der Sendungsrezensierfreude, die das TV-Programm dieses Freitags und auch der nächsten Tage bei den Kollegen ausgelöst hat, sei der heutige Altpapierkorb allein dem Fernsehen gewidmet - und fast ausschließlich der Programmkritik. Was also ist aktuell mittelmäßig, was weniger bzw. mehr als das?
+++ Fangen wir mal an mit „Der blinde Fleck“ (arte, 20.15 Uhr), weil der Film über das Nazi-Attentat auf das Oktoberfest im September 1980 auch ein Film über Journalismus ist. Volker Behrens (Hamburger Abendblatt): „Ulrich Chaussy (Benno Fürmann) ist ein Reporter des Bayerischen Rundfunks, der sich um den Anschlag kümmern soll. Er beginnt zu recherchieren und kommt bald schon zu Ergebnissen, die nicht zu der offiziellen Version passen.“ Laut Thomas Gehringer (Tagesspiegel) erzählt „Der blinde Fleck“ „ähnlich wie ‚Die Unbestechlichen‘ vom Kampf des investigativen Journalismus um Aufklärung. Ein bis zwei Nummern kleiner allerdings“. „Keine Helden-Hymne auf investigativen Journalismus, eher nüchterne, akribische Überzeugungsarbeit. Ein Film mit Haltung!“ findet tittelbach.tv und vergibt fünf Sterne. Jürgen Overkott (WAZ) meint, „Der blinde Fleck" mache „klar, dass die Berichterstattung über das Attentat keineswegs zu den Höhepunkten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gehörte“, ist aber insgesamt eher enttäuscht vom Film („versandet als zähes Doku-Drama“).
+++ Weitere Programmbetrachtungen gelten den Modernisierungsanstrengungen von ARD und ZDF im Bereich der Vorabendserien, die heute zu begutachten sind: Arno Frank (Spiegel Online) hält wenig von der Arztserie „Dr. Klein" (ZDF), dessen Protagonistin man als Gerichtsmedizinerassistentin aus dem „Tatort“ Münster kennt. Was hier zu sehen sei, unterscheide sich „kaum von all den Förstern und Landärzten, die zuvor an gleicher Stelle wirkten“. Katharina Riehl (SZ) ärgert sich, dass vieles „so furchtbar gut gemeint“ ist, während Kurt Sagatz (Tagesspiegel) recht zufrieden wirkt. An der gestern im Altpapier bereits erwähnten ARD-Serie „Dating Daisy“ bemängelt Katrin Schuster (epd medien, Seite 27), hier würden „reaktionäre Geschlechterverhältnisse“ inszeniert, und sie bemängelt auch noch mehr: „Gegen die Eindimensionalität der Geschichte (...) kommt keine Regie und keine Schauspielkunst an.“
+++ Aus dem Haus sind Rose-Maria Gropp (FAZ, Seite 15) und David Denk (SZ, Seite 43) wegen des kommenden „Tatorts“. Erstere jauchzt: „(Ulrich) Matthes und (Ulrich) Tukur liefern ein Kammerspiel ab, das seinesgleichen erst noch sucht. ‚Im Schmerz geboren‘ ist der Titel der abgründigen Bühne, die ihnen Florian Schwarz (Regie) und Michael Proehl (Drehbuch) dafür bereitet haben. Eine Bühne ist das schon deshalb, weil das gewalttätige Spiel, das sich nun entfaltet, als ein Spiel im Spiel aufgeführt wird – ein riskanter Akt der gedoppelten Fiktion, ein Geniestreich.“ Auch Denk lässt sich nicht lumpen: „Ein derart wilder Ritt durch die Filmgeschichte, randvoll mit Referenzen und Zitaten, Italowestern, Truffaut, koreanisches Kino, dass man fürchtet, diese ungewohnte barocke Opulenz könnte den Fernseher sprengen.“ Der TV-Spielfilm-Blog streicht die Rolle der Musik heraus und präsentiert eine Liste der in diesem Krimi verwendeten klassischen Kompositionen. Das hr- Sinfonieorchester habe „neun der insgesamt 23 Musikfragmente (...) quasi live zum Bild eingespielt“.
+++ Auf ihrer Seite Drei widmet sich die SZ schon mal „Landauer“, dem am Mittwoch zu sehenden ARD-Spielfilm über den ehemaligen jüdischen FC-Bayern-Präsidenten Kurt Landauer. Holger Gertz verrät, wie Hans Steinbichlers Film endet, nämlich mit einer eigens für den Film entstandenen Choreogaphie der FCB-Ultras: „Eine Komposition aus Landauer-Zitaten, Landauer-Bildern, München-Symbolen, die sich über die Südkurve spannte. Eine alte Zeitungsüberschrift zur Feier der Meisterschaft von 1932. Das Münchner Kindl, das alte, ovale FC-Bayern-Wappen (...) Die Choreografie ist (Steinbichlers) Pointe. Ein Moment, der eine ganze Geschichte erzählt.“
+++ Weitaus mehr als mittelmäßig ist seit jeher die Autorendokumentarfilmreihe „Ab 18!“, in der auch Sperriges möglich ist. Zu zwei Filmen der dritten Staffel, die von Sonntag bis Dienstag bei 3sat lief, siehe meine Nachkritik in der Funkkorrespondenz.
+++ „Lassen die USA die Kurden wegen der Türkei hängen?“, fragt Die Welt in der Headline der Frühkritik zur gestrigen Illner-Sendung „Siegeszug der Islamisten – Schaut der Westen hilflos zu?" Dass „hängen lassen“ mehrere Bedeutungen hat, ist dem Überschriftentexter offenbar nicht in den Sinn gekommen.
+++ Im Streit zwischen einem Kraftfahrzeughersteller und dem SWR über „Hungerlohn am Fließband“, einen teilweise verdeckt gedrehten Film rund um das Themenkomplex Lohngerechtigkeit und umstrittene Werkverträge (siehe Altpapier), hat das Landgericht Stuttgart nun entschieden, der Sender habe zwar das Hausrecht verletzt, die Aufnahmen seien aufgrund ihrer gesellschaftlichen Relevanz aber legitim (Legal Tribune Online, SZ.de/Wirtschaftsteil, Stuttgarter Zeitung/Kommentar).
+++ In epd medien plädiert Diemut Roether für einen öffentlich-rechtlichen Jugendkanal: „Bislang gibt es wenig Medienangebote, die die Strukturen und Möglichkeiten des Hypermediums Netz konsequent nutzen und wirklich crossmedial arbeiten. Das hervorragend ausgestattete öffentlich-rechtliche System könnte hier eine Vorreiterfunktion wahrnehmen und die Möglichkeiten der Trimedialität ausloten.“ Der Text steht bisher nicht frei online
+++ Das letzte Wort soll heute Uwe Grund haben. Dem Vorsitzenden der Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD kann man es ja mal geben. Zur Diskussion über die Forderung nach mehr Transparenz der Kontrollgremien schreibt er in der Funkkorrespondenz: „Natürlich gibt es auch in den ARD-Gremien Zweifel am Sinn und Erfolg mancher Vorschläge in Richtung transparenzfördernder Maßnahmen. So wird befürchtet, dass öffentliche Sitzungen die inhaltliche Diskussion im Plenum bremsen und die eigentlichen Beratungen dann nur noch in den Ausschüssen stattfinden. Das Plenum sei dann nur noch für ‚Fensterreden‘ gut. Die Erfahrungen im Umgang mit öffentlichen Sitzungen der Rundfunkräte geben jedoch kaum Anlass für solche Befürchtungen.“
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.