Der alte Hut Jugendkanal wird wieder aufgeschäumt. Jan Böhmermann führt vor, wie man sich einen Ruf aufbaut. Außerdem: eine Reportage vom äußeren Ende der Nahrungskette des Zeitungsgeschäfts.
Erst mal einen Klick zum Tagesspiegel, außer wenn Sie fest versprechen, ihn heute noch an einem klassischen Kiosk physisch zu kaufen (in Berlin: 1,30, überregional: 1,60 Euro). Darin steht ein großer Text ganz vom "Ende der Nahrungskette Print", in dem auch zweimal "Altpapier" vorkommt - natürlich nicht diese Kolumne, aber auch nicht das Altpapier der normalen Bürger, das jeder in speziellen Tonnen entsorgen kann, sofern er Wert auf Mülltrennung legt. Sondern dasjenige Altpapier, das "abgepackt nach Gewicht" nachts oder frühmorgens ankommt, beziehungsweise: in oft ähnlichem Umfang auch wieder abgeholt wird:
"Krise ist ... , wenn Herr Allenstein am Morgen zwei 'Morgenpost', sieben 'Tagesspiegel', fünf 'Berliner Zeitungen' auspackt und am Abend zwei 'Morgenpost', fünf 'Tagesspiegel' und drei 'Berliner' Zeitungen in eine Kiste legt, die noch in der Nacht geleert wird".
Dass es dann auch solche Zahlen sind, die in die Zahlen einfließen, anhand derer Verlagsmanager an anderen Nahrungsketten-Enden ihre Entscheidungen treffen, steht gar nicht im Text, schwingt natürlich aber mit. Was zum Beispiel Ove Saffe und die Spiegel Mitarbeiter KG in ihre Überlegungen einbeziehen müssen:
"Früher, sagt Frau Allenstein, haben sie fünfzehn 'Spiegel' verkauft. Heute werden sie in einer Woche noch zwei los. Vielleicht auch mal fünf. Kommt auf den Titel an."
Optimistisch sind "Herr und Frau Allenstein, 65 und 61 Jahre alt", wie Autor Lucas Vogelsang seine Protagonisten vorstellt, beide nicht. "Herr Allenstein jedenfalls sieht Druckerschwarz", Frau Allenstein sieht schwärzer: "Hoffentlich ... geht das noch ein Jahr gut. Das mit den Zeitungen. Dann gehen sie in Ruhestand, dann interessiert es sie nicht mehr."
Ein großer Medien-Text also, etwas seltsam gedichtmäßig gesetzt (in der Online-Version; auf Papier habe ich ihn ehrlich gesagt gerade auch nicht vorliegen - das Foto oben zeigt als Beispiel für das, was nur Zeitungen können, eine Seite aus der FAS neulich...). Übrigens ist's auch ein Text über die deutsche Wieder-/ Vereinigung. Der Allensteinsche Kiosk befindet sich in der Ackerstraße in Berlin-Mitte, an einer der Ost-West-Schnittstellen.
[+++] Damit nach Potsdam, wo "die Spannung steigt" (newsroom.de), wo "die deutsche Medienpolitik ... heute und morgen Großkampftag" (FAZ-Medienseite) hat. Es geht um das turnusmäßig anderswo stattfindende Treffen der deutschen Ministerpräsidenten, die für Medien- und erst recht für Rundfunkpolitik am meisten zuständig sind. Spannend wird es sowohl für gesellschaftlich relevante Gruppen, die Sitze in den eigentlich kleiner, unbedingt aber staatsferner bzw. "staatsferner" werden sollenden ZDF-Gremien zugesprochen bekommen oder verlieren könnten (das gestern in der FAZ skizzierte Papier dazu fasst heute frei online die TAZ zusammen), als auch für die Baden-Badener, ob sie endlich das Okay für den lange beredeten Jugendkanal erhalten (siehe zuletzt Altpapier vom Dienstag). Dass es der Jugend selbst gleichgültig sein dürfte, ob er nun kommt, ist schon öfters aufgeschrieben worden, wird es heute aber auch.
Lesen Sie hier (newsroom.de) bei Interesse wie Intendant Peter Boudgoust vom SWR-Standort Mainz anhand von "Brutalo-Videos und Katzenfilmchen auf Youtube und Billig-Trash bei privaten Fernsehsendern" nochmals flammend für seinen Baden-Badener Kanal plädierte. Und/ oder lesen Sie hier, wie der oft besonnene Joachim Huber vom Tagesspiegel wegen eben dieser Argumente schäumt ("Von einer so verursachten Jugendverwahrlosung ist nichts bekannt geworden. Boudgoust unterstellt aber diese. Es ist ihm mit dieser Unterstellung zu antworten: ARD und ZDF werden mit einer Zwangsabgabe finanziert").
####LINKS#### Einer der verlässlichsten Reflexe ist eben der, den Hans Hoff gerade "Beitragstourette" nannte (dwdl.de: "Viele Medienkritiker können keine 30 Zeilen mehr schreiben, ohne auf die Alimentierung öffentlich-rechtlicher Sender hinzuweisen"). Natürlich haben die öffentlich-rechtlichen Anstalten beim Anlegen ihrer vielen zusätzlichen Nischensender schwere Fehler begangen, obwohl Kritiker auch schon seinerzeit gewarnt hatten, genauso wie Presseverleger im Umgang mit dem Internet, das sie unfassbar unterschätzt hatten. Aber verpflichtet sie das heute, diese Fehler nicht so weit wiedergutzumachen, wie es eben noch geht?
Michael Hanfeld schäumt wie meistens noch mehr bzw. hat wie immer in der FAZ mehr Platz. Sprüche wie "Die Jugend hat den Kanal schon lange voll" und "Der Jugendkanal von ARD und ZDF ist schon jetzt ... ein alter Hut" mögen zumindest betagte Abonnenten anheimeln, in deren eigener Jugend sie als flott gegolten haben könnten.
Dabei steht das aktuell beste Argument der Jugendkanal-Kritiker gleich nebenan auf der FAZ-Medienseite. Dort bespricht Oliver Jungen die heute um 19.00 Uhr ausgestrahlte erste Ausgabe "des neuen, studentennahen 'Campus Magazins' auf dem Bildungskanal ARD-alpha, der bis vor wenigen Monaten noch BR-alpha hieß und auch weiterhin vom Bayerischen Rundfunk verantwortet wird". Also auf dem allerunbekanntesten der zahlreichen Nischenkanäle, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen schon jetzt ausufernd und dennoch oder deshalb kaum breitenwirksam betreibt. "Trimedial", wie der ganze Jugendkanal, wenn er kommt, werden soll, sei dieses "Campus Magazin" auch, ergänzt die SZ-Medienseite: "Neben dem Fernsehmagazin laufen Beiträge im Hörfunk auf B5, hinzu kommt ein üppiges Internetangebot." Und was junge Leute anmacht, wissen sie beim BR. Sie lachen gerne, wenn's passt:
"Leider scheinen die Moderatoren" - "die jungen Kabarettisten Max Beier und David Hang" - "gehalten zu sein, auf witzige Art viel Information zu vermitteln, was ein wenig an pädagogisch wertvolles Kinderfernsehen erinnert. Die Interviews sowie die separat produzierten Beiträge, also die eigentlichen Inhalte des Magazins, können sich jedoch sehen lassen",
findet Jungen.
[+++] A propos Kabarett: Auch die heißeste tagesaktuelle Fernseh-Personalie kommt in den Jugendkanal-Aufschäumungen vor. Das heißt, Hanfeld und Huber erwähnen natürlich, dass das ZDF, das mit ZDF-Neo über einen leidlich erfolgreichen Jugendkanal verfügt, auf denjenigen in Baden-Baden gar nicht scharf sein dürfte. Vermutlich auch aus diesem Grund hat das ZDF just gestern die Meldung in Umlauf gebracht, dass Jan Böhmermann mit seinem "Neo Magazin", bzw. korrekt im offiziellen Rundfunkbeamten-Wortlaut:
"die Grimme-Preis-gekrönte ZDFneo-Show 'NEO MAGAZIN mit Jan Böhmermann'"
schon 2015 auch im eigentlichen Haupt-ZDF laufen soll!
Wie man sich einen Ruf aufbaut, zeigt der Tausendsassa Böhmermann bei dieser Gelegenheit idealtypisch. Einerseits enthält dieselbe Pressemitteilung im zweiten Absatz diese großartige Passage:
"Jan Böhmermann und die Bildundtonfabrik stehen ... für das Fernsehen von morgen: schlagfertig, provokant, unterhaltsam', so ZDFneo-Senderchefin Simone Emmelius. 'Na gut', kommentiert Jan Böhmermann sein Engagement für das ZDF enthusiastisch."
Andererseits liegt es in der Natur solch großartiger Lakonie, dass sie in den Informationsfluten, die in der Digitalära immerzu auf sämtliche Parallelwelten einprasseln, unterzugehen droht. Deshalb haben Böhmermann und seine Bildundtonfabrik aus demselben Anlass auch noch ein mit Gags nur so gespicktes Youtube-Video gestaltet.
Gleich bedankte sich faz.net sowohl mit der Wortschöpfung "böhmermannesque" als auch damit, dass es den (zumindest für Anwohner der Rhein-Main-Gegend) lustigsten Gag als Überschrift für seine Meldung verwendet. Den noch viel lustigeren Gag um Helene Fischer und Böhmermanns Handynummer lotet ein Interview des Leitmediums Spiegel Online weiter aus. Und der allerallerbeste Gag ist eine geheime Botschaft an die prominenteste Gallionsfigur des allerviralsten Medienmediennewsverbreiters, an den frisch gekürten Pulitzer-Preisträger Stefan Winterbauer von meedia.de.
Wenn Jan Böhmermann so weiter macht, kann er bald schon Stammgast in der "heute show" sein und in wenigen Jahren, am äußersten Ende der Fernsehprominenz-Nahrungskette, die deutschen Fußballstadien mindestens so füllen wie Mario Barth.
+++ Zu den gestern hier erwähnten Auftritten des Google-"Außenministers" Eric Schmidt in Berlin liegen nun auch ausgeruhte Berichte vor. Seine Diskussion mit Sigmar Gabriel, der sich "alle Mühe" gab, "nicht als Technikskeptiker dazustehen", und, was Googles Steuerersparnisse betrifft, selbst von der "Dummheit der europäischen Politik" sprach, beschreibt heise.de ausführlich. +++ Schmidt bekam "in Deutschland ganz schön was zu hören", kam aber auch "als Zuhörer nach Berlin", und das ist ungewöhnlich, denn "für gewöhnlich ist es so, dass Schmidt Reden hält und noch während des Applauses verschwindet", schreibt Stefan Schulz. Auf der FAZ-Medienseite ist er zufrieden mit Gabriels Auftritt ("Schmidts Hinweis, im Zweifel deutsche Gesetze einzuhalten, darüber hinaus aber über nichts zu reden, fasste Gabriel als Aufforderung auf, Gesetze zu schaffen, die Google verpflichteten, sein tatsächliches Handeln - also Algorithmen - zu offenbaren"). +++ "Eric Schmidt besitzt einen sanften Humor und zeigt nach Stunden Debatte keine Müdigkeit" lobt Johannes Boie in seinem EuGh-Urteils-kritischen SZ-Feuilleton ("Der Anspruch, nicht erinnert zu werden, ist eine nicht ganz gewöhnliche Idee in der Geschichte. Bislang lebte die Menschheit eher umgekehrt ..."). +++
+++ Es gibt zwei frische Studien zum digitalen Journalismus. Heute werden sie vorgestellt, die FAZ studierte sie schon vorab. "Von Überraschungen kann man nicht sprechen, die Ergebnisse lauten: Das Internet hat den Journalismus stark verändert, und Social Media spielt eine große, aber noch nicht ganz ernstgenommene Rolle", macht Felix-Emeric Tota gespannt auf Volker Lilienthal/ Stephan Weicherts "Digitaler Journalismus. Professionalisierung - Partizipation - Automatisierung" und "Social Media und Journalismus" des Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilian-Universität München. +++
+++ Unermüdlich vorgestellt werden Prominente im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Jetzt auch neu in der RBB-Reihe "Stuckrads Homestory". "Manchmal gehen diese Porträts gar über die Person hinaus, so geschehen bei Katja Ebstein. Die Begegnung mit ihr fasst [Benjamin von] Stuckrad-Barre in einem Satz zusammen, der im Grunde auch für die Intellektuellen-Hauptstadt Berlin als Ganzes gilt: 'Eigentlich wollte sie über Stéphane Hessel reden, aber gelandet sind wir dann bei Udo Walz'", lobt Cornelius Pollmer in der SZ. +++ "... sieht eher nach Resterampe aus. Später in der 'Homestory' an der Bar im Hotel Interconti gibt es noch Cola für den Moderator, Zigarre für Udo Lindenberg" (Markus Ehrenberg, Tagesspiegel). +++
+++ "Die Texte sind inhaltlich vorwiegend auf der leichten Seite angesiedelt", formuliert meedia.de, das es ja auch nicht gern schwer hat, höflich: buzzfeed.de ist online. Den "Geschichten, die in sozialen Netzwerken viral gehen sollen" und der Hintern-hochkriegen-Rhetorik der Deutschland-Chefin Juliane Leopold gibt kress.de Raum. +++ Siehe auch SPON. +++
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Mit einer Donaukuriers-Agenturmeldung viral gegangen und jetzt auch Titelseiten-Witzfigur der TAZ: "Digi-Oetti". +++
+++ "Es gibt vereinzelte kritische Artikel in den Zeitungen, doch eine breite Debatte ist nicht in Gang gekommen", schreibt Jürg Altwegg im FAZ-Feuilleton über den Plan der in Frankreich regierenden Sozialisten, ein früher abgelehntes Internetgesetz aus anderen Gründen nun doch einzuführen. +++
+++ "Ein Schweizer hat eine Box erfunden, die - einmal angeschlossen an den Fernseher - die Stimme des Kommentatoren bei Fußball-Partien eliminiert. Übrig bleiben nur Stadionatmosphäre und Fan-Gesänge". Nun suche Tüftler noch Crowdfunder, berichtet Felix Disselhoff wiederum bei meedia.de. +++ Angesichts der RTL-Länderspiel-Übertragung (über die ich bei handelsblatt.com schrieb) sollte auch das viral gehen können. +++ Zu RTLs Fußball-Deal hat Michael Hanfeld am Rande der FAZ-Medienseite eine frische Zahl: "Zehn Millionen Euro pro Partie, schätzt man in der Branche, hat der Sender angelegt. Zehn Millionen für schlechtes Karma." +++
+++ Der ehemalige Deutsche Fernsehpreis war gar nicht immer schlecht (Diemut Roether in epd medien). +++
+++ Und die TAZ empfiehlt eine US-Serie bei Arte nicht so, aber einen "englischsprachigen Podcast ..., den man über jede Podcast-App abonnieren kann" ("Einundzwanzig Minuten, die beim Zuhören süchtig machen"). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.