Die ARD hat den Plan einer Netflix-Konkurrenz noch nicht aufgegeben und versucht es nach dem Scheitern von Germany’s Gold ohne das ZDF. Gemeinsam wollen die beiden Öffentlich-rechtlichen aber weiterhin einen Jugendkanal gründen. Bei Carta gibt es wieder Debatten, deren Thema nicht die Plattform selbst ist. Und die Süddeutsche Zeitung macht etwas Unglaubliches: sie stellt ein.
Das Handelsblatt hat mal wieder etwas exklusiv. Diesmal geht es um einen neuen Anbieter auf dem an neuen Anbietern ja nicht gerade Mangel aufweisenden Markt der Online-Mediatheken.
„Deutsche TV-Produzenten wie Brainpool (,TV Total’, ,Pastewka’) und Beta Film (,Unsere Mütter, unsere Väter’, ,Verbrechen’) planen derzeit mit mindestens einer privatwirtschaftlichen Tochter eines öffentlich-rechtlichen Systems, offenbar der ARD, eine deutsche Online-Videoplattform. ,Wir prüfen derzeit, ob es möglich ist, ein wirtschaftlich tragfähiges Angebot zu entwickeln, das kartellrechtlich unproblematisch ist’, sagte eine mit dem Projekt vertraute Person dem Handelsblatt (Dienstagausgabe).“
So heißt es online in der Vorbabmeldung bzw. ist das fast die komplette, kurz gehaltene Online-Meldung.
Alteingesessene Altpapier-Leser werden sich jetzt an zwei Dinge erinnern: Erstens an Germany’s Gold, den vom Kartellamt untersagten gemeinsamen Anlauf von ARD und ZDF zu einer derartige Mediathek, und zweitens an dieses Altpapier aus dem Juli. Die Funkkorrespondenz hatte damals aus dem Jahresabschlussbericht der WDR Mediagroup herausdestilliert, dass die ARD und ihre Verwertungstöchter nun ohne das ZDF – und damit ohne Kartellamtsprobleme – an einem entsprechenden Angebot bastelten. Noch in diesem Jahr sollte dazu etwas spruchreif sein. Mit einer Pünktlichkeit, die man als Berliner nur neidisch zur Kenntnis nehmen kann, ist das nun über das Handelsblatt auch umgesetzt worden.
Als Namen möchten wir hiermit „Um Himmels Willen“ oder Cat’s Gold ins Spiel bringen.
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[+++] Bereits am Freitag soll das Schicksal eines weiteren gemeinsamen Projektes von ARD und ZDF entschieden werden, das des geplanten Jugendkanals. Max Hägler war für die SZ in Baden-Baden, was Sinn macht, wenn man weiß, dass jener das Herzensprojekt des SWR-Intendanten Peter Boudgoust ist.
Die Kritiker des Kanals sagen, dass sich mit einem Budget von 45 Millionen Euro pro Jahr kein gutes Fernsehen machen ließe. Seine Befürworter beharren auf der Wichtigkeit eines Angebots für Jugendliche, an dem es bislang mangele.
„Das Budget sei klein, aber lieber so als gar nichts, sagt [Baden-Württembergs Medienministerin Silke] Krebs. Wenn der Kontakt zu den Jungen gänzlich abrisse, ,dann ist das gefährlich für unser Land, weil womöglich keine ausgewogenen Informationen mehr an die jungen Leute kommen.’“
Ob junge Leute ihre ausgewogenen Informationen gerne aus einem Zoo für Jugendliche oder doch aus der Tagesschau bekommen möchten, könnte man bei Gelegenheit mal die Macher von Zoomer.de fragen (falls sie es zwischen ihren vielfachen Engagements mal einrichten können – yes, I am looking at you, Ulrich Wickert). Bis Freitag wäre dazu noch Zeit.
[+++] Bei Carta gibt es eine Debatte, deren Gegenstand einmal nicht die Plattform selbst und ihr Umgang mit ihren Redakteuren ist – das muss gewürdigt werden!
Begonnen hat es vor einer Woche mit einem Beitrag von Julian Heck, laut Selbstbeschreibung „freier Medien- und Tech-Journalist, Dozent und Lehrbeauftragter an der Hochschule Darmstadt“ und Verfechter des unternehmerischen Journalismus. Den er selbst offenbar mit ganzem Herzen betreibt, wenn man sich die Vielzahl an Blogs, Websites und Projekten anschaut, hinter denen er steckt (Spontan zusammengegoogelt wurde entrepeneurship.meedia, ausgeheckt, techletter, die Web-Talkshow „Auf ein Bier mit“, das Stern.de-Blog „What the heck?!“ sowie julianheck.de – eine Domain, bei der man auch landet, wenn man bisherige Heck-Projekte wie Weiterstadtnetz (ein hyperlokales Angebot für das hessische Weiterstadt, bei dem es an der Finanzierung hapert) oder Lokalblogger (gedacht als Netzwerkknoten für hyperlokale Angebote, für den Heck derzeit offenbar einen neuen Betreiber sucht) ansteuert.)
Nicht mitgezählt wurden dabei die Projekte, bei denen er als freier Autor oder Dozent dabei ist.
Was meint also der umtriebige Herr Heck bei Carta? Er rät, wie angekündigt, zum unternehmerischen Journalismus.
„Wer etwas von dem kleiner gewordenen Kuchenstück abbekommen möchte, der hat zwei Möglichkeiten: Er kann sich entweder brav in der Schlange anstellen und hoffen, dass noch ein Stück übrig bleibt, oder er fällt auf und bekommt umgehend ein Stück ab. Es gilt also, selbst aktiv zu werden, sich zu vermarkten, seine Inhalte zu vermarkten und einen unternehmerischen Blick auf das zu werfen, was man beruflich tut. Journalismus alleine ist nicht mehr genug.“
Gründen, Twittern, Facebooken, und dann klappt es schon mit dem Journalismus auch in Krisenzeiten, und zwar umgehend, lautet Hecks Lösung.
Nun könnte man sich fragen, ob man unternehmerische Hinweise gerne von jemandem entgegennehmen mag, der gerade ein Projekt wegen mangelnder Erlösquellen eingestellt hat. Oder man macht es wie Stefan Aigner, seit sechs Jahren erfolgreicher Betreiber des lokalen Online-Magazins Regensburg Digital, der in seiner Antwort auf Heck das Unternehmerische im Journalismus konsequent durchdekliniert.
„Unternehmerisch denkt man zum Beispiel bei Focus Online, wo die Jagd nach Klicks über allem, vor allem über seriösem Journalismus steht und wo man schon sehr findig sein muss, um zwischen Titten-Bildchen, Höschen-Videos, Gerüchten und Abgeschriebenem tatsächlich eine Nachricht zu entdecken. Unternehmerisch denkt die Huffington Post Deutschland. Deren journalistische Leistung ist begrenzt, um nicht zu sagen bedeutungslos, aber nach eigenen Angaben hat sie die Unternehmensziele fürs erste Jahr erreicht.“
Für Aigner liegt die Zukunft des Journalismus nicht in noch mehr Tools und Gadgets, sondern in der Vergangenheit und der Rückbesinnung auf Handwerk und Ethos.
„Wer vom ,Wandel des Journalismus’ redet, der sollte zunächst einmal zur Kenntnis nehmen, dass der Kern dieses Berufs derselbe geblieben ist – allen technischen Möglichkeiten und neuen Medien zum Trotz. Es sind immer noch, um ein paar Dinge zu nennen, Recherche und Redlichkeit, Ausdrucksfähigkeit und Unabhängigkeit, die die Arbeit eines Journalisten prägen sollten. Wer über Journalismus und dessen Wandel redet, der muss also über Inhalte reden. Er muss darüber reden, dass es Themen gibt, bei denen recherchiert und berichtet werden muss, auch wenn sie nicht massentauglich und nicht für die Werbewirtschaft attraktiv sind oder sich aus anderen Gründen unternehmerisch nicht lohnen. Dafür braucht es selbstbewusste und engagierte Journalistinnen und Journalisten, die das – gerade abseits unternehmerischer Überlegungen – in Redaktionen durchboxen, und gerade keine ,Media Entrepreneure’.“
Bei Carta wird versprochen, die Debatte in Zukunft weiter zu verfolgen. Falls jemand darin unternehmerisches Potential erkennen sollte: www.aignerversusheck.de ist noch frei.
[+++] Bleibt noch nachzutragen, wie sich die Süddeutsche Zeitung das mit der Zukunft vorstellt: nämlich mit einer zur Wochenzeitung ausgebauten Samstagsausgabe (Kress, DWDL, Meedia). Am kommenden Samstag ist es erstmals soweit; schon jetzt dürfen wir uns wundern – ja, auch darüber, dass man in München so konsequent auf Print setzt. Aber wie formuliert es Jürgen Maukner, Gesamtanzeigenleiter der SZ im Interview mit Horizont?
„Wir haben eine Leserschaft, die 600 Euro im Jahr für unser Produkt bezahlt. Diesen Menschen wollen wir noch mehr bieten als bisher. Aufgrund einer aufwendigen Leserbefragung wissen wir, was sie von uns erwarten.“
Zielgruppe sind also eh schon vorhandene Printleser.
Der eigentliche WTF-Moment steckt aber in der Erkenntnis, dass wir mittlerweile in einer Welt leben, in der es bemerkenswert ist, wenn mit dem Ausbau eines journalistischen Angebots auch das Engagement von Journalisten einhergeht.
„[Horizont] Angeblich hat die SZ mehrere neue Redakteure für die Wochenendausgabe eingestellt. Das ist ungewöhnlich...
[Maukner]... und zeigt, wie ernst wir es meinen.“
Keine weiteren Fragen.
+++ Die russische Medienaufsichtsbehörte Roskomnadsor hat mal wieder zugeschlagen. Diesmal trifft es die Nowaja Gaseta, in der ein Artikel der Publizistin Julija Latynina erschienen ist, die nichts von einer ursprünglich russischen Kultur wissen will, die angeblich den Gegenpol zur seelenlosen westlichen Kultur darstellt, wie Russlands Propaganda es gerne verbreitet. „Sie haben damit nichts Neues erfunden. Schon Hitler hat in ‚Mein Kampf‘ die strenge nordische Kultur der gegenwärtigen europäischen Verderbtheit und Geistlosigkeit gegenübergestellt. Das ist die übliche Methode des Faschismus: Unter dem Vorwand der Befreiung der Nation von der ‚fremden Kultur‘ wird sie von jeder Kultur befreit und in die Zeit und Sitten der Barbarei gestürzt“, lautet die Argumentation, an der sich die Medianaufsicht stört. Nun droht der Zeitung das Aus, schreibt Reinhard Veser in der FAZ. +++
+++ Auch in der Türkei stellt sich die Frage, wie frei man als Journalist noch ist. Betroffen diesmal drei deutsche Fotografen, die über die Proteste der Kurden berichten wollten und festgenommen wurden, weil sie diese angeblich für ein besseres Motiv zum Vandalismus anstifteten. Zudem sollten sie Spione sein. „Beide Vorwürfe hat offenbar aber selbst der Haftrichter, dem sie Montagfrüh vorgeführt wurden, nicht ganz ernst genommen und die drei erst einmal wieder auf freien Fuß gesetzt“, schreibt die taz. +++
+++ Kurt Landauer wurde aufgrund seines jüdischen Glaubens ins KZ Dachau verschleppt, entkam, überlebte im schweizer Exil und kehrte dann zurück nach Deutschland, um als Präsident den FC Bayern München aufzubauen. Am Mittwochabend läuft seine Lebensgeschichte als Film in der ARD. Schon heute berichtet Jochen Hieber in der FAZ. „Die Figur gibt ihr innerstes Geheimnis niemals preis. Nie erfährt man wirklich, warum Landauer schließlich die Schiffspassage nach New York ausschlägt und in München bleibt. Man weiß noch nicht einmal, ob es Landauer selber weiß. Auch im Bleiben bleibt er ein Zerrissener, während noch in der klar geäußerten Abneigung gegen das ferne Amerika ganz eindeutig Sehnsucht und Reiselust mitschwingen. Dass es Bierbichler vermag, seine Rolle komplett auszuagieren, ohne seiner Figur darüber deren Unergründlichkeit zu rauben: das ist das Ereignis des Films.“ +++
+++ Schon heute laufen bei Arte die ersten beiden Teile der sechsteiligen Doku „Der Kapitalismus“, über die Thomas Gehringer im Tagesspiegel berichtet. „Thema ist weniger die aktuelle Wirtschaftspolitik. Stattdessen geht es um Geschichte und Theorien – ein umfassender Ansatz, der im Fernsehalltag zwischen Börsentipps und Markenchecks ungewöhnlich und lobenswert ist. Die erste Folge (,Adam Smith und der freie Markt’), die zur Rezension vorlag, lässt auf eine Art kritischen Grundkurs schließen.“ +++
+++ Xavier Naidoo spricht zwar vor seltsamen Reichsbürgern von Deutschland als einem besetzten Staat, aber da er sich selbst als „weder homophob noch irgendwie rechtsradikal“ bezeichnet, gibt es für Vox keinen Grund, ihn von seinem Engagement bei „Sing meinen Song“ zu entbinden, hat der Tagesspiegel herausgefunden. +++
+++ Wir können aufhören, uns permanent über den „Bergdoktor“ und „In aller Freundschaft“ zu beschweren und neidisch auf „House of Cards“ und „Breaking Bad“ zu schielen – auch in den USA werden vorhersehbare, mittelmäßige Serien produziert, schreibt Katharina Riehl heute auf der Medienseite der SZ über „Devious Maids“, die Mittwoch auf Pro7 anlaufen. „Wenn eine Krimi- oder Krankenhausserie zu Ende geht, dann braucht es eben schnell eine neue, und wenn Lynette, Bree und Gabrielle aus ihren Vororthäuschen fliegen, dann müssen eben andere Frauen mit dem Poolboy schlafen. (...) ,Desperate Housewives' wurde 2012 dann wegen größerer Quotenverluste eingestellt – und 2013 hat Serienautor Marc Cherry die verzweifelten Hausfrauen ersetzt: durch hinterhältige Hausmädchen.“ +++
Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.