Bertelsmann-Mediencontent, so toll wie anno dazumal: Heribert Schwans Kohl-Buch spaltet die Medien-Gemüter auf das Schönste. Außerdem: ein neuer öffentlich-rechtlicher/ Zeitungs-Rechercheverbund.
Brennpunkt Gütersloh: Der Blick zum Sitz des größten deutschen Medienkonzerns ist jedoch bloß ein kleiner, begründeter Schlenker auf dem Weg zum Thema des Tages, der Einschätzung eines spektakulären "Dokuments der Niedertracht" (TAZ).
Die wunderbare Vielfalt der Medienmedien-Meinungen zu Sinn und Zweck des jüngsten Geschäfts des in Gütersloh (das Foto habe ich dort im Stadtmuseum aufgenommen) ansässigen Medienkonzerns Bertelsmann stand schließlich gestern schon im Altpapier. Nur zwei Nachzügler: Was die Nachdenkseiten, die seit je die "Sachfragen"-Rubrik "Krake Bertelsmann" führen, über den "größten Oligopolisten der veröffentlichten Meinung in Deutschland" aktuell schreiben, liest man in Gütersloh wahrscheinlich ganz gern. Bloß glauben wird man es auch dort nicht mehr, bzw. Sätze wie "Arvato ist die größte Druckereigruppe Europas und der zweitgrößte Speichermedienhersteller der Welt" schon seit einigen Jahren als bedrohlich verstehen. Schließlich gehört zu Reinhard Mohns Managementlehren ebenfalls, dass Renditen in Gegenwart und Zukunft erzielt werden müssen. Und:
"Im alten Druck- und Dienstleistungsbereich orgeln ... weiterhin DVD- und CD-Schmieden, die bald keiner mehr braucht. ... Der Dienstleister Arvato - machen wir uns nichts vor - lebt derzeit vor allem als Logistiker, der Deutschland ganz haptisch die neuen Smartphones nach Hause bringt."
So spitzt, gegenläufig, Steffen Grimberg (NDR-Zapp) zu. Die Crux der vom klassischen Medien-/Wirtschaft-Journalismus gerade nach Kräften analysierten Aussage "Bertelsmann steht voll hinter der Strategie der des G+J-Vorstands" sieht der TAZ-Veteran nicht im ersten, sondern im zweiten Teil des Satzes. Weder der Konzern noch seine hundertprozentige Tochter hätten tatsächlich eine Strategie. Was ja in die deutsche Verlagslandschaft ganz gut passte.
Mit einem kontextsenitiven guten Rat des einstigen Handelsblatt-Chefredakteurs Bernd Ziesemer (per Twitter: "Die Familie Jahr hat so viel mit G+J verdient, sie sollte einen Teil des Erlöses in eine Journalismus-Stiftung stecken!") schalten wir nach Berlin, wo gestern per Pressetermin die Neuerscheinung weiter vorgestellt wurde, die auch das aktuelle Spiegel-Cover vorstellt und die jetzt also so was von in aller Munde sein müsste. Online ist das Kohl-Buch mit dem Titel "Vermächtnis" zu finden unter randomhouse.de/Buch/Vermaechtnis... Heißt: Das "Dokument der Niedertracht" des Autors Heribert Schwan ("... verhält sich wie ein beleidigter Lebensabschnittspartner auf Rachefeldzug"), wie Stefan Reinecke heute jeweils in der TAZ schreibt, ist ein Bertelsmann-Buch!
Nachzutragen ist natürlich der Name des Co-Autors Tilman Jens (Reinecke: "ein Journalist, der mit dem Hammer zu arbeiten weiß"; "als Journalist ein Routinier der Indiskretion", würde Katja Tichomirowa/ BLZ dagegen sagen). Schon diese Zitatenauswahl deutet an, dass es zum neuesten Bertelsmann-Content-Paukenschlag kräftige Meinungen vorliegen - und wiederum durchaus konträre.
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Newsroom.des morgendliche, schön eklektizistische Umfrage trägt die Überschrift "Journalisten gespalten über Buch 'Vermächtnis ...'". Wer Schwans Ansatz, ihm einst unter sehr anderen Umständen anvertraute Kohl-Aussagen nun in Buch-/ Voraubdruck-Form zu veröffentlichen, gut findet, sind am Anfang der Auswahl Michael Maier, der Netzeitungs-Gründer und jetzige Deutsche Wirtschaftsnachrichten-Herausgeber, und Thomas Seim, Tageszeitungs-Chefredakteur aus dem Gütersloh-nahen Bielefeld. Schwan-kritisch äußern sich dagegen u.a. TAZ-Chefin Ines Pohl und Tom Strohschneider vom Neuen Deutschland ("Man muss ja nicht 'House of Cards' gesehen haben, um in abfälligen, kritischen Anmerkungen über politische Konkurrenten und 'Parteifreunde' etwas zu sehen, das in der Politik eher normal ist ...") - also ChefredakteurInnen von Zeitungen, die zum engeren Kohl-Freundeskreis nie gehörten. Klicken Sie zur Umfrage, Digital-Darlings wie Christian Jakubetz und Tobias Schwarz sind, mit konträren Meinungen, auch dabei!
Schwan sei "als praktizierender Journalist bei seinem Kenntnisstand geradezu der Öffentlichkeit und Forschung gegenüber verpflichtet mitzuhelfen, das Bild von Helmut Kohl zu zeichnen", findet Schwarz. Eine diametrale Gegenposition vertritt, in Pohls TAZ wiederum, Christian Rath ("Ein Ghostwriter ist ja kein Journalist, sondern ein bezahlter Dienstleister"). Am gleichen Strang ziehen Heribert Prantl (Schwan habe "die Rollen des Ghostwriter-Vertrags (der auch mündlich gilt) vertauscht und sich selbst zum Herrn des Lebensbildes von Kohl gemacht. Er verstößt gegen die Pflichten des Ghostwriter-Vertrags") und Béla Anda von der Bild-Zeitung, der selbst noch Gerhard-Schröder-Tonbänder aus den 1990ern im Keller aufbewahrt. Eher wiederum am anderen Ende zieht Thorsten Denkler von Prantls Süddeutscher in seinem Pressetermin-Bericht.
Den Termin fand Spiegel Online auch ganz anregend (" ... Ein Mitarbeiter der 'Bild'-Zeitung - dem Kanzler seit Jahren zugetan - lieferte sich ein aggressives Frage-und-Antwort-Duell mit dem Justiziar des Heyne-Verlags, Rainer Dresen"). Wobei Spiegel-Medien natürlich etwas befangen sein düften, schon weil die spektakuläre Print-Spiegel-Titelgeschichte online derzeit noch von hinter der Bezahlschranke lockt. Mit Bonusmaterial geizt SPON dagegen nicht. U.a. ist ein Video "mit dem Autor des Kohl-Artikels im aktuellen 'Spiegel', René Pfister", auch bekannt als zeitweiliger Nannen-Bambi-Preisträger, eingebunden. A propos Nannen:
"Den Hype mitangeschoben hat der 'Spiegel', der am Sonntag in seiner Titelgeschichte exklusiv Auszüge des Buches druckte. Die krassesten Zitate Kohls stehen sogar auf dem Cover, direkt neben Fotominiaturen der Betroffenen. 'Konnte nicht mit Messer und Gabel essen' steht neben Angela Merkel. ... Ein Schlüssellochblick in Gedanken und Gefühle eines einstmals sehr, sehr mächtigen Mannes. Natürlich weckt das eine geradezu lüsterne Neugier - auch wenn der Artikel zwar viel Lästerliches, aber kaum Neues zu verkünden hat. Dass Kohls Anwälte noch am selben Tag den Eindruck vermittelten, sie könnten juristisch gegen das Buch vorgehen und dessen Auslieferung verhindern, dürfte den Absatz nur zusätzlich gepimpt haben ...".
Der Nannen-Zusammenhang besteht darin, dass diese Spiegel-Kritik stern.de bringt. Das Internetportal des, wenn man mal die nur via Eva Longoria an Kohl interressierte Gala beiseite lässt, Flaggschiffs von Gruner + Jahr, dem in Kürze zu 100 Prozent Bertelsmann-besessenen Verlag, kritisiert also Bertelsmanns Buch und dessen Anfeuerung durch den zu 25 Prozent von G+J besessenen Spiegel. Unterschiedliche, durchaus noch starke Medienmarken befeuern mit unterschiedlichen Ansichten sowohl zum Inhalt als auch zu dessen Präsentationsformen Streit um einen Medieninhalt derart, dass eigentlich alle Lust bekommen müssten, selber mitzudiskutieren und sich nicht bloß mal wieder den aktuellen Spiegel, sondern am besten das ganze Buch zu besorgen. Man könnte beinahe schon gespannt auf die nächste Spiegel-Bestseller-Liste sein (oder, falls der Abverkauf gebundener Druckwerke noch nicht so schnell gemessen wird wie Downloads im iTunes-Store, auf die übernächste).
Bzw., zumindest heut vormittag in der Medienmedien-Blase, gilt tatsächlich:
"Es ist kaum möglich, dass jemand der liest, Fernsehen schaut oder Musik hört noch an Bertelsmann vorbeikommt" (nachdenkseiten.de).
+++ Neuer öffentlich-rechtlicher/ Zeitungs-Rechercheverbund: der Tagesspiegel und "Fakt" von MDR/ ARD: Die Recherche "Die Afghanistan-Connection" gibt's da, dort und, laang, auf dem neutralen Territorium afghanistan-connection.de. Inhaltlich geht's um Führungspersonal der Bundeswehr. Die Webseite sei "... optisch wunderbar gemacht, alle Achtung. Für den Inhalt… würde ich da ein paar Fragezeichen dran machen"(Thomas Wiegold, augengeradeaus.net). +++
+++ Wer ist zurzeit eigentlich Chefredakteur beim erwähnten Spiegel? Immer noch der gleiche. Die FAZ-Medienseite zitiert Spiegel-Geschäftsführer Ove Saffe: "'Ich stehe zu dem Chefredakteur und dessen Konzept', sagte der Verlagsmanager jetzt im Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten. Für ihn ist es schlicht eine 'zwingende Notwendigkeit', die bislang streng getrennten Redaktionen von 'Spiegel' und 'Spiegel Online' enger zu verzahnen und aus einer Hand zu steuern. Der 'Spiegel' habe in den vergangenen zehn Jahren ein Viertel seiner Auflage verloren." +++ Anderes frei online von derselben Veranstaltung berichtet kress.de. +++
+++ Erheblich schneller beim Auflage-Verlieren: die Bravo. "Wurden im Jahr 2002 noch fast 764000 Hefte verkauft sind es aktuell gerade mal noch 144700 Stück" (SZ-Medienseite). Der Bauer-Verlag verlegt nun aber nicht etwa den Erscheinungstermin auf samstags, sondern reduziert die Zahl der Erscheinungstermine des gedruckten Hefts um die Hälfte (Pressemitteilung). +++
+++ "Allein 2012 sendete Das Erste 357.013 Sendeminuten Erstsendungen. Würde die ARD nur 0,1 Prozent dieser Inhalte unter CC stellen, wäre die ARD europaweit der größte Anbieter von CC-Inhalten": Da zitiert irights.info aus einem ebd. (PDF) veröffentlichten "Bericht der ARD-Arbeitsgruppe über 'Creative Commons in der ARD'". Womöglich könnte die ARD eines Tages den "von privaten Presseverlagen herbeilobbyierte Löschpflichten" (irights.info) unter Creative Commons-Maßgaben wiederverwendbare Inhalte gegenüberstellen, leitet Leonhard Dobusch ab. +++
+++ Gestern "traf sich zum zweiten Mal in Berlin die sogenannte Netzallianz, um mit dem dritten Internetminister, Alexander Dobrindt, darüber zu diskutieren, wie man denn Breitbandausbau ohne Geld hinbekommt". Das bei der Gelegenheit präsentierte "Kursbuch" verspräche "weniger Netzneutralität und viel mehr Drosselkom-Geschäftsmodelle", meint netzpolitik.org. +++ "Teilweise positiv überrascht" war ders. Blog von Andrus Ansip, dem Günther Oettinger übergeordneten Digitalkommissar der neuen EU-Kommission: "Der Kontrast zu Oettinger war schon groß und Ansip scheint bereits in vielen Themen tiefer drin zu sein." +++
+++ "Auf dem neuen Kindle Fire, dem Tablet-Computer von Amazon, ist eine App mit ausgewählten Artikeln und Bildern aus der Zeitung [Washington Post] vorinstalliert" (SZ-Medienseite). Beide "Marken" gehören ja teils bzw. ganz dem Amazon-Milliardär Jeff Bezos. +++ "98 Euro hat Richard Gutjahr im Frühjahr dieses Jahres mit seinem Blog 'gutjahr.biz' verdient", zumindest über das Bezahlwerkzeug Laterpay (Tagesspiegel im Rahmen einer kleinen Micropayment-Übersicht). +++
+++ Selten in Medienressorts: Blicke nach Japan. Einen wirft die TAZ heute: "Seit in Tokio Nationalisten regieren, wächst der Druck auf die liberale Zeitung .Asahi Shimbun'". +++
+++ Schönes und passendes Foto zum dwdl.de-Bericht "Heike Hempel setzt Melodram-Modernisierung fort". Es geht um den ZDF-Sendeplatz "Herzkino" sonntagabends, der "mit 33 Erstausstrahlungen jährlich zu jeweils einem Drittel aus Traditionsmarken wie 'Rosamunde Pilcher', Reihen wie 'Ein Sommer in...' sowie Einzelstücken der Genres Melodram und Romantic Comedy besteht". +++ In der SZ noch die Meldung, dass "Annette Reeker, die für das deutsche Fernsehen 'Switch' entwickelte und für das ZDF die Taunus-Krimis nach Nele Neuhaus produziert", mit ihrer Produktionsfirma "an einer Serienfassung der Krimireihe um den südafrikanischen Ermittler Mat Joubert arbeitet" und in Produktion gehen möchte, ohne dass sich ein TV-Sender beteiligt hat. Das ist fürs deutsche TV-Geschäft recht ungewöhnlich. +++
+++ Nicht uneingeschränkt begeistert ist die SZ vom heutigen Michael-Verhoeven-Film der ARD, "Let’s go!": "Manchmal aber läuft der Film Gefahr, eher gut gemeint als gut gemacht zu sein. Jüdisches Leben erscheint dann beinahe als Karikatur, was auch daran liegt, dass nicht alle Schauspieler das jiddisch geprägte Deutsch vieler Überlebender aus Osteuropa wirklich glaubhaft wiedergeben. Die Rückkehr alter Nazis in die Wohnanlage wirkt arg aufgetragen, die Übeltäter von gestern tragen Tracht und kleiden ihre Kinder wie Pimpfe der Hitlerjugend", moniert Joachim Käppner. +++ Frei online: Tilmann P. Gangloffs Meinung hier nebenan. +++
+++ Voll auf US-TV gerichtet der Blick der FAZ-Medienseite: Nina Rehfeld beleuchtet die "neuen Seriensaison in Amerika", Michael Hanfeld hält Anschluss, indem er "Almost Human" (Sat.1) und "Defiance" (Tele 5) bespricht. Und ein Meldung zum "Twin Peaks"-Neustart gibt's auch (online ausführlicher; siehe auch Tagesspiegel). +++ Die TAZ hat zu dieser breaking Viralnews bereits eine Umfrage unter ihren Mitarbeitern durchgeführt! +++
+++ "Dieser ehemalige Handballer ist wirklich ein echter Volltreffer im TV! Nächster Job für Mr. Sportschau" (Gräfin Alexandra zu Castell-Rüdenhausen in der Bild-Zeitung): Sportmoderator Alexander Bommes soll nun fürs Getalke verbrannt werden. +++ "Das haut den stärksten Boxer um" (Joachim Huber im Tsp. über die Lage beim Fernseh-Boxen) +++
+++ "Medienkritiker können gar nicht dankbar genug dafür sein", dass die Causa um die ZDF-"Anstalt" und die Klagen darin genannter Die Zeit-Journalisten (zuletzt Altpapierkorb gestern) nun einen längeren Weg durch die Gerichte zu nehmen scheint, findet Telepolis. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.