Neue Stalinismus-Kolonne entdeckt!

Das ZDF hätte kein Personal für einen gemeinsamen Jugendkanal mit der ARD. Wer in Honduras oder Guatemala einen Journalisten umbringt, hat nicht viel zu befürchten. Und Reinhold Beckmann geht es nur um die Sache! Außerdem: Kritik an der Kritik des ARD-Programmbeirats; endlich eine „seriöse Chance“ für die Piratenpartei; „alternativer Nobelpreis“ für Edward Snowden und Alan Rusbridger.

Zu den Milieus, die „dieses gewaltige Geschenk namens Meinungsfreiheit“ (Dr. Stefan-Joachim Winterbauer-Gauck) gewaltig zu schätzen wissen, gehört ganz gewiss das öffentlich-rechtliche. Man merkt das gerade daran, dass diverse Räte - in einem Fall Mitglieder eines Personalrats, im anderen jene eines Beirats - sehr meinungsfreudig ihre Meinungsfreiheit zelebrieren.

Auf Zinne ist zum Beispiel der Personalrat des ZDF, es geht um den öffentlich-rechtlichen Jugendkanal, der nicht erst seit gestern im Gespräch ist. Der Tagesspiegel berichtet:

„Der Personalrat hat mit Flugblatt und weiteren Informationen vor einer Beteiligung des ZDF an dem mit der ARD geplanten trimedialen Jugendkanal gewarnt (...) Andreas Wolf, der Personalratsvorsitzende des ZDF, sagte dem Tagesspiegel, aufgrund der inzwischen eingetretenen personellen Situation im ZDF sei es eine ‚Illusion der Politik‘, in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, das ZDF verfüge über das dafür erforderliche Personal.“

Es ist eine Illusion, den Eindruck zu erwecken? Wie auch immer, wir wissen ja, was gemeint ist. Jürn Kruse (taz) analysiert das Ganze medienpolitisch:

„Damit stellt sich der Personalrat auch gegen die SPD-geführte rheinland-pfälzische Landesregierung, die schon lange für einen Jugendkanal trommelt. Das ist erstaunlich, da die Bande zwischen ZDF-Personalvertretern und der Landesregierung in Rheinland-Pfalz bei Fragen zur Medienpolitik bisher sehr eng waren. Doch (...) scheint sich die jahrelang in der Medienpolitik dominierende Südwest-SPD das Thema innerhalb der Partei mehr und mehr aus der Hand nehmen zu lassen (...) Und da Medienpolitik auch Standortpolitik ist, fühlen sich die ZDFler bei ihrem Kampf um Jobs von der Mainzer Staatskanzlei im Stich gelassen.

Zu den anderen Räten, die sich derzeit nicht bei allen öffentlich-rechtlichen Entscheidern beliebt machen, gehören Gesandte der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft  und des Landeselternrats Niedersachsen. Diesen beiden Gruppierungen gehören der Vorsitzende bzw. die stellvertretende Vorsitzende des ARD-Programmbeirats an, der die „unerträgliche Einseitigkeit“ (Nachdenkseiten) der Ukraine-Berichterstattung kritisiert hat - siehe Altpapier von Freitag.

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Die attackierten Kollegen „leisteten „unter zum Teil schwierigsten Bedingungen exzellente Arbeit, um das Publikum wahrheitsgetreu zu informieren“, findet dagegen Jörg Schönenborn, den Ursula Scheer für die FAZ (Seite 13) gefragt hat. Von Schönenborns Vorgesetztem Tom Buhrow kursiert der Satz „Das geht an die journalistische Ehre“ (siehe etwa meedia.de). So viel Theaterdonner muss schon sein, wenn die Kritik aus der sog. Mitte der Gesellschaft kommt - und keineswegs von Leuten, die vorhaben, Jörg Schönenborn und Tom Buhrow in die Produktion zu schicken.

Fast schon moderat muss man Schönenborns und Buhrows Äußerungen nennen, wenn man sie mit der Einschätzung vergleicht, die Ulrich Clauß in der Welt zum Besten gibt. Für ihn sind diese neun Menschen die soundsovielte Kolonne des Stalinismus.

„Putins langer Arm reicht bis in Gremien der ARD“,

lautet die Headline - und es wird noch besser:

„Die Programmbeiratsmitglieder sind zu keinerlei Stellungnahme bereit. Abgesehen von der offenbar gezielt lancierten Indiskretion gibt es keinerlei Möglichkeiten, das Zustandekommen des bemerkenswerten Beiratsurteils nachzuvollziehen. Da fühlt man sich doch – ganz passend zu Putins Restalinisierungspolitik – an sowjetische Geheimprozesse einer nur scheinbar überwundenen Epoche erinnert.“

Und was ist mit den Zwangsarbeitslagern? Wo haben die ARD-Programmbeiräte sie errichtet? Clauß, Mann, da müssen Sie noch mal ran!

[+++] Mehr zur Berichterstattung aus und über jene gerade erwähnte Region: Vielfach, nicht nur hier aufgegriffen wird das Interview, das die Wochenzeitung Die Zeit für ihre heutige Ausgabe mit dem Deutsche-Welle-Intendanten Peter Limbourg geführt hat - und das sie in ihrer Vorabmeldung mit „Deutsche Welle will ‚Putins Propaganda endlich Paroli bieten‘“ anpreist.

Die Äußerungen Limbourgs seien „in der Großen Koalition auf ein geteiltes Echo“ gestoßen, weiß das Handelsblatt. „Die Chefhaushälter von Union und SPD“ hätten sich „zurückhaltend“ geäußert. Was damit zu tun hat, dass Limbourg fürs Propagandaparolibieten gern „zusätzliche Mittel“ hätte, also mehr Steuergelder.

Bezug auf das Interview nimmt auch Anne Fromm in ihrem taz-Text über die vom Auswärtigen Amt finanzierte Plattform qantara.de, deren Redaktion bei der Deutschen Welle angesiedelt ist. Das AA habe die bereits gemeldete Einstellung von qantara.de (siehe Altpapier) „dementiert“, schreibt Fromm des weiteren.

[+++] Welche Qualität die Berichterstattung aus und über die Ukraine und Russland hat und natürlich auch die über den Nahen und den Mittleren Osten - das wird hier zu Lande hin und wieder heftig diskutiert. Eher nicht diskutiert wird die Qualität der Berichterstattung über Länder wie Honduras oder Guatemala - schon deshalb, weil sich diese Berichterstattung in Grenzen hält, gelinde gesagt. Das gilt auch für das Wissen über die Bedingungen, unter denen Journalisten dort arbeiten. Das Commitee to protect journalists schreibt:

„Honduras and Guatemala have experienced an alarming rise in the number of murders of, and attacks against, journalists. Near complete impunity for these crimes means the cases go mostly unsolved and the motives unexplained (...) In 2013, the killing of four journalists set off alarms in (Guatemala). As in Honduras, motives and links to journalism were difficult or impossible to establish in most cases. In only one, the abduction and murder  of TV and radio journalist Carlos Alberto Orellana Chávez in the city of Mazatenango in southwestern department of Suchitepéquez, in August, did CPJ research determine that a work-related motive was possible, but not confirmed.“

[+++] Ist die Piratenpartei am Ende (siehe etwa Altpapier von Montag und aktuell Berliner Zeitung)? Not at all! Das sähen nur die blöden Medien so, meint zumindest Don Alphonso in seinem FAZ-Blog. Tatsächlich habe „die Partei zum ersten Mal eine echte, seriöse Chance“, denn: 

„Getragen wurde und wird die Partei gerade nicht von der Radauprominenz, die das Bild bei Twitter und damit in den Medien beherrscht. Diese Außenwirkung einer kaputten Partei ist nur teilweise ein Versagen der Partei – sie ist auch ein Versagen der Medien, oder schlicht Gefälligkeitsjournalismus, der die Pöbler hofiert.“

Als gepflegter Linken- und Feministinnenfresser freut er sich darüber, wer nun alles „draußen“ ist, nämlich „Antifa-Anhänger, Gender-Aktivistinnen, Polizeimitfeuertöter, Ausschreitungsversteher. Linksdogmatiker, K-Gruppen-Stilfreunde“.

Das Fazit des Dons:

„In meinem Umfeld wird die Partei, sofern sie inhaltlich arbeitet, zumindest noch als wünschenswertes Drohpotential gesehen. Ob daraus wieder eine wählbare Partei im Sinne eines kleinsten Übels wird, weiß ich natürlich auch nicht.“

[+++] Die Besingung der Fähigkeiten Reinhold Beckmanns, die in der FAZ gestern begonnen hatte, als Michael Hanfeld in einem Gespräch mit Beckmann ein bisschen so redete wie Beckmann, wenn er andere Leute interviewt (siehe Altpapier) - diese Besingung geht nun weiter. Heute schreibt Hanfeld:

„Das Erste büßt eine seiner besseren Talkshows ein.“

Okay, das stimmt in gewisser Hinsicht ja sogar. Beckmann hat - unabhängig davon, wie man das nun findet - das gemacht, was er kann. Jauch und Maischberger machen nicht das, was sie können, und Plasberg ist ja gar nicht mehr satisfaktionsfähig. Aber dann wird es doch arg süßlich-bombastisch:

„Show um der Show willen liegt ihm nicht, ihm geht es um die Sache. Auch wenn er als Talkmaster zurücktritt, dürfte gewiss sein: Von Reinhold Beckmann werden wir noch hören.“

Ihm geht es „um die Sache“? Alter Schwede, das hat man lange nicht gelesen über einen TV-Moderator. Auf dieser Flughöhe bewegt sich auch ein Satz, den Beckmann selbst dem Hamburger Abendblatt zu seinen künftigen Reportagen für die ARD gesagt hat:

„Ich gehe raus aus dem Studio. Dahin, wo das wirkliche Leben stattfindet."

Im Interview mit Christian Mayer (SZ-Medienseite) äußert sich Beckmann dagegen medienhistorisch einordnend und ein bisschen Talkgenre-kritisch, aber er kann sich‘s jetzt ja leisten:

„Dietmar Schönherr hat (es) damals auf den Punkt gebracht, als er mit seiner Sendung anfing: Der Talk ist eine große Rederei. Und mitunter auch Streit. Aber jede Fernseh-Ära hat ihren eigenen Stil. Heute kann man fragen, wo es in der ARD ein launiges, wildes, anarchisches Stück Fernsehen gibt? Wo ist es geblieben? Ich glaube, dass die vergleichbaren Talksendungen in der ARD und im ZDF sehr ähnlich sind.“


Altpapierkorb

+++ Ob Kulturstaatsministerin Monika Grütters verstanden hat, worum es bei der Auseinandersetzung zwischen Google und der VG Media geht (siehe Altpapier und Altpapier)? Dieser Focus-Online-Artikel gibt Aufschluss.

+++ „Ich möchte ausprobieren, ob man auch die Gruppe Islamischer Staat verstehen kann, die im Irak ein Kalifat errichten will und dabei massenhaft Leute umbringt. Dazu verwende ich Sätze und Argumente, die ich in den vergangenen Wochen gehört oder gelesen habe, im Zusammenhang mit Putin“ - dieses neulich von Harald Martenstein im Tagesspiegel erprobte „Experiment“ treibt Heiko Werning für die Wahrheit-Seite der taz ein bisschen weiter.

+++ Preise (I): Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger und Edward Snowden sind mit dem Right Livelihood Award ausgezeichnet worden, der etwas mehr Menschen als „Alternativer Nobelpreis“ bekannt ist (siehe etwa Spiegel Online). Rusbridger erhält den „nicht dotierten Ehrenpreis“, weil er eine „globale Medienorganisation“ aufgebaut hat, „die sich verantwortlichem Journalismus im öffentlichen Interesse verschrieben hat“. Der Guardian habe „erfahren müssen, wie es ist, wenn sich Medien mit der unappetitlichen Welt der Geheimdienste wie dem britischen NSA-Partner, dem Governments Communications Headquarter GCHQ beschäftigen“, meint Falk Steiner im Deutschlandfunk, der auch sagt, warum der Preis für Snowden und Rusbridger „zur rechten Zeit“ kommt.

+++ Preise II: Jürgen Holtz, der Mann, der im deutschen Fernsehen einst „Motzki“ war, bekommt den Konrad-Wolf-Preis der Akademie der Künste (Berliner Zeitung). Der ist immerhin nicht undotiert.

+++ Nils Minkmar schreibt im FAZ-Feuilleton über den Aufruhr, den in Großbritannien der Guardian auslöste, indem er eine Kurzgeschichte der Schriftstellerin Hilary Mantel veröffentlichte, die der Daily Telegraph abgelehnt hatte. Die Story, in der es um „die Vorbereitung eines fiktiven Attentats auf die damalige Premierministerin Margaret Thatcher in London an einem Augusttag des Jahres 1983“ geht, lese man „als Deutscher voller Neid“, meint Minkmar. Denn: „Wo sind die etablierten, preisgekrönten deutschen Autorinnen und Autoren, die die offenen Fragen der jüngsten westdeutschen Vergangenheit so komprimiert formulieren könnten?“

+++ „Das Internet ist gar nicht schuld am Sterben der Zeitungen. Zumindest im Lokalen. Es sind die Zeitungen selbst, die sich ihr Grab schaufeln“ - das schreibt Altpapier-Autorin Juliane Wiedemeier in ihrem Blog.

+++ Das Darmstädter Echo (siehe Julianes Altpapier von Dienstag) hat es dank seiner aktuellen Personalplanungen geschafft, von einer Website erwähnt zu werden, die sich „violations, censorship and needs of threatened journalists in Europe“ widmet.

+++ Geleakt bei Watson: eine Nullnummer der relaunchten und auch sonst reformierten NZZ.

+++ Was macht eigentlich Cord Dreyer, der mal Chefredakteur bei der Nachrichtenagentur dapd war? Irgendwas mit Roboterjournalismus, wie wir dem Blog der Axel-Springer-Akademie (ASA) entnehmen. Ein guter Anlass, noch einmal an einen rund einen Monat alten NZZ-Text zu erinnern, der Kritik daran übt, wie Journalisten über Roboterjournalismus berichten. Stefan Betschon schrieb, es komme ihm „plötzlich so vor, als ob diese Zeitungsartikel nicht über Fortschritte in der Computerlinguistik etwas aussagten, sondern über eine Veränderung in der Wahrnehmung des Journalismus, über eine Verengung auf die Textsorte News, auf die Informationsfunktion, auf die Tugend der Schnelligkeit“.

+++ Unkommentiert nachgetragen sei hier eine Bemerkung über „verhaltensauffällige“ Redakteure der SZ, zu lesen gestern auf Seite 1 eben jener Zeitung.

+++ Und schließlich noch ein Hinweis Sascha Lobos: „In der Mitte und zum Schluss sage ich beinahe neue Dinge.“ Das bezieht sich auf ein gestern hier im Altpapier verlinktes Video.

Neues Altpapier gibt es wieder am Freitag.