Barfuß oder Lackschuh

Ein Henri-Nannen-Preis braucht keinen roten Teppich. Die FAZ wird doch noch Fan der ARD-Talkshows. Enkel Onlinejournalismus soll sich endlich mit seiner Oma Printjournalismus vertragen. Wer in Russland eine freie Zeitung gründen will, muss nach Riga gehen, und wer mal auf dem gleichen Sofa sitzen will wie die "Friends" in ein Café nach Soho.

Zur Person Henri Nannen stellen sich uns viele Fragen. Die nach seinen Feiervorlieben gehörte bislang nicht dazu. Beantwortet wird sie nun trotzdem, und zwar von Nannens Enkelin Stephanie, die sich bei Bülend Ürük von Newsroom beschwert, dass sich Gruner und Jahr die Verleihung des Nannen-Preises im kommenden Jahr spart – natürlich nur, weil der Verlag sich eh gerade sehr viel spart und nicht wegen dieser leidigen Diskussion um die Nazivergangenheit des Namensgebers (z.B. dieses Altpapier).

Nun aber zu Festen bei Nannens:

„Mein Großvater selbst brauchte keinen roten Teppich, um Bedeutung zu erlangen, und der Smoking war in seinen Augen nicht der Arbeitsanzug eines Journalisten. Er mochte keine großen Partys, er liebte großen Journalismus. Für den gab es in kleinem Rahmen große Preise. Das sollte auch heute so sein.“

Womit Stephanie Nannen sagen will (diesmal ein Zitat aus dem Tagesspiegel):

„(...) man hätte die Preisverleihung deutlich kleiner dimensionieren und zugleich den Wettbewerb fortführen können“.

Soweit die Wünsche der Enkelin; bei Gruner und Jahr fokussiert man sich jedoch weiterhin darauf, vorhandene Redaktionen deutlich kleiner zu dimensionieren und zugleich den Wettbewerb fortzusetzen. Damit 2016, wie der Verlag Stephanie Nannen zugesagt hat, das Geld wieder für einen roten Teppich ausreicht.

[+++] Ist das tatsächlich Michael Hanfeld, der da die Fragen für das große Reinhold-Beckmann-Interview auf der Medienseite der FAZ gestellt hat? Also der Hanfeld, der sich sonst keine Gelegenheit entgehen lässt, über die Geldvernichtungsmaschinerie Öffentlich-rechtliche herzufallen? Und dann befragt er jemanden, der jahrelang die vierte Talkshow im wöchentlichen Abendprogramm der ARD bestritt und will wissen:

„Erinnern Sie sich noch an Ihre allererste Sendung?“

„Was sehen wir von Reinhold Beckmann künftig im Fernsehen am meisten: den Sportmoderator, den Produzenten, den Filmemacher? Gibt es Pläne mit der ARD für neue Dinge?“

„Es fällt sicherlich schwer, die Höhepunkte aufzuzählen. Doch wenn Sie ein paar wenige nennen sollten, welche wären das?“

Wäre noch ein bisschen mehr Platz auf der Seite gewesen, wären womöglich noch Beckmanns Lieblingsfarbe, Lieblingstier und Lieblinsessen thematisiert worden.

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So kommt es, dass nun auf der Medienseite der FAZ unwidersprochen der Satz steht

„Ich habe immer gesagt, dass jeder ARD-Talk ein eigenes Profil hat und für einen starken Informationskern steht. Ich kenne keinen Sender in Europa, der ein so vielfältiges und gutes Angebot an politischen Talkshows liefert.“

Überprüfen wir diese These halt selbst und schauen mal eben, wie faz.net eigentlich die politische Talkshow von gestern Abend – Sandra Maischberger war an der Reihe – fand:

„Nicht oft sind nächtliche Talkrunden derart amüsant und unterhaltsam, wie es die Show von Sandra Maischberger an diesem Dienstagabend gewesen ist. Dass nicht in einer einzigen Minute Langeweile aufkam, lag vor allem an den gut ausgewählten Gästen, die sich nicht nur gegenseitig rasant in die Parade fuhren, sondern auch mit einer gesunden Portion Selbstironie eigene Spleens offenlegten. (...) In diesem Stil hätte das Ganze gern bis spät in die Nacht weitergehen können“.

Ob das jetzt Zufall oder neue Staatsdoktrin ist, klären wir nach der nächsten Maus.

[+++] In direkter Nachbarschaft zur Maischberger-Diskussion hat faz.net den Mitschnitt seiner Gesprächsrunde zu 20 Jahren Online-Journalismus mit Bascha Mika, Sascha Lobo und Mathias Müller von Blumencron platziert.

Worüber man zunächst sagen muss, dass bei faz.net 20 Jahre nicht ausgereicht haben, um mitzubekommen, dass Online ein eher schnelles Medium ist und die Idee daher nur so mittelgut, die ersten dreieinhalb Minuten des Videos mit einführenden Worten („Ich freue mich aufs Frankfurter-Allgemeine-Bürgergespräch zu 20 Jahren Online-Journalismus – 20 Jahre sind das schon, die Zeit vergeht wie im Flug.“) und der Vorstellung der Diskutanten zu verfüllen.

Man stelle sich mal vor, wie viele Buzzfeed-Artikel man in dieser Zeit hätte konsumieren können!

Wer das durchhält, erfährt von Bascha Mika, dass man die Krise auch als Chance nutzten könnte, und dass das Verhältnis von Print und Online dem der Großmutter zu ihrem Enkel gleicht, der nur auf Omas Tod wartet, damit er endlich erben kann. Obwohl Enkel und Oma sich doch eigentlich lieb haben sollten.

Wer wissen will, wie es weitergeht und gerade 40 Minuten Tagesfreizeit zu füllen hat, bitte hier entlang.

Wer lieber rasch ein wenig zur Zukunft der Medien lesen will, kann alternativ auch bei Wolfgang Michal vorbeischauen (der sich auf seiner Website immer noch als „Mitherausgeber des Autorenblogs Carta.info“ bezeichnet), der unter anderem folgende Theorie aufgestellt hat:

„Abseits dieser beiden Hauptströmungen wird es eine kleine radikale Minderheit geben, die sich aus journalismusfernen Milieus, Medien-Aussteigern und Medien-Newcomern rekrutiert. Diese Minderheit wird sich als treibende Kraft einer journalistischen Erneuerungsbewegung empfinden. Sie wird unter den erschwerten Bedingungen staatlicher Verfolgung und gesellschaftlicher Ausgrenzung operieren und mal von reichen Philanthropen, mal von subkulturellen Milieus oder oppositionellen Randgruppen getragen. Enthüllungsplattformen wie WikiLeaks und The Intercept, Journalisten wie Glenn Greenwald, Laura Poitras oder Jeremy Scahill sind nur die Vorboten dieses Wandels. Sie verachten den braven Kunstjournalismus, der in Journalistenschulen gelehrt wird und in Journalistenpreisen erstickt. Sie verschreiben sich einem neuen ,Kampfjournalismus’, der in Upton Sinclair, Ida Tarbell, Günter Wallraff, Barbara Ehrenreich oder Michael Moore seine Traditionslinien hat.“

[+++] Warum nicht auch einmal diesseits des Korbes auf einen Fernsehfilm hinweisen? „Der Fall Bruckner“ heißt er und behandelt ein Thema, das man wahlweise bei RTL II oder in der Tagesschau vermutet: Inobhutnahmen durch das Jugendamt. Die besonders dann kritisch unter die Lupe genommen werden, wenn die Eltern einfach nicht dem Klischee genügen wollen und weder arbeitslos noch Alkoholiker sind, sondern ein schönes Mittelschichts-Dasein als Architektin führen.

Doch schlägt diese tatsächlich ihr Kind, wie Frau Bruckner vom Jugendamt vermutet? Oder hat sich die stets Engagierte diesmal verrannt? Und schafft es der Film, das Ganze klischeefrei rüberzubringen?

„Die Geschichte basiert zu einem Großteil auf Erfahrungen des Drehbuchautors Hans-Ullrich Krause (...). Krause, Pädagoge und Leiter des Kinderhauses Berlin-Mark Brandenburg, liefert mit seiner Expertise in der Sozialarbeit die Charaktere, die in Katharina Bruckners Büro ein- und ausgehen: Mütter, die Stromrechnungen in Keksdosen horten, anstatt diese zu bezahlen. Minderjährige Teenager-Töchter, die bei ihren kriminellen Freunden einziehen möchten. Labile Erziehungsberechtigte. Manchmal schwer anzusehen, manchmal überzeichnet“,

meint Tatjana Kerschbaumer im Tagesspiegel.

David Denk sieht das weniger kritisch (was auch daran liegen mag, dass er für seinen Text Hauptdarstellerin Corinna Harfouch getroffen hat, zu deren Fans er nun zu zählen scheint).

„Überhaupt ist ,Der Fall Bruckner' (Regie: Urs Egger) ein besonderer Film. Weil er sich nicht aufdrängt, kein mitleiderregendes Rührstück ist und auch kein sensationsheischendes Sozialdrama. Der Film hat nichts Forciertes – er kaut dem Zuschauer keine Meinung vor. Er beschreibt, wie eine Frau, die zig Fälle parallel bearbeitet, selbst zu einem wird – zum Fall Bruckner. Oder sagen wir besser, der Film beobachtet, denn die Kameraführung von Jakub Bejnarowicz (Feuchtgebiete) ist von dokumentarischer Nüchternheit. (...) Der Film atmet Berliner Wirklichkeit.“

Dritte Meinung: Sandra Kegel, FAZ:

„In Erinnerung aber bleibt das eindringliche Porträt einer Frau, die täglich aufs Neue und oftmals ganz allein entscheiden muss, ob einem Kind, das sich selbst nicht äußern kann, Gefahr droht oder nicht.“

Sechs Jahre lang hat das Team für die Realisierung dieses Films gebraucht. Heute Abend um 20.15 Uhr läuft er nun in der ARD.


Altpapierkorb

+++ Bei den Recherchen für ein Buch über somalische Piraten wurde der Journalist Michael Scott Moore als Geisel genommen. Nach zweieinhalb Jahren Haft ist er seit gestern wieder in Freiheit, schreibt sein einstiger Auftraggeber Spiegel Online. (Der sich, zur Erinnerung, vor über einem Jahr beschwert hatte, weil die Bild-Zeitung die Entführung thematisiert und damit Moore gefährdet habe.) +++

+++ „Ich wohne in der Innenstadt in einer internationalen Sechser-WG mit Hängematte, Hund und vielen Bäumen im Garten. Wir haben zwar Pförtner, aber hauptsächlich, damit nicht jeder gleich sieht, dass bei uns Ausländer wohnen.“ Ist jetzt nicht unbedingt ein Satz, den man in einem Interview mit einer deutschen Journalistin in Kabul erwartet hätte. Steht aber so bei jetzt.de, wo Ronja von Wurmb-Seibel noch mehr über den Alltag in Kabul erzählt, der sich wohl ziemlich ungefährlich gibt. +++

+++ Um eine freie Online-Zeitung für Russland zu gründen, musste Galina Timtschenko schon nach Riga ziehen, berichtet Zeit Online. Medusa soll sie heißen und im Oktober an den Start gehen. „Zum einen wird Medusa Texte aus russischen Medien aggregieren, die die Redaktion für wichtig und interessant hält. Dabei werden neben den bekannten Massenmedien auch unabhängige Blogs ausgewertet. Zum anderen sollen eigene Texte und Reportagen veröffentlicht werden. Es gebe eine lange Liste von Tabu-Themen, an die sich russische Medien wegen direkter und indirekter Zensur nicht wagten, sagte Timtschenko der russischen Ausgabe des Magazins Forbes. ,So entsteht eine Lücke im Informationsbild – und genau die werden wir selbst füllen.’“ +++

+++ Offenbar kann man als Fernsehsendung längst eingestellt sein und bekommt trotzdem zum 20. Geburtstag ein eigenes Café in Soho geschenkt. Zumindest ergeht es so den „Friends“, deren Fans sich derzeit an New Yorker Straßenecken zwei Stunden die Beine in den Bauch stehen, um im nachgebauten Café einmal dort zu sitzen, wo sich einst Rachel, Phoebe und Chandler zum Kaffee trafen, wie Kathrin Werner in der SZ schreibt. „Viele junge Mädchen warten hier im New Yorker Stadtteil Soho, in Zweier- oder Dreiergrüppchen, manche haben ihre Mütter mitgebracht, ein paar junge Pärchen sind auch dabei. Vor dem Eingang halten hünenhafte Sicherheitsmänner die Leute davon ab, sich gegenseitig ins Foto zu laufen. Für das Selfie vor der berühmten Tür muss jeder schön nacheinander antreten.“ +++

+++ „Landschwärmer“ nennt sich die kleine Serie, die ab heute Abend mittwochs bei Einsfestival läuft und Menschen porträtiert, die aus der Stadt aufs Land flüchten. Wobei „Imperialisten in der Uckermark“ sicher auch ein schöner Titel gewesen wäre – so lautet die Überschrift der Rezension in der taz. „Die Protagonisten sind meist zwischen dreißig und vierzig, Filmproduzenten, Schauspielerinnen, Jugendbuchautoren. Sie haben Häuser in der Uckermark, im Norden von Berlin, einer Gegend leer wie Sibirien und hügelig wie die Toskana. Sie versuchen mit ihren Kindern zu angeln oder Roggen und Gerste auseinanderzuhalten. Sie sitzen in Ikea-Küchen und sinnieren, ob es eigentlich schlimm ist, ein Hipster zu sein. Sie reden viel. Das gelingt ihnen entschieden besser, als etwas praktisch zu tun. Die Angel verheddert sich, Mücken stechen, der eigenhändig gewebte Schal kratzt. +++

+++ Michael Sontheimer hat genug vom Ichen im Journalismus, außer es wird von Detlef Kuhlbrodt betrieben. Dann ist es aber auch Literatur und kein Journalismus, hieß es schon gestern in der taz und wurde dort leider zunächst übersehen. Jetzt ist der Hinweis auf den Text aber da: Bitteschön, habe ich gerne gemacht. +++

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.