Brennende Brücken

Der Nannen-Bambi folgt dem Beispiel des Deutschen Fernsehpreises. Großes Hallo um Journalismus-Stiftungen (und von Stiftungsvorsitzenden). Kleine Schlüsselromane um traditionsreiche Zeitungen. Außerdem: ein relativer Fernsehhammer um die ARD-Auslandsberichterstattung.

Die großen Hamburger Verlage unterhalten die Medienmedien ungefähr so, wie der Hamburger SV (nicht-hanseatische) Fußballfreunde unterhält. Also nicht durch gute Leistungen oder deshalb, weil solche aus der vorigen Spielzeit oder überhaupt dem laufenden Jahrtausend als Sympathiewerte noch groß im Gedächtnis sind, sondern weil viel ältere Traditionen (Felix Magath hatte ja mal quasi ein Champions League-Finale entschieden!) nachwirken und entweder für Schadenfreuden-taugliche Fallhöhe sorgen oder aber es irgendwie schade erschienen ließen, wenn der Dino runter müsste.

Das ist natürlich etwas vereinfacht, und mit Bundesligametaphern aus Frankfurt, Köln oder gar der Hauptstadt (deren Verlagen es jeweils auch nicht gold geht) sollte niemand erst anfangen. Aber:

Jetzt der Nannen-Bambi. Wie schon diese inoffizielle Bezeichung andeutet, finde ich selbst es in Ordnung, wenn diese Gruner + Jahr-finanzierte Veranstaltung einmal oder öfter nicht stattfindet. Darauf, dass zu wenige Journalistenpreise das allergeringste Problem des deutschen Journalismus darstellen, könnten sich wahrscheinlich mehr als 54 Prozent der Journalisten verständigen. Als erstes wohl meedia.de meldete es gestern, dann folgte faz.net, die O-Töne sind dieselben:

"Insbesondere die traditionell in feierlichem Rahmen begangene Preisverleihung erscheint uns in dieser Lage nicht angemessen. Zudem ist davon auszugehen, dass Wettbewerb und Preisverleihung von der fortlaufenden Diskussion um Sparmaßnahmen und Stellenabbau überlagert würden und dass sich auch die Preisträger einem öffentlichen Diskurs stellen müssten, der mit ihrer ausgezeichneten Leistung nichts zu tun hat."

"Das kann man leicht nachvollziehen", schreibt Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite (etwas anderer Text), denn: "Gefeiert haben sich beim Nannen-Preis der Verlag und der Journalismus in Hamburg auch immer selbst - 'Stern', 'Spiegel' und 'Zeit'. In Ordnung ist die Welt augenblicklich nur bei der Wochenzeitung." Wer es doch schade findet: die Süddeutsche aus München, die natürlich ebenfalls oft (z.B.) gefeiert wurde:

"Ist es das richtige Signal, ausgerechnet in einem Krisenjahr keine superben Texte mehr zu feiern? Wäre nicht gerade jetzt die Zeit, großartige Reportagen, Glossen und Essays auszuzeichnen, und deren Autoren? Und dann halt eine Nummer kleiner? Diese - bessere - Alternative, hört man, ist im Hamburger Horror von Gruner + Jahr und dem selbst für Spiegel-Verhältnisse komplett irren Selbstzerlegungsmarathon zwischen Chefredaktion und Redaktion an der Ericusspitze: gar nicht mehr vermittelbar. Tolle Texte sind hier in Hamburg derzeit kein Thema",

heißt's dort auf der Medienseite in einem nicht namentlich gekennzeichneten Text. "Superb", "großartig", "toll" - klingt fast so, als würde die SZ sich sehr mit dem lokalen Bundesligaverein identifizieren, auch wenn das betriebswirtschaftlich vermutllich nicht uneingeschränkt zutrifft. Den besten Text zum Thema hat die Berliner Zeitung:

"Hervorgegangen ist der Henri-Nannen-Preis aus dem 1977 vom Stern-Gründer Henri Nannen ins Leben gerufenen Egon-Erwin-Kisch-Preis. Bis 2004 wurde damit alljährlich die beste Reportage ausgezeichnet. Sie gilt als Königsdisziplin im Journalismus. ... Auf die dazu gehörende Feier freute sich ohnehin ausnahmslos jeder. Sie fand immer im Foyer des Verlagsgebäudes am Baumwall statt. Ungezwungen, in  Jeans oder Anzug, saßen und standen dann die Kollegen beieinander, tauschten sich mit altbekannten aus, lernten neue kennen, und am Ende taten sie  sich zu Grüppchen zusammen und feierten bis in die Morgenstunden in umliegenden Kneipen oder Hotelbars weiter. Doch irgendwann reichte das Gruner +  Jahr nicht mehr. Burda hatte den Bambi, Springer die Goldene Kamera, sogar Bauer hatte mit der Goldenen Feder eine eigene Gala. So etwas Glanzvolles, Glamouröses  wollten sie bei G+J auch",

schreibt Ulrike Simon. "Seither gilt Smoking-Pflicht", bzw. seit gestern: galt. Jetzt ließen sich noch Unterschiede zwischen den Persönlichkeiten Nannen und Kisch (der 1933 deshalb nicht wie z.B. Carl von Ossietzky in den ersten Nazi-KZs landete, weil er damals tschechslowakischer Staatsbürger war, was ja auch ins Jahr 2014 gewiesen hätte ...) ausloten.

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Aber wir haben ja nicht ewig Zeit und müssen auch den Fortgang des "irren Selbstzerlegungsmarathons" würdigen. Den "Brief des Betriebsrats an alle 'Spiegel'-Mitarbeiter in voller Länge" gibt's wieder bei turi2.de. Während Hanfeld in seiner FAZ-Zusammenfassung sich zunächst nun auch von der allgemeinen Kriegsrhetorik genervt zeigt, hat Meike Laaff für die TAZ eine wirklich dezente Zusammenfassung geschrieben ("Der Streit geht in die nächste Runde"). Falls Sie bei der des Tagesspiegels gelandet sein sollten: Die dort quellenlos zitierte, tagesaktuell allermartialischste Metapher

"Büchner schubst keinen mehr vom Fensterbrett. Jetzt kann er nur noch selber springen, so gut wie tot ist er schon",

steht, mit Kontext, bei rolandtichy.de.

[+++] Tichy, auch gestern hier zitiert, offiziell noch Wirtschaftswochen-Chefredakteur, dreht gerade mächtig auf. Der verlinkte Blogeintrag heißt eigentlich "Rettet die FAZ! Eine große Zeitung braucht das Land". Bzw.

"braucht diese Zeitung eine weitere, privatwirtschaftlich getragene Auffanglösung. Es kann doch nicht sein, dass wir den täglich gesendeten Quatsch der öffentlich-rechtlichen Sender mit Rundfunksteuern in einer Größenordnung von 8 Milliarden € jährlich finanzieren -  aber es an ein paar Dutzend Millionen für eine notwendige publizistische Stimme fehlt. Arnulf Baring fordert eine 'Nationale Stiftung', um den Qualitätsjournalismus zu retten. Bemerkenswert: Erste massive Angebote zur Hilfe werden schon diskutiert."

Tichys neue Heimat ist ja die Ludwig-Erhard-Stiftung. Winkt Qualitätsjournalismus-Rettung aus dieser Ecke?

Womit wir also längst in Frankfurt sind. Die gedruckte FAZ berichtet wie gestern und vorgestern auch heute nicht von ihrer eigenen Krise. Wiederum meedia.de berichtete von einer frischen oder wiederaufbereiteten Nicht-Personalie ("Floran Illies wird nicht FAZ-Herausgeber"). Daraus, dass @faznet sich bei Twitter zu einer genervten Reaktion bequemte, könnten interessierte Auguren vielleicht etwas herauslesen, so wie vielleicht auch aus Jürg Altweggs faz.net-Beitrag über die Krise der schweizerischen NZZ (die gerade erst über die Krise der FAZ geschrieben hatte, vgl. Altpaper gestern):

"Die Schweiz will ihre in die Krise geratenen Zeitungen retten - notfalls mit Stiftungsfonds. Die besonders schwer getroffene NZZ sucht derweil ihr Glück im Ausland",

schreibt Altwegg und schickt seine Leser auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle ("NZZ in Totenstarre", "NZZ auf Expansionskurs"), die sich womöglich mindestens so gut als kleiner Schlüsselroman übers eigene Medium verstehen lässt. Überschrift: "Hinter uns brennen die Brücken". Tweet dazu von @hofrat Clemens M. Schuster: "Hinter? Nein: vor!" Bzw.: Wohin wollen wir?

[+++] Kurz nach Köln: "In einem Schreiben, das Meedia vorliegt", äußert der Verlag M. DuMont Schauberg neue Ideen zum Umgang mit dem Digitalen. Schon im März 2015 und im Sommer 2015 soll begonnen werden, "nach den neuen Ideen [zu] arbeiten." Das liest sich langweilig, aber für die betroffenen Medien dürften sich langweilig lesende, langwierig oder -fristig geplante Digitalstrategien sinnvoller sein als Selbstzerlegungsmarathons.

Die frischen DuMont-Geschäftszahlen lassen sich positiv lesen (BLZ: "Das Ergebnis verbesserte sich gegenüber 2012 um 113,6 Millionen Euro"), schon weil die "Dekonsolidierung" der Frankfurter Rundschau abgeschlossen ist, negativ aber auch (horizont.net: "Als größte Baustelle gilt nach wie vor der Standort Berlin ('Berliner Zeitung', 'Berliner Kurier') ... ... Die Verluste sollen sich allein in  Berlin im siebenstelligen Bereich bewegen, berichten Insider").

[+++] Auch immer in Köln: der bekannte Deutsche Fernsehpreis, der dem Nannen-Bambi sozusagen mit gutem Beispiel vorausging und sich erst mal abgeschafft hat, allerdings erst im Anschluss an die Anfang Oktober noch stattfindende Verleihung. Die Nominierungen sind raus (BLZ: "Frier und Brandt mit Chancen", gute Übersicht bei dwdl.de) und überraschen nicht. Außer vielleicht die für Tilo Jungs "Jung & Naiv", auf die schon unser Foto oben hinwies.

Zur angeteaserten Fernseh-Hammernews:

Der neunköpfige ARD-Programmbeirat "musste ... nach einer umfangreichen inhaltlichen Analyse in zehn Punkten eine unzureichende Arbeit der ARD feststellen", und zwar in der Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt. "Die ausgestrahlten Inhalte hätten teilweise den 'Eindruck der Voreingenommenheit erweckt' und seien 'tendenziell gegen Russland und die russischen Positionen' gerichtet", berichtet heise.des Telepolis. Dazu hat es ein fünfseitiges "Resümee zur Ukraine-Berichterstattung aus Protokoll 582 (Juni 2014)" als PDF online gestellt. Und weiß, dass es anstaltenintern bereits hoch hergangen sei:

"Wichtige Entscheider wie der Intendant Tom Buhrow und der Fernsehdirektor Jörg Schönenborn, beide aus dem WDR, werben intern offensiv für eine redaktionelle Linie, die sich darauf konzentriert, die 'westlichen Positionen zu verteidigen', hieß es aus der ARD gegenüber Telepolis. Insbesondere Tom Buhrow soll in der Konferenz der Gremienvorsitzenden der ARD auf die kritischen Anmerkungen durch den Beirat 'extrem aufgebracht und teilweise unsachlich' reagiert haben."

Den Bericht aufgegriffen haben wiederum meedia.de und der Tagesspiegel, beide mit offizieller ARD-Chefredakteurs-Stellungnahme. Der Tagesspiegel verknüpft damit seine eigene Kritik an unreflektiert bis verzerrend gewählten Hintergrundfotos der WDR-Berichtererstattung. Und auch wenn das Gremium namens Programmbeirat öffentlich bisher kaum aufgefallen war und der Tsp. die Sache gleich im Vorspann in die linke und rechte Ecke auf einmal schiebt ("Sahra Wagenknecht (Linke) und Alexander Gauland (AfD) kritisieren mit"), hält Joachim Huber es doch für "gewichtig":

"Der Programmbeirat ist ein föderal zusammengesetztes Beratungsgremium der ARD. Die Rundfunkräte der neun Landesrundfunkanstalten entsenden jeweils ein ordentliches und ein stellvertretendes Mitglied in den Beirat. Im Kern soll das Gremium auf die Einhaltung des öffentlich-rechtlichen Programmauftrages achten. Kritik ist die schärfste Waffe, Sanktionsmöglichkeiten bestehen keine. Trotzdem bleibt der aktuell gewordene Vorgang gewichtig, weil die Kritik auf einer intensiven Sichtung des Materials beruht und einstimmig formuliert wurde."

Ein internes Aufsichtsgremium, das nichtrituell Kritik äußert, ist tatsächlich mal eine gute Nachricht fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen.


Altpapierkorb

+++ Weiter mit Gauland: "Die Lebensgefährtin des Brandenburger AfD-Spitzenkandidaten ... ist Redakteurin der 'Märkischen Allgemeinen'. Nebenher erledigt sie Büroarbeiten für die Partei". Das versucht die TAZ, differenziert ("'Sie hatte für die Zeit des Wahlkampfs um eine mehrmonatige unbezahlte Freistellung gebeten, hat sie aber nicht bekommen', sagte ... Gauland der taz"), zu problematisieren ("Mindestens problematisch ist, dass die MAZ von Heins privater Verbindung zur AfD weiß, aber sie nicht konsequent aus der politischen Berichterstattung heraushält"). Das Problem scheint aber eher darin zu liegen, dass Lokalzeitungen ohnehin wenige Redakteure haben. Die MAZ wurde übrigens 2011 von der FAZ an die Mediengruppe Madsack verkauft, die zu 23,1 Prozent der SPD-eigenen DDVG gehört. +++

+++ Marc Jan Eumann, der sozialdemokratische Düsseldorfer Medienstaatssekretär, und der dort noch amtierende Medienwächter Jürgen Brautmeier "gelten als Intimfeinde; Brancheninsider beklagen seit längerem eine Art Bunkermentalität bei den für die NRW-Medienpolitik Verantwortlichen": Da greift die Funkkorrespondenz noch mal die jüngsten Kabalen aus Nordrhein-Westfalen auf. Weil wegen der "Lex Brautmeier" dieser nun in den Ruhestand gehen muss oder kann, "werden in diesem Fall drei Jahre früher, als es hätte sein müssen, aus öffentlichen Kassen Pensionsgelder gezahlt ... Man könnte hier also von einer mehrere Jahre währenden Doppelfinanzierung eines Postens und somit von einer Geldverschwendung sprechen, die von Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen gesetzlich dekretiert wurde. Es dürfte dabei um eine Gesamtsumme von insgesamt mindestens 250 000 Euro gehen." Aber allgemeine Rentenerhöhung zählt ja zu den wesentlichen Kernkompetenzen der SPD. +++

+++ Gute Idee, die die Rundfunkreferenten der Bundesländer bei ihren "bisherigen Beratungen ... zur Novelle des ZDF-Staatsvertrags", der nach Verfassungsgerichtsvorgaben ja geändert werden muss, hatten: "Die Parteien sollen künftig keine Vertreter mehr in den ZDF-Fernsehrat entsenden können". Details übers "große und kleine Körbemodell" hat ebenfalls die Funkkorrespondenz. +++

+++ Nun doch relauncht: carta.info. Achten Sie aufs Augstein-Stiftungs-Logo oben recht. Dazu ein neues "Liebe Leserinnen und Leser". +++

+++ "CSU schrumpft den Bayernkurier" (Münchener Merkur), bzw. will ihn "ins Internet verlagern" (dwdl.de). +++ Dazu die FAZ: "Der neue 'Bayernkurier' werde eine 'gewisse Spritzigkeit haben', verheißt CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer. Er muss wissen, wovon er spricht - er schreibt bislang eine Kolumne in der Parteizeitung, gegen die Bulletins des Vatikans eine hochaufregende Lektüre sind" +++

+++ Außerdem auf der FAZ-Medienseite: ein Porträt von Saudi-Arabiens erster Chefredakteurin Somayya Jabarti ("Seit März leitet sie die Tageszeitung 'Saudi Gazette' - und muss vor jeder Reise ihren Mann um Erlaubnis fragen"), ein Bericht über den Mord an der afghanischen Journalistin Palwasha Tokhi. +++ Und: wie Amazon "schon Kleinkinder zu Kunden" macht. +++

+++ Auf der SZ-Medienseite: eine Berliner Idee, was mit Überschüssen aus dem Rundfunkbeitrag angestellt werden könnte (unabhängige TV-Produzenten könnten gefördert werden). +++ Und ein Artikel über europäische Ideen für bezahlten Onlinejournalismus, nämlich das niederländische Blendle und das schwedische Readly. +++

+++ "A few years ago, users of Internet services began to realize that when an online service is free, you’re not the customer. You’re the product", schrieb Tim (Cook) gerade auf apple.com/privacy. Denn "Apple hat nun Telefone für tausend Euro im Angebot. Abnehmer wird das Unternehmen finden. Es umgarnt sie mit neuen Sicherheitsversprechen. Ob sie  gehalten werden, wird sich zeigen" (Stefan Schulz, faz.net). +++

+++ Bei newsroom.de interviwet Bülend Ürük Marvin Oppong. +++

+++ Chef der "einzigen Redaktion in Deutschland..., die digitale Medien und Zeitungen und Fernsehen aus einer Hand macht", wird ab 2015 Jan Eric Peters sein (TAZ, Springer-Pressemeldung). +++

+++ Und weil es auch aufschlussreich ist, hier noch das Bild, mit bild.de am Morgen, noch oberhalb von Lothar Matthäus' Hochzeit,  aufmachte. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.