Hat der FC-Bayern-Funktionär Helmut Markwort für Focus Online unter Pseudonym über den FC Bayern geschrieben? Wird das Missbrauchsopfer Thorsten Legat erneut missbraucht? Was hat die Deutsche Welle mit dem chinesischen Staatsfernsehen zu schaffen? Außerdem: Eine Kriegsberichterstatterin bekennt, dass sie unter „post-traumatic stress disorder“ leidet.
Den Einstieg „Guten Morgen! Eine solch erschütternde Enthüllung eines Zeitungs-Chefredakteurs gab es noch nie“ haben Sie an dieser Stelle bisher nicht lesen müssen, wir sind ja auch nicht bei der Bild-Zeitung. Die nämlich hat kürzlich auf ähnliche Weise ihre Follower bei Twitter begrüßt und auf einen Titelseiten-Aufmacherartikel hingeweisen, der die Leser darüber informiert, dass der Ex-Profifußballer Thorsten Legat offenbart habe, er sei als Kind von seinem Vater missbraucht worden. Das wiederum wisssen wir dank eines Kommentars in der hier eher selten zitierten Fußballzeitschrift Reviersport.
Die Bild-Zeitung greift bei der Berichterstattung zurück auf ein Buch, das Legat im „kreuzbraven Werkstatt-Verlag“ (Reviersport) veröffentlicht hat (Disclosure: Meine kreuzbrave Wenigkeit hat im besagten Verlag Bücher veröffentlicht). Für Ulrich Homann, einer der drei Geschäfsführer (!) des Reviersports, ist die Berichterstattung der Bild-Zeitung Anlass für eine etwas ungehobelte Fundamentalkritik, der freilich im Kern nicht zu widersprechen ist:
„Thorsten Legat war in den achtziger Jahren ein prima Bundesligaspieler (...) Ungefähr zeitgleich mit seiner sportlichen Laufbahn begann die Versiffung der Medienszene. Legat spielte in dieser die Rolle eines Büttels, von dem man irrwitzige Kommentare, sprachliche Beschränktheiten und satiretaugliche Zitate erwartete. Es begann die Zeit der Field-Reporter, die sich nach dem Spiel vor allem auf Legat stürzten, um dem armen Kerl Sprüche zu entlocken, die man heute noch googeln kann und die für die Karriere des jeweiligen ‚Journalisten‘ von Vorteil waren.“
„Falsche Freunde“ dieser Sorte - womöglich auch der hier - beklagten nun in „schleimigen Berichten (Legats) schlimmes Schicksal (...), das ist, tut mir leid, ekelhaft“, findet Homann. Insgesamt sei der Fall „ein Schulbeispiel für die Abscheulichkeit des heutigen Medienschaffens“. Legat werde erneut „missbraucht“, zumal noch nicht erforscht sei, ob infolge sexuellen Missbrauch erlittene Traumatisierungen „durch Veröffentlichung in der BILD-Zeitung kuriert werden können“.
Zwei Sachen sind an Homanns Kommentar noch bemerkenswert. Um erstens noch mal kurz auf die Field-Reporter zurückzukommen (siehe auch Altpapier von Mittwoch): Die sind also keine Journalisten, sondern bloß „Journalisten“. Das schreibt eine Sportzeitung, hear, hear! Und zweitens: Die Prokom Medienberatungs- und Verlagsgesellschaft Mbh, in der der Reviersport erscheint, wird beherrscht von der Funke Mediengruppe, insofern hat Homanns Kommentar auch eine Funke-disst-Springer-Dimension. Und wann laut Funke-Geschäftsführer Manfred Braun, der auch Homanns Co-Geschäftsführer beim Reviersport ist, „die Versiffung der Medienszene“ begann, würde man auch gern mal wissen. Der Mann war ja immerhin 35 Jahre lang beim Bauer-Verlag tätig.
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[+++] Verantwortet wird das Blatt, bei dem die falschen Freunde Thorsten Legats sitzen, bekanntlich von einem Mann, den die Organisatoren des Deutschen Radiopreises gerade als „einen der innovativsten Köpfe der Medienbranche“ bezeichnet haben. Sie priesen Kai Diekmann derart, weil dieser gestern zu den Laudatoren bei der Verleihung des Preises gehörte. Der Chefredakteur des Boulevardblatts laudierte für die Sieger in der Kategorie „Beste Reportage“. Is ja voll logisch, denn wo stehen die besten Reportagen? In der Bild-Zeitung! Den fürs Laudatoren-Casting zuständigen Menschen möchte man wahrlich nicht im Dunkeln begegnen. Stifter des Preises sind im Übrigen die Hörfunkprogramme der ARD, das Deutschlandradio sowie die hiesigen Privatradios.
Allgemeiner könnte man, wie Brigitte Baetz vom Deutschlandfunk, auch fragen:
„Was sagt es über das Selbstbewusstsein des Mediums aus, wenn die Laudatoren des Radiopreises von TV und Print kommen?“
Beworben hatten sich „146 Sender“, wie es die „Tagesschau“ gestern Abend formulierte, obwohl sie sagen wollte: 146 Sender bzw. Hörfunkkanäle. Von der Gala der Mover und Shaker der Radiobranche berichten kurz u.a. kress.de (weiß der Geier, warum als Einstelluhrzeit 16.41 Uhr angegeben ist, die Veranstaltung begann erst um 20 Uhr) und lang das Hamburger Abendblatt. Wobei man bei kress.de auch sämtliche Gewinner aufgelistet findet.
[+++] Zu den Siegern des Abends gehörte auch der mit einem Sonderpreis bedachte Helmut Markwort. In einem Einspieler anlässlich der Ehrung „plauderte Markwort-Lebensgefährtin Patricia Riekel aus dem Nähkästchen“ (wiederum kress.de) und erzählte, Markwort betätige sich zu Hause gern als Kommentator von Fußballspielen. Als Riekel erwähnte, dass er sich dabei Moritz Rodach nenne, twitterte Martin Hoffmann (MDR Online), dieses Pseudonym tauche auch in der Autorenliste bei Focus Online auf. Schaut man sich die - wenigen - Artikel Moritz Rodachs an, fällt auf, dass dieser 2008 drei über den FC Bayern geschrieben hat. Sollte Rodach Markwort sein, wäre das nicht unheikel, denn Markwort ist Verwaltungsbeiratsmitglied beim FC Bayern seit 1992 und Aufsichtsrat seit 2003.
Diese drei Berichte „von Focus-Online-Autor Moritz Rodach“ erschienen rund um ein Europa-League-Spiel in St. Petersburg 2008. Den ersten schrieb Kollege Rodach anlässlich des Abflugs nach Russland („Es herrscht Hochbetrieb an den Lufthansa-Schaltern 446 bis 449 am Münchner Flughafen. Die Reisegesellschaft des FC Bayern ist perfekt gekleidet“), der zweite thematisierte den Flug („Es wurde Gulasch mit Nudeln serviert, welches, wie der mitreisende Starkoch Alfons Schuhbeck feststellte, ausbaufähig sei“). Der
dritte enthielt, nun ja, Insiderinformationen, die einem Reporter normalerweise nicht zugänglich wären, es geht unter anderem um ein Abendessen mit „Gästen, Sponsoren und Vereinsvertretern“. „Die Tapferen“ unter ihnen, erfährt der Leser, hätten „dem gewaltigen Angebot von Wodka widerstanden“.
In einem weiteren Text polemisiert Moritz Rodach gegen den beim FC Bayern nicht überaus beliebten Kommentator Marcel Reif und legt dessen Sender (der damals Premiere hieß) nahe, den Mann doch mal „zur Schach-Olympiade“ zu schicken. Zu einer Stadt namens Rodach hat Markwort eine biographische Verbindung, und Moritz heißt sein Sohn (thanx, Wikipedia).
[+++] Harter Schnitt: Zum hier schon häufig umrissenen Komplex „der IS und die Medien“ ist in der aktuellen Ausgabe der Zeit in der Rubrik Glauben & Zweifeln ein Beitrag erschienen, in dem Evelyn Finger fragt: „Haben wir Angst vor der Realität?“ Sie fordert: „Schaut auf diese Bilder!“. Denn:
„Unser Wissen über die Welt bildet die Grundlage unseres Handelns. Ohne die Erkenntnis dessen, was IS ist, bleiben die Menschen im Irak allein und dem Grauen ausgeliefert. Deshalb sollten wir die Bilder des Grauens anschauen. Einige wenigstens.“
Als Aufmacher hat die Zeit ein Foto ausgewählt, dessen Bildunterschrift mit den folgenden Worten beginnt:
„Ob diese Toten am Kreuz starben oder vor ihrer Kreuzigung getötet wurden, konnte nicht zweifelsfrei festgestellt werden.“
Das Thema IS unter einem anderen Aspekt greift Nadine Marroushi für den Daily Telegraph auf:
„The beheading of journalists Steven Sotloff and James Foley by Islamic State militants has reminded me of the immense risks we face as journalists working in the field and frontlines of conflict. It’s the ultimate price we pay for the privilege of bearing witness. I too paid a price after three years of reporting in Egypt, but one of a different kind: post-traumatic stress disorder (PTSD). It’s an illness that’s little discussed among journalists, and more often associated with what soldiers experience post-war. However, for those working in conflict zones, its effects can be debilitating.“
Marroushis Fazit:
„The rewards of being a freelance journalist in the Middle East no longer seem as appealing as they once were in the early days of the Arab Spring, as the risks have become increasingly grave. I am now searching for a new way to engage."
[+++] Neue Einsparideen für kirchenmausarme Medienunternehmen gefällig? Im aktuellen „Medientagebuch“ des Freitag berichtet Francesca Polistina von einem Vorhaben Francesco Becchettis. Der Mann „ist ein italienischer Unternehmer, der vor allem auf dem Balkan aktiv ist“, und nun will er ein auf italienisches Publikum ausgerichtetes TV-Programm im albanischen Tirana produzieren lassen. Alessio Vinci, der zukünftige Nachrichtenchef dieses Senders, nennt es das „Ryanair des italienischen Fernsehers" (gemeint sein könnte auch: des Fernsehens, passt ja beides - RM). Polistina schreibt in dem Artikel, der am Sonntag bereits als Blogbeitrag erschienen ist:
„Das Ziel: sparen, wie üblich in der modernen Wirtschaft, wo Kleidung und Elektrogeräte auf der anderen Seite der Welt hergestellt werden (...) Am Ende, erklärt Vinci, soll ‚ein Programm erschaffen werden, das zehnmal weniger als in Italien kostet‘. Geräte, Gebäude und Personal sind in Albanien viel preiswerter.“
Vielleicht ist ein Umzug nach Tirana ja auch eine Alternative für Gruner + Jahr, falls Norderstedt sich als zu teuer erweisen sollte.
[+++] Eine einerseits simple, andererseits subtile und auch komische Form der Medienkritik zelebriert Stefan Plöchinger, indem er in einem im Prinzip unkommentierbaren Weltwoche-Text Roger Köppels „zwei Worte vertauscht: Männer und Frauen“.
+++ Will man eigentlich noch was lesen über Casting- und Ranking-Shows? Ja, wenn es von jemandem stammt, der mit allen Wassern der Ideologiekritik gewaschen ist. Barbara Sichtermann schreibt in der aktuellen Ausgabe von epd medien über solche „Rattenrennen“: „Das Abstoßendste an dem ganzen Wettbewerbs- und Ranking-Wahn ist die Grundidee: dass man Spannung (nur) daraus bezieht, immer wieder nach Siegern und Verlierern zu sortieren, nach Besten und Zweitbesten und schließlich weit abgeschlagenen Kandidaten (...) Ein zynischer Unterhaltungsexperte könnte mir entgegnen, dass diese Shows doch unsere durch die neoliberale Ideologie versaute Gesellschaft recht gut abbildeten. Okay, das stimmt. Aber abbilden reicht nicht. Fernsehen kann mehr. Es kann auch mal dagegen sein, selbst in der Unterhaltung.“
+++ Diese Pressemitteilung der Deutschen Welle klinge „eher nach Routine, nach einem ganz normalen Geschäftsabschluss“, obwohl der Inhalt doch einige Fragen aufwerfe, bemerkt Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite. Es geht um eine Kooperation der DW mit dem chinesischen Staatsfernsehen China Central Television (CCTV), eine - O-Ton DW -„Zusammenarbeit in verschiedenen Projekten“, die „die kulturelle Brücken zwischen beiden Ländern schlagen“ soll („Beide Seiten prüfen mögliche Koproduktionen im Bereich Musik und Wirtschaft“). Hanfeld weist angesichts dieser „so lapidar mitgeteilten Kooperation“ mit einem nicht optimal beleumdeten Staats-TV-Sender darauf hin, dass die DW „mit 280 Millionen Euro pro Jahr aus Bundesmitteln finanziert“ werde.
+++ Max Hägler geht auf der SZ-Medienseite auf ein Urteil des Landgerichts Darmstadt ein, das eine Durchsuchungsanordnung gegen das Darmstädter Echo für rechtswidrig erklärt hat. Es gibt um Nutzerdaten eines Kommentators namens „Tinker“, der Mitarbeiter der Kommunalverwaltung angegriffen hatte: „Ende Juni (2014) kamen (...) Polizeibeamte ins Verlagsgebäude samt Durchsuchungsbeschluss: Sämtliche Geschäfts- und Nebenräume der Echo-Zeitungen sollten nach Beweismitteln durchsucht werden. Das ging der Redaktion zu weit – und man übergab die Nutzerdaten von ‚Tinker‘, um Zwangsmaßnahmen, etwa den Abtransport von Rechnern, zu verhindern. Und legte hernach Beschwerde ein beim Landgericht.“ Der Erfolg der Zeitung ebd. beruhe aber darauf, „dass der Ermittlungsrichter den Sachverhalt nicht geprüft habe vor seiner Unterschrift. Er habe einfach die Argumente der Staatsanwälte in seinen Beschluss kopiert, offenbar ohne jegliche richterliche Würdigung“, schreibt Hägler. „Gewichtige Gründe“ für die „grundsätzliche Zulässigkeit einer Durchsuchungsanordnung“ gebe es durchaus, finden die Richter. Das Echo hat bereits in eigener Sache berichtet.
+++ Wer bedroht die Presse? Die Post ist‘s ausnahmsweise mal, jedenfalls in der Schweiz. Die Interessengemeinschaft Mitgliederpresse sowie Zeitungs- und Zeitschriftenverleger beschweren sich dort gerade über Preiserhöhungen des staatlichen Dienstleisters. Aufgrund der neuen Tarife seien „sie in ihrer Existenz gefährdet“ oder müssten zumindest „Ausgaben reduzieren“. Die NZZ berichtet.
+++ „Wie man Experte für Allesmögliche bei bunte.de wird“, erläutert Stefan Niggemeiers Blog-Gastautor Boris Rosenkranz.
+++ Readly, eine Plattform, die eine Flatrate für die Digital-Ausgaben von Zeitschriften anzubieten gedenkt, „will noch in diesem Jahr auch in Deutschland an den Start gehen“ (kress.de). Bzw.: „Das schwedische Unternehmen will nach Großbritannien, Schweden und den USA nun auch in Deutschland starten“ (Chip).
+++ Durchaus nicht unüberraschend: Es gibt bald ein gedrucktes Medienmagazin mehr: Der Flurfunk Dresden wagt sich ab Dezember ins Totholz-Milieu. Acht Euro soll der Spaß kosten. Die Sachsen berichten in eigener Sache.
+++ „Natürlich ist Bastian Pastewka kein Tony Soprano oder Don Draper, aber in seiner besserwisserischen und spießbürgerlichen Piefigkeit doch eine gelungene deutsche Variante“ - Jens Mayer (taz) findet die siebte Staffel von „Pastewka“ ziemlich gut.
+++ Was macht eigentlich Harald Schmidt? Er rezensiert bzw. besingt fürs FAZ-Feuilleton (Aufmacher!) „Gottes Klänge“, ein Kirchenmusikgeschichtsbuch des Hamburger Pastors Johann Hinrich Claussen.
+++ Nicht zuletzt in der FAZ: die Zusammenfassung eines Wall-Street-Journal-Artikels (Teaser hier), den jener Ex-Politiker verfasst hat, den Harald Schmidt „Gutti“ nannte.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.