Der Dämon, der Troll und der Volldepp

Die erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit der Salafisten. Frank Schirrmachers letzte große Idee. Hausbesuch beim Troll. Bei Fußballübertragungen bei RTL geht es zu wie im sozialistischen Realismus. Hellmuth Karasek erinnert sich an nichts.

Die Blattmacher bei der FAZ hätten gestern Abend besser noch einen kurzen Blick auf ihre eigene Seite 3 geworfen. „Hier spricht die Religionspolizei – Wie Salafisten ein Propaganda-Coup gelang“ ist dort der Artikel in der Spalte überschrieben, der sich der vermeintlich in Wuppertal agierenden Scharia-Polizei widmet, von der gerade überall die Rede ist.

„Sven Lau gilt schon lange als einer der begabtesten Selbstdarsteller und Wichtigtuer der Salafisten-Szene in Deutschland. Mit seiner neuesten Missionierungs-Provokation ist es Lau gelungen, maximale mediale Wirkung zu erzielen. Sogar zwei Bundesminister sahen Anlass zu einer scharfen Reaktion.“

So steht es auf Seite 3. Und nun der Blick auf die Titelseite. Unter der Überschrift „Empörung über ,Scharia-Polizei’ in Wuppertal - De Maizière: Auf deutschem Boden nicht geduldet / Jäger verbietet Warnwesten“ heißt es:

„Nach den Auftritten junger Islamisten in Wuppertal, die sich als Angehörige einer ,Scharia-Polizei’ ausgaben, haben Spitzenpolitiker der großen Koalition in Berlin Maßnahmen und notfalls Gesetzesänderungen gefordert, um solche Handlungen zu unterbinden.“

Hier hat wohl jemand erst PR enttarnt und ist dann doch darauf hereingefallen. Könnte man meinen, wenn es sich hier nicht um die FAZ handelte. Dahinter steckt also sicher irgendwas mit Dialektik

Dass die Salafisten mit ihrem PR-Coup namens Scharia-Polizei eine Strategie aus dem Repertoire von Neonazis kopierten, ist bei Publicative.org nachzulesen.

[+++] „Habe eine große Idee. Wird alles verändern. Müssen bald sprechen.“

So stand es in der letzten Sms, die Hans-Ulrich Gumbrecht von seinem Freund Frank Schirrmacher bekam. Am Freitag wurde dem vor drei Monaten überraschend verstorbenen FAZ-Herausgeber in der Frankfurter Pauskirche gedacht (z.B. SZ, Berliner Zeitung, dpa/Hamburger Abendblatt). Die Rede des Literaturwissenschaftlers Gumbrecht scheint dabei die eindrücklichste gewesen zu sein und war am Samstag auch auf der ersten Seite des FAZ-Feuilletons nachzulesen.

„In den Tagen nach seinem Tod ist das Wort ,Dämon’ oft gefallen, das in der Antike für Kräfte zwischen Alltag und Transzendenz stand, für Kräfte mit durchaus ambivalenten Wirkungen auch und mit gespaltener Resonanz. Aber am Ende ist dieser Begriff des Dämonischen wohl allzu weit hergeholt – und doch auch allzu abgegriffen. Viel besser und charmanter traf das besondere Gefühl eine sehr alte Frau, die sich bei einer akademischen Feier vor Jahren in Marburg eine Weile artig mit Schirrmacher unterhalten hatte, um dann mit einem Mal zu fragen: ,Sind Sie denn der wirkliche Herr Schirrmacher?’“

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Wer dieser wirkliche Herr Schirrmacher war? Für Gumbrecht gehörte zu ihm neben der schon oft zitierten Ruhelosigkeit sowie der Leidenschaft für Themen und Projekte auch ein Büro voller Colaflaschen und die ewige Frage, ob er gerade mit dem Rauchen aufgehört oder angefangen hatte.

„Vor allem dieser Frank Schirrmacher seines Büros wirkte bis zum Ende sehr jung; nicht jung aus peinlicher Absicht, sondern jung wie einer, der vor lauter Eile vergessen hatte, seine Kindheit und Jugend abzulegen.“

Ein Tempo, das sein Körper auf die Dauer nicht durchhielt, muss man heute hinzufügen. Welche große, alles verändernde Idee ihn in seinen letzten Tagen umtrieb, werden wir daher nie erfahren.

[+++] Kurz vor seinem Tod holte sich Frank Schirrmacher noch die Debatte über Google Allmächtig ins Blatt. Weshalb an diese Stelle gut der Hinweis auf einen Text im aktuellen Economist passt, der sich fragt, warum sich ausgerechnet Deutschland amerikanischen Technologieunternehmen gegenüber so kritisch gibt.

„It is understandable that a society scarred by state surveillance under the Nazis and the Stasi should be particularly wary, but it should also accept that consumers hand over their data freely and get something back. And Germany’s digital phobia is driven not just by cultural memory, but also by firms that want the state to protect their business models and keep competitors out. Springer has more political clout in Berlin than any American mogul enjoys in Washington, and it has lobbied for Mr Almunia’s settlement with Google to be renegotiated. Instead of trying to put Google in a straitjacket, German politicians would do better to raze the barriers that make it so hard for startups on the old continent to grow as fast as they do in America. (...) Cutting regulations at home would be a better way of securing Germany’s digital future than decrying innovators from abroad, just because they are big and American.“

Nun ist es wenig überraschend, dass man beim Economist für mehr Wettbewerb plädiert. Aber als Debattenbeitrag und Blick von außen auf die deutsche Medienlobby taugt der Text allemal.

[+++] Warum macht Uwe Ostertag das? Warum lässt sich der Mann, der so offensichtlich nicht mit sich im Reinen ist, den Journalisten Timo Steppat in sein trotz Hochsommer weihnachtlich dekoriertes Wohnzimmer im fränkischen Ochsenfurt? Warum lässt er von sich ein Foto machen, auf dem er dank tiefer Augenringe und Zigarette so sympathisch daherkommt wie Lord Voldemort? Warum zeigt er seinem Besucher von der FAS die Ordner auf dem Desktop, in denen er diejenigen seiner Kommentare archiviert, für die er am meisten Zustimmung bekam? (Eindrucksvoller kann man schließlich kaum belegen, wie versessen man auf Anerkennung ist, und was für armselige Wege man bei der Suche danach in Kauf nimmt.) Und warum hält er es für eine gute Idee, Dinge wie „Provozieren, das ist wie ein Orgasmus. Wenn sich jetzt jemand aufregt, dann ist das mein Ejakulat.“ zu sagen?

Die Antwort steht in der Überschrift, die da lautet: „Ich bin der Troll.“ Und als Troll möchte Uwe Ostertag keine Freunde finden. Er möchte Aufmerksamkeit generieren. Der gestrige Sonntag dürfte damit ein ziemlich guter Tag im Leben des früheren DDR-Grenzoffiziers und heutigen Frührentners gewesen sein.

Zwei Sachen sind an dem Text auf der FAS-Medienseite bemerkenswert: Zum einen fällt erst jetzt auf, wie oft in den Medien über und wie selten mit Trollen gesprochen wird. Und zum anderen belegt er, dass diese Leute, die ihren Lebensinhalt im Verbreiten von Hass im Internet gefunden haben, tatsächlich nur traurige Loser-Typen mit einer einfachen Mission sind: Kompensation.

„In Berlin haben Asylsuchende eine Schule besetzt, sie sind im Hungerstreik. Ostertag schreibt: ,Die Flüchtlinge in Kreuzberg drohen mit Selbstmord. Ich betone: sie DROHEN. Um es zu tätigen sind sie zu feige.’ Am Anfang, sagt Ostertag, habe er noch schmalzig, liebevoll, philosophisch geschrieben. ,Das hat aber niemanden interessiert.’ Seine Beiträge veränderten sich, sie wurden aggressiver. ,Indem ich alles überspitze, in alle Richtungen, will ich die Leute aufwecken’, sagt er.“

Mit diesem Ziel schreibt er auch mal über körperlich behinderte Menschen Sätze ins Netz wie „Aus einer Apfelkiste sortiert man auch die schlechten aus und wirft sie weg.“ Dieser hat ihm eine Anzeige wegen Volksverhetzung eingebracht. Weil Ostertag, der Frührentner, selbst körperlich gebrechlich ist, haben sie ihn laufen lassen.

Was der Troll aus dieser Demonstration, dass Schreiben im Internet auch Folgen haben kann, gelernt hat?

„Die Anzeige hat ihn nicht gebremst. ,Ich habe gemerkt, dass ich noch viel weiter gehen kann’, sagt er. ,Ich habe nichts zu verlieren, mir kann keiner was.’“

Weniger aggressiv formuliert könnte es auch heißen: Mir ist nicht mehr zu helfen.

[+++] Und jetzt zum wirklich Wichtigen: Wie hat RTL das mit der Fußballübertragung gestern Abend hinbekommen?

Bei Spiegel Online ist man alles in allem zufrieden; vor allem Kommentator Marco Hagemann sei die „nervenschonende Alternative zu manch öffentlich-rechtlichem Kollegen“.

So ähnlich sieht man es auch bei DWDL.

„An Pomp und Pathos mangelte es der Übertragung in den Minuten vor dem Anpfiff schon mal nicht, was insofern erwartbar war, weil RTL ja auch beim Boxen im Vorfeld gerne mehr Spektakel macht als die Kämpfer später im Ring. (...) Beim Spiel selbst gab sich der Sender dagegen erstaunlich viel Mühe, so wenige Experimente wie möglich einzugehen.“

Letzteres lobt auch Frank Lübberding bei faz.net, was ihn jedoch nicht davon abhält, die Gesamtveranstaltung so unerträglich zu finden, dass ihm sogar ein Stalin-Vergleich angebracht erscheint:

„So flogen dem Zuschauer ratternd die Worte um die Ohren, die ihn an die Elogen auf Stalin im sozialistischen Realismus erinnern könnten, wenn sich unter den Zuschauern oder RTL-Redakteuren noch jemand an Stalin erinnern sollte.“


Altpapierkorb

+++ Dass die Deutsche Welle in Zukunft mit dem chinesischen Staatsfernsehnen kooperieren will, stand schon am Freitag hier im Altpapier. Auf der Medienseite der SZ lässt sich heute nachlesen, dass dort schon jetzt Kolumnisten arbeiten, die das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens relativieren und den Friedensnobelpreis des chinesischen Dissidenten Liu Xioabo beim damaligen Premierminister Wen Jiabao besser aufgehoben gefunden hätten (ja, das ist der, von dem die New York Times einst aufdeckte, wie sehr er sich und seine Familie im Amt bereicherte). Wo DW-Intendant Peter Limbourg seine Kontakte nach China knüpfte, ist auch nachzulesen. „Limbourg reiste schon öfter nach China. Zum wiederholten Mal war er in Peking Gast beim Deutsch-Chinesischen Medienforum, so auch vorige Woche. (...) Es ist ein Treffen hochrangiger deutscher und chinesischer Medienvertreter, aber in Wirklichkeit treffen dort nicht Journalisten auf Journalisten, sondern deutsche Journalisten vornehmlich auf chinesische Propagandakader wie die Chefs von Volkszeitung und Global Times, die sich zum Ende des Forums eine ,ausgewogenere Berichterstattung über China’ erhoffen. Moderiert wird die Veranstaltung schon seit dem Beginn 2010 vom neuen DW-Kolumnisten Frank Sieren, die Logistik übernimmt die Firma seiner Ehefrau, China Media Management, mit der die DW seit Jahren Geschäftsbeziehungen hat.“ +++

+++ Da wir gerade von Propaganda-Veranstaltungen sprechen: Russland Heute, die kreml-freundliche Zeitung, die die SZ seit der Ukraine-Krise nicht mehr als ihre Beilage haben möchte, erscheint nun unter anderem Namen im Handelsblatt, steht heute in der taz. +++

+++ „Ja.“ So lautet die Antwort des Geschäftsführers der NZZ-Mediengruppe, Veit Dengler, auf die Frage, ob sich die gerade nach Österreich expandierende Zeitung so etwas auch für Deutschland vorstellen könne. Doch bevor deutsche Großverlage gleich wieder die Lobby-Maschinerie anwerfen, um sich in den eh schon schweren Zeiten weitere Konkurrenz vom Hals zu halten (EU-Recht, da muss doch was mit EU-Recht gehen, wenn diese Schweizer hier einfach so auf unseren Binnenmarkt!) – der Satz geht noch weiter. „Für konkrete Eckpunkte ist es noch zu früh. Österreich liefert aber sicher gute Erkenntnisse, die wir auch anderswo umsetzen können.“ Nachzulesen ist der Dialog im aktuellen Nachrichtenmagazin Der Spiegel. +++ Dessen große Mediengeschichte sich an den Schwächsten im TV-Geschäft abarbeitet: den Prominenten, die jüngere Generationen nur noch als Kandidaten in Quizshows kennen, ältere Semester noch als Literaturkritiker, Fußballmanager oder Tenor. Wobei Hellmuth Karasek den Artikel nutzt, um seinen Ausstieg aus dem Business zu erklären, „weil ich mir nicht mehr so viel merken kann. Für ABCD-Fragen würde es vielleicht noch reichen, aber ich will nicht als Volldepp enden.“ +++

+++ Christian Sievers hat heute seinen ersten großen Auftritt als „heute“-Moderator. Joachim Huber vom Tagesspiegel hat ihn zu diesem Anlass gefragt, ob es überhaupt noch etwas zu verbessern gäbe, da er doch in der besten Nachrichtensendung der Welt beim besten Sender der Welt arbeite („Herzlichen Dank für die tollen Komplimente, sehr nett von Ihnen!“). In der Berliner Zeitung gibt es auch ein Interview; dort liegt der Schwerpunkt aber mehr auf Sievers Erfahrungen als Korrespondent in Tel Aviv. +++

+++ „Treffen Journalisten und Politiker aufeinander, dann dauern Interviews schon mal eine halbe, vielleicht sogar eine ganze Stunde. In Zeitungen und vor allem auf den Sendern tauchen dann nur ein paar wenige Sätze auf. Wer wie Neulinge im Bundestag das erste Mal die große Bühne der Öffentlichkeit betritt, der muss sich daran erst gewöhnen.“ Wie junge Politiker mit der medialen Aufmerksamkeit umzugehen lernen, das hat Daniel Bouhs für die sonntaz aufgeschrieben. +++

+++ Die „heute-show“ ist zurück, was Richard Weber die Gelegenheit gibt, seinem offenbar ziemlich großen Hass auf die Sendung im Tagesspiegel freien Lauf zu lassen. Kostprobe gefällig? „In dieser Nachrichtensatire wird mit verbaler Mistgabel ganz tief im Sprachdreck gewühlt. Alles nur tief-schwarz oder strahlend weiß. Zwischentöne kennt und liebt man nicht im ,heute-show’-Märchenland. Politiker sind blöd, faul und debil oder debil, faul und blöd. Probleme, Affären oder Konflikte, alles wird auf Strichmännchen-Niveau abgehandelt.“ +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.