Ein weiterer Journalistenmord der ISIS. Gottfried John und Adolf Theobald sind gestorben. Neue Kündigungs-Ankündigungen für Printjournalisten, neue Gretchenfragen für Onlinejournalisten. Lieber lesen als ausschlafen? Außerdem: was Steffen Simon über Spielfeldrand-Interviews andeutete.
"Steven Sotloff wrote a beautiful article about a Syrian refugee camp that I was too scared to visit",
twitterte, nur zum Beispiel, gestern der Huffington Post-Korrespondent Joshua Hersh, und verlinkte dazu auf den Artikel "Syrian Purgatory" (foreignpolicy.com) aus dem Januar des Jahres 2013, in dessen August er dann offenbar verschleppt worden war. Wenige Worte, über die sich lange nachdenken lässt (und ein längerer Text, der unbedingt gelesen zu werden verdient).
Lässt etwas anderes sich so sagen? Das Positive an den Meldungen über die entsetzliche Ermordung Sotloffs ist, dass die meisten Medien, die sie verbreiten, jetzt auf spektakuläres Bildmaterial, das die Mörder gratis zur Verfügung stellten, verzichten. Das Video, das Spiegel Online in seine Topnews vom Mittwochmorgen eingebunden hat, enthält keine Anteile des von den ISIS-Terroristen produzierten Videos. Und auch Springers welt.de, das die Nachricht über James Foleys Ermordung besonders übel aufbereitet hatte (Altpapier), hat sich besonnen. Bloß Springers bild.de zeigt einen teilverpixelten Screenshot aus dem Mordvideo (und vergreift sich mit der Zeile "Bild erklärt die makabere ... Propaganda" auch noch irgendwie im Fremdwort).
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[+++] Das lässt sich wohl so formulieren: Weniger schlimmer Tode sind in klar höherem Alter als Sotloff die wichtigen deutschen Medienschaffenden Gottfried John und Adolf Theobald gestorben.
Fassbinder-Schauspieler, "Bond"-Schurke, Knautschgesicht, Wolf, lauten die Assoziationen, die in den standardisierten, agenturgetriebenen John-Nachrufen zum Klingen kommen. "Aber die Jahre brachten auch immer wieder neue, überraschende Seiten an ihm zum Vorschein - vom überzeugend alkoholkranken Fernsehkommissar bis zum bezaubernden Rezitator von Rilke-Gedichten", weiß Tobias Kniebe im Süddeutsche-Nachruf unter der Überschrift "Die Zärtlichkeit des Wolfs" ("Die Zärtlichkeit der Wölfe" hieß ein 1970-er Film nicht von, aber mit Rainer Werner Fassbinder, jedoch ohne John).
Der metaphorisch ebenfalls Wolfs-bestimmte, nicht namentlich gekennzeichnete faz.net-Nachruf endet mit dem Satz
"Im Fernsehen sah man ihn zuletzt vor zwei Jahren in dem Afrika-Drama 'Die Löwin' als geläuterten ehemaligen Großwildjäger."
Dieser Satz ist natürlich viel eher für das deutsche Fernsehen und sein groteskes Luxusproblem mit Fernsehfilmstoffen sowie mit Schauspielern, die eigentlich zu gut dafür sind, aufschlussreich als für das Schaffen des tatsächlich vielseitigen John. Falls Sie mehr über "Die Löwin" erfahren wollen, klicken Sie hier zum Schmonzetten-Extra-Altpapier 2012; gleich der zweite genannte Film ist's.
"1957 startete er in Eigenarbeit die Quartals-Illu 'Student im Bild' - mit 70.000 Auflage. 1959 gründete Theobald, assistiert vom genialen Grafiker Willy Fleckhaus, die Jugendzeitschrift 'twen', eine Ikone der aufrührerischen 60er und 70er Jahre. Die 'Revue der Zwanzigjährigen' wurde von Jugendschützern des 'Sexkults' geziehen, die Redaktion sei der 'Konsum-Ideologie' verfallen, musste sich der christlich-konservativ geprägte Diplomkaufmann Theobald anhören."
Den zurzeit wohl kenntnisreichsten Nachruf auf Adolf Theobald hat Peter Turi verfasst. Wobei Hans Leyendecker, der für die Süddeutsche (S. 27) in die Tasten griff, sich auch auskennt:
"'Twen' hat nie Geld verdient. Der Verleger machte nach zwölf Jahren den Laden zu. Theobald erfand dann das Wirtschaftsblatt 'Capital' und war fast ein Jahrzehnt dessen Chefredakteur."
Während Michael Hanfeld in der FAZ lieber Theobalds "Eine Redaktion muss den Drive haben, das Beste machen zu wollen, nicht das ökonomisch Günstigste" (aus der Zeitschrift Wirtschaftsjournalist zur Gruner + Jahr-Entscheidung, "die (später eingestellte) 'Financial Times Deutschland' zu übernehmen") zitiert, bringen Turi und Leyendecker einen bekannten Theobald-Spruch, der noch direkter in die Gegenwart führt:
"Zuletzt war er Geschäftsführer beim Spiegel-Verlag, wo er sich mit der mächtigen Mitarbeiter KG anlegte. Aus dieser Zeit stammt das unsterbliche Zitat, die Tantiemen-Ausschüttungen beim Spiegel erinnerten an eine Tanzkapelle, die das Abendhonorar verteilt, bevor jeder seines Weges geht" (Turi).
Bzw. Leyendecker:
Die Mitarbeiter KG "sei eine 'Fehlkonstruktion', meinte er und deren wechselnde Chefs seien zur Leitung eines Unternehmens 'so wenig vorbereitet wie die Rheintöchter zur Bewachung des Rheingold'. Es gehe beim Spiegel 'wie bei einer Tanzkapelle' zu. 'Was tagsüber eingenommen wird, wird abends ausgezahlt.' Im Theater des Journalismus war Theobald eine Erscheinung."
Hat Spiegel Online derzeit einen Theobald-Nachruf? Kaum.
[+++] Zurzeit in diesem Theater des Journalismus: Einerseits werden wieder "Verbesserungspotenziale organisatorischer Art" gesucht. Auch Gelegenheitsleser von Medienmedien ahnen, dass es sich dabei um einen Euphemismus für Einsparungen insbesondere in Form von Stellenstreichungen handelt. Formuliert hat ihn nun der M. DuMont Schauberg-Verlag aus Köln (kress.de, meedia.de, das auch ein "Betriebsrat aktuell"-Schreiben der von MDS besessenen Hamburger Morgenpost verlinkt).
Der Umfang dieser Verbesserungs-Maßnahmen ist noch ungewiss. Beobachter müssen aufpassen, dass sie sie nicht mit schon lange angekündigten, aber noch nicht ausgeführten verwechseln: "Die letzte einschlägige Ankündigung datiert von März", ist also fast ein halbes Jahr alt: "Damals kündigte das Verlagshaus an, Lokalredaktionen von 'Kölner Stadt-Anzeiger' und 'Kölnischer Rundschau' zusammenzulegen, was bis Ende 2015 rund 30 Redakteursstellen kosten soll", merkt Kress' Henning Kornfeld an. Andere Verlage gehen deutlich flinker ans Werk. Die betriebsbedingten Kündigungen von 26 Mitarbeitern der G+J-Zeitschrift Stern, von denen horizont.net weiß, ebenfalls vom Betriebsrat informiert, folgen den Ankündigungen von letzter Woche.
Andererseits werden im Theater des Journalismus selbstverständlich die Herausforderungen der digitalen Gegenwart verhandelt. Gestern (Altpapierkorb) startete sueddeutsche.de ein neues System der Leserkommentare: Die Idee, das "moderierte Debattenangebot" auf "zwei bis drei große Themen des Tages" zu "konzentrieren", bedeutet auch, dass Leserkommentare ansonsten von der Webseite verschwinden und nur noch bei Facebook möglich sind.
Mit dieser ziemlich gewichtigen Entscheidung befassen sich nun meedia.de und die TAZ. Bei ersterem Portal lassen sie zwei der Kapuzenpulli-Sympathieträger des deutschen Onlinejournalismus, sich ein bisschen battlen. Während SZs Stefan Plöchinger, der sich ja intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, allgemeiner ("Unsere genauen Workflows haben wir nicht in Stein gemeißelt"), aber auch spezieller ("Wir haben ... festgestellt, dass Nutzer schlechte Debatten auf Facebook eher Facebook anlasten als uns - sehr interessant") aus dem Nähkästchen plaudert, bezieht zeit.des Jochen Wegner die ein Stückchen freier gewordene Gegenposition gerne:
"... Ich finde es schwierig, für Kommentare, die sich direkt auf einen Beitrag beziehen, auf Facebook zu verweisen. Wir sollten die freie Meinungsäußerung nicht an Facebook delegieren."
Die Beschränkung der Leser-Meinungsäußerung auf zwei bis drei Themen sieht in der Praxis so aus, dass das Kommentieren der gestrigen Ernennung Kapitän Schweinis schon "nicht mehr möglich" ist, sondern nur zu den drei bei "Ihr Forum" oben stehenden Themen (zurzeit: Nacktselfies, ISIS-Propaganda, Ursula von der Leyen).
Ob sich die SZ damit einen Gefallen getan hat, ist eine spannende Frage. Könnte die deutsche Facebook-Niederlassung, so wie Facebook ohnehin wöchentlich Menüführung und AGBs ändert, beim künftigen Heben von Verbesserungspotenzialen der SZ nicht einfach das Managen ihrer Kommunikation mit Problemlesern in Rechnung stellen?
"Die Frage, wie Nachrichtenseiten mit Leserkommentaren umgehen sollten, ist so etwas wie die Gretchenfrage unter den Onlinern. Die einen betrachten die Kommentare als wichtig für die Leserbindung: Sie erhöhen die Verweildauer der Nutzer - was gerade jetzt, da Verweildauer statt Klicks als Währung gegenüber Anzeigenkunden immer wichtiger wird, ein schwerwiegendes Argument ist - und liefern billigen Content. Andererseits ziehen die Anonymität im Netz und der Mangel an durchsetzungskräftigen Diskussionsleitern oft Verschwörungstheoretiker, Rassisten und Pöbler an",
umreißt Anne Fromm in der TAZ das Problem.
Wobei, eine weitere Gretchenfrage für Onliner, zumindest solche, die online Geld verdienen wollen, steht in den Startlöchern, und zwar am Landgericht Köln. Darauf macht die gedruckte Süddeutsche aufmerksam. Beim terminlich noch nicht fest-, aber bevorstehenden Prozess gehe es
"um die Frage, ob der Anreißer oder Teaser, wie wir ihn kennen, presserechtlich Bestand hat, wenn er zu einem Text hinter der Bezahlschranke führt",
berichtet Niklas Hofmann. Regelmäßig akribische Altpapier-Leser kennen den Hintergrund (vgl. hier): Der Medienanwalt Ralf Höcker hat gegen das kostenpflichtige Bild plus-Angebot des Springer-Konzerns ein Urteil erstritten, demzufolge schon solche Teaser, die zum Kauf eines Artikels verführen sollen, "ausgewogen formuliert" sein müssen, also die Ausgewogenheit nicht erst im kostenpflichtigen, gratis nicht lesbaren Teil hergestellt werden darf. Ist das wirklich ein Problem für Medien, die keine Bild-Zeitungs-artigen Inhalte anbieten?
[+++] Bleibt alles schwierig. Wo bleibt das Positive? Tagesaktuell im Newsletter des Zeitungsverlegerverbandes:
"Zeitschriften und Zeitungen zu lesen, gehört zur viertliebsten Freizeitbeschäftigung der Deutschen. 73 Prozent der aktuell von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) befragten Deutschen (ab 14 Jahre) nannte dies als regelmäßige (einmal pro Woche) Freizeitaktivitäten. Deutlich dahinter folgten 'Internet', 'Ausschlafen' oder 'Computer'. Das ist ein Zeichen der Relevanz der Freien Presse für Information, Hintergrund, Unterhaltung und Entspannung, dies ist auch die Basis für die Zukunftsmodelle unserer Branche",
freut sich der VDZ.
Wer dann von der diesbezüglichen Meldung zum eigentlichen "Freizeit-Monitor 2014" der British American Tobacco-gepowerten Stiftung für Zukunftsfragen weiterklickt, kann lesen, dass nicht alles Gold ist (z.B.: "Auch wenn kulturellen Angeboten in der Freizeit eine Bedeutung zugesprochen werden kann, so muss ihre Rolle als Freizeitaktivität jedoch realistisch eingeschätzt werden: Lediglich 3% der Deutschen gehen wenigstens einmal pro Monat in ein Theater oder Museum").
Doch sich aus dem pausenlosen Fluss jeweils die individuell relativ angenehmsten Nachrichten rauszusuchen, ist ja menschlich.
+++ Eine wahrhaft revolutionäre Veränderung, ja: Verbesserung der Fernsehsportberichterstattung könnte indirekt dem Helmut Rahn des 21. Jahrhunderts zu verdanken sein, Mario Götze also. Markus Ehrenberg vom Tagessspiegel war beim Jour Fixe der Berliner Sportjournalisten in Steglitz und hat Steffen Simon, den gern kritisierten "Sportschau"-Chef, die Ansicht äußern hören, er wäre für eine Abschaffung der Fußballspieler-Interviews direkt nach dem Spiel. Simon "spreche seine Kollegen regelmäßig auf die Sinnhaftigkeit dieser Spieler-Begegnungen an ... Selbst wenn es interessante Fragen gebe - die neue Generation von Spielern wie Götze führe, von Medienberatern geschult, das Interview-Prinzip ad absurdum." +++
+++ Medienkonzern-Deals: Bei Tyler Brûlés Monocle ist ein japanischer Konzern eingestiegen, bei Vice (wie Brûlé kanadisch) ist es ist es das US-amerikanische Fernseh-Network A&E mit einer 10-prozentigen, 250 Millionen US-Dollar teuren Beteiligung (horizont.net). Was Vice noch mal ist? Siehe Hannah Lühmanns FAZ-Text neulich. Was A & E auch im deutschen Pay-TV ist? Siehe digitalfernsehen.de. +++
+++ Vielleicht die Zukunft des Fernsehens: lauter Serien-Piloten, über deren Fortgang die User bzw. Amazon-Kunden entscheiden (dwdl.de). +++
+++ Mal wieder Öffentlich-Rechtlichen- bzw. Rundfunkbeitrags-Kritik in der FAZ: "Das ist der Gipfel!", lautet die Überschrift zur Glosse darüber, dass Hüttenwirte, deren Hütten in den Bergen mitunter gar keine Steckdose haben, für ARD und ZDF zahlen sollen (vgl. den Bericht des SZ-Bayern-Ressorts aus Schliersee). +++ Andererseits: Die Schmonzette "Die Hüttenwirtin", in der die Lebenswelt der Hüttenwirte vermutlich vorkommt, hat die ARD ja durchaus hergestellt. +++ Wer künftig nicht mehr zum Darstellen etwa der Hüttenwirtin-Großmutter oder einer Großwildjägerin zur Verfügung stünde: Ruth Maria Kubitschek. "Am 31. Oktober verabschiedet sich die 83-Jährige mit der letzten Episode der ARD-Reihe 'Traumhotel' aus dem Produktionsgeschehen" (TAZ/ DPA). +++
+++ Dass die Bunte "widerliche Frauen-magersucht-Fettsucht-Geschosse jetzt schon auf Dreijährige abfeuert", hat die TAZ-Kriegsreporterin beobachtet. +++
+++ Jetzt auch Stefan Winterbauer über Martin Lejeune! Der meedia.de-Mann hat, im Wohnzimmer "mit dem Laptop auf dem Schoß" "ein unbestimmt ungutes Gefühl, wenn man diesen jungen Mann mit dem Leuchten in den Augen und dem unpassenden blauen Anzug da in Gaza rumstehen und reden sieht", bemüht sich aber, differenziert ("Es ist schwierig bis unmöglich aus der Ferne zu beurteilen, ob Martin Lejeune stets korrekt berichtet hat") zu aggregieren. +++
+++ "Yahoo schätzte im vergangenen Jahr, dass 2014 ungefähr 880 Milliarden Fotos geschossen werden. Irgendwo müssen die ja hin", schreit zeit.des Patrick Beuth mit der Apple-Empathie, die bei zeit.de irgendwie dazugehört, über Fotos, darunter Nacktfotos, in der sog. Cloud. +++
+++ Die Abkürzung NADIS-WN hat mal keine englische Bedeutung, sondern "Nachrichtendienstliches Informationssystem Wissensnetz". In dieser von deutschen Diensten geführten Datenbank gibt es zwar ein Feld "zur Eintragung des Berufes", es muss aber nicht unbedingt ausgefüllt werden. Das kam bei einer Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zum Thema "Bespitzelung von Journalistinnen und Journalisten" heraus (netzpolitik.org). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.