Peter Scholl-Latour hat nur eins gefürchtet, und zwar das Captain's-Dinner bei einer Kreuzfahrt. Beim Spiegel zeigt man sich uneingeschränkt begeistert von den Produkten aus dem Hause Kärcher. Die Degeto schult von Schmonzette auf Polit-Thriller um, obwohl deutsche Fernsehfilme bei bei politischen Themen immer schlecht aussehen. Und im Senegal funktionieren Rap-Nachrichten.
An einem scheint es Peter Scholl-Latour nicht gemangelt zu haben, und das sind Berufsbilder.
„Doyen des deutschen Auslandsjournalismus“ (sueddeutsche.de),
„Urbild des großen Journalisten“ (FAZ),
„eines der populärsten TV-Gesichter“ (dpa/Berliner Zeitung),
„zu seinen Lebzeiten eine Legende, einer der großen Chronisten unseres Zeitalters, ein Journalist und Schriftsteller von immenser Bildung und Weltkenntnis, ein Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts, wie es heute nicht mehr viele gibt“ sowie „Reporterlegende“ und „Kosmopolit“ (Die Welt),
„Veteran der Krisenberichterstattung“ (taz),
„Experte“ und „Synonym für einen Welt-Erklärer“ (Kölner Stadtanzeiger) bzw.
„der berühmteste Weltreisende Nachkriegsdeutschlands, ein Welterklärer und Weltversteher, ein Meister der Recherche, Nahostexperte, Politikberater, ein Mann der Superlative“ (Tagesspiegel).
Am Samstag ist Peter Scholl-Latour gestorben, und in den zahlreichen Nachrufen findet man nicht nur den oben dokumentierten Wettlauf um die trefflichste Umschreibung seiner Berufung, sondern auch das Bemühen, der kontroversen Person gerecht zu werden.
„Scholl-Latour verband in seinen Werken die Beschreibung historischer Entwicklungslinien mit journalistischen Schilderungen und persönlichen Erfahrungen - eine Arbeitsweise, die ihm auch Kritik und den Vorwurf der Vereinfachung eintrug“,
heißt es noch recht neutral bei der dpa, während sich Daniel Bax von der taz schon zu Sätzen aufrafft wie
„Scholl-Latour inszenierte sich gerne als Welterklärer, der mit raunendem Unterton die ganz großen Linien zog und dabei mit gewagten historischen Vergleichen nicht sparte.“
Dem sich wiederum – wenig überraschend - der Nachruf von Ramon Schack in Springers Welt gegenüberstellen lässt:
„In unserem digitalen Zeitalter, in de[m] alle alles zu wissen und zu durchschauen glauben, wirkten Scholl-Latours Mahnungen und Warnungen, seine monumentale Gelehrsamkeit, basierend auf jahrzehntelanger Erfahrung und eigener Anschauung vor Ort, nicht immer zeitgemäß. Seine größten Kritiker verstummten aber meist, wenn er rückblickend fast immer Recht behielt.“
####LINKS####
Ulrich Wickert, der einst als Hilfskraft unter dem Chef Scholl-Latour in das ARD-Studio nach Paris kam und damit den persönlichsten Zugang hat, erklärt das Phänomen „Scholl“, wie er ihn nennt, heute in der FAZ wir folgt:
„De Gaulle zu bewundern und gleichzeitig die Studentenrevolte zu romantisieren, dazu gehört ein besonders unabhängiger Geist. Den verkörperte Peter Scholl-Latour Zeit seines Lebens. In seiner Gedankenwelt hatte ,political correctness’ keinen Platz. Ihm ging es auch nie darum, Gefälligkeiten auszutauschen. Er bezog seine Positionen aus Überzeugung.“
Und Tomas Avenarius hat schon am Samstag bei sueddeutsche.de die dazu passende Zusammenfassung geliefert:
„Gleich, ob sie ihn bewunderten oder kritisierten: Der Journalist Scholl-Latour hat Dinge erlebt, um die alle seine Kollegen ihn, professionell betrachtet, nur beneiden können.“
Die aufregenden Geschichten – die Zeit als Fallschirmjäger in Indochina, die Gefangenschaft bei den Vietcong, der Flug mit Ayatollah Ruhollah Chomeini aus Paris zur islamischen Revolution nach Teheran – enthalten fast alle Texte.
Eine ausführliche Beschreibung von Scholl-Latours Inneneinrichtung hat hingegen nur der Tagesspiegel.
„In dieser Wohnung, eigentlich drei nebeneinanderliegenden Apartments, findet sich die halbe Welt. Der Dachgarten vietnamesisch gestaltet, der Teppich orientalisch, an der Wand russische Ikonen und ein Bild aus Aserbaidschan, auf dem Boden Landkarten von Madagaskar, Algerien, Australien. Scholl-Latour führte Besucher gerne herum, besonders stolz war er auf jene Ecke, die seine Frau für ihn eingerichtet hatte. Hier hingen Bilder von den großen Momenten seiner Laufbahn: Scholl-Latour auf einem Pferd in Afghanistan, in die Kluft der Mudschahidin gehüllt, als junger Mann im laotisch-chinesischen Grenzgebiet, mit dem Ajatollah Chomeini im Flugzeug nach Teheran. Er nannte es den ,Altar’“.
Die Reisen, die vielen Interessen, aber auch das Bedürfnis nach Selbstdarstellung, alles drin in einer kleinen Szenenbeschreibung – so schön, dass man den Tagesspiegel gleich noch einmal verlinken muss; diesmal allerdings mit einem Zitat von Scholl-Latour selbst. Im März klärte er noch in einem Interview anlässlich seines 90. Geburtstags, wie es der Weltreisende auf seine alten Tage mit dem Klassiker unter den Seniorenreisen hält: der Kreuzfahrt.
„Habe ich auch mal gemacht. Ich hatte die Fahrt auf dem Bundespresseball gewonnen. Sie führte in die Ägäis, die kannte ich da noch nicht. Diese Veranstaltungen an Bord wie Captains Dinner waren der nackte Horror. Ich habe mit meiner damaligen Lebensgefährtin immer nur mit der Mannschaft zusammengesessen. Wir veranstalteten unsere Gelage in dem Raum, wo die Särge standen. Die Gäste auf Kreuzfahrten sind ja meist etwas älter, darauf hatten die sich vorsorglich eingestellt.“
Acht Tage bei den Vietcong werden entspannt abgesessen und noch eben für eine kleine Doku genutzt, aber Captain's Dinner? Der nackte Horror!
Womit nur noch eine Frage offenbleibt, die man sich angesichts eines Todesfalles kaum zu stellen wagt. Aber Richard C. Schneider, ARD-Korrespondent in Tel Aviv, hatte da weniger Hemmungen, als er am Sonntagmorgen twitterte:
„Peter Scholl-Latour tot - wen holen sich die Talkshows jetzt als ,Experten’ für Nahost? Todenhöfer?? #fb“
[+++] Harter Themenwechsel. Einmal kurz den Spiegel durchblättern und überprüfen, ob die Firma Kärcher vielleicht eine Anzeige geschaltet hat, das musste dann doch sein. Die gute Nachricht für die Redaktionshygiene: hat sie nicht. Die schlechte: Hätte ich an ihrer Stelle auch nicht gemacht; die einseitige Lobhudelei auf Seite 109 ist sicher viel wirksamer.
Christian Wüst beschreibt dort, wie die Firma „Kärcher GmbH & Co. KG“ seine Hochdruckreiniger zur Denkmalpflege einsetzt, etwa bei der Bobbahn am Königssee.
„Kärcher stellte das Gerät, einen 100 000 Euro teuren Profi-Apparat der Konzernmarke WOMA, gratis zur Verfügung. Es ist das neueste Beispiel dafür, wie sich das Unternehmen, bei dem es vorwiegend um Oberflächenreinigung geht, für den Schutz ehrbarer Altbauten engagiert. Monumente aus der Oberliga der Kulturerbes (...) profitierten bereits von der Putzkraft des Kärcher-Strahls, alles auf Firmenkosten.“
Hatten wir schon gesagt, wie die Firma heißt und dass sie das alles kostenlos macht?
Zur Sicherheit ist dann noch einmal von „Benefizspektakel“ die Rede, von der „Gratissäuberung des Stuttgarter Hauptbahnhofs“, von „seit Jahrzehnten jedenfalls ist Kärcher eine Institution der Denkmalwäsche“ und von Gebäuden wie dem Aachener Dom oder dem Frankoniabrunnen in Würzburg: die „harren (...) einer Kärcher-Kur.“
Und nein, ein sagen wir unabhängiger Oberliga-Kulturerbe-Auskenner kommt nicht zu Wort, um Sinn und Zweck der Arbeit zu erklären. Dafür hat Wüst den Gesprächspartner Frank Schad, den er als „Kurator“, „vornehmer Geisteswissenschaftler“ und Leiter einer Art „weltanschauliche[r] Betriebsfeuerwehr“ einführt.
Bei Xing heißt es weniger vorsichtig „Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit/Umweltmanagement Alfred Kärcher GmbH & Co. KG“.
Wer sich fragt, woher diese Begeisterung kommt: Der Autor durfte live dabei sein, als die Firma Kärcher eines ihrer Wundergeräte zum Einsatz brachte.
Sätze wie „Ich befinde mich hier in der Kunsteisbahn Königssee und beobachte gerade den Einsatz eines Hochdruckstrahlreinigers der Firma Kärcher“ hat man seit dem Ende von „RTL Samstag Nacht“ auch nicht mehr gehört; nun stehen sie beim Spiegel online.
Unbedingt bis zum Schluss gucken, wenn der sicherheitsbebrillte und funktionsbejackte Reporter schwärmt, dass man mit einem der Kärcher-Wunderwaffen nicht nur das Moos vor der Garage, sondern auch die Garage selbst beseitigen könne.
Zu hart sollte man mit dem Spiegel aber wohl auch nicht ins Gericht gehen: Offenbar ist es eine dpa-Meldung wert, wenn dieses Unternehmen die Farbe für ihre Geräte wechselt.
+++ Nicht, dass jetzt jemand glaubt, im aktuellen Spiegel fielen nur wohlwollende Worte: Ab Seite 130 gehen Markus Brauck und Alexander Kühn sehr hart mit deutschen Fernsehproduktionen und ihren Versuchen, aktuelle Politik darzustellen, ins Gericht. „All diese Produktionen bleiben bei der Hälfte ihrer Möglichkeiten stecken. Entweder imitieren sie die Realität im Setzkastenformat, wie im ZDF-,Kanzleramt’, in dem Behrendt das jovial-kumpelige Auftreten von Gerhard Schöder imitierte, allerdings ohne dessen unbändige Lust auf Macht. Oder sie unterbinden jegliche Fallhöhe, indem sie die Räume der Macht als Kulisse für eine handelsübliche Komödie missbrauchen.“ Wenig überraschend die These der Autoren, in den USA sei das alles viel besser. +++
+++ Da wir gerade vom qualitätsarmen deutschen Fernsehen sprechen: bei der Degeto soll gerade das anders werden. Statt weiteren Feel-good-Brei zu produzieren, soll es in deren Fernsehfilmen ab sofort auch mal um EU-Dumping bei Milchbauern gehen und – halten Sie sich fest: sogar unsympatische Protagonisten seien denkbar, schreibt Jens Mayer in der sonntaz. „Immerhin war das gebührenfinanzierte Unternehmen jahrelang für die flachen Freitags-,Schmonzetten’ mit den immer gleichen TV-Gesichtern in der ARD berüchtigt (...). Erst als die Zahl der Zuschauer abnahm und sich herausstellte, dass die Geschäftsführung nicht nur einen ,Produktionsstau’ verursacht, sondern auch Etats überschritten hatte und von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ,gravierende organisatorische Mängel’ attestiert bekam, vollzog das Unternehmen einen Schnitt.“ +++
+++ „Die Medien“ haben ihren Teil zur Energiewende beigetragen, fasst Stephan Russ-Mohl heute im Tagesspiegel eine Studie von 21 Medienforschern zusammen. „Sie belegt, wie gänzlich unterschiedlich die Medien in vier europäischen Ländern berichtet haben: In Frankreich und Großbritannien wurde im wesentlichen ,nur’ die Nachricht über den Tsunami und das anschließende Reaktorunglück verbreitet, in Deutschland und der Schweiz die mediale Diskussion von Anfang an ,gedreht’ und auf die Situation im eigenen Land bezogen.“ +++
+++ Wie interessiert man diese Jugend von heute für Nachrichten? Man trägt sie rappend vor. Klingt wie die sehr schlechte Idee eines Sozialarbeiter-Think-Tanks aus Castrop-Rauxel, funktioniert im Senegal aber tatsächlich. „Das Duo rappt zu lokalpolitischen Themen ebenso wie über den Krieg im Gazastreifen. Ein gerappter Bericht von einem Gast-Korrespondenten namens Hyde aus Gaza wurde innerhalb von vier Tagen 12.800-mal angeklickt.“ (AFP/Hamburger Abendblatt) Wer des Französischen oder vielleicht sogar des zur westatlantischen Sprachfamilie gehörenden Wolofs mächtig ist, sollte sich das mal im Original bei Youtube ansehen. +++
+++ Auch die deutsche Jugend von heute erreicht man über Youtube, wie Stefan Niggemeier nach einem Besuch bei den Videodays in Köln in der FAS aufgeschrieben hat (womit auch geklärt wäre, warum wir schon seit vier Tagen nichts Neues vom manipuliertesten Ranking des Nordens gehört haben). „Das sind Leute wie LeFloid, ein 26-Jähriger, der zweimal die Woche seine unsortierten Gedanken zum Nachrichtengeschehen in die Kamera spricht (,Action News, aber hart’), Daaruum, eine 24-Jährige, die Schmink- und Anziehtipps gibt und Produkte testet, Y-Titty, ein Trio, das Sketche und Musik produziert, oder eben Dner, dem man in seinen Videos beim Computerspielen und beim Leben zugucken kann.“ +++
+++ Was ist man von Beruf, wenn man regelmäßig Beyoncé am Telefon hat? Von den drei möglichen Antworten ist heute weder Friseur noch Bodycoach richtig, sondern Set-Designer. Florian Wieder macht den Job, unter anderem für die MTV Video Music Awards und hat mit David Denk von der SZ darüber gesprochen. „Auch wenn er gut am Hunger nach immer neuen Sets verdient: Wieder bedauert die ,fehlende Nachhaltigkeit’, das Kurzatmige der Branche, dass etwa ,häufig zuerst am Set rumgedoktert wird, wenn eine Sendung nicht funktioniert’. Dass Anne Will bei ihrem von Wieder entworfenen Stuhlkreis in der ARD keinen größeren Änderungsbedarf sieht und Reinhold Beckmann bei seinem ,Küchentisch’, empfindet Wieder als Kompliment.“ +++
+++ Bleibt noch der Fernsehtipp des Tages: Die Dokumentation „Adel ohne Skrupel“, die heute Abend in der ARD läuft und sich mit der Geschichte der Welfen im Nationalsozialismus beschäftigt, die sowohl in ihren Rüstungsbetrieben Zwangsarbeiter beschäftigten als sich auch jüdischen Eigentums bemächtigten. „Beider [der Filmemacher Michael Wech und Thomas Schuhbauer] größtes Verdienst aber ist, Licht ins Dunkel der jüngeren Welfengeschichte zu bringen. Und damit in unser aller Geschichte. Wer spricht nicht, wie Heinrich von Hannover, einerseits von den ,schweinischen Gesetzen’ des NS-Regimes und gibt nicht im selben Moment der Versuchung nach, Greuel mit dem Hinweis auf die Panik von 1944 zu relativieren? Das macht diesen Dokumentarfilm so beklemmend“, meint Dieter Bartetzko heute auf der Medienseite der FAZ. Gustav Seibt ist in der SZ etwas kritischer: „Der Film wäre moralisch überzeugender, wenn er erläutert hätte, dass die deutsche Staatskasse und Zehntausende deutscher Familien, also wir alle, bis heute von zahlreichen Arisierungen profitieren – und nicht nur die wenig sympathischen Nachkommen der ältesten deutschen Dynastie. Deutsche Fürsten waren Teil der Volksgemeinschaft – ist das im Ernst eine Überraschung?“ Auch der Tagesspiegel berichtet. +++
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.