Die Fragen des Tages: Warum muss Dominik Wichmann gehen? Warum ist die hiesige „Auslandsberichterstattung meist wenig nachhaltig und oberflächlich“? Unterbindet die Hamas in Gaza unliebsame Berichterstattung? Und warum wurde in den USA ein Reporter der Washington Post während der Ausübung seiner Berufs verhaftet? Nicht zuletzt: Manifestiert sich in den rundfunkbeitragsfinanzierten Wahlfälschungsskandälchen die „schon seit längerem andauernde ernste intellektuelle Krise des öffentlich-rechtlichen Systems“?
Und noch eine weitere Frage gleich zum Auftakt: Kennen Sie John Cook? Vermutlich nicht, obwohl der Mann immerhin Chefredakteur der in Journalistenkreisen bzw. der „Medien-Blase“ (J. Rehländer, siehe gestriges Altpapier, kurz überm Strich) nicht unberühmten Plattform The Intercept ist, wo der womöglich sogar jenseits der Blase nicht unberühmte Glenn Greenwald als Herausgeber wirkt. Eine Erwähnung wert ist das heute aufgrund von Cooks beruflicher Vergangenheit, auf die Wolfgang Michal in seinem Freitag-Feuilleton-Aufmacher über The Intercept zu sprechen kommt:
„(Er) arbeitete zuvor beim Promi-Klatschmagazin Gawker. Seine Berufung brachte der Redaktion viel Spott ein, so viel, dass sich Herausgeber Greenwald bemüßigt fühlte, ‚aggressiv‘ zu intervenieren: Nicht jeder Mitarbeiter müsse von der Washington Post kommen, um als seriös zu gelten.“
Von hier aus lässt sich relativ elegant überleiten zum zukünftigen Ex-Chefredakteur eines Hamburger Promi-Klatschmagazins, der ab Oktober einen Posten bekleiden wird, auf dem sich mancher Romantiker womöglich auch einen Journalisten wünscht, der Washington-Post-Flair verströmt (bzw. eine deutsche Duftnote davon): Gala-Chefreakteur Christian Krug, der - daran erinnert bei Twitter Tagesspiegel-Redakteurin Sonja Alavarez, im März keine gute Figur abgegeben hat in diesem Skandälchen - löst Dominik Wichmann bzw. „Dr. W. Ichmann“ an der Spitze des Stern ab. Dass Gala und Gawker direkt vergleichbar sind, wollen wir an dieser Stelle allerdings nicht behaupten.
Anne Fromm geht für die taz auf die Inszenierung der Trennungs-Bekanntmachung ein, die mit einem Horizont-Artikel begonnen hatte:
„Überraschend war für viele (...) der Zeitpunkt und die Art und Weise, wie die Nachricht an die Öffentlichkeit und in die Redaktion drang. Die Redaktion erfuhr davon erst offiziell um 15 Uhr. Zwei Stunden zuvor hatte sich die Redaktion aber schon selbst versammelt und das Verhalten des Verlags als ‚geschäftsschädigend‘ bezeichnet. Gegenüber der taz sagte ein Mitarbeiter, er sei ‚irritiert‘, ein anderer nannte es eine ‚Sauerei‘, dass die Information offenbar ‚von oben durchgestochen‘ wurde.“
Warum Wichmann ,,der „eine Matrixorganisation eingeführt“ hatte, „die jedoch nachjustiert werden musste“ (noch mal Horizont, aber ein anderer Text), und „der von seiner Entlassung angeblich erst aus den Medien erfahren hatte“ (Tagesspiegel), denn nun gehen musste, weiß Christian Meier (meedia.de), der „echte und vermeintliche Gründe“ aufzählt. Und Lena Bopp (FAZ-Medienseite) hat was vernommen:
„Dem Vernehmen nach soll der 42 Jahre alte Wichmann (...) vor allem die Unterstützung des Vorstands von Gruner + Jahr verloren haben, weil er sich gegen die Pläne des Verlags gewehrt habe, Personalkosten einzusparen.“
Zu diesem Aspekt dann noch mal Meier:
„Das Sparprogramm als Trennungsgrund ist freilich eine Interpretation der Trennung, die vor allem im Vorstand von G+J nicht gut ankommt. In Hintergrundgesprächen wird diese Version heftig dementiert.“
Ebenfalls bei meedia.de: eine unvergleichliche Betrachtung Christoph Leskos. Hier ist beinahe jeder Satz ein Schenkelklopfer:
„Dass Dominik Wichmann einen fortschreitenden Motorschaden zu reparieren hatte, war bekannt und Teil der Aufgabe. Dass kosmetische Korrekturen des Lacks den Motor nur begrenzt berühren und mit den ersten Monaten schnell jene Zeit verstrich, in welcher die härtesten Entscheidungen am leichtesten auf die Straße gebracht werden konnten, zeichnete sich bald ab.“
Für den Fall, dass wir damit noch nicht die Neugierde auf den Text geweckt haben: Nicht nur mit Motorschäden und damit, wie man Entscheidungen auf die Straße bringt, kennt sich Lesko aus. Auch mit Machiavelli und Elfmetern. Untoppbar ist allerdings diese Passage:
„Die intellektuelle und fachliche Expertise von Dominik Wichmann (...) passte (...) überhaupt nicht zu dem, was die schwierige Ausgangssituation des Stern erforderte: Der zentrale Kern der Entwicklung seiner Fähigkeiten lebte vordringlich im Phänomen der Distanz.“
In welchem Phänomen der zentrale Kern der Entwicklung von Leskos Fähigkeiten vordringlich lebt, vermögen wir nicht zu sagen. Beruhigend ist, dass er, wie wir in der Autorenzeile unter seinem Text erfahren, „Führungskräfte und Unternehmensentscheider bei Veränderungsprozessen begleitet“. Das heißt: Einen Nachhhilfelehrer für Deutsch wird sich der Mann gewiss leisten können.
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[+++] Erster harter Schnitt für heute: Petra Sorge macht sich in ihrer Medienkolumne für Cicero Online Gedanken darüber, dass „nicht mehr nur Verschwörungstheoretiker“ und gekaufte Trolle „die deutsche Presse für einseitig und gesteuert halten“, sondern „mittlerweile auch Vertreter des Bildungsbürgertums“:
„(Das) lässt Vertreter meiner Branche erschrecken. Nun bin ich als Journalistin selbst befangen. Trotzdem halte ich den Vorwurf, wir orchestrierten einen Propagandafeldzug für mehr Kriegseinsätze, im Ergebnis für absurd.“
Mich erschreckt das ja nicht so. Das heißt: Ich neige nicht dazu, mich als Teil einer „Branche“ zu fühlen und Leute zu verteidigen, die zufällig den Beruf ausüben, den ich ausübe. Sorge analysiert:
„Die Frage, wieso so viele Menschen den Medien misstrauen, hängt auch mit der Meinungskluft zwischen den politischen Eliten und der Öffentlichkeit zusammen. Fast vier Fünftel der Bundesbürger lehnen ein stärkeres militärisches Engagement Deutschlands in der Welt ab – teils selbst dann, wenn das hieße, anderen Hilfe zu verweigern. Zwischen diesen beiden Extremen müssen die Medien kommunizieren und vermitteln.“
Müssen sie das? Gibt es nicht auch allerlei nicht unkluge Menschen, die die Medien eher als „Wachhund“ verstehen? Und ein Wachhund ist kein Mediator.
Hat die „Kluft“, die Sorge konstatiert, nicht eher damit zu tun, dass - siehe den vorletzten Absatz dieses schon mal im Altpapier zitierten Artikels - sich zumindest „Spitzenjournalisten“ in ihrem „Habitus“, „ihren Wahrnehmungs- und Interpretationsschemata“ und in vielerlei anderer Hinsicht nicht von jenen unterscheiden, „deren Politik und Handeln sie eigentlich kritisch beobachten sollten“?
Sorge wirft in ihrem Tagebuch des weiteren die Frage auf, warum die hiesige „Auslandsberichterstattung meist wenig nachhaltig und oberflächlich“ ist:
„An jenem Tag, an dem die deutsche Politik Waffenlieferungen an die Kurden in Aussicht stellte, interessierten sich die Nutzer am meisten für Grillfleisch, Rotweine oder Miroslav Klose, und bei Cicero Online erreichte ein Artikel über Helene Fischer Rekord-Zugriffe. Wenn die Nachfrage nach ausgewogenen außenpolitischen Analysen so gering ist, warum sollten die Medien da noch mehr liefern? Und worin sollte der ökonomische Anreiz bestehen, Kriegspropaganda zu verbreiten? Wenn irgendwer die Medien steuert, dann sind es nicht Parteien, Rüstungsfirmen oder die Amerikaner, sondern die deutschen Nutzer, Käufer und Zuschauer.“
Ist was dran. Andererseits: Niemand zwingt Cicero Online, einen Artikel über Frau Fischer ins Netz zu pusten. Eines der vielen weitere Themen in Sorges Kolumne ist die Propaganda von Kriegsparteien in sozialen Medien:
„Die radikalislamische Hamas weiß diese Werkzeuge zu nutzen und erpresst sich mit den Opferbildern das Mitleid der ganzen Welt.“
Und danach kann man dann bei Spiegel Online weiterlesen, das sich mit „manipulierten Kriegsfotos“ befasst:
„Die Herkunft vieler angeblich aktueller Bilder aus dem Gaza-Konflikt, die mit Hashtags wie #HamasKillsKids, #IsraelUnderFire, #GazaUnderAttack und #FreePalestine im Netz kursieren, ist selten überprüfbar“,
meint Leon Scherfig. Mal, so der Autor, stammten die Fotos aus Syrien, mal zeigten sie zwar das im Text Beschriebene, seien aber fünf Jahre alt.
Einen Schnitt, aber vielleicht keinen harten, muss man machen, um zu einer Frage überzuleiten, die Hans-Christian Rössler auf der FAZ-Medienseite heute stellt:
„Unterbindet die Hamas in Gaza unliebsame Berichterstattung?“
Er bezieht sich dabei auf die Foreign Press Association (FPA), die „in dieser Woche die Hamas mit ungewöhnlich harschen Worten“ angegriffen habe:
„Die Auslandspressevereinigung, deren 480 Mitglieder in Israel und den Palästinensergebieten arbeiten, protestierte ‚in aller Form gegen die eklatanten, andauernden und unorthodoxen Methoden‘ der Hamas-Behörden. In der Erklärung warf sie der Hamas vor, unliebsame ausländische Journalisten auf eine ‚Schwarze Liste‘ zu setzen.“
[+++] Bleiben wir beim Thema Krieg und Medien: Maike Freund hat für Handelsblatt Online einen „Selbstversuch“ gemacht, nämlich sich „einen Vormittag durch Youtube und Twitter gequält“ und sich „Videos und Bilder der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) angeschaut“, also so lange „Massenexekutionen“ und „verstümmelte Leichen“ angeschaut, bis sie irgendwann „im Rausch des Grauens gefangen“ war. Der „Selbstversuch“ diente natürlich dazu, um der Antwort auf die Frage nahe zu kommen, „was im Informationsinteresse der Öffentlichkeit liegt“, das heißt, welche der von der IS verbreiteten Bilder man veröffentlichen darf. Fazit:
„Die Redaktion von Handelsblatt Online glaubt, dass unsere Leser mündig sind und selbst entscheiden sollen. Auf Videos werden wir nicht verweisen
+++ Mit dem Freitag-Text über The Intercept sind wir heute eingestiegen, allerdings eher mit einem Randaspekt. Die zentrale Frage, die Wolfgang Michal stellt, müssen wir noch nachreichen: „Entsteht hier (...) - nach der Selbstzerstörung (manch würden sagen: nach der erfolgreichen geheimdienstlichen Zerstörung) von Wikileaks - ein globales Medium, das den Journalismus in eine neue Ära überführt? Oder wird Glenn Greenwald (...) mit seiner ‚Arche der Wahrheit‘ ein ähnliches Schicksal erleiden wie Julian Assange?“
+++ Ist Ferguson das neue Kiew bzw. Kairo bzw. Istanbul? Zumindest aus einem Grund kann man diese Stadt in Missouri, in der seit einigen Tagen Unruhen toben, weil ein Polizist einen unbewaffneten 18-Jährigen getötet hat, mit den etwas bekannteren Städten vergleichen: „Crowd powered journalism becomes crucial when traditional media is unwilling or unable“. Das hat Gigaom beobachtet. Außerdem: „Twitter provided a gripping window into the events in Ferguson as they were occurring, like a citizen-powered version of CNN.“
+++ Zeitweilig inhaftiert war in Ferguson Wesley Lowery, ein Reporter der heute schon in anderen Zusammenhängen genannten Washington Post. Grund für die Festnahme: Er hatte Polizisten gefilmt. Über seine Erlebnisse mit der Staatsgewalt berichtet Lowery in seiner Zeitung.
+++ „Any American Can Take Any Police Officer's Photo“, das heißt, er muss nicht einmal Journalist sein. Das stellt in diesem Zusammenhang The Atlantic klar.
+++ Falls Sie schon auf Neuigkeiten und neue Einschätzungen rund um die rundfunkbeitragsfinanzierte Wahlfälschungsskandälchen warten: Here we go! Und zwar mit Stefan Niggemeier, der in seinem Blog darüber berichtet, wie WDR und HR „Transparenz und Aufklärung vorgaukeln“, und etwa die Aussage eines herumeiernden HR-Pressesprechers dokumentiert. Außerdem kommentiert Dieter Anschlag in der Funkkorrespondenz: „In dem Rankingshow-Skandal manifestiert sich die schon seit längerem andauernde ernste intellektuelle Krise des öffentlich-rechtlichen Systems (...) Die einzige Chance mit Blick auf die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wäre eine Selbstreflexionsdebatte, mit allen Gutwilligen gerade auch von außen, die ja durchaus bereit wären zu helfen.“
+++ Ein paar Seiten weiter erfahren wir aus der FK noch, dass das ZDF „künftig an ‚Tatort‘-Produktionen des WDR beteiligt ist“. Wie das? Das hat zu tun mit Veränderungen in der wunderbaren Welt der Tochter- und Enkelfirmen von ARD und ZDF, konkret damit, dass die Bavaria, an der das ZDF mittelbar zu 50 Prozent beteiligt ist, die TV-Produktionsfirma Colonia Media „vollständig übernimmt“.
+++ Des weiteren in der Funkkorrespondenz: die von mir - inspiriert durch einen Hinweis von @americanarena - zusammengestellten Höhepunkte eines Live-Tickers, der es in puncto Highend-Irrsinn mit öffentlich-rechtlichen Seen- oder Brücken-Ranglisten und vielleicht sogar mit einem Christopher-Lesko-Artikel aufnehmen kann.
+++ Der umfangreichste Text der aktuellen FK-Doppelausgabe ist sechs Seiten lang, er stammt von Carsten Brosda, dem medienpolitischen Adlatus des Hamburger Bürgermeisters Olaf Scholz. Es geht in dem Beitrag, wie der Vorspann verspricht, „um nichts Geringeres als die Option von Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern, zum Beispiel in Form eines gemeinsamen Medienstaatsvertrags“. Brosda schreibt: „Wenn wir aktuell vom Medienstaatsvertrag sprechen, dann geht es (...) zunächst weniger um neue Debatten über Zuständigkeiten und Kompetenzgrenzen als vielmehr um pragmatische Vereinbarungen zwischen den Ländern und dem Bund, die sicherstellen, dass die Anliegen einer gelingenden gesellschaftlichen Öffentlichkeit nicht gegenüber den rein wirtschaftlich und technologisch getriebenen Interessen ins Hintertreffen geraten.“
+++ Noch länger allerdings, nämlich ca. 52.000 Zeichen stark: die von Bundesverfassungsrichter Johann Masing verfasste „vorläufige Einschätzung der ‚Google-Entscheidung‘ des EuGH“, die in Auszügen mitunter (siehe neulich hier im Altpapierkorb) schon zu haben war. „Angesichts des Interesses einer inzwischen auch breiteren Fachöffentlichkeit in Anknüpfung an diesbezügliche Diskussionen auf verschiedenen Internetforen“ habe er sich entschieden, seinen „nicht mehr ganz jungen Vermerk (...) nun doch öffentlich zu stellen“, und zwar im Verfassungsblog.
+++ Die SZ ist heute nicht erschienen. In Teilen Bayerns feiert man Mariä Himmelfahrt.
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.