Diese 50 Floskeln machen heute Artikel in deutschen Medien hässlich. Der NDR gesteht die überflüssigste Manipulation Norddeutschlands. Die FAS sorgt sich um Redaktionsurlaube in Trendhotels. Die russische Medienaufsichtsbehörde ist auch international erfolgreich. Und der ZDF-Fernsehrat bleibt der Politikferne fern.
Man könnte meinen, dass Auflistungen dieser Tage ein wenig an Popularität eingebüßt hätten (mehr zum beliebtesten Manipulationsfall der Deutschen in Kürze). Doch von dem bisschen Skandal ließen sich die beiden Nachrichtenredakteure Udo Stiehl und Sebastian Pertsch nicht abhalten und präsentieren seit heute zweimal täglich die beliebtesten Floskeln deutscher Journalisten Floskelwolke.
Auf Platz 1 heute „Tote gefordert“, was laut den beiden Machern gar nicht geht:
„Ereignisse können nichts fordern. Der ,Absturz eines Hubschraubers hat drei Tote gefordert’ ist falsch. Bisher wurde noch kein folgenschweres Unglück mit dieser Forderung gehört. Abstürzende Hubschrauber sprechen nicht.“
(Udo Stiehl erklärt das in seinem Blog noch ausführlicher.)
Es folgen „Datendiebstahl“ („Ist technischer Unfug. Werden Daten gestohlen bzw. geklaut, wird in fast allen Fällen nur eine Kopie erstellt.“) und „humanitäre Katastrophe" („Hat sich inzwischen bis in die höchsten Gremien der Vereinten Nationen durchgesetzt. Wird dadurch nicht weniger zynisch: Eine Katastrophe kann nicht humanitär bzw. menschlich sein.“).
Gar nicht zum Einsatz kommen heute etwa „in den Startlöchern stehen“, „Rotationseuropäer“ und „schmerzhafte Einschnitte“. Was das Manko des Projekts offenbart: Hinter der Liste steckt eine Googlesuche nach 50 vorher festgelegten Floskeln auf 2000 Websites deutschsprachiger Medien.
Doch Stiehl und Pertsch geht es gar nicht um Vollständigkeit, sondern darum, ein Bewusstsein für die Verwendung von Floskeln zu schaffen, wie sie in den FAQ schreiben:
„Sind denn Floskeln und Phrasen schlimm?
Nein, die Sprache lebt auch von Bildern, es entstehen neue Wortschöpfungen und Bedeutungen. Einige Floskeln und Phrasen sind jedoch tatsächlich schlimm, wenn es um präzise Formulierungen geht oder Sachverhalte möglichst neutral geschildert werden müssen. Dann können sie falsche Bilder erzeugen, Informationen verschleiern oder schlicht einen Text hässlich und langweilig machen.“
[+++] Und Sie dachten noch, das sei ein Scherz, als an dieser Stelle vor vier Wochen infrage gestellt wurde, ob Hessisch wirklich der beliebteste Dialekt der Hessen ist. Seit Freitag wissen wir: Auch bei den Rankingshows der dritten Programme wurde geschummelt und der Rhododendronpark Ammerland vom NDR um seinen zehnten Platz bei den „schönsten Gärten und Parks des Nordens“ gebracht (Pressemitteilung NDR; Auflistung der Manipulationen bei DWDL).
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„Skandal!“ zu rufen ist in jedem Fall richtig; die Frage ist nur, ob die vertauschten Plätze das eigentliche Ärgernis sind oder nicht doch eher der Versuch, „Die spannendsten Seen Norddeutschlands“ überhaupt in eine Reihenfolge zu bringen.
„Die Informationen, die der Sender jetzt veröffentlicht hat, sind aber nicht nur wegen der dokumentierten Sorglosigkeit im Umgang mit den Ergebnissen erhellend. Vor allem demonstrieren sie eindrucksvoll, wie sinnlos die jeweiligen Sendeformate als solche sind. Teilweise wurden pro Sendung weniger als tausend Stimmen abgegeben (...) Warum diese häufig verschwindend geringe Beteiligung an den Umfragen, die im Sender bekannt gewesen sein muss, nicht schon früher zu Zweifeln am ganzen System der Sendungen geführt hat, ist eine unbeantwortete Frage.“
Schreibt Stefan Niggemeier in der FAZ vom Wochenende, während sich Katharina Riehl in der SZ der Frage widmet, warum der NRD überhaupt freiwillig mit dieser Information herausgerückt ist.
„Bemerkenswert ist, dass der Sender die Manipulation nun von sich aus einräumt – ein extern erstelltes, quasi amtliches und leicht überprüfbares Ergebnis wie die Forsa-Studie gibt es hier ja nicht. Für den NDR-Intendanten und ARD-Vorsitzenden Lutz Marmor, der gern von Transparenz und Ehrlichkeit spricht, ist die Flucht nach Vorne andererseits vergleichsweise imageschonend.“
So sieht das auch Julia Wadhawan bei Meedia:
„So richtig schlimm manipuliert hat der NDR nicht. Vermutlich ging es Intendant Lutz Marmor darum, vorausschauend mögliche ,Enthüllungen’ selbst zu übernehmen, um am Ende nicht als der Dumme dazustehen. Was die Überprüfung allerdings auch zeigt: Geringe Schummeleien bei den beliebten Votings scheinen eher die Regel als die Ausnahme zu sein. Jetzt, wo der NDR vorgeprescht ist, dürfen gerne auch die anderen Anstalten nachziehen. Wenn sie sich denn trauen.“
Womit wir wieder bei den Hessen und ihren Lieblingsdialekten bzw. dem dafür verantwortlichen Hessischen Rundfunk sind. Schon morgen zeigt dieser „Die beliebtesten Schauspieler der Hessen“ und verspricht auf der Website „Aus diesen Vorschlägen haben Sie Ihre Favoriten gewählt“. Beim ebenfalls rankingbegeisterten WDR ist es am Mittwoch wieder soweit. Dann läuft „Die beliebtesten Museen in NRW“ („Wir wollten von Ihnen wissen: Welches dieser Museen ist Ihr Favorit?“). (Vom RBB und seinen „30 Favoriten“ müssen wir hier nicht sprechen; der hat dem Tagesspiegel versichert, dass dort alles seine Ordnung hat.)
Nicht ausgeschlossen, dass wir an dieser Stelle bald „Die beliebtesten Manipulationen der Rankingshow-Redaktionen“ präsentieren können. „Und auf Platz 1: Der NRD mit der Ausrede: Wir hatten kein gutes Bildmaterial vom Rhododendronpark Ammerland.“ Könnte es heißen. Denn selbstverständlich würden wir vorher unsere Leser über die Rangfolge abstimmen lassen und die Wahl von Jürgen Kallrath überwachsen lassen. Kallrath ist Notar und sorgt als solcher derzeit dafür, dass zumindest beim Voting im Privatfernsehen, in diesem Fall bei „Got to Dance“, alles mit rechten Dingen zugeht (Karoline Meta Beisel in der Wochenend-SZ).
„Man könne sich durchaus fragen, ob ein Notar bei so einer Veranstaltung eigentlich etwas zu suchen habe, sagt der Notar. ,Aber ich finde: ja.’ Tatsachen zu beobachten und zu bescheinigen, das gehöre zu seinen typischen Aufgaben, wie etwa auch bei der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft die Beschlüsse zu beurkunden. Für ihn ist klar: ,Wer pfuschen will, der holt sich keinen Notar ins Haus.’ Oder anders herum: Wer sich kontrollieren lasse, zeige, dass er Pfusch verhindern will.“
[+++] Die „Zeitung [ähnelt] in einer Hinsicht der Zigarette [...]: Man muss die Kundschaft im jungen Alter anfixen, um sie zu Gewohnheitskonsumenten zu machen. Sonst sind Hopfen und Malz verloren.“ So steht es zu Beginn des dreiseitigen, dreiautorigen Aufmachers im Wirtschaftsteil der FAS. „In eigener Sache“ ist er überschrieben und widmet sich dem Sterben der Zeitungen.
Kurz nachgefragt:
Wenn Zeitungen wie Zigaretten sind, bekommt man davon auch Lungenkrebs und Raucherbein?
Warnen die EG-Gesundheitsminister schon vor dem Konsum?
Sind im Umkehrschluss langjährige Zeitungsleser ausschließlich von einer bislang erfolglos bekämpften Sucht getrieben und nicht etwa vom Bedürfnis nach Information? Oder ist das die Hinsicht, in der die Zeitung der Zigarette nicht ähnelt?
Und ließ sich in der großen weiten FAS-Redaktion wirklich kein weniger abschreckendes Sprachbild finden?
Davon abgesehen ist der 30.000-Zeilen-Riemen all denjenigen ans Herz gelegt, die die vergangenen Jahre von einer Habilitation in Atomphysik oder der Geburt von Fünflingen oder etwas vergleichbar Zeitaufwändigem abgelenkt waren und daher von Anzeigenschwund und Interneterfindung nichts mitbekommen konnten. Oder, in positiveren Worten: Er bietet eine sehr gute Zusammenfassung der Zeitungsgeschichte bis heute. Sowie zwei Szenarien, wie es weitergehen könnte:
„Das erste trägt den Arbeitstitel: Es wird böse enden. Die Finanzierungsbasis der klassischen Zeitungen erodiert. Ein großes Zeitungssterben setzt ein. Einige Verlage retten sich, indem sie die alten Nebengeschäfte im Internet ausbauen, ihre Zeitungen aber aufgeben. In Gefahr geraten selbst die großen Namen. (...) Noch sieben Jahre wird es die gedruckte Zeitung geben. Dann ist Schluss (...).“
Die einen sagen so, die anderen so:
„Es wird doch noch gut: Eine neue Pressevielfalt entsteht. Einige wenige alte Verlagshäuser gehen als Sieger aus der Krise hervor. Medienforscher Hasebrink sagt, sie profitierten davon, dass die großen Marken der Presse ein großes Vertrauenskapital bei ihren Lesern angehäuft haben. (...) Zu den alten Verlagshäusern, die den Wandel geschafft haben, gesellen sich junge Verlage. Sie können entstehen, weil in der neuen Zeit die Verteilung von Informationspaketen ohne großen finanziellen Aufwand möglich wird (...). Sie werden von jungen, billigen Redaktionen gemacht. Die neuen Verleger haben die Vorstellung aufgegeben, dass das alte Anzeigengeschäft zurückkommt. Sie müssen ausschließlich vom Verkauf journalistischer Texte leben. Damit das funktioniert, verzichten die neuen Verlage weitgehend auf Printausgaben. Zeitungen zum Anfassen gibt es nur als Luxuspaket – so wie wir es jüngst in einem Trendhotel im österreichischen Bad Gastein erlebt haben, wo morgens um sieben Uhr wahlweise F.A.Z. oder ,Süddeutsche Zeitung’ vor der Zimmertür lagen.“
Womit wir zusammenfassen können: Wenn es nach den Wirtschaftsredakteuren der FAS geht, wird ihre Zeitung auf ewig gedruckt erscheinen. Und das mit den „jungen, billigen Redaktionen“ wird sich in den „alten Verlagshäusern“ niemals durchsetzen. Wie sollten die Redakteure sonst auch ihre gemeinsamen Urlaube in Trendhotels in Bad Gastein finanzieren?
+++ Der ZDF-Fernsehrat wird der Politikferne noch ferner: Anfang des Monats hat der Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz (SPD) dort einen bislang vakanten Platz eingenommen. Nach Thomas Oppermann (Altpapier) zieht damit trotz Bundesverfassungsgerichts-Urteil schon wieder ein Politiker in den Fernsehrat, schreibt der Focus. +++
+++ Was macht eigentlich unser Lieblingsnachrichtenmagazin mit den bunten Bildern Dr. Norden Der Spiegel? In dieser Woche setzt er auf Colourblocking und titelt mit „Liebe auf Rezept“. Im hier ja vorrangig interessierenden Medienteil geht es zudem um die Frage, ob Google und Microsoft unsere Mails automatisch nach Kinderpornographie durchsuchen dürfen („Google betont aber immer wieder, dass Nutzer des E-Mail-Dienstes nicht davon ausgehen können, dass ihr Schriftverkehr privat ist.“) und um den britischen Investigativjournalisten Nick Davies, der nun ein Buch über seine Recherchen zu Rupert Murdoch und seinen News of the World geschrieben hat („Er zeichnet darin das Sittenbild einer politisch-medialen Elite, die durch Gier und Furcht zusammengeschweißt ist: die Gier nach Macht und die Furcht, diese Macht zu verlieren.“). +++
+++ Wie findet Wladimir Putin es, wenn eine Region im Osten Russlands ihre Autonomie fordert? „Sibirien ist keine Kolonie“ lautet der Titel der Facebookseite, die sich eben dafür einsetzt. „Wir verwenden die Rhetorik, die auch unsere Regierung in ihrer Propaganda verwendet. Sie trichtert uns ein, wie großartig es ist, wenn sich einige Republiken für das Recht auf Selbstbestimmung einsetzen“, sagt der Künstler und Mitorganisator Artjom Loskutow in der heutigen taz. Die damit – wie vor ihr 17 andere internationale Medien – ins Visier der russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor geraten dürfte, die auf die Löschung der Interviews mit Loskutow drängt, teils mit Erfolg. +++
+++ Baha Güngör war lange für die dpa in der Türkei, ist heute Chef des türkischen Programms der Deutsche Welle und spricht im Interview mit Bülend Ürük bei newsroom auch über die Situation der Journalisten vor Ort. „Ich selbst war ja als dpa-Korrespondent zweimal vom Entzug meiner Akkreditierung bedroht, weil ich damals den ersten islamistischen Ministerpräsidenten und politischen Ziehvater Erdogans, Necmettin Erbakan, geärgert hatte. Im Gegensatz zur damaligen Zeit, als der Türkei noch der EU-Prozess am Herzen lag, können sich heute die unbequemen Kollegen und Kollegen nicht darauf verlassen, dass sie nicht doch irgendwo physisch attackiert werden.“ +++
+++ „Lob von Experten gibt es viel. Journalisten des Kanals haben zahlreiche Preise gewonnen, darunter zwei der prestigeträchtigen Peabody Awards. Allerdings findet das Ganze, trotz bescheidener Erfolge seit der Gaza-Krise, weitestgehend ohne Publikum statt.“ Kathrin Werner heute in der SZ über Al Jazeera America. +++
+++ „Schwule Themen werden heute tatsächlich viel häufiger in Mainstream-Medien verhandelt als vor 20 Jahren. Wobei es noch immer einen Unterschied macht, ob ,Spiegel Online’, ,FAZ’ und ,Leipziger Volkszeitung’ über Conchita Wurst oder das Blutspendeverbot für Schwule berichten oder ob es Homomedien mit Expertise und Szenekenntnis tun.“ Paul Wrusch versucht in der sonntaz herauszufinden, warum schwule Printmedien in der Krise stecken. +++
+++ „In der Romanze ,Pretty Woman’ hält Julia Roberts beim Frühstück zum Beispiel erst ein Croissant in der Hand und später einen Pfannkuchen (...) und in dem Klassiker ,Der Pate’ sieht man bei einem erschossenen Polizisten ein Einschussloch auf der Stirn, obwohl Al Pacino gerade erst auf seinen Kopf zielt.“ Sowas passiert, wenn die Continuity-Expertin am Set pennt. Marie Rövekamp hat für den Tagesspiegel die Dame besucht, die den Job bei „GZSZ“ macht (das heute Abend zum 5555. Mal läuft). +++
+++ „Spätestens seit ,Downton Abbey’ ist Großbritannien wieder das Land der großen Historiendramen. (...) Doch diesmal sollte es kein fernes Schloss sein, sondern viel mehr die Lebensnähe, die das Drama ,Mr Selfridge’ auszeichnet. Der Privatsender nimmt die Zuschauer mit auf eine Reise auf eine der wohl bekanntesten Shoppingmeilen: Die Londoner Oxford Street, an deren unattraktiven Ende der Amerikaner Harry Gordon Selfridge Anfang des vergangenen Jahrtausends seinen riesigen Einkaufstempel eröffnete.“ Marcel Pohlig hat für DWDL britisches Fernsehen geschaut, das im November auch bei ZDFneo zu sehen sein wird. +++
Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.