Demokratierelevante Blutspendetermine

Der Lokaljournalismus ist so mies, dass sogar Politiker Mitleid haben. Helmut Thoma erfindet das unsichtbare Kamerateam. Edward Snowden soll sich bitte umgehend beim NSA-Untersuchungsausschuss melden, während sich der durchschnittliche Mensch nur von Überwachung belästigt fühlt, wenn sie per Drohne anrauscht. Außerdem: wer kein Thomas Gottschalk ist und die neuesten Trends in der Bestattungskultur.

Wie gewohnt beginnen wir mit der wichtigsten Mitteilung: Am gestrigen Donnerstagnachmittag hat die Abendschau des RBB ihren 1.000 Tweet abgesetzt. Er lautete:

„DER 1000. TWEET!!! #Blutspende kann Menschen retten: Spendet bis Samstag im #Einkaufszentrum #TempelhoferHafen täglich zwischen 10-20 Uhr“

Schöner kann man das, was diese lokale Hauptnachrichtensendung der größten Stadt dieses Landes ausmacht, nicht zusammenfassen.

Dabei muss Lokales nicht immer banal sein, wie Ellen Nebel annehmen muss. Hielte sie Lokaljournalismus nicht für relevant sowie der kritischen Berichterstattung im Prinzip für fähig, müsste sie sich im aktuellen epd medien nämlich keine so großen Sorgen um die Pressevielfalt im Regionalzeitungsmarkt machen. (Die dort grassierende Zusammenlegeritis der Funkes und ihrer Freunde war hier ja schon so oft Thema, dass man ein ganzes neues Altpapier mit Links zu alten Altpapieren füllen könnte.)

„Geht es um Fusionen und U?bernahmen, mag das Kartellrecht noch ein Regulativ darstellen. (...) Redaktionelle Kooperationen zwischen Verlagen, wie sie Funke und Lensing bei der WR praktizieren, finden indes unterhalb des Radars der Kartellwa?chter statt. Dabei ist der Schaden fu?r die publizistische Vielfalt nicht weniger erheblich.“

Doch was will man machen, wenn die Verleger machen, was sie wollen, nämlich entlassen und zusammenlegen statt die publizistische Vielfalt zu erhalten?

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Selbst der Politik bereitet das mittlerweile Sorgen – allein dadurch fühlt man sich als Journalist ja schon wie ein Brasilianer nach dem siebten Tor, als sich die Deutschen vor lauter Mitleid kaum noch zu jubeln trauten.

Aber so ist es halt: Die Politik macht sich Sorgen um den Zustand des Lokaljournalismus.

„[Der Dortmunder Zeitungsforscher Horst] Ro?per berichtet von Politikern, die sich bei ihm beklagen, dass freie Mitarbeiter Fragen auf niedrigstem Niveau stellen und kaum Ahnung von Lokalpolitik haben. Was anfangs durchaus noch als komfortable Situation wahrgenommen wurde, da unkritische Journalisten fu?r Politiker natu?rlich sehr bequem sein ko?nnen, entpuppt sich langsam auch fu?r die vermeintlichen Profiteure als Problem. ,Wenn auch u?ber andere Parteien nicht mehr kritisch berichtet wird und lokalpolitische Themen entweder falsch oder gar nicht mehr ihren Weg in die Zeitung finden, wird die Brisanz der Situation deutlich’, sagt Ro?per.“

Was tun? Die Grünen haben die Idee einer Medienkommission vergleichbar mit der KEF erarbeiten lassen, in NRW wurde bekanntlich die „Stiftung Vielfalt und Partizipation“ angeschoben (z.B. Altpapier im Mai und Juli). Doch am liebsten wäre es Ellen Nebel, machten die blöden Verlage endlich wieder ihren gottverdammten Job:

„Die Politik sieht bereits Handlungsbedarf, doch ko?nnen Stiftungen und Kommissionen mit ihren Angeboten nur punktuell Wirkung entfalten. Und auch das Leistungsschutzrecht wird unter dem Strich wenig beitragen. Die Diskussion macht deutlich, dass die Verlage an vielen Stellen ihre Bringschuld nicht erfu?llen. In welchem wirtschaftlichen Zustand sich ihre Branche wirklich befindet, la?sst sich mangels Daten nur erahnen, umgekehrt liegen Wohl und Wehe eines Berufsstandes, der eine demokratierelevante Aufgabe erfu?llt, in ihrer Hand.“

Jetzt, wo es hier so deutlich steht, werden sich die Verleger sicher eines Besseren besinnen.

Ein Bereich, in dem man schon wesentlich weiter ist mit der politischen Unterstützung lokaler Medien, ist das sächsische Lokalfernsehen (ganz recht, sächsisches Lokalfernsehen, da müssen Sie jetzt durch). Die schwarz-gelbe Koalition hat eine Novelle des sächsischen Privatrundfunkgesetzes auf den Weg gebracht, nach der die dortige Landesmedienanstalt lokalen und regionalen Fernsehsendern bei den Kosten für die technische Infrastruktur unter die Arme greifen darf, wie Volker Nünning in der aktuellen Funkkorrespondenz berichtet.

„In Sachsen gibt es rund 55 lokale und regionale Fernsehsender – so viele wie in keinem anderen Bundesland. Rund 80 Prozent der Anbieter schreiben allerdings rote Zahlen, nur 20 Prozent wirtschaften ohne Verluste. Die preka?re Finanzlage der Sender verscha?rft sich dadurch, dass die Werbeeinnahmen sinken, weil Unternehmen versta?rkt bei Internet-Anbietern Werbung schalten. CDU und FDP wollen die derzeitige Vielfalt im Lokalfernsehen erhalten. Um dieses Ziel zu erreichen, wollen sie die TV-Veranstalter bei deren Programmverbreitungskosten entlasten, die bis zu 25 Prozent der Senderbudgets ausmachen.“

Bevorzugt werden sollen bei der Förderung die Sender, die auf DVB-T setzen, was noch zu einem Konflikt mit dem EU-Recht führen könnte, das einen ähnlichen Vorstoß von NRW und Berlin/Brandenburg schon mal kassiert hat. Aber hängen bleibt doch: Sachsen hat 55 regionale Fernsehsender und die Politik ist bereit, Rundfunkgebühren springen zu lassen, damit private Medienunternehmen nicht mehr so sehr unter einbrechenden Anzeigenerlösen leiden.

Bis zum nächsten Altpapier werden selbstredend alle 55 Sender durchgeschaut, um auch beurteilen zu können, ob diese eher Team Demokratierelevant oder Team Blutspendetermine sind. Bis dahin vertrösten wir mit einem Beispiel aus NRW, wie Regionalfernsehen aussehen kann – genau, Helmut Thomas NRW.TV, das nun von dem Recht Gebrauch machen möchte, 90 Sekunden über Bundesliga-Spiele berichten zu dürfen. Bisher war das daran gescheitert, dass die Vereine einfach keine fremden Kamerateams in die Stadien gelassen haben. Doch Helmut Thoma ist ein Undercover-Fuchs, wie die SZ heute schreibt:

„In Zeiten allgegenwärtiger Smartphones brauche er aber kein Kamerateam und keine Drehgenehmigung mehr. Thoma setzt darauf, dass seine Reporter in der Masse der Zuschauer nicht weiter auffallen.“

[+++] Ist ja alles schön und gut, das mit diesem Lokalspaß. Aber wann kommt endlich das Relevante Überregionale? Bitteschön: Der erste Edward Snowden (und aller, die noch kommen werden, Altpapier gestern) darf drei weitere Jahre in Russland bleiben und sogar ins Ausland reisen, und das ist „besser (...) als 35 Jahre im Gefängnis für Zivilcourage (netzpolitik.org), „für den Westen entwürdigend“ (Freitag) bzw. keine große Überraschung; „Es wäre gut, wenn er sich seinen Transparenzpostulaten selbst unterwerfen würde und sich gegenüber dem deutschen NSA-Untersuchungsausschuss nicht so zugeknöpft gäbe.“ (FAZ, S. 8).

Was soll man dazu sagen? Am besten: Da wir gerade von Überwachung sprechen - auf der Medienseite der FAZ steht was mit Drohnen (geschickte Themenwechsel: check!).

Ursula Scheer war dabei, als eine solche beim RBB für Fernsehzwecke zum Einsatz kam.

„Die Drohne verheißt neue Einblicke für Naturfilmer, Berichterstatter aus Katastrophengebieten und Kriegen, Investigativreporter und Paparazzi. Ist sie deshalb gut oder böse? Auf alle Fälle ist sie verlockend, schon weil beim Elektronikhändler im Netz das Einsteigermodell inklusive Kamera für siebzig Euro zu haben ist.“

Doch keine Sorge; unser öffentlich-rechtliches Fernsehen hantiert selbstverständlich nicht mit solcher Mangelware: Die von Scheerer bewunderte Rbb-Drohne hat 20.000 Euro gekostet. Dafür gibt es dann aber auch den „,Wow’-Effekt“. Blöd nur, dass sich manche Menschen im Angesicht der Drohne etwas unwohl fühlen.

„Dass die Menschen im Visier von Überwachungskameras sind, im Bus, in der Bahn, in der Bank, dass ihre Handys geortet und ihre Spuren im Internet verfolgt werden, scheint viele Menschen nicht so nervös zu machen wie Kameradrohnen. Weil sie physisch präsent sind und wohl ähnliche Reflexe auslösen wie eine Wespe. Die Lust ist auf der Seite desjenigen, der sich zumindest virtuell erheben kann und später Bilder über den Laptop gleiten sieht, die tatsächlich anders aussehen.“


Altpapierkorb

+++ Fernsehmoderator Jochen Schropp kann Sarkasmus; leider wurde das bislang aber immer rausgeschnitten. Das alles (und noch viel mehr, etwa, dass er ganz unprominent aussieht, wenn er in Berlin-Mitte zum Einkaufen geht und warum ihm Wolfgang Rademann schon mal einen Gefallen getan hat) im großen DWDL-Interview „Ich bin halt noch kein Thomas Gottschalk“. +++

+++ Wikipedianer aus aller Welt haben sich in London getroffen und besprochen, was Neues mit Daten ausprobieren und sich um mehr Frauen in den eigenen Reihen bemühen zu wollen, schreibt Daniel Bouhs in der taz. Außerdem bemüht man sich um einen transparenteren Umgang mit bezahlten Schreibern. „Wer für eine Änderung bezahlt wird - etwa als Lobbyist oder als Mitarbeiter einer PR-Agentur -, muss das nun in seinem Profil und in den Notizen zu den Aktualisierungen offenlegen, die hinter jedem Eintrag einsehbar sind. Allerdings darf bezweifelt werden, ob sich alle an die neuen Spielregel halten.“ +++

+++ „Der Scan mit dem Smartphone, um den Toten digital nahe zu sein, ist momentan die innovativste Entwicklung der Bestattungskultur.“ Das hat Tatjana Kerschbaumer für uns, die wir uns mit den Trends der Bestattungskultur nicht so auskennen, heraufgefunden. Für den Tagesspiegel hat sie mit dem Schöneberger Steinmetz Stefan Herrmann gesprochen, der QR-Codes in Grabsteine meißelt und meint: „Es trauen sich viel zu wenige, etwas Modernes zu machen. Dabei kann man den Leuten zeigen, dass es auf dem Friedhof noch etwas anderes gibt als viereckige Steine mit Namen drauf“. Außer QR-Codes, die etwa zum Twitter-Account des Verstorbenen führen, könnte das laut Herrmanns Website auch mal ein („Angebot des Monats“) Stehstein mit Swarovski-Ornament sein. +++

+++ „Wer vom Fernsehen längst vergessen wurde, kann immer noch auf die Treue des Boulevardtheaterpublikums bauen. Bühnen wie die Komödie im Bayerischen Hof sind Abklingbecken für die Restpopularität früherer Fernsehstars.“ David Denk auf der SZ-Medienseite über Schauspieler, die bei sparenden Fernsehsendern keine Rollen mehr bekommen und beim Boulevardtheater anheuern. +++

+++ Ein Jahr eine Wohnung in Mainz, ein Honorar und ein 60.000-Euro-Etat für eine 45-minütige Reportage, das alles erwartet den Mainzer Stadtschreiber, den das ZDF seit 30 Jahren kürt, berichtet Gemma Pörzgen im aktuellen epd medien. Allerdings reichen die entstehenden Filme gerade mal fürs Nachtprogramm und finden kaum Zuschauer: „Wer sich die Filme ansieht, weiß auch warum - denn die Schriftsteller-Filme wirken erstaunlich uninspiriert. Es ist eher gewo?hnliche Fernsehware, nur mit dem Unterschied, dass die Dokumentationen eher noch langatmiger und textlastiger erza?hlen. Es verwundert, wie wenig experimentell diese Verbindung von Literatur und Fernsehen gelingt. Von a?sthetischem Eigensinn oder eigenwilliger ku?nstlerischer Handschrift ist nichts zu spu?ren.“ +++

+++ „Die Flüchtlinge kamen, die Touristen gingen“, so wird auf der Medienseite der FAZ kurz zusammengefasst, was die Dokumentation „Libanon – Zukunft gesucht“ heute Abend bei 3sat zeigt. „Das Schicksal der Flüchtlinge [betrachtet die Reporterin] zwar keineswegs teilnahmslos, aber doch mit einer gewissen Nüchternheit. Sie konzentriert sich vielmehr klar auf die wirtschaftlichen Folgen dieses Dramas und zeigt am Beispiel einiger Unternehmer, wie die Belastung vor allem durch den syrischen Krieg auch die Stabilität des Libanon gefährdet.“+++

+++ Zum Abschluss noch ein Hinweis für alle, die dem Grimme-Institut gerne bei der „Akquise und Betreuung von Sponsoren und Partnern“ sowie „Neukonzeption und publizistische Weiterentwicklung der Öffentlichkeitsarbeit des Grimme-Instituts“ helfen möchten. Wo es ja durchaus noch Verbesserungsbedarf gibt, wenn man sich kurz an den April und die Diskussion erinnert, die über das Institut hereinbrach, als es mit der Landesanstalt für Medien Fördergelder gegen zwei Plätzchen im Beirat für den Grimme-Preis tauschen wollte (siehe diverse Altpapiere, etwa hier, hier und hier). Nun sucht das Institut via Zeit jemanden, der diesen Anforderungen besser gewachsen ist. Außerdem sollte man sich mit Gesellschaft und Medien im digitalen Zeitalter identifizieren. Wer das tut und sich trotzdem für ein Leben in Marl interessiert, kann sich dem digitalen Zeitalter gemäß per Post bewerben. +++

Frisches Altpapier gibt es wieder am Montag.