Das Ende der Lesbarkeit

Auf Seitenflüsschen mündet doch noch in den Hauptstrom ein, wie Zeit-Alphajournalisten gegen die ZDF-"Anstalt" vorgehen. Außerdem: Josef Joffes Nibelungentreue. Skandalnudel Tagesspiegel? Der "Männertreu"-Film der ARD.

Skandale waren immer schon ein wichtiger Treibstoff der Medien. So lange so viele Medien miteinander konkurrieren wie zurzeit, werden besonders viele gebraucht. Manche sind eigentlich gar keine, können den Zweck aber dennoch erfüllen. Andere, womöglich wichtigere erhalten oft nicht die verdiente Aufmerksamkeit ...  

An diesem Mittwoch sendet die ARD den regelmäßigen Altpapierlesern schon aus dem Korb vom Freitag (fast ganz unten) bekannten Fernsehfilm "Männertreu" (Foto), in dem ein womöglich Schirrmacher-hafter Frankfurter Zeitungsverleger drauf und dran ist, Bundespräsident zu werden. "Skandal!", lautet die Überschrift der Tagesspiegel-Besprechung. Der Link und weitere folgen später weiter unten.

Einfach hinein in die tagesaktuelle Skandallage:

Die interessanteste News ist eine, die gar nicht neu ist, sondern vor allem von heise.de/ Telepolis und von das-zob.de über die vergangenen Monate immer mal wieder vermeldet bzw. auf das Ausführlichste diskutiert worden ist: Die Die Zeit-Journalisten Jochen Bittner (gestern erst mit einer starken Meinung im Altpapierkorb vertreten) und Josef Joffe sind gegen die ZDF-Kabarettshow "Die Anstalt" vorgegangen, da in deren April-Ausgabe einigen Star-, Spitzen- oder Alpha-Journalisten, darunter ihnen, Verbindungen zu deutsch-amerikanischen Lobbyverbänden wie dem German Marshall Fund und der Atlantikbrücke unterstellt wurden, die so nicht zutrafen. Deshalb haben sie eine Einstweilige Verfügung gegen das ZDF erwirkt, das daher die entsprechende "Anstalt"-Folge (für die offenbar keine Sieben-Tage-Verweildauer-Regel gilt) zurzeit nicht in seiner Mediathek zeigt. Weil die Behauptungen der Kabarettisten Max Uthoff und Claus von Wagner sehr ähnlich aber sehr wohl zutreffen, hat das ZDF Widerspruch eingelegt. Die Sache wird also gerichtlich geklärt werden.

Den umfassendsten und sachlichsten Artikel hat heute morgen Marcus Klöckner bei Telepolis veröffentlicht.

Außerdem berichten nun der Tagesspiegel (der mit dem eigentlich gerade urlaubenden, sich per Presseerklärung aber äußernden Joffe ja auch inhaltlich verbunden ist), die Süddeutsche auf ihrer Medienseite mit einer EPD-Meldung und die TAZ unter der Spitzmarke "Zensur", auf die dann ein "Wir Journalisten haben es nicht leicht"-Kabarettstückchen folgt (sic). Gestern aggregierte meedia.de einen Eintrag vom Montag in Thomas Stadlers Blog internet-law.de, den zuvor sehr knapp, aber früh kress.de verlinkt hatte.

Stadler schreibt von "einem journalistischen Offenbarungseid" "für ein Flaggschiff wie die Zeit" und liefert als Rechtsanwalt folgende Einschätzung der Rechtslage:

"Auch wenn der Beitrag aus der Anstalt kleinere Unrichtigkeiten aufweisen sollte, so gebührt den Machern [der 'Anstalt'; AP] dennoch Dank dafür, dass sie eine breitere Öffentlichkeit auf die Nähe meinungsbildender Journalisten wie Josef Joffe von der Zeit oder Stefan Kornelius von der SZ zu Lobbyorganisationen und transatlantischen Think-Tanks aufmerksam gemacht haben."

Den Bezug zu Uwe Krügers Studie "Meinungsmacht/ Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha­-Journalisten", den wiederum die "Anstalt"-Kabarettisten auch hatten (mehr zu Krüger und weiteren Zusammenhängen u.a. in diesem Altpapier), stellt Stadler dann auch her. Als aktuelle Information bezieht er sich "ein Interview" Uthoffs, das Mitte Juli bei Youtube veröffentlicht wurde. Dort läuft auf der Tonspur ein neunminütiges, trotz allerhand Cafégeschepper zwischendurch hörenswertes Interview. Uthoff nennt darin den Gegenstand der aktuellen rechtlichen Auseinandersetzung "eine Frage der Konrinthenkackerei" und meint, dass seine "Anstalt"-Show "von den sogenannten Hauptstrommedien ignoriert" werde.

Dass der relativ eingebürgerte Begriff "Mainstream" eingedeutscht wird, ist in Mainstreammedien auch selten, schadet aber natürlich nichts.

Geführt hat das Interview das schon erwähnte, keinerlei Mainstream zuzurechnende Portal das-zob.de ("ZentralOrganBayern/ das ZOB bietet unabhängigen Journalismus"). Schön, dass die Sache nun doch über verzweigte Bächlein im Hauptstrom angekommen ist. Übrigens auch fürs ZDF, das sich offenbar mit einigem Zögern entschlossen hat, gegen die Verfügung vorzugehen, zumal, da die "Anstalt" von jener Unterhaltungsredaktion verantwortet wird, der gerade "Deutschlands Beste!"-halber ihr Chef sowie große Teile ihres ohnehin geringen Renommees abhanden gekommen waren.

####LINKS####

Kuriosum am Rande: Um knapp zu umreißen, was Joffe so vorgeworfen wird, benutzt Anwalt Stadler noch den Terminus "Nibelungentreue" ("seine Nibelungentreue zu den USA und seine Mitgliedschaft in bzw. Nähe zu verschiedenen transatlantischen Organisationen"), der zuletzt im Vorfeld des gerade auch oft diskutierten Ersten Weltkriegs besonders en vogue war, ungefähr seit Stalingrad in deutschen Diskursen aber keine größere Rolle mehr spielte. Sicher kein Problem, als Anwalt hat sich Stadler gewiss überzeugt, dass weder Nibelungentreue, noch ihr Bruch, noch dies oder jenes als Vorwurf gegenwärtig justiziabel sind.

[+++] Eine richtige Skandalnudel scheint der Tagesspiegel im Moment zu sein. Der online attraktiv, aber jugendfrei illustrierte Artikel "Porno im Kurznachrichtendienst" zieht auch so einige Aufmerksamkeit nach sich. Es geht um den Twitter-Account des SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs, der sowohl Sprecher des "Seeheimer Kreises", also eines eher rechten SPD-Flügels, als auch Beauftragter der Fraktion für die Belange von Schwulen und Lesben (und selber schwul) ist.

"Auf Twitter folgte Kahrs von seinem offiziellen Profil aus ('Twitter Account von Johannes Kahrs (MdB) und seinem Büro #bürotweet') bis zum Montagvormittag 1382 Accounts - vielen Bundesministerien, Journalisten, Politikern. Aber auch einer ganzen Reihe von Accounts, in denen es nicht um das politische Geschehen geht, sondern um ganz andere Dinge: Sex und Pornografie. Homosexuelle verbreiten in diesen Accounts, denen sich Kahrs als Follower anschloss, Fotos von nackten Männern, von hinten und von vorn, beim Sex ...",

schrieb Matthias Meisner am Montagmittag bei tagesspiegel.de (siehe natürlich Altpapierkorb).

Eine auch nicht unaufgeregte Erwiderung gibt's heute gedruckt in der TAZ von Paul Wrusch ("Auch Politiker haben eine eigene Sexualität, sie interessieren sich für Körper, sie haben Sex", "ein bisschen Twitter-Wissen hätte da geholfen", "doch Meisner ist offenbar in den 50er Jahren hängen geblieben") und gab's, etwas expliziter illustriert, gestern dann auch noch bei vice.com ("Schwulenpornos auf Twitter und ein Skandal, der mich jetzt schon langweilt"), wo Stefan Lauer allerdings auch Kahrs' etwas inflationäre Benutzung des Adjektivs "traumschön" kritisiert.

Ob alle twitternde Politiker gewusst haben (bzw. gewusst haben werden, bevor ihnen ihre Referenten das ausgedruckte Presseclipping dazu vorgelegt haben werden), dass alles, was sie bei Twitter so tun, also auch das Folgen/ Followen, gegen sie verwendet werden kann, wäre noch eine Frage. Die sinnvollste Position zu diesem "Skandal" vertritt netzpolitik.org ("Twitter-Missverständnis im Porno-Sommerloch"), wo dann auch der anschließende Shitstorm ("am Anfang vor allem von SPD-Sympathisanten vorgetragen") und die anschließende Diskussionen zusammengefasst ist. Bloß Nico Lummas sowohl salomonischer ("Wir müssen lernen, mit dieser Verantwortung besser umzugehen, auch wenn es nur ein Smartphone ist, das wir in der Hand  halten, so hat es doch die Möglichkeit, ein globales Publikum in Sekundenschnelle zu erreichen ..."), als auch jüngere Schweini-Gesänge mit einbeziehender Kommentar wäre noch nachzutragen. Interessanter jedoch die Diskussion, die sich in den Leserkommentaren anschließt:

"Vielleicht ist Johannes Kahrs das wirklich nicht aufgefallen. Denn er folgt um 1500 Leuten bei Twitter. Das kann kein Mensch lesen. Ich vermute, bei ein paar hundert Leuten, denen man folgt, ist irgendwann das Ende des Lesbarkeit erreicht, wenn man den Tag über noch andere Sachen zu erledigen hat",

schreibt Kommentator Weirdo Wisp (ein Pseudonym?), woraufhin Netzpolitiks Markus Beckedahl entgegnet:

"Ich folge über 1000 Accounts und bekomme fast alles mit. ..."

Lässt sich objektivieren, wann das Ende des Lesbarkeit erreicht ist?



Altpapierkorb

+++ Falls heute noch nicht: Jetzt aber "Männertreu", um 20.15 Uhr in der ARD. +++ Es "stimmt fast alles in diesem Film von Regisseurin Hermine Huntgeburth und Drehbuchautorin Thea Dorn" (Jens Müller, TAZ). +++ Ein "Schlüsselfilm über die deutsche Meinungselite ...? Irgendwie ja. Und irgendwie auch nein. Denn stets machen die  Verantwortlichen der HR-Produktion sofort ängstlich Rückzieher, sobald die Fährten in die deutsche Medienwirklichkeit zu  eindeutig werden" (Christian Buß, Spiegel Online). +++ Manches "wirkt konstruiert, überdehnt und tut diesem so guten Film keinen Gefallen. Da mischt sich in das mediale  Assoziationsspektrum um Schirrmacher und Wulff noch Dominique Strauss-Kahn bei" (Thilo Wydra im Tagesspiegel, also unter der Überschrift "Skandal!"). +++ "'Männertreu' ist ein Glanzstück geworden, ein deutscher Fernsehfilm, dem man fast nicht glauben möchte, dass er ein deutscher Fernsehfilm ist", "ein Sittengemälde und eine Gesellschaftskritik, so fein, fesselnd und brutal ehrlich, dass die Grenze zwischen Dichtung und Wirklichkeit vollkommen egal wird" (Ralf Wiegand, SZ-Medienseite). +++ "Aus dem Rahmen der ansonsten überzeugenden Figuren fällt allein der von Ronald Kukulies als leicht schmieriger Spin-Doctor verkörperte Pressesprecher, der Sahls Ansehen nach dem Skandal retten soll. ... Auf Dauer nervig sind allein die ruckartigen Zooms, die keinerlei dramaturgische Bewandnis haben und daher völlig unmotiviert wirken" (TPG hier nebenan, dabei insgesamt natürlich vor allem lobend). +++

+++ "Medien erfüllen neben Zerstreuung und Unterhaltung eine riesige Bandbreite von menschlichen Grundbedürfnissen, sei es das  Eintauchen in fantastische Welten, die Online-Kommunikation mit Freunden, die Auseinandersetzung mit dem Sinn des Lebens bei der Rezeption eines bewegenden Dramas oder Information und geistige Herausforderung bei einer interessanten Dokumentation". Das sagte der Mainzer Publizistik-Juniorprofessor Leonard Reinecke seinem Interview-er Joachim Huber vom Tagesspiegel. Anlass des Gesprächs ist eine gerade von Reinecke veröfffentlichte "Studie über Schuldgefühle durch Mediennutzung" (idw-online.de). +++

+++ Immer noch besser, SPD-Politiker twittern was immer sie mögen, als dass sie Edward Snowden öffentlich Ratschläge erteilen.
"Altklug-selbstgerecht", nennt Heribert Prantl (SZ) den des Bundesjustizministers Heiko Maas (netzpolitik.org). "Abseits von allem" ist er, der Ratschlag, würde Stefan Schulz (FAZ-Medienseite) sagen. +++

+++ "Betreuter Anarchismus hat noch keiner Seite geschadet. Zum Ärgernis wird es, wenn differenzierte Berichterstattung gezielt  ignoriert und der inhaltsleere - und zumindest in Deutschland - vollkommen unberechtigte Vorwurf der Mediengleichschaltung  Diskurse erschlägt, die den Raum dringender bräuchten" (Frankfurter Rundschau über Online-Leserkommentare). +++

+++ Auf der SZ-Medienseite geht's u.a. um The Sarah Palin Channel. "Ja, richtig gelesen: Palin, die einmal amerikanische Vizepräsidentin werden wollte, betreibt nun  ihren eigenen Internetkanal - und es ist keine kleine Klitsche, sondern ein Premiumprodukt: Das Abonnement kostet 9,95  Dollar im Monat und damit fast einen Dollar mehr als eine Mitgliedschaft beim Streamingdienst Netflix für den gleichen Zeitraum". +++ Indes bei sueddeutsche.de: Michael Eberts Nachruf auf Hans-Hermann Prado. Er "fand wirklich so ziemlich alles und jeden interessant, ohne Vorbehalte oder Dünkel. Eine bemerkenswerte Eigenschaft unter erfolgreichen Journalisten - und ein Segen für die vielen Magazine, die er verantwortete und mit denen er auf Wunsch seines Verlages erst im März 2014 aus München nach Hamburg umgezogen war." +++

+++ "Juden rein", fordert Michael Hanfeld auf der FAZ-Medienseite: "Die christlichen Kirchen sind bei ARD und ZDF vertreten, in den Gremien und im Programm - im Radio und im Fernsehen. Und auch Muslime haben die Gelegenheit, die Dinge aus ihrer Sicht zu präsentieren - etwa im 'Forum am Freitag' bei ZDFneo. Warum gibt es so etwas für die Juden in Deutschland nur in den ARD-Kulturradios und im Deutschlandradio? Das Fernsehen sollte gleichziehen. Es ist höchste Zeit." Dass dieses "Forum am Freitag" tatsächlich bei ZDF-Info läuft, nimmt der Forderung natürlich nichts. +++ Ebd. beschreibt Dieter Bartetzko "das klägliche Ende jener quotenträchtigen Spurensuche, die nicht vor Graböffnung und Exhumierung zurückschreckte", mit der der MDR einer geheimnisumwitterten "Dunkelgräfin" des frühen 19. Jahrhunderts im thüringischen Hildburghausen nachging. Sie war nun doch keine französische Königstochter (siehe burgerbe.de). +++ Recht sommerlochig liest sich der längste Artikel der FAZ-Medienseite Lena Bopps "Lob der Wiederholung", so wahr vieles auch ist ("Im Gegenteil ist es doch eine Wohltat, nicht mehr jeden Abend Anne Will, Reinhold Beckmann ..., Frank Plasberg, Maybrit Illner und Sandra Maischberger dabei zusehen zu müssen, wie sie viel zu oft vergeblich versuchen, ihre Gesprächskreise in Debatten zu verwickeln, die entweder ohnehin keine sind oder von ihren Kollegen schon zu Tode geritten wurden. Auch ein Abend ohne Markus Lanz ist ein Gewinn"), spätestens bei der Schlusspointe: "Eine der besten Wiederholungen dieses Sommers hatte am Montag übrigens der Sender Phoenix im Programm: 'Fifa WM 2014 - Der  Weg zum Titel', inklusive Mario Götzes Tor in der 113. Minute im Endspiel. " +++

+++ Und die TAZ-Kriegsreporterin, die bekanntlich selten lobt, lobt heute das "Jahrhundert-Cover!" der TAZ von gestern. Sie kritisiert aber auch, so das aktuelle Spiegel-Cover ("Es wird doch kein Zufall sein, dass der Spiegel mit Bild-Mitteln zu arbeiten beginnt, nachdem heutzutage Bild-Leute so mir nichts, dir nichts bei dem, was mal ein Leitmedium war, anheuern können"), das aktuell im Spiegel-Blog noch mal erklärt wird, angesichts "einiger heftiger Reaktionen ... - insbesondere in sozialen Netzwerken". +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.