Watchdog versus Google

Die Bild-Zeitung tut etwas für die Pressefreiheit und die BRD muss dafür zahlen. Michael Hanfeld nutzt die WM, um den Leute Google-Kritik unterzujubeln. Das mit den bösen Produktplatzierungen bei den Öffentlich-Rechtlichen ist viel besser geworden, sagen die Öffentlich-Rechtlichen. Heribert Faßbender sagt etwas über Schiedsrichter als Kartenabreißer. BR Klassik zieht ins Digitale und Spiegel Online nach Australien.

Die gute Nachricht: Gerhard Schröder hat sein Portfolio erweitert. Unter seinem Namen findet man in den dicken Geschichtsbüchern des Medienrechts nicht länger nur die Sache mit den Haaren (nicht, dass da Missverständnisse aufkommen: Wir haben nie behauptet, sie seien gefärbt!). Nun steht dort auch, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am gestrigen Tage entschieden hat, dass Gerhard Schröder aufgrund seiner herausgehobenen öffentlichen Position als Bundeskanzler a.D. ertragen muss, wenn Mitarbeiter der Bild-Zeitung Fragen stellen, die eine unangebrachte Verquickung mit dem Gazprom-Konzern nahelegen.

Oder, in anderen Worten: Der EGMR hat die Pressefreiheit gestärkt (u.a. kress.de, DWDLtaz, Springers Welt).

Die schlechte Nachricht: In Folge des Straßburger Urteils muss die Bundesrepublik Deutschland – und damit wir alle - über 40.000 Euro an den Springer-Verlag zahlen.

Konkret ging es um Ereignisse im Jahr 2005, als der Vertrag über den Bau der Ostsee-Pipeline (April) recht zeitnah zur Ansetzung von Neuwahlen durch Schröder (Mai), seinem Scheitern bei diesen (September) und der Unterzeichnung eines Vertrages als Vorsitzender eines Gazprom-Konsortiums (Dezember) erfolgte. In einem Interview mit dem damaligen FDP-Fraktionsvize Carl-Ludwig Thiele war die Vermutung aufgekommen, dass dort jemand interessengeleitet war. Wogegen Schröder gerichtlich vorging, mit großem Erfolg, zumindest bis Straßburg.

„Das Gericht weist auf die Rolle der Presse als watchdog hin, als Wachhund der Demokratie. Dazu gehöre die Verbreitung von Informationen über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse – und eben auch jener Dinge, die ein Politiker über den anderen sage. Der Zeitung könne nicht abverlangt werden, jeden Kommentar eines Politikers systematisch auf dessen Substanz zu untersuchen. Eine solche Verpflichtung würde die Rolle der Presse in der öffentlichen Debatte ernstlich behindern. (...) Publikationsverbote wie diese, schließt der Gerichtshof, hätten einen ,abschreckenden Effekt auf die Meinungsfreiheit’“.

Zitiert Wolfgang Janisch auf der Medienseite der SZ.

Auf der Medienseite der FAZ nimmt man es nicht ganz so staatstragend:

So etwas muss man auch mal fragen dürfen, befanden nun die Menschenrechtsrichter sinngemäß. Dass Land- und Oberlandesgericht in Hamburg diese Spekulationen untersagt hatten, stuften die Straßburger Richter jetzt als Verstoß gegen die Meinungsfreiheit ein. Über einen Ex-Kanzler darf eine Zeitung demnach solche Überlegungen verbreiten, ohne dass sie vorher in Moskau eine Gegenrecherche einleiten müsste. Womit die Robenträger dem öffentlichen Diskurs und der Kontrolle der Regierenden einen guten Dienst erwiesen haben.“

Denn – Knaller-Überleitung – staatstragend wird in der heutigen FAZ an ganz anderer Stelle gebraucht. Nämlich auf Seite 9, wo Michael Hanfeld die Tatsache auszunutzen versucht, dass man den Leuten gerade alles unterjubeln kann, so lange nur irgendwas mit Fußball draufsteht.

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Inspirieren lassen hat sich Hanfeld von diesem Artikel auf der Website des NPR, des Zusammenschlusses US-amerikanischer Hörfunksender. Dort heißt es:

„If you do a Google search on the World Cup game in which Germany slaughtered Brazil 7-1, the top results will say things like ,destroy,’ ,defeat,’ and ,humiliate.’ But Google itself is choosing to steer clear of negative terms. The company has created an experimental newsroom in San Francisco to monitor the World Cup, and turn popular search results into viral content. And they've got a clear editorial bias.“

Hanfeld interpretiert das wie folgt:

„Googles Neusprech soll eine schöne neue Welt ausmalen, die allerdings mit der Realität nichts zu tun hat. So schafft Google Realität, und auf dieser für die Nutzer unsichtbaren Wirkmacht beruht das Geschäft des Konzerns.“

Und, wem das noch nicht reicht:

„Die Datenkonzerne manipulieren Nachrichten und Märkte, sie rechnen jeden nach seinen Daten aus. Sie machen die Welt, wie sie ihnen gefällt. Das sollten wir uns nicht gefallen lassen. Und die Politik sollte wissen, dass es jetzt an der Zeit ist, zu handeln.“

Zwischen diesen Sätzen steht ein wenig Zusammenfassung der Debatte der letzten Monate und selbstredend die Forderung nach Bändigung der Konzerne.

Wohl um Google zu verwirren, steht der Artikel in unvollständigen Häppchen online. Hier geht es um die Sache mit den martialischen Worten und der Fußball-WM, hier um Dokumente, die Yelp veröffentlicht hat und die beweisen sollen, dass Google in Europa aufgrund des EU-Wettbewerbsverfahrens eher handzahme und Unternehmens-ferne Suchergebnisse zulässt als in den USA.

„Google-Hass macht nicht nur blind – sondern auch blöd.“, kommentiert Thomas Knüwer Hanfelds Ausführungen in seinem Blog. Knüwer meint (kurzgefasst), als Journalist solle man sich nicht übers Gatekeeping aufregen.

+++ Aus dem Marienhof-Skandal lernen heißt manchmal auch teure Oldtimer demolieren. Ist eine natürlich völlig überspitze Zusammenfassung des Artikels über Product Placement in der aktuellen Ausgabe von epd Medien. 2005 war es, als aufflog, dass in der ARD-Soap über Jahre hinweg massiv schleichgeworben worden war. Nun überprüft Tilmann Gangloff, wie man es heute bei den Öffentlich-Rechtlichen mit dem Product Placement hält. Jedoch nicht, indem er fernsieht, sondern indem er die Verantwortlichen befragt. Die sich entsprechend verantwortungsbewusst geben.

„Der NDR, heißt es in einer Stellungnahme des Senders, ,hat sich grundsa?tzlich die Haltung zu eigen gemacht, auf unentgeltliche Beistellungen und Produktionshilfen von bedeutendem Wert weitestgehend zu verzichten. Auch bei Auftragsproduktionen vertritt der NDR in dieser Hinsicht eine zuru?ckhaltende Linie.’ Die Position des ZDF ist nicht ganz so rigoros, weil man dann die beliebte ,Traumschiff’-Reihe einstellen mu?sste - eine Miete der MS Deutschland wu?rde jedes Budget sprengen. Ansonsten beschra?nken sich die Produktionshilfen laut Sendersprecher Alexander Stock auf Fahrzeuge als Requisiten oder Hotelleistungen.“

Des Weiteren erfährt man, dass es Agenturen gibt, die das Herstellen markenfreier Bierflaschen zu ihrer Mission gemacht haben, und dass man in der Lindenstraße nicht googelt, sondern findhundet (oder wie immer die Bedienung einer Suchmaschine namens Findhund heißen mag).

„Mitunter allerdings werde bei dem Versuch, den Anschein von verbotener Werbung schon im Keim zu ersticken, u?bers Ziel hinausgeschossen, findet Sascha Ommert, Herstellungsleiter bei der Bavaria Filmproduktion. Dies sei etwa dann der Fall, ,wenn bei Automodellen, die fast Oldtimer-Status haben, aufwendig und fu?r viel Geld das Markenlogo retuschiert wird’. Erst recht a?rgerlich werde es, ,wenn beim Dreh ein Logo u?berklebt werden muss und dann zusa?tzliche Kosten entstehen, weil beim Entfernen des Klebebands der Lack bescha?digt wird und die Reparatur richtig ins Geld geht. Alles schon vorgekommen.’“

Und dies ist der Moment, in dem wir uns dann doch freuen, dass das ZDF sein Traumschiff nicht derartig maskieren lässt. Nicht auszudenken, wenn es da mal zu Lackschäden käme! Die dann fällige Erhöhung des Rundfunkbeitrags würde diese Volkswirtschaft vermutlich nicht überleben.

+++ Bevor die Fußball-WM am Sonntagabend dann doch mal zu Ende geht und wir wieder zwei lange Jahre warten müssen, um festzustellen, dass all die kritische Berichterstattung über die gar nicht so kritische Berichterstattung, die wir Fußballberichterstattung nennen, gar nichts gebracht hat (ich hoffe, Sie können mir noch folgen). Bevor wir also wieder zwei Jahre darauf verzichten müssen, uns so geballt über unsägliche Fußballkommentatoren aufzuregen, nutzen wir noch einmal die Gelegenheit und geben uns ein paar Perlen, die die Funkkorrespondenz dankenswerterweise in ihrer aktuellen Ausgabe zusammengetragen hat:

„Es gibt Ecke. So gerne Oscar auch den Mann beru?hrt haben mo?chte: Er hat es nicht geschafft.“ (Tom Bartels, Viertelfinale Brasilien gegen Kolumbien)

„Quantitativ nicht so zahlreich, die Costa-Ricaner.“ (Oliver Schmidt, Viertelfinale Costa Rica gegen die Niederlande)

„Die Fußballphilosophie hat fu?r so eine Phase das Wort Brechstange erfunden.“ (natürlich: Be?la Re?thy, Viertelfinale Argentinien gegen Belgien)

Dass wir bei der Europameisterschaft 2016 wohl bemerken werden, dass sich trotz massiver Kritik an diesem Geschwafel (Altpapier) nicht viel geändert haben wird, wurde schon angesprochen. Naheliegend ist nun, alternativ zu behaupten, dass dann doch sicher früher alles besser war. Doch davor bewahrt uns wiederum epd medien, wo ausgiebig aus der Live-Kommentierung des Achtelfinalspiels Deutschland gegen die Niederlande im Jahr 1990 zitiert wird. Am Mikrophon: Heribert Faßbender und Karl-Heinz Rummenigge.

„Faßbender: Und jetzt gibt er auch noch’n Elfmeter, nach dem Stolperer von van Basten beim Duell mit Kohler! Also ich wu?rde wetten, der van Basten ist eher aus Schwa?che gefallen. (...)

Rummenigge: Dieser Schiedsrichter, ich hoffe, wir sehen ihn nicht mehr bei dieser WM.

Faßbender: Ho?chstens als Kartenabreißer.“

Deutsche Fußballberichterstattung. Weder unparteiisch noch eloquent seit mindestens 1990.


Altpapierkorb

+++ Wenn bei einer Sitzung des Rundfunkrats des Bayrischen Rundfunks großer Andrang herrscht (so berichtet es zumindest die Print-FAZ), dann wird wohl was Umstrittenes verabschiedet. Am Donnerstag war es die endgültige Entscheidung, dass BR Klassik statt ab 2016 nun ab 2018 seine UKW-Frequenz an den Jugendsender Puls abgeben und ins Digitale umziehen muss (Altpapier). „Das ist ein Ergebnis, zu dem ich fachlich stehen kann, auch wenn es uns nicht leicht gefallen ist, weil viele im Haus sich einen schnelleren Umstieg gewünscht hätten“, sagte BR-Intendant Ulrich Wilhelm laut SZ. „Die Klassik solle ein Markenzeichen des BR bleiben. Es sei aber auch ein wichtiges Ziel des Senders, die junge Generation zu erreichen“, zitiert ihn die dpa zum Beispiel beim Handelsblatt. +++

+++ Wer 24 Stunden aktuell sein will als Onlinemedium, der braucht entweder Mitarbeiter mit verquerem Biorhythmus oder in einer anderen Zeitzone. Bei Spiegel Online hat man sich nun für Letzteres und eine kleine Dependance in Sydney entschieden, wie Daniel Bouhs heute in der taz schreibt. „Neue Redakteure sucht die Chefredaktion dafür allerdings nicht. Die Schicht soll aus dem Bestand besetzt werden - im Rotationsprinzip: Wer sich gut macht, soll auf Redaktionskosten für ein halbes Jahr in die Ferne fliegen dürfen, Neudeutsch: ein Incentive, also eine Prämie.“ Auch dpa, Zeit Online, sueddeutsche.de, Handelsblatt und Springers Welt haben für nach deutscher Zeit nächtliche Arbeitseinsätze Redakteure in Übersee. +++

+++ Manchmal läuft es gut und manchmal nicht so gut, wenn Filmschauspieler sich als Seriendarsteller versuchen. Gut: Matthew McConaugheys in „True Detective“, Kevin Spacey in „House of Cards“, Claire Danes in „Homeland“. Schlecht: Robin Williams in „The Crazy Ones“, Dennis Quaid in „Vegas“, Dustin Hoffman in „Luck“. Wer es – berechtigter Weise - fundierter und ausführlicher wissen will, der lese den Artikel von Jürgen Schmieder auf der Medienseite der SZ. +++ Ach ja: Anlass für diesen Text ist das Seriendebüt von Halle Berry in „Extant“. Die CBS-Produktion handelt von einer Astronautin, die nach einem Jahr allein im All schwanger zu ihrem Mann und ihrem Roboterkind zurückkehrt, und wird auch auf der Medienseite der FAZ besprochen. „Die Eleganz der Inszenierung konkurriert mit dem Auftreten der Schauspielerin, die in Hochform ist“, meint Nina Rehfeld. +++

+++ „Ich bin Journalist.“ Wenn diesen Satz eine Frau schreibt, arbeitet sie vermutlich weder bei taz noch bei Emma, sondern – zumindest in diesem Fall – für faz.net. Auch dort ist es mit den Kommentaren übel, und davon berichtet auf der Print-FAZ-Medienseite Andrea Diener (die bei Twitter als @fraudiener unterwegs ist. Frau Diener, der Journalist. Ach, vielleicht sind wir da auch zu pingelig.). Wie dem auch sei: Nicht mal bei faz.net kommentieren Intellektuelle, sondern einfach konservative Pöbler: „Dazu kommt, dass die meisten Beleidigungen aus einer politischen Richtung kommen, die man früher einmal als ,konservativ’ klassifiziert hätte, das angesichts neuester Ausprägungen aber nur noch widerwillig tut. Konservative nahmen für sich in Anspruch, die Form zu wahren, dazu korrekt und höflich zu sein. Der Konservative früherer Tage legte Wert auf Konventionen und Umgangsformen und warf dem linken Langhaarigen vor, genau das nicht zu tun. Mittlerweile haben sich die Verhältnisse umgedreht.“ +++

+++ Und der Preis für den interessantesten Vergleich des Tages geht an Joachim Huber vom Tagesspiegel und „Wenn CIA und NSA es machen, ist das Spionage. Wenn das Fernsehen es macht, ist es Recherche. Alles klar?“ Ähm, ja, so kann man auch darauf hinweisen, dass RTL jetzt sein Undercover-Geschäft weiter ausbaut und mit „Undercover Deutschland“ eine neue Serie auflegt, die wallraffesk dahingeht, wo sonst keiner so genau hinschaut. Hubert nennt es „Spionagefernsehen“; der sonst so gerne gebrauchte Begriff „investigativ“ war wohl gerade aus. +++

Der Altpapierkorb füllt sich Montag wieder.