Zeitungen als Konsumwunsch betrachtet. Ist Mäzenaten-Journalismus gefährlich? Passt er ins öffentlich-rechtliche Fernsehen? Und braucht es die Dritten noch? Außerdem: Wo das neue europäische Recht aufs Vergessenwerden schon wahrgenommen wird. Wer für Sat.1 die Bundeskanzlerin spielt.
Inspiriert, ach was: beschwingt von einer wunderschönen, von Philipp Köster auf einem neuartigen Rundfunkempfangsgerät vorgefundenen, per Twitter als Screenshot übermittelten Momentaufnahme, die ungefähr alles, was sich über das Leben an sich, über die vier Elemente, über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die schönste Nebensache der Welt zeigen lässt, in sich vereint, starten wir mit einem Beitrag, der zwei derzeit wichtige Diskurse, digitalen Wandel und Fußball, thematisch verknüpft:
Einer der ersten Anwender des vom Europäischen Gerichtshof gesetzten Rechts aufs Vergessenwerden (Altpapier) scheint ein schottischer Schiedsrichter zu sein. Jedenfalls berichtet James Ball aus dem New Yorker Büro des Guardian:
"When you Google someone from within the EU, you no longer see what the search giant thinks is the most important and relevant information about an individual. You see the most important information the target of your search is not trying to hide."
Dann vergleicht Ball (der also das englische oder amerikanische Verb für "googeln" nicht "to google", sondern "to Google" schreibt), ebenfalls mit Screenshots, europäische und amerikanische Google-Suchergebnis-Listen. Davon, dass das nicht bloß Filterblasen gilt, die Google oder kooperierende Behörden für den renommierten Guardian vorgesehen haben, sondern sauber recherchiert ist, gehen wir selbstverständlich aus. Auch von der BBC kommen ähnliche Berichte. Dann läge also ein "indirect challenge to press freedom" vor. Ball macht mehrere Vorschläge, was sich dagegen tun ließe. Der beste:
"Switch to another search engine, such as DuckDuckGo, which has no EU footprint and also doesn't track cookies - and for now, you'll see the full unfiltered results."
Dieses DuckDuckGo ist eine Suchmaschine, die nichts mit Google zu tun hat, aber zumindest auf englisch ähnlich gute Ergebnisse liefert.
[+++] Damit in die deutsche Medienlandschaft und zu ihrem Dauerthema Journalismus-Finanzierung im Medienwandel.
"Viele Medienunternehmen stehen mit dem Rücken zur Wand, weil es sie in der bekannten Form nicht mehr lange geben wird. Das wissen die meisten inzwischen auch. Dem gegenüber steht ein öffentlich-rechtliches Fernsehen, das finanziert ist und auch die nächsten Jahrzehnte noch sicher finanziert sein wird",
so bringt es Oliver Berben im großen bzw. langen dwdl.de-Interview auf den Punkt, das im weiteren Verlauf dann eher so lesenswert ("Wir spüren auch einen irrsinnigen Zulauf von internationalen Interessenten bei unserer Stoffentwicklung. Und das ist fantastisch ...") ist wie die meisten Oliver-Berben-Fernsehproduktionen sehenswert sind.
Die Wand, an der viele Verlage stehen oder zu stehen glauben, hat Andreas Vogel in der schon neulich hier erwähnten Ebert-Stiftungs-Studie "Talfahrt der Tagespresse" vorgestellt. Nun hat kress.des Henning Kornfeld den Studienverfasser Andreas Vogel interviewt:
"Die beiden wichtigsten sind fehlende Kaufkraft und mangelnde Produktdifferenzierung. Das frei verfügbare Einkommen eines erheblichen Teils der Bevölkerung ist so gering, dass es nicht mehr für den Kauf von Print-Medien eingesetzt wird. Andere Konsumwünsche sind diesen Menschen wichtiger. Konsumenten können heute beim Kauf von Produkten und Dienstleistungen in der Regel zwischen verschiedenen Ausstattungsmerkmalen wählen, bloß die Tageszeitungsverlage glauben, mit einem Einheitsprodukt alle Leser bedienen zu können. Das widerspricht aber der Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Milieus",
und das sei einer der Gründe für die Talfahrt. Weitere:
"Die wirtschaftlich Schwächeren geben ihr Geld weiterhin für Individualkommunikation aus, aber nicht für ein teures Zeitungs-Abo. Und viele von denen, die sich ein Print-Abo leisten könnten, wollen es nicht mehr, weil es ihnen schwer fällt, die Zeitung in ihren Lebensrhythmus zu integrieren. Das gilt zum Beispiel für viele Berufspendler."
Vogel macht also tatsächlich Gründe für den Zeitungskrise anschaulich, die mit der Digitalisierung nicht oder indirekt zu tun haben.
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Zugunsten der wirtschaftlich Schwächeren wird an diesem Donnerstag ja der Mindestlohn beschlossen, was eine Zeitung veranlasst, sich auf ihrer Titelseite damit in eigener Sache zu beschäftigen, also mit den Zeitungsboten, gegen deren Einbezug die Zeitungsverleger energisch und teilweise erfolgreich protestieren.
"Die meisten Firmenchefs begehen den Denkfehler, Betriebs- und Volkswirtschaft zu verwechseln", schreibt Ulrike Herrmann unter der Überschrift "Zeitungen kaufen keine Zeitungen" (und unter Bezugnahme auf das bekannte Henry-Ford-Sample "Autos kaufen keine Autos") vorn auf der TAZ. Die implizierte Hoffnung, dass Zeitungsboten, wenn sie etwas mehr verdienen, künftig die Zeitungen, mit denen sie sich ja beruflich beschäftigen, künftig im Abo kaufen könnten, macht allerdings im Artikel daneben TAZ-Geschäftsführer Kalle Ruch zunichte:
"'Ich glaube, die Boten werden vielleicht nie einen Mindestlohn kriegen, weil es dann diesen Beruf nicht mehr gibt.' Ein Mindestlohn in ländlichen Regionen werde wohl zu Stellenabbau oder Scheinselbstständigkeit führen. Eine gedruckte Zeitung könnte dann durch E-Paper ersetzt werden. Dann wäre für den Boten nicht der verzögerte Mindestlohn das Problem, sondern die Frage, ob er seinen Job behält",
wird er im Text, der auch die Verteilung der gedruckten TAZ transparent macht ("... Was ein Zeitungsbote also am Ende verdient, kann die taz selbst kaum beeinflussen"), zitiert.
Und ob die potenziellen Abonnenten für so ein E-Paper-Abo zahlen (oder nicht eher Autos als vorrangigere Konsumwünsche hegen), bleibt eine weitere Frage. Journalismusfinanzierung bleibt schwierig. Ist Mäzenatentum eine Lösung?
"Warum Mäzenaten-Journalismus gefährlich ist", hebt meedia.des Christian Meier aus aktuellen Anlässen, darunter zuletzt dem Start des Ex-WAZ-Geld-finanzierten Projekts namens "Correct!v" ("Wir recherchieren für die Gesellschaft", siehe Altpapierkorb vom Dienstag) an:
"Drei Millionen Euro für das Recherchebüro Correct!v, 1,6 Millionen Euro für die Journalismus-Stiftung 'Vielfalt und Partizipation' in Nordrhein-Westfalen, mittlerweile über eine Million Euro für die Krautreporter. Alternative Finanzierungsmodelle für Journalismus schießen aus dem Boden. Für den Journalismus sind die Projekte vielleicht eine Bereicherung. Aber sie sind auch Symptome eines anhaltenden und sich verstärkenden Imageschadens des klassisch finanzierten Journalismus."
Im Verlauf der Verlauf der Argumentation, ungefähr als Giovanni di Lorenzo erwähnt wird ("... ist ein großer Krisen-Gegenredner, andere schließen sich an"), noch bevor geklärt ist, warum denn nun Mäzenaten-Journalismus gefährlich sein soll, entweicht dann der Schwung zugunsten der beliebten Synthese, dass Wettbewerb halt das Geschäft belebt oder beleben soll. Die angetickte Hoffnung bzw. Befürchtung, dass werbe- und mäzenaten-finanzierter Journalismus künftig um jeweils dasselbe Potenzial an Geschichten und Publikum konkurrieren werden, verdient aber jedenfalls Beachtung.
Tagesaktuelle harte Geschäftszahlen zu den lousy pennies, die sich für fast alle, die nicht Google sind, im Onlinejournalismus verdienen lassen, liegen auch vor:
"Bilanz des 1. @LaterPay Tages: 26,39 Euro, 10 % der Besucher haben gezahlt",
twitterte lousypennies.des Karsten Lohmeyer zum Start eines neuen Bezahl-Experiments auf seiner Webseite. Es stammt von laterpay.net und sieht also vor, dass Leser nach einem "Jetzt lesen, später zahlen"-Prinzip für Online-Artikel erst, wenn ihre Einkäufe insgesamt fünf Euro erreicht haben, bezahlen. Der Artikel, den lousypennies.de für 0,29 Euro anbot und mit dem es 26,39 Euro erzielte, behandelte paradoxerweise die Frage "Was verdienen Journalisten mit ihren Blogs und Online-Angeboten?".
Wo bleibt das Positive? Im betriebswirtschaftlichen Sinne zumindest wird es morgen um das Hamburger Abendblatt geschlagen sein. Eine erfolgreiche Geschäftsidee, um für ein neues Hamburger Musical zu werben (nicht einmal eines, dessen Lizenzgebühren an Disney abfließen, sondern ein original deutsches mit Fußball-Content), schildert wiederum kress.de. Und wenn wir bei den Funkes sind, denen dieses Abendblatt inzwischen gehört und die ansonsten kontinuierlich Bedenkliches verkünden (Altpapier), ist auch lesenswert, was NDRs Steffen Grimberg, in alter Ruhrpott-Expertise über Ulrich Reitz' Ausstand in Essen aufgeschrieben hat (" ...Und die frühere publizistische Vielfalt in Nordrhein-Westfalen schrumpft allmählich auf niedersächsische Verhältnisse").
[+++] "Schickt uns weg!", "Schickt uns durch Deutschland!": Crowd-Prinzip jetzt auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen! "Crowdspondent, die Korrespondenten der Crowd - also der Online-Community", sind ab dem 27. Juli "wöchentlich sonntags um 17.15 Uhr auf EinsPlus", also einem der digitalen Nischensender der ARD, zu sehen.
Auf den diesbezüglichen Webseiten sind Lisa Altmeier und Steffi Fetz, "Deine persönlichen Reporter", so oft zu sehen wie Thomas Leif in Thomas-Leif-Reportagen, freilich erheblich enthusiastischer.
Ob dieses "Jeder Rechercheauftrag ist willkommen: was wollt ihr wissen?"-Prinzip, das den Um-Mäzenaten-Werben-Tonfall des Crowdfunding bis zum Anschlag mit dem diametralen Gegenteil verknüpfen soll, dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, "das finanziert ist und auch die nächsten Jahrzehnte noch sicher finanziert sein wird" (Oliver Berben), funktioniert, wird gewiss spannend zu beobachten sein.
Auffällig außerdem, wieviele Sendungen/ Formate derzeit beerdigt und neu lanciert werden. Die aktuellen WDR-Planungen (Altpapier gestern) skizzieren heute auch Süddeutsche ("ARD stellt die Wissensshow 'Kopfball' nach 25 Jahren ein" ... "Auch der Talk 'Plasberg Persönlich' ist von 2015 an Geschichte, genau wie der 'Bericht aus Brüssel'. Außerdem werden die Kölner ihre Beiträge zum Programm des Ersten reduzieren und je einen Mittwochsfilm und eine Unterhaltungsshow pro Jahr weniger zuliefern ...") und polemischer, aber nicht unwahr die FAZ (Michael Hanfeld: "Der eigentliche Grund für die Kürzungen ... lautet: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat ein großes internes Demographie-Problem und muss massiv Geld für die Ruheständler zurücklegen. So auch der WDR - eine Pensionskasse mit angeschlossener Programmstelle") auf ihren Medienseiten.
Dass auch noch die 1953 angelaufene, zuletzt von Gerhard Delling moderierte Sendung namens "Wochenspiegel" dran glauben muss, fügt dwdl.de hinzu, wo auch der konstruktiv-kritischste Kommentar zu finden ist:
"Wenn an der lokalen Berichterstattung gespart wird, dann braucht es keine Dritten mehr",
schreibt Alexander Krei zu den geplanten erheblichen "Lokalzeit"-Einsparungen.
In der Tat könnte eine Diskussion darüber, ob es die Dritten Programme in ihrer derzeitigen Form überhaupt noch braucht, der reellste Weg sein, eine über die üblichen Nischen hinaus reichende Diskussion über (auch kostensenkende) Reformen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Gang zu bringen.
+++ "Veronica Ferres spielt Angela Merkel", sozusagen, also zumindest eine Bundeskanzlerin: Michael Hanfeld war bei der ProSiebenSat.1-Programmpressekonferenz in Hamburg und hat die News über den neuesten Sat.1-Filmfilm mitgebracht (FAZ). +++
+++ Für die FAZ-Medienseite warf sich Jörg Michael Seewald ins Partygetümmel beim Münchener Filmfest, wo "bis in die Nacht über Zahlen, Quoten und Drehbücher" gestritten wurde, und gibt wieder, was ZDF-Fernsehspielchef Reinhold Elschot so sagte ("beschwor ... die fast schon kinohafte Qualität ..."). Am Drehbuch zum deutschen "House of Cards" arbeiten der Ex-"Tatort"-Kommissarsdarsteller Dominic Raacke und Natja Brunckhorst. +++ "Was ist das Geheimrezept von HBO? Wieso entstehen dort mehr Hit-Serien als bei jedem anderen Sender?" Solche Fragen stellte die SZ-Medienseite bei gleicher Gelegenheit dem "Game of Thrones"-Executive Producer Frank Doelger, der in München war, um Kooperationen mit Nico Hofmann zu bereden. +++
+++ Was Jens Rehländer "als Ex-G+J-Mann" und jetzigem VW-PR-Mann "die Tränen in die Augen" treibt: stern.de. +++ Aktuell hat G+J eine seiner neuen Zeitschriftenmarken ins Fernsehen gebracht, nämlich "Beef!" zum Nischensender Nitro des Schwesterunternehmens RTL. Die Fotomontagen der Aggregatoren werfen die Frage auf, ob zu viel Fleisch-Konsum frühzeitig ergrauen lässt. +++
+++ Sonja Alvarez (Tagesspiegel) befremdet der Plan der französischen Nachrichtenagentur AFP, ein Büro im nordkoreanischen Pjöngjang, woher sich offenkundig nicht unzensiert berichten lässt, zu eröffnen. +++
+++ Immer mehr Autoren finden Olli Welkes doofe "heute-show" im ZDF doch nicht so toll, wie lange viele sie fanden. Jetzt auch Leonard Novy bei Carta: Welke sei "ein Veteran jener Comedy-Branche, die seit den 1990ern Köln ihr Zentrum nennt und sich von der Domstadt leider nicht nur die gute Laune, sondern auch den Hang zur Selbstzufriedenheit abgeschaut hat". "Und halten Sie es umgekehrt für denkbar, dass Jon Stewart nebenbei den Super Bowl beziehungsweise die hyperkommerzialisierte Fußball-WM moderiert? Oder darüber nachdenkt? Eben." +++ Frank Lübberding hat für faz.net die neueste Kerner-Show im ZDF, "Deutschlands Beste", insbesondere unter Metadaten-Aspekten angesehen. +++
+++ Außerem auf der FAZ-Medienseite: ein Interview mit Elke Heidenreich über die Heidegger-Zitat-Aufregung und nachfolgende Streitigkeiten rund um ihre schweizerische, freilich von vielen Deutschen bestrittene Literatur-Fernsehsendung "Literaturclub" (siehe diesen Altpapierkorb). Es ist naturgemäß komplex: "Er sollte die Moderation abgeben, um ausschließlich als Kritiker in der Sendung aufzutreten. Beide Rollen, so fand die Redaktion, seien zu viel. Dann hat er, soweit ich das sehe, die Situation eskalieren lassen, indem er das Heidegger-Thema wieder hervorkramte und mit seinem Verbleib verknüpfte. Darauf ist die Redaktion leider nicht sofort eingegangen, sie hätte ihn ja gern als Kritiker behalten. Aber [Stefan] Zweifel wollte diesen Rollentausch nicht und hat dann seinen Abgang mit dem Heidegger-Zitat verknüpft, obwohl es nichts damit zu tun hatte. Und die Medien haben das leider ungeprüft übernommen." +++
+++ An einer anderen Ecke des Spektrums ist Jörg Stuttmann unterwegs. Als "South Park"-Synchronsprecher sagt er Sätze wie "Leckt mir die Eier, Leute!" und "Scheiße" - aber 162-mal in 22 Minuten. Er bewohnt als Untermieder ein Schloss bei Ausgburg und "verzichtet auf Internet, E-Mails und Handy". Heute kann er sich über ein TAZ-Porträt freuen. +++
+++ Mitten im "Schland-Fußballfieber" gab die Bundesregierung ein paar Plänchen ihrer "Digitalen Agenda" bekannt (netzpolitik.org). +++
+++ "Also jubeln Sie, wenn Deutschland gegen die USA spielt, für wen?" - "Machen Sie Witze? Für Deutschland natürlich!" - "Dann ist ja gut. Leben Sie denn hier in den USA?" (Diane Kruger im Tagesspiegel-Interview). Die Anschlussfrage, für wen die in den USA aktive, sonst in Paris lebende Schauspeilerin denn jubelt, wenn Deutschland gegen Frankreich spielt, ist Interviewerin Nina Rehfeld irgendwie durchgerutscht. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.