Jeder bewegt sich anders

Wie nennt man Zombiezeitungen im Happy-Sound? Wer will dicke Kinder springen sehen? Außerdem: ARD- und ZDF-Fußballshow-Reporter zwischen Borderline, Schülerzeitung und Mitleid.

Das kühnste wording dieses Freitags stammt von der Funke-Mediengruppe. Dem starken Wort "Zombiezeitung" (siehe z.B. dieses, dieses Altpapier) für Zeitungen, deren Redaktionen sukzessive oder auch mit einem Schlag verschwinden, während die Hüllen, also Zeitungsseiten, abonnierbar erhalten bleiben und mit von der bisherigen Konkurrenz zugekauften Inhalten gefüllt werden ... diesem Begriff setzen die Funkes nun die Neuschöpfungen "Agenturprinzip" und "Profilredaktionen" entgegen.

"Agenturprinzip" soll heißen:

"Der jeweilige Zulieferer stellt sein Nachrichtenmaterial zur Verfügung, der Abnehmer sorgt durch ergänzende Beiträge und regionale Seiten für die notwendige Differenzierung, Breite und spezifische Wertung."

Dieses "Sorgen" für Breite usw. übernehmen dann "Profilredaktionen", die auch dem Zombiezeitungs-Anschein entgegenwirken, schon weil sie "an allen Standorten" der beteiligten Zeitungen bestehen bleiben. Warum die Pressemitteilung über die frisch anberaumte Kooperation des Funke-Titels Neue Ruhr/ Neue Rhein Zeitung mit der Rheinischen Post allerdings die Überschrift "Nachrichtenaustausch sichert Meinungsvielfalt" trägt, wird auch dann nicht deutlich, wenn man sich auf den ostentativen Happy-Sound der Funkes einlässt.

Jedenfalls ging sie, die Pressemitteilung, am gestrigen Donnerstag "eine Stunde vor dem USA-Spiel" raus, informiert newsroom.de. Und während die Profilredaktion von meedia.de die News halt an die eigene Optik anpasst, durch den einen oder anderen korrekt eingeflochtenen Konjunktiv ("Beide Verlage betonen, dass durch die Kooperation die journalistische Eigenverantwortung und die Markenkerne der beiden Zeitungen erhalten blieben") einen Hauch von notwendiger Differenzierung andeutet und agenturprinzipiell verbreitet, schäumt Newsrooms Bülend Ürük:

"Als 'Krake' wurde die frühere WAZ Mediengruppe immer wieder bezeichnet. Doch nie war die Bezeichnung so richtig wie heute. Die Manager der Funke Medien schicken ihre Tageszeitungen in Nordrhein-Westfalen in Kooperationen, vermählen die Blätter mit Marktbegleitern, die früher nicht nur undenkbar gewesen wären. Diese Entscheidungen sind auch Zeichen von einer geballten Unfähigkeit, ein Medienhaus aus eigener Kraft aus einer von Eigentümern selbstverursachten Krise zu führen."

Wobei Ürük zugesteht, dass mit dieser RP-Kooperation die Funkes im traditionellen Verbreitungsgebiet ihrer Zeitungen fast schon durch sind beim Meinungsvielfalt-Sichern durch Redaktionsvielfalt-Herunterfahren. Die Mediengruppe

"hat in den vergangenen Monaten alle Mitbewerber von Rang als Kooperationspartner auf die eine oder andere Weise für sich gewinnen können",

nur in Siegen und in Lippstadt gebe es noch tatsächlich rivalisierende bzw. den Funkes "die Stirn" bietende Lokalzeitungen. Die aus Lippstadt heißt Der Patriot.

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[+++] Die prägnanteste Metapher des Tages steht auf der SZ-Medienseite. Claudia Tieschky entnahm sie der Welt des Sports, nicht aber des Fußballs, und übertrug sie auf den vorgestrigen Auftritt des Bundesjustizminister auf einem Zeitungskongress (Altpapier gestern) und seine aufmunternden Einlassungen zum Leistungsschutzrecht:

"Als Heiko Maas diese Woche in Berlin vor Zeitungsverlegern sprach, klang er wie ein Lehrer, der ein dickes Kind freundlich zum Stabhochsprung ermuntert. 'Wir sind', sagte der Bundesjustizminister, 'an den Erfahrungen, die Sie hier machen, sehr interessiert.' Was Maas meint, ist das angekündigte große Kräftemessen um Nutzungsrechte im Internet zwischen Firmen wie Google oder Yahoo und deutschen Verlagen wie Springer oder Burda, die sich auf das seit August 2013 geltende Leistungsschutzrecht berufen - und nun Geld verlangen."

Dass Tieschky auch Yahoo nennt, ist natürlich auch eher sportlich gemeint. Schließlich spielt dummerweise niemand außer Google eine nennenswerte Rolle auf vielen deutschen Onlinemärkten. Ansonsten unterscheidet sie zwischen "Pragmatikern" und "Enthusiasten", zu denen sie Gabor Steingart (Altpapier vom Montag) zählt, und gelangt selbst zu dieser pragmatischen Analyse der Lage:

"Bisher galt ein unausgesprochener Deal: Verlage tolerieren Snippets und bekommen Klicks von den Suchmaschinen - beide profitieren. Inzwischen ist aber unter Verlagen auch die Auffassung verbreitet, Google profitiere gemessen an Werbeerlösen auf seinen Seiten ungleich mehr von den Lieferungen der Pressehäuser als umgekehrt. Google führt dagegen etwa an, nur 1,1 Prozent der Online- Werbeplätze ('Adwords') stünden auf Trefferseiten mit fünf oder mehr Presseinhalten. Bei der Marktmacht des Konzerns dürfte aber auch bei Miniprozenten einiges zusammenkommen. Tatsächlich ist das Leistungsschutzrecht vor allem der Versuch, statt des alten Deals eine neue Geschäftsbeziehung zu schließen - wofür Google keinen Anlass sieht. Ob dem Konzern die Aussicht auf einen langen Prozess gefällt, bei dem viele Geschäftszahlen publik würden, ist eine andere Frage."

Dafür, dass es vielen Zeitungen nicht gut geht, dafür gibt es grundsätzlich ja mindestens so viele neue Beispiele wie dafür, dass Zeitungen sich durch proaktive Einsparungen selbst um ihre Zukunft zu bringen scheinen. Neue bzw. noch nicht so bekannte rote Zahlen teasert tagesaktuell kress.de an: "Voraussichtlich vier Jahre in Folge wird die FAZ GmbH rote Zahlen schreiben. Weiter wie bisher, ist keine Option und eine Wende mit branchenüblichem Sparprogramm wird nicht gelingen", heißt es in dieser Meldung, die freilich nicht allein der reinen Information dienen, sondern auch "neugierig" auf einen diesbezüglichen Artikel im kress-report machen soll. Ja, auch der kress-report erscheint 14-täglich noch gedruckt (und als E-Paper natürlich), hätten Sie's gewusst?

[+++] Damit zu dem, was die Menschen draußen wirklich interessiert und Gemeinschaft stiftet. Der raffinierteste Tweet zum gestrigen Fußballspiel stammte von Peter Glaser und lautete:

"Obwohl die NSA erhebliche Bedenken angemeldet hat, wird auch das heutige Spiel von einem Whistleblower angepfiffen."

Ansonsten verdienen zwei Fernsehkritiken zur Fernseh- bzw. Fußball-WM Aufmerksamkeit. Joachim Hubers vernichtende Tagesspiegel-Besprechung des von einem mitunter auch als Hoffnungsträger der Sportshow-Moderationen gehandelten Moderator geleiteten "WM-Clubs" am Mittwochabend in der ARD fällt vernichtend aus:

"Moderator Alexander Bommes, Nachfolger von Waldi 'Weißbier' Hartmann im 'WM-Club', wandelt auf der Borderline. Er will unbedingt smart sein - an diesem Abend ist er unbedingt anzüglich."

Man versteht, auch ohne die Sendung gesehen zu haben, was gemeint ist. Allerdings wandelt Huber selber auch ein wenig auf der Borderline. Wer würde über geschriebene Wortspielchen wie "Sexy-Amüsemang" schmunzeln außer einem "Steinzeit-Playboy" wie Rolf Eden, dessen Einladung in die genannte Sendung Huber als weiterer Beleg für seine Sicht gilt? Dass Fernsehkritiker gerade im Internet auch immer Entertainer sein müssen, ist mitunter Teil des Problems.

Einen etwas distanzierteren Blick auf etwas mehr von den irre vielen Sendungen, die zum Sendezeit-Totschlag zwischen den Fußballspielen dienen, wirft Ralf Wiegand bei sueddeutsche.de.

Die mancherorts geführte Debatte, ob die deutschen Fußballreporter zu oft "wir" sagen, wogegen sich ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky gerade in diesem Interview wehrte, hält er für weniger wichtig:

"Den Krieg verliert der objektive Sportjournalismus bei dieser Weltmeisterschaft gerade ganz woanders. ARD und ZDF haben nämlich ganz gezielt und konsequent Distanz durch Nähe ersetzt und damit eine der journalistischen Grundregeln einfach aus dem Spiel genommen. Eine Art embedded journalism findet dort in Brasilien und hier in Deutschland statt, wie es ihn in dieser Unverfrorenheit noch nicht gegeben hat."

Als Beispiel dient ihm statt ARD-Bommes ein ZDF-Außenreporter:

"Da engagiert das ZDF zum Beispiel Ex-Profi Hasan Salihamidzic, der zuletzt dem Golfer Martin Kaymer Fragen stellte, die jedem Autor einer Schülerzeitung zu doof wären ('Wer ist Dein Lieblingsspieler?', 'Wer ist Dein absoluter Top-Favorit?'). Salihamidzic, den Freund aller Spieler, als "Reporter" durch die Gegend zu schicken ... soll - ja, was? ... Man ist unter Freunden und aus demselben Nest, Nachfragen überflüssig. Vorgetäuscht wird der besondere Zugang, gespielt wird Privatheit. Informationsgehalt: null."

Schließlich fühlt Wiegand sogar, auch nicht selbstverständlich, mit den "gelernten Sportjournalisten" mit:

"Man fragt sich auch, was die gelernten Sportjournalisten mit Sprechausbildung in den Teams der WM-Sender eigentlich davon halten, dass der Spielerscout der TSG Hoffenheim, Lutz Pfannenstiel, mit seinem eigenwilligen Dialekt mehr Sendezeit bekommt als sie? Oder dass Fernanda Brandaos Gehopse im Fan-Röckchen das Stimmungsbild dieser WM spiegeln soll?"

Ob sie an dicke Kinder beim Stabhochsprung denken?
 


Altpapierkorb

+++ Dritterseits, über vieles lässt sich natürlich streiten. Den vor einer Woche an dieser Stelle angesprochenen Oliver-Schmidt-Spruch "Wenn der auf Toilette geht, dann regnet es Eiswürfel" über (den damals noch nicht so total-global als bissig präsenten) Luis Suárez fand Senta Krasser im FK-Fernseh-Fußball-WM 2014-Tagebuch "zum Dahinschmelzen". +++ "Irgendwie ist es ein bisschen so wie in der Disco: Alle hören dieselbe Musik und jeder bewegt sich anders" (Fernsehregisseur Volker Weicker, eigentlich über Deutschland-gegen-Ghana-Kritiken, ebd. an einem anderen Tag; da findet sich auch Dieter Anschlags Test der Klinsi-Cam der ZDF-App, der freilich noch die Frage aufwirft, ob diese Cam jemals einen Dreistufentest bestanden hat. +++

+++ Während die SZ im Polit-Buch von "einer Kai-Diekmannisierung des Karl-Theodor zu Guttenberg" spricht ("Ohne Vollbart zwar, aber auch ohne Krawatte, den  obersten Hemdknopf geöffnet, erzählt er von seinem neuen Leben ... Die Akteure der Debatten, an denen er jetzt teilnimmt, seien jung, sagt er, jünger als er sogar.  Leute, die vor einem Treffen 'schnell mal den Joint wegwerfen'"), anlässlich dieses gestern hier erwähnten zu G.-Auftritts in Berlin, widerlegte Kai Diekmann selbst in einer Twitter-Auseinandersetzung mit Konstantin Neven DuMont (meedia.de) über den besonders dümmlichen gestrigen Bild-Zeitungs-Titel alle Ansichten, er könnte eine coole Sau geworden sein. +++

+++ Auf der SZ-Medienseite ein vorläufiges  Fazit über den britischen Prozess gegen die Murdoch-Presse: "An politischem Einfluss hat Murdoch eher nicht verloren. Zwar zeigt sich hierzulande kaum ein wichtiger Politiker öffentlich mit  ihm, doch als die Sun zu Beginn der Fußball-WM eine kostenlose Sonderausgabe herausbrachte, wollten sowohl Premier Cameron wie auch  Oppositionschef Ed Miliband die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen: Freundlich lächelnd ließen sie sich mit einem  frisch gedruckten Exemplar fotografieren". +++

+++ "Update 11: Das Innenministerium hat soeben eine Pressemitteilung herausgegeben: Bund wech­selt Netz­be­trei­ber" (netzpolitik.org zum auch gestern hier gestreiften, vom Bundestag nicht erkannten Problem des Bundestag-Verizon-Vertrags). +++ "Der Abgrund verbirgt sich hinter einem Satz: Was ein Internetprovider an technischen Möglichkeiten habe, könne der Bundestag nicht beurteilen" (TAZ-Kommentar Svenja Bergts dazu).

+++ Harald Keller empfiehlt in der TAZ Tilman Jens' Arte-Reportage "Gangster und Genetik": "Der deutsche 'Tatort', die französische Krimiserie 'Engrenages' und natürlich die US-amerikanischen 'CSI'-Serien werden auf ihren Wahrheitsgehalt hin untersucht". +++

+++ Das FAZ-Feuilleton ist heute ein "Themen-Feuilleton" zum Thema Schmerz ("Wir haben viele Krankheiten im Griff, aber nicht den Schmerz. Er plagt, akut oder chronisch, die halbe Bevölkerung"). +++ Die Medienseite ist nicht thematisch eingebunden. Sie enthält einen Peer-Schader-Text über das ARD-Vorabendprogramm ("Origineller als die Handlung der Witzigkeitskrimis ist ihre Finanzierung. Die Landesrundfunkanstalten beteiligen sich nämlich an den Produktionskosten, die sonst die ARD-Werbung trägt. Es ist das erste Mal, dass es eine solche Kooperation senderübergreifend und in großem Stil gibt. 'Nur dank dieses Beteiligungsmodells ist es rechtlich möglich, die Serien auch in den dritten Programmen zu plazieren', erklärt Vorabend-Koordinator Frank Beckmann ..."). +++  Und eine recht seltsame Mischung aus Public-Viewing-Schilderung in Moskau und Gastro-Kritik. +++

+++ "Wir sind nicht die besseren JournalistInnen. Aber auch nicht die schlechteren", lautet ein schöner Claim des Netzwerks Neue Deutsche Medienmacher. Dessen Gründungsmitglied Göksen Büyükbezci wird ab Juli Leiter der Strategischen Programmplanung bei n-tv (TAZ, dwdl.de). +++

+++ In den USA werden die Fernsehwerbepreise neu berechnet (Funkkorrespondenz). +++

+++"Ein wenig hilflos stakst Thomas Roth, ganz eingebetteter Beobachter, zwischen staubigen Jeeps umher, auf denen vermummte Männer  Panzerfäuste schwingen" (Oliver Jungen bei faz.net über die neue "Tagesthemen"-Optik). +++

+++ Ein Grund, warum deutsche Fernsehfilme bei Filmfestivals beliebt sind: weil oft "der ganze Cast zur Premiere kommt" (Tagesspiegel). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Montag.