Sind ARD und ZDF der verlängerte Arm der DFB-Pressestelle? Außerdem: der Umbau der FAZ ohne Schirrmacher; der Personalabbau beim WDR ohne Strategieplan; der Start der Programmreform bei Deutschlandradio Kultur.
Uncool sein ist vielleicht nicht die schlechteste Strategie in diesen Tagen, schließlich besingen sie im ZDF gerade die Coolness bzw. das, was sie dafür halten. Gestern zum Beispiel hatte der Kommentator Oliver Schmidt nach einem Treffer des uruguayischen Stürmers Luis Suarez den Einfall, dessen - vermeintliche - Coolness so zu verbildlichen:
„Wenn der auf Toilette geht, dann regnet es Eiswürfel."
Die im Fußball-Milieu nicht völlig unübliche, ihren Ursprung aber möglicherweise in der Kriminalliteratur habende Metapher „Der ist so cool, der pinkelt Eiswürfel“ hat Schmidt also noch einmal auf eine Weise gesteigert, die - siehe „regnet“ - eine gewisse Faszination für heftiges Urinieren durchschimmern lässt. Nun haben wir das Problem, dass wir über Schmidt etwas wissen, was wir gar nicht wissen wollten.
Ähnliches gilt für die Informationen, Katrin Müller-Hohenstein finde, dass der DFB-Team-Co-Trainer Hansi „Hans-Dieter“ Flick eine „tolle Farbe“ hat bzw. „mehr so Bauarbeiterbräune“ (Flick himself) und Oliver Bierhoff Country hört. Dies erfuhr man gestern in einem nicht unepochalen Interview, das bei Twitter bereits Niederschlag gefunden hat.
Aber zurück zur Coolness. denn auch hierzu hat KMH etwas beizutragen:
„Am meisten bewundere ich Bundestrainer Joachim Löw. Und ich frage mich: Wie cool ist dieser Mann eigentlich?“
Auf diese, um mal Oliver Schmidt als Inspiration zu nehmen: gefrorene Buchstabensuppe geht Dirk Gieselmann im Tagesspiegel ein. Und ordnet gleich mal grundsätzlich ein:
„Im Politikressort ist ein solcher Beitrag undenkbar.“
Really? Das sagt sich so leicht, aber hat nicht auch Ulf Poschardt, wenn er über Alexander Dobrindt schreibt, ein bisschen was von KMH?
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Gieselmann geißelt den „Schland-trunkenen Inszenierungswillen der Anstalten“ und „distanzlosen Ranschmeißjournalismus“ von ARD und ZDF. Man könne glauben, sie seien
„der verlängerte Arm der DFB-Pressestelle“.
Die andere Seite dieser Medaille - das sind die kargen, nicht gerade klischeearmen „Berichte über die Mannschaften der anderen, insbesondere nichteuropäischen Länder“, die ebenfalls der Tagesspiegel neulich schon bemängelte. Eine zwangsläufige Entwicklung: Die DFB-Pressestelle ist ja nicht dafür zuständig, Informationen über andere Fußball-Nationalmannschaften zu liefern. Warum also sollten sich jene, die sich als deren verlängerter Arm verstehen, dem ausgiebig widmen?
Dirk Schümer hat für die FAZ-Medienseite aufgeschrieben, inwiefern sich die WM-TV-Berichterstattung in Deutschland und Italien voneinander unterscheidet:
„Während hierzulande die öffentlich-rechtlichen Sender den Kuchen komplett untereinander aufteilen und die Partien frei empfangbar sind, überträgt das italienische Pendant – die Rai – nur 25 von 64 Spielen (...) live.“
Und, wichtiger noch:
„Dass Italiener beim Fußball wild aus sich herausgehen, ist übrigens ein Vorurteil (...) In kaum einem anderen Land werden im Fernsehen Fußballspiele – auch und gerade der eigenen Nationalmannschaft – derart sachlich, ausgewogen und fair kommentiert wie in Italien.“
Mit anderen Worten: Wenn Gerd Gottlob in Italien lebte, müsste er sich wohl einen anständigen Beruf suchen. Gottlob wird sowohl von Gieselmann erwähnt als auch im WM-Tagebuch der Funkkorrespondenz (zu dem ich einen kleinen Teil beigetragen habe).
[+++] Die Zeit der Nachrufe auf Frank Schirrmacher kann naturgemäß noch nicht vorbei sein, denn jetzt ist die gedruckte Wochenpresse dran. Im Freitag schreibt Georg Seeßlen:
„Er verkörpert den Typus des Intellektuellen einer sonderbaren, aber ziemlich langen Zwischenzeit; er selbst nannte es die Generation der ‚Baby Boomer‘ und bemaß deren Insassen sehr großzügig, von der Mitte der 50er bis Mitte der 70er als Geburtsjahr. Es sind die Menschen, die in einer Welt aufwuchsen, in der alles besser, freier, leichter, sogar gerechter zu werden versprach, und die schuldbewusst, großenteils aber ignorant reagierten, dass von diesen Versprechen nichts blieb.“
Und wie genau ist/war nun Schirrmacher zu verorten in dieser „Generation“ bzw. vielleicht doch eher diesen „Generationen“?
„Schirrmacher kritisierte das ‚Versagen‘ dieser, seiner Generationen, er klagte an und saß zur gleichen Zeit auf der Anklagebank. Doch vorher hatten natürlich die Intellektuellen der Nachkriegszeit und der ‚68er‘ versagt oder waren verzweifelt, und nun schienen gerade die Vordenker der Netzwerke und der verflüssigten Diskurse zu versagen oder zu verzweifeln (...) In seinen Büchern (ging es) oft weniger um eine Tiefenanalyse, sondern um die Frage, wie man denn nun richtig leben könne. Wie heiß werden, wenn man ein Geschöpf der größten Abkühlphase der mitteleuropäischen Geschichte ist? Wie frei denken, wenn alles unter Performances versinkt?“
Jörg Sundermeier bemerkt in der Jungle World, dass „der Umbau der FAZ“ nun ohne Schirrmacher erfolgt:
„Der als besessen geltende Journalist erleidet einen Herzinfarkt in einer Zeit, in der die FAZ in ihrer bisherigen Form auf den Prüfstand gestellt wird. Der Verlag hat sich ‚Berater‘ ins Haus geholt, die Antworten auf die Printkrise suchen sollen.“
Wobei man wohl davon ausgehen darf, dass Schirrmacher als Co-Herausgeber nicht unbeteiligt an der Entscheidung war, ein paar Scheinchen für sog. Berater locker zu machen.
Apropos Umbau: Unabhängig von Schirrmachers Tod und unabhängig von den Ergebnissen der Arbeit der sog. Berater, steht zumindest dem FAZ-Feuilleton mittelfristig ein Umbau bevor, und zwar altersbedingt: Dieter Bartetzko ist bereits 65 Jahre alt, Gerhard Stadelmaier erreicht dieses Alter im kommenden Jahr, Lorenz Jäger 2016. Ohne die Lebens- bzw. die Rentenplanung der Kollegen zu kennen: Die Spekulation, dass diese Urgesteine nicht leicht zu ersetzen sein werden (um es mal fast KMHesk zu sagen), kann man schon mal in den Raum stellen.
Der Schirrmacher-Nachruf Jens Jessens aus der aktuellen Zeit steht noch nicht frei online, dafür aber ein diesen Text aufgreifendes „Kulturzeit“-Interview, das manchmal auf unterhaltsame Weise ins Kryptische abgleitet und in dem der Autor schrullig-professoral diverse Tics performt.
Und da schon wir bei Würdigungen sind: Vor einem Jahr starb „the ‚260-Pound Woody Allen‘ who changed TV“. So nennt der amerikanische Rolling Stone James Gandolfini.
[+++] Um das oben bereits angerissene Thema „Umbauten“ unter anderen Vorzeichen wieder aufzugreifen: Die taz befasst sich mit dem Plan des WDR, bis 2020 500 Planstellen - und davon wiederum „knapp 30 Prozent“ im „redaktionellen Bereich“ (Sprecher Birand Bingül) - zu streichen. Eine Frage hat in diesem Zusammenhang, der von den Autoren Pascal Beucker und Anja Krüger zitierte Personalratsvorsitzende Heri Stratmann:
„‚Wie kann man 500 Stellen abbauen, ohne einen Strategieplan über Aufgabenreduzierungen zu haben‘, fragt (...) Stratmann in einem internen Rundschreiben. Zunehmend würden Daueraufgaben, die früher im Haus wahrgenommen wurden, durch Anmietungen, Arbeitnehmerüberlassung und freie Produktionsfirmen erledigt. ‚Was soll daran effizient sein, wenn sich Gebührengelder in Gewinne von Menschenverleihern, Rechteinhabern, Produktionsfirmen und in Umsatzsteuer verwandeln?‘"
Umbau aktuell: An diesem Wochenende tritt die sehr umstrittene Programmreform bei Deutschlandradio Kultur (siehe Altpapier und Altpapier) in Kraft. Stefan Fischer blickt für die SZ-Medienseite noch einmal auf die Debatte zurück:
„Es ging dabei immer weniger um die Inhalte der Reform als vielmehr um die Gesprächskultur in einem Haus, das viel auf seine Kreativität und Intellektualität hält, auf seine Offenheit und Unabhängigkeit. Merkmale, die plötzlich infrage zu stehen schienen. Das alles aber änderte nichts daran, dass das Publikum von Deutschlandradio Kultur seine Hörgewohnheiten von diesem Samstag an deutlich wird verändern müssen.“
Und weil es in den Debatten bisher „weniger um die Inhalte“ ging, geht es bei Fischer nicht zuletzt darum:
„Das bisherige Radiofeuilleton (...) hat bisher allen alles geboten. Nun soll klarer sortiert werden (...) Es ist der Versuch einer Gegenbewegung zu der verbreiteten Tendenz, auch im Kulturjournalismus das Publikum durch eine immer einfacher zu konsumierende Berichterstattung immer weniger zu fordern.“
Warum fürs Deutschlandradio - und auch für die ARD und das ZDF - ein sog. Publikumsrat (siehe Altpapier und Altpapier) wünschenswert wäre, steht im übrigen in einem von Carta republizierten Beitrag.
+++ „Kabel Deutschland wirft weiter dritte Programme aus den analogen Netzen“, berichtet der Tagesspiegel. Das sei „vielen Zuschauern ein Ärgernis“.
+++ Vielleicht ein Trost für jene Nicht-Norddeutschen, die die NDR-Satiresendung „extra 3“ nicht mehr analog empfangen können: Das Magazin kommt bald zumindest einmal monatlich ins Erste. Das meldet nun auch wuv.de (siehe Altpapier).
+++ Legal Tribune Online porträtiert Uwe Jürgens, „einen von drei Justiziaren beim Spiegel Verlag“: „Eine Stelle beim Spiegel, der FAZ, der Zeit oder der Süddeutschen Zeitung – das ist ein Traum für viele Medienrechtler. Doch diese Jobs liegen nicht auf der Straße. ‚Für Juristen gibt es weniger Stellen in Medienunternehmen als bei Autoversicherungen oder in der Verwaltung‘, sagt Jürgens“, der sich „seit einiger Zeit“ verstärkt mit der Frage befassen muss, „inwieweit Medien verpflichtet werden können, ihre Archive zu ändern und bei Veröffentlichung rechtmäßige Berichterstattung zu entfernen“.
+++ Das Magazin The Believer beginnt eine Serie von Interviews mit Wikipedia-Redakteuren mit einem Gespräch mit dem Dokumentarfilmmacher Achal Prabhala.
+++ meedia.de hat die Washington-Post-Redakteurin Cory Haik interviewt, auf deren Schulterklappe „Executive Producer and Senior Editor of Digital News“ steht: „Wird der Online-Journalismus (...) irgendwann teurer werden als Print?“ - „Das glaube ich nicht. Die Reporter und Recherche sind das teuerste am Journalismus. Entwickler, die bei der Umsetzung helfen, nicht so sehr.“
+++ Neues zu den Sperrdrohungen von YouTube gegenüber Indie-Labels (siehe Altpapier und Altpapier) steht in der taz und im Independent.
+++ „Gesinnungsjournalismus“, „viel Blödsinn“ bzw. „Albernes“ - Dass die Käseplattform The European anlässlich des zehnjährigen Jubiläums des Bildblogs wenig Wohlwollendes schreibt, kommt nicht unbedingt überraschend.
+++ Das Zeit Magazin hat den Schweizer Juden Roger Schawinski - den man in Deutschland vor allem deshalb kennt, weil er mal Geschäftsführer bei Sat 1 war - gefragt, ob er in seiner Berufslaufbahn mit antisemitischen Ressentiments konfrontiert war: „Wenn mich (...) jemand in einer Auseinandersetzung als größten Medienspekulanten des Landes bezeichnet, obwohl ich der Privatradio- und TV-Pionier der Schweiz bin und meine Unternehmen mehr als zwanzig Jahre lang aufgebaut habe, also das genaue Gegenteil eines Menschen war, der kauft und verkauft, dann frage ich mich schon: Woher kommt das Schmähwort Spekulant?“
Neues Altpapier gibt es wieder am Montag.