Stolz auf unseren Qualitätsjournalismus

Christian Wulff und Siggi Pop Gabriel äußern sich zum Journalismus. Die alten Wulff-Gegner von Springer sind auch ohne ihre wegverkauften Zeitungen weiter Deutschlands größter Zeitungsverlag. Wer kannte wen?

" ... Wir haben in Deutschland einen Qualitäts-Journalismus, auf den wir stolz sein können, der im internationalen Maßstab spektakulär ist."

Diese schön staatstragende Äußerung tat einer, der gar keinen Staat mehr trägt, auch wenn er es gerne noch täte: Altbundespräsident Christian Wulff gestern bei seiner Buch-Premiere in Berlin.

Grundsätzliches Lob des deutschen Qualitätsjournalismus war natürlich nicht Wulffs zentrales Anliegen bei der Veranstaltung vor "150 oder mehr Journalisten" (FAZ). Bzw.: "Gut 160 Journalisten sind gekommen, unzählige Foto-Reporter, zahlreiche Fernsehteams. 16 TV-Kameras ...", zählte handelsblatt.com in dem "überhitzten Saal" (TAZ).

Das Bildblog, das zwei längere Äußerungen Wulffs dokumentiert, darunter die eingangs zitierten Sätzen, interessierte sich auftragsgemäß vor allem wegen dessen scharfer Kritik an der Bild-Zeitung dafür. Ob sich Wulffs Ansicht, seine Haltung zum Islam sei einer der Gründe, aus denen der Springer-Verlag ihn bekämpfte, durchsetzt, könnte tatsächlich spannend werden. (Fun-fact für Medienstrukturalisten am Rande: Das beim Bildblog unten drunter verlinkte "Video: Die Pressekonferenz in voller Länge", das offenbar der öffentlich-rechtliche Sender Phoenix bei Youtube einstellte, ist dort inzwischen gesperrt, weil es "Inhalte von Mediengruppe RTL Deutschland" enthalte),

Was Bildblog-Autor Stefan Niggemeier, der ja auch wieder häufig in Frankfurter Allgemeinen Zeitungen erscheint, nicht erwähnt, streift Ralf Wiegand in seinem kombinierten Buchpremierenbericht/ Rezension in der Süddeutschen gern:

"Danach beschreibt Wulff gar eine 'Osmose zwischen der Hellerhofstraße in Frankfurt' - dem Sitz der FAZ - 'und der Axel-Springer-Straße in Berlin'.

Das ist doch mehr Verschwörungstheorie als Analyse",

fügt er freilich gleich hinzu. Diese Osmose-Ansicht bezieht sich darauf, wie erfreut FAS und FAZ Content von Kai Diekmanns Mailbox zur Erstveröffentlichung entgegennahmen, als es dem Bild-Zeitungs-Chefredakteur offenkundig opportun erschien, ihn lieber anderswo als im eigenen Blatt zu veröffentlichen.

"Zu den 'wenigen rühmlichen Ausnahmen' zählt Wulff ausgerechnet eine Zeitung, die ihm politisch nicht nahestand - die linksalternative 'taz'. Das Blatt aus Berlin hatte zum Höhepunkt der Wulff-Affäre von Diekmann wissen wollen, wie Zitate von Wulffs Anruf, der auf der Mailbox des Chefredakteurs gespeichert war, den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hatten",

heißt es dazu im schnellen "Wulff-Buch-Check" bei Spiegel Online.

Insofern vielleicht auch nicht überraschend, dass Ulrich Schulte - noch - nicht in der gedruckten TAZ (BLZ: "Manche sprechen von Rache und erklären so auch die Uhrzeit, zu der er sein Buch ... vorstellt. Um 16 Uhr beginnt er seine Pressekonferenz, das ist für viele Printjournalisten schon arg spät"), aber bei taz.de Wulff bescheinigt, "erhellende Einblicke in den Medienbetrieb" zu liefern:

"Bei dieser und bei vielen anderen Stellen seines Buches hält man inne. Und hofft, dass die offene Debatte über Fehler, die er einfordert, auch geführt wird - von uns Journalisten selbst."

Erst recht kein Wunder, dass die FAZ sich indigniert gibt. "Einmal ist es noch wie früher, einmal hat er die Berliner Medien noch um sich, ohne dass sie auf seinen Rücktritt warten", schreibt Eckart Lohse etwas ungelenk und hat für die Druckausgabe (S. 4) auch ein Foto ausgewählt, auf dem Wulff sein Buch umso ungelenker in die Kamera hält. Auf dem Foto in der faz.net-Onlineversion performt Wulff dagegen fotogen hinter seinem Buch. Die unzähligen Foto-Reporter haben natürlich unzählige Fotos geschossen, so wie die 160 Reporter auch schon allerhand (u.v. noch im Tagesspiegel und bei zeit.de) geschrieben haben.

Was schreibt die Bild-Zeitung, deren Peter Tiede sich laut Niggemeier auf der PK "mehrere angespannte Wortwechsel" mit Wulff lieferte? "Wulff rechnet ab - auch mit BILD", und Ernst Elitz kommentiert bärbeißig.

####LINKS####

[+++] Quasi täglich zu Gast in dieser Kolumne: die Frage nach der Zukunft des Qualitätsjournalismus im internationalen Maßstab und hierzulande, wo er in diesem so "spektakulär" (Christian Wulff) ist.

Gerade kommen eine Menge frischer Zahlen herein. Horst Röper hat für die Media Perspektiven die Zeitungsverlags-Marktanteile berechnet (PDF):

"Die fünf auflagenstärksten Verlagsgruppen verkaufen demnach 42,9 Prozent der Tagespresse  in Deutschland. An der Spitze liegt dabei der Medienkonzern Axel Springer, der 15,5  Prozent aller Tageszeitungsexemplare verkauft. Es folgen die Verlagsgruppe um die  'Stuttgarter Zeitung' und die 'Rheinpfalz' mit 9,5 Prozent, die Funke Mediengruppe aus  Essen (ehemals WAZ-Gruppe) mit 7,7 Prozent, der Madsack-Konzern aus Hannover (5,2  Prozent) und das Kölner Unternehmen M. DuMont Schauberg (5,0 Prozent)",

fasst die Pressemitteilung zusammen.

Die Gruppe um die "Stuttgarter Zeitung" ist die, der auch die Süddeutsche Zeitung mehrheitlich gehört. Dass Springer wegen des Verkaufs mehrerer Blätter an Funke zwar "im Segment der Abonnementzeitungen aus dem Ranking heraus" fällt, aber dennoch "im Gesamtmarkt die führende Verlagsgruppe" bleibt, sagt natürlich auch etwas aus. Es lohnt sich, Röpers ganzen Text lesen, der etwa auch die Werbeeinnahmen beziffert (die von "über 6,5 Mrd Euro" im Jahr 2000 auf 2,9 Milliarden anno 2013 sanken).

"Around 2.5 billion people around the world read newspapers in print and 800 million on digital platforms", meldet der Weltverband der Zeitungen WAN-IFRA und schlüsselt die Zahlen nach Kontinenten und Markt-Reife auf: "Print circulation continues to rise in countries with a growing middle class and relatively low broadband penetration, but long-term structural declines in print circulation continue in mature markets as audiences shift their focus from print to digital. Circulation rose +1.45 per cent in Asia in 2013 from a year earlier and +2.56 per cent in Latin America; it fell -5.29 per cent in North America, -9.94 per cent in Australia and Oceania, -5.20 percent in Europe and -1 per cent in the Middle East and Africa."

[+++] "Ich habe gerade 60 Euro an die Krautreporter überwiesen. Das ist keine Heldentat. Damit  rette ich auch nicht den Journalismus. Sondern unterstütze schlicht eine spannende Initiative, von der ich nicht weiß, ob sie Erfolg haben wird (die Macherinnen und Macher wissen das ja selbst nicht)."

Kurz vor Schluss der Zeichnungsphase, in der es mit 9.258 von 15.000 benötigten Unterstützern nicht blendend aussieht, springt der vielseitig interessierte Sozialdemokrat Sigmar Gabriel den Krautreportern bei, die den "kaputten" Onlinejournalismus heile machen wollen, und antizipiert den Aufschrei, "weil sich ein Minister ein willfähriges Online-Medium kauft", clever dialektisch mit (Facebook).

"Selbst wenn die Krautreporter scheitern sollten, heißt das noch lange nicht, dass damit auch der Onlinejournalismus über die Klippe gesprungen ist",

schallt es unterdessen aus Regensburg, wo regensburg-digital.de dem Gewerkschaftsmagazin journalist zu bedenken gibt, dass es selbst schon lange und erfolgreich (wenngleich "das Gehalt des hauptamtlichen Redakteurs und Herausgebers Stefan Aigner ... weit von den 2.000 Euro entfernt" sei, "die die Krauts ihren Mitarbeitern zu zahlen bereit sind") "leserfinanzierten unabhängigen Onlinejournalismus" betreibt:

"Aber man sollte vielleicht auch online endlich mal anfangen, mehr lokal und nicht immer gleich national-global zu denken."


Altpapierkorb

+++ "Patriotismus hat im Digitalen also keine Chance?" Das fragt die TAZ den Social-Media-Berater Jona Hölderle, weil mit werkenntwen.de nun auch ein weiterer deutscher Facebook-Konurrent dichtgemacht hat. +++

+++ Dem Kauf der Fernsehrechte an der übernächsten Fußball-WM, der von 2022 (Altpapier gestern), widmen sich heute der Tagesspiegel und die FAZ. "Warum der Zeitdruck?", fragt ersterer, "die TV–Lizenzen für die Fußball-WM 2018 in Russland wurden erst vor zwei Jahren vergeben, warum wurde für Katar vom Vierjahres-Rhythmus abgewichen?" +++ In der FAZ tickt Michael Hanfeld die Kostenfrage an: "Die letzte halbwegs amtliche Zahl stammt von der WM 2006 im eigenen Land und belief sich auf 180 Millionen Euro: Vier Jahre später in Südafrika sollen es schon 350 Millionen Euro gewesen sein", nicht ohne zugleich an den Fan in uns allen zu appellieren ("Wir würden ja gerne langfristig planen mit Jogi Löws Truppe, möglichst bis zum Finale am 13. Juli").

+++ Zumindest gegenüber Jörg Kachelmanns Rücktrittsforderung wegen der WDR-Wetterwarnungen vergewissert die FAZ Intendant Tommy Buhrow ihre Solidarität: "Jörg Kachelmann, der Wetterexperte, warnt nicht nur zu gegebener Zeit vor Unwettern. Er entfacht solche auch, wenn ihm danach ist". "Wetterfrosch Kachelmann, dessen Webabsonderungen streng nach Selbstgerechtigkeit  riechen", würde turi2.de sogar sagen. Die BLZ sieht's ähnlich. Es geht um diesen Offenen Brief. Gut zusammengefasst ist das Problem bei dwdl.de. +++ "Richtig aber ist, dass der WDR gestern als öffentlich-rechtlicher Sender komplett versagt hat" (fernsehkritik.tv). +++

+++ "Viele Leute schauen gar nicht mehr genau hin... Sie fühlen sich durch die Falschmeldungen in ihrer Meinung nur noch bestätigt und verbreiten die Nachrichten schnell per Mausklick weiter". Das sagte Margo Gontar, die das ukrainische Portal stopfake.org gründete, dem Tagesspiegel. +++

+++ Das Recht auf  Vergessenwerden "könnte sich ... noch als gefährlicher Bumerang für all jene herausstellen, die durch die  Löschung von Links ihren Ruf im Netz verbessern wollen", wenn nämlich Google Suchergebnis-Seiten, von denen Ergebnisse unter Berufung auf das EuGH-Urteil entfernt wurden, mit Warnhinweisen versieht (sueddeutsche.de). +++

+++ Dem "New York Times"-Reporter James Risen droht Beugehaft "im Zusammenhang mit seiner Enthüllung einer 14 Jahre zurückliegenden Operation des Geheimdienstes CIA" (epd medien). +++

+++ "Franz Josef Wagner wird der Jopi Heesters der 'Bild'" (TAZ-Kriegsreporterin). +++ Außerdem stellen SZ und FAZ auf ihren Medienseiten neue US-amerikanische Cop- und/ oder Doc-Serien (die FAZ "Murder in the First" und "The Night Shift", die SZ "True Detective"). +++ Und die SZ stellt als "WM-Erklärer" tätige deutsche Ex-Nationalspieler wie den "Ohrläppchenschlabberknabberer" Olli Kahn den "Team-Intellektuellen" Marco Bode vor. +++
Und weist darauf hin, dass der heute abend erstmals in der ARD gezeigte Fernsehfilm "schon im Herbst 2009" gedreht wurde. Mehr zum Film hier nebenan. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.