Als ein Ex-Agent für Augstein Urlaube plante

Hilft der mediale Wirbel um Conchita Wurst „ganz normalen Trans-Menschen“? Hilft der mediale Wirbel um die Krautreporter anderen journalistischen Crowdfunding-Projekten? Ist Glenn Greenwald ein „stranger-than-strange middle man“? Außerdem: Der Spiegel setzt sich kritisch mit seiner Vergangenheit auseinander. Und der DFB müsste es tun, wie ein vielbesprochener Dokumentarfilm deutlich macht.

Praktisch gerade eben, am Sonntag auf der Medienseite der FAS, wurde er in einem großen Porträt noch gedisst wegen des Tragens kurzer Hosen an Orten, an denen Frankfurter Allgemeine Menschen keine kurzen Hosen tragen (Bundespressekonferenz). Heute ist er der große Star auf der Medienseite der werktäglichen Ausgabe, und zwar nicht als Objekt der Berichterstattung, sondern als Subjekt: Tilo Jung, das Gesicht der Web-Interviewreihe „Jung & Naiv“. Den größten Teil der Seite bestreitet Jung mit einem Gespräch mit Glenn Greenwald, der zuletzt oft interviewt worden ist von deutschsprachigen Medien, aber eben noch nicht auf junge und naive Weise. Jung animiert Greenwald unter anderem zu folgendem Statement:

„Viele Menschen verwechseln die Idee von Politik mit dem, was gerade stattfindet. Öffentliche Debatten über Politik haben so gut wie nichts mit dem zu tun, was Amtsträger tatsächlich tun.“

Die Videoversion des Gesprächs steht hier - und ein Teaser für die verschriftlichte Fassung hier.

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Glenn Greenwald spielt auch eine Rolle in einer längeren Abhandlung, die Michael Wolff für die Juli-Ausgabe des britischen GQ-Magazins über die Zukunft des Guardian und die misslungene US-Strategie verfasst hat. Ein paar ätzende Worte über einen der journalistischen Scoops der jüngeren Vergangenheit - an dem Greenwald maßgeblich beteiligt war, als er noch für den Guardian arbeitete - hat Wolff auch parat:

„It's a complex business (...): to ally yourself with larger-than-life, novelistic characters, first Assange, and then Snowden, and stranger-than-strange middle men, like (...) Greenwald, who brought in the story. The effort to pretend that the story is straight up good and evil, that this is journalism pure and simple, unalloyed public interest, without peculiar nuances and rabbit holes and obvious contradictions, is really quite a trick. In an effort to pull off that trick, the Snowden brand - with hints of baby Jesus - and the Guardian brand - as something like God the father and protector - become nearly symbiotic.“

Wie so oft in kritischen Texten über den Guardian, geht es auch in diesem natürlich ums Geld:

„Snowden, and the continuing great outpouring of attention around the story, made no money for the Guardian. This seemed inexplicable and dumbfounding to Guardian  management. They had broken the biggest story of the day - vastly increased traffic, made people famous, changed history! - and been unable to monetise it.“

[+++] Das Thema Henri Nannen und seine Vergangenheit (siehe unter anderem Altpapier vom vorvergangenen Montag) ist zu Wochenbeginn nur indirekt präsent. Jedenfalls lässt sich ein Artikel im aktuellen Spiegel als mittelbare Reaktion um die Debatte interpretieren: Thomas Hüetlin und Hauke Janssen erzählen die bisher offenbar unbekannte Geschichte des für die Nazis wirkenden Agenten und „bis zum Ende an den Endsieg fürs Vaterland“ glaubenden Paul Fidrmuc, der in den frühen 1950er Jahren als Spanien-Korrespondent für den Spiegel tätig war und sich sehr gut verstand mit Spiegel-Gründer Augstein, ihn „Don Rodolfo“ nannte und für ihn „Urlaube organisierte“.

Strategisch ist es kein falscher Schachzug, diese Geschichte - die sieben Seiten lang ist, also nur eine Seite kürzer als die Titelstory über den „Tatort“, siehe Altpapier - jetzt zu bringen. Die Konkurrenz vom Stern steht gerade etwas blöd da, was die Aufarbeitung des Themas Nationalsozialismus in eigener Sache angeht, daher wirkt die Vorwärtsverteidigung souverän. Hüetlin/Janssen zitieren teilweise aus den unveröffentlichten Memoiren des hier am Freitag am Rande erwähnten Ex-SS-Mannes und Spiegel-Titelgeschichten-Rekordschreibers Georg Wolff. Diese wiederum fanden zuerst Niederschlag in Lutz Hachmeisters Buch „Heideggers Testament. Der Philosoph, der Spiegel und die SS“, dessen einleitendes Kapitel gerade die Funkkorrespondenz nachgedruckt hat. Hüetlin/Janssen schreiben:

„So etwas gab es auch bei Spiegel Anfang der Fünfzigerjahre: Ein ehemaliger Abwehragent aus Lissabon wurde von Hamburg aus geführt von zwei ehemaligen SS-Hauptsturmführern, Mahnke und Wolff. Eine hässliche Vorstellung heute, aber der Spiegel, so lautete die Argumentation Augsteins, brauchte Leute, die die Apparate, um die es ging, so gut kannten, dass sie in der Lage waren, darüber zu schreiben.“

Ein Problem, das sich Medienhistorikern immer mal bei Recherchen in Sachen Spiegel-Geschichte stellt, kommt auch zur Sprache:

„Fidrmuc‘ Texte sind heute nicht allesamt eindeutig zu identifizieren, weil Spiegel-Artikel damals namentlich nicht gekennzeichnet waren.“

[+++] Bisher noch nicht miteinander verknüpft wurde die Diskussion um den Nannen-Preisgeber mit einer nicht unähnlichen, die vor rund einem Monat im Literaturbetrieb zu toben begann (hier, hier und hier) und sich darum dreht, ob die nach dem Schriftsteller und Journalisten Alfred Kerr benannten Preise angesichts dessen, dass dieser vor 100 Jahren den Ersten Weltkrieg bejubelt hat, nicht anders benannt werden sollten. Es bietet sich an, darauf heute einzugehen, weil einer derjenigen, die vehement gegen die Umbenennung der Kerr-Preise argumentiert, heute 90 Jahre alt wird: Günther Rühle, einst Feuilletonchef der FAZ und später auch des Tagesspiegel, eifriger Buchschreiber und nicht zuletzt Präsident der Alfred-Kerr-Stiftung.

Peter von Becker nimmt im Tagesspiegel den runden Geburtstag zum Anlass, Rühles demnächst erscheinendes Werk „Theater in Deutschland 1887 - 1945“ („1283 Textseiten, ohne eine einzige Abbildung“) zu preisen.

„Rühle ist ein glühender Journalist und zugleich ein sprühender Historiker“,

schreibt von Becker, was die Frage aufwirft, warum er sich nicht für die Varianten „sprühender Journalist“ und „glühender Historiker“ entschieden hat.

Stephan Speicher singt in der SZ ebenfalls ein Loblied:

„Das ist die vielleicht schönste Eigenschaft Rühles: die Fähigkeit, die explosive Energie des Journalisten – Rühle liebt sein sprechendes Kürzel ‚g.r.‘ –, mit der Geduld des Buchautors zu verbinden, die leidenschaftliche Teilnahme am Tag mit dem Bildungswillen. Er sprach und spricht aus einer Zeit eines festen Kunstvertrauens, das als selbstverständlich annehmen will, die Künste und besonders das Theater sagten uns wie niemand sonst, wer wir sind und wer wir werden.“

[+++] Weiter geht der in der Welt am Sonntag begonnene Rezensionsmarathon des Dokumentarfilms „Das Mädchen – Was geschah mit Elisabeth K.?", den die ARD am Donnerstag zeigt. Es geht in diesem Film des Grimme-Preissammlers Eric Friedler um den Mord der argentinischen Junta an der deutschen Staatsbürgerin Elisabeth Käsemann im Jahr 1977 und - unter anderem - die Rolle des DFB und dessen damaligen Präsidenten Hermann Neuberger in diesem Fall. Der Verband unterließ es im Vorfeld eines Freundschaftsspiels in Argentinien, der Inhaftierten zu helfen. Und nach ihrer Ermordung sagte er das Spiel nicht ab. Anno Hecker dazu heute im FAZ-Sportteil:

„Noch offen bleibt die Frage, ob Neuberger Hilfe wissentlich unterließ, als sie dringend nötig war (...) ‚Es ist Zeit für den DFB, seine Rolle in dieser Barbarei aufzuarbeiten“, fordert Hartmut Scherzer, Fachberater Friedlers und damals Reporter in Argentinien: ‚Wenn man sich zwei Jahre mit dem Thema beschäftigt hat, kann man nur entsetzt sein über die Untätigkeit Neubergers.‘“

Die Berliner Zeitung hat den Film ebenfalls gesehen.

[+++] Lange nichts mehr über Conchita Wurst gelesen? Vina Yun (Zeit Online) wirft jetzt die Frage auf, ob der mediale Rummel, der rund um die ESC-Siegerin entstanden ist, auch „ganz normalen Trans-Menschen“ hilft:

„Jeder noch so konservative, engstirnige Boulevardzeitungsleser kann sich leichtfertig auf die Seite der Mehrheit stellen: Alle lieben Conchita. Oder doch nicht? Wie scheinheilig dieser Toleranzdiskurs geführt wird, zeigt sich, wenn es um die politischen Forderungen nach Gleichstellung und Selbstbestimmung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender- und Intersex-Menschen – kurz LGBTI – geht (...) Der reale Alltag von Trans-Personen (ist) von zahlreichen Diskriminierungen geprägt (...) Noch häufiger als Schwule oder Lesben sind sie betroffen von Arbeitslosigkeit bzw. Arbeitsverlust und somit auch von Armut. Sie haben keinen oder schlechteren Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung und sie werden häufiger als Lesben oder Schwule Opfer von Hassverbrechen.“


ALTPAPIERKORB

+++ Jens Twiehaus wirft in der taz heute die Frage auf, ob von der medialen Aufmerksamkeit, die das Crowdfunding-Projekt Krautreporter auf sich zieht, auch andere Journalisten profitieren, die mit dem Geld der Crowd ungewöhnliche Ideen umsetzen wollen. Unter anderem geht es um Brafus 2014.

+++ Weitere Finanzierungsideen von Journalisten: Oliver Wurm hat zur WM das Magazin 547490 herausgebracht - ohne Unterstützung eines Verlages. Sein Sparstrumpf war offenbar gut gefüllt: „Das Papier, die Fotos, das gesamte Layout. Man hält das mit mehr als 80.000 Euro aus eigener Tasche vorfinanzierte Heft gern in den Händen“, schreibt das Hamburger Abendblatt.

+++ Das journalistische Experiment des gestrigen Tages lässt sich bei Cicero nachlesen: Alexander Kissler hat dort in Echtzeit seine Rezeptionseindrücke der gerade erschienenen, neun CDs umfassenden Hörbuchfassung von Ernst Jüngers Kriegstagebuch „In Stahlgewittern“ publiziert. 

+++ Max Steinbeis (Carta) beschäftigt sich mit einem Berliner Vortrag des amerikanische Verfassungsrechtlers und Bloggründers Jack Balkin, der dort über „eine Old-School- und eine New-School-Variante der Regulierung freier Rede“ reflektierte:

+++ „Der russische Präsident Putin steuert die öffentliche Meinung systematisch. Dies tut er vor allem mithilfe des Fernsehens, das er gleichschaltete“, konstatiert heute die NZZ, während Buzzfeed mit Hilfe geleakter Dokumente andere Propagandastrategien in den Blick nimmt, nämlich jene, für die der Kreml „a new cadre of online trolls“ bzw. „a million-dollar army of trolls“ rekrutiert hat.

+++ Auf der SZ-Medienseite bespricht Petra Steinberger die arte-Doku „Die Bio-Illusion“: „Natürlich werden sich nach diesem Film all diejenigen bestätigt fühlen, die immer schon gewusst haben, dass Bio sowieso Humbug ist. Was dem Film allerdings wirklich sehr Unrecht tun würde. Denn es ist etwas anderes, mal hier ein Detail zu lesen und mal dort, also den Wald baumweise zu erkunden. Oder eben, wie in der ‚Bio-Illusion‘, ohne moralische Besserwisserei einmal den großen Blick darauf zu wagen, was es eigentlich bedeutet, wenn aus einer Nischenbewegung auf einmal eine Sache für jedermann werden soll.“ Martin Weber (Kölner Stadt-Anzeiger) findet: „Die Bio-Illusion“ (...) ist eine sehenswerte Doku, in der Autor Christian Jentzsch in mehreren Ländern hinter die Kulissen schaut. Sein Film zeigt, wie widersprüchlich und fragwürdig moderne Bioprodukte mittlerweile sind. Jentzsch hinterfragt, was der Preis des Bio-Booms ist.“

+++ N24, der Sender für „verklemmte Singles“ (Leo Fischer), hat wegen vermeintlicher Logo-Ähnlichkeit eine „einstweilige Verfügung gegen die im NDR Fernsehen ausgestrahlte Satire-Sendung ‚Postillon24‘ erwirkt“, berichtet dwdl.de. Die Satiriker bezeichneten N24 daraufhin als „Sender, der nicht gerne lächerlich gemacht wird, weil er es selbst am besten kann".

+++ Zu den Medien, die sich selbst gut lächerlich machen können, gehört auch die Hamburger Morgenpost - über die man freilich auch nicht immer lachen kann, zum Beispiel dann, wenn sie gegen Obdachlose hetzt. Der Blog HH-Mittendrin berichtet.

+++ Ein alter Held der Morgenpost „geht in den Promi-Knast“. Das meldet stern.de: Ronald Schill aka „Richter Gnadenlos“, bis 2003 Senator in Hamburg, wird angeblich bald bei „Promi Big Brother“ dabei sein. Da fragt man sich doch, wie lange es bei Bernd Lucke dauern wird, bis er bei einer derartigen Show mitmischt.

Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.