Glücklich in Moskau

Glenn Greenwald erklärt, warum Edward Snowden glücklich ist und er die NSA-Dokumente nicht an jeden weitergibt. Mathias Döpfner wähnt sich unter Schutzgeld-Erpressern. Giovanni di Lorenzo hat es auf die Titelseite der Bild-Zeitung geschafft. Und in Dänemark spielt sich ein Zeitungsskandal ab, fast wie aus dem "Borgen"-Drehbuch.

Wie macht dieser Glenn Greenwald das nur? Er sitzt an einem der größten Skandale, seit es das Internet gibt. Es durchforstet dafür ein ganzen Universum an Daten, dessen Dimension wir noch nicht einmal erahnen können, wie er sagt (Altpapier). Er schreibt darüber, er hält Kontakt zu Edward Snowden, und trotzdem findet er immer noch Zeit, sich selbst interviewen zu lassen.

Welche Zeitmanagement-App empfiehlt Greenwald?!

Doch diese Frage hat natürlich weder die taz noch die NZZ noch das Handelsblatt gestellt, die diesmal dran sind mit der Greenwald Befragung.

Für die NZZ hat Thomas Schuler ein Grundsatz-Interview geführt. Wie viele Dokumente sind es den eigentlich? („viele, viele Tausende“.) Wissen die Amerikaner, wie viele es sind? (Nein.) Wo sind diese Dokumente denn jetzt? („Laura Poitras und ich besitzen das vollständige Archiv. Pro Publica, der ,Guardian’ und die ,New York Times’ haben bestimmte Teile der Dokumente.“) Und: Sollte Edward Snowden zurück in die USA gehen? („Ich berate ihn nicht. Aber an seiner Stelle würde ich nicht in die USA gehen.“)

Wir erfahren aber auch etwas, das man jetzt auf den ersten Blick nicht von einen Mann gedacht hätte, der derzeit auf die Gastfreundschaft ausgerechnet Wladimir Putins angewiesen ist, um der Todesstrafe zu entgehen, die ihn zu Hause erwartete:

Es geht ihm wirklich gut. Er kann an der Debatte teilnehmen, die er angestossen hat. Er ist heute selbstbewusster, was Interviews angeht. Die Person, die wir vor einem Jahr trafen, war weniger erfahren im Umgang mit Medien. Er bereut seine Entscheidung nicht, die geheimen Daten an die Öffentlichkeit gebracht zu haben. Heute ist er einer der glücklichsten Menschen, die ich kenne.“

Und Greenwald – der selbst vom Guardian zum vom Ebay-Gründer Pierre Omidya finanzierten Online-Angebot The Intercept gewechselt hat – geht mit den etablierten Zeitungen hart ins Gericht.

„Auch Mainstream-Medien veröffentlichen sehr guten Journalismus. Aber es ist doch so: Sie berichten so umfangreich, weil wir ihnen diese Debatte mit den Enthüllungen aufgezwungen haben. Es hat schon einen guten Grund, warum Snowden mit seinen Dokumenten nicht zur ,New York Times’ ging. Die ,Times’ besitzt nur einen kleinen Teil der Dokumente, hätte aber dennoch mehr darüber berichten können. Von den zehntausend Dokumenten, die sie seit August besitzt, hat sie nur einen Bruchteil ausgewertet. Gemessen daran, was sie hätte tun können, hat sie keine gute Arbeit geleistet.“

(Ähnliches soll er laut Turi2 auch auf Seite 20 des gerade unerreichbaren Handelsblattes gesagt haben.)

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Bleibt noch die Frage, auf wen Greenwald denn setzt, um das ganze Schlamassel zu beenden?

„Ich setze nicht auf Obama. Das Reformgesetz wurde verwässert und trägt einen Namen, den es nicht verdient. Ich setze darauf, dass Bürger und Nutzer von Social-Media-Diensten Reformen einfordern. Da liegt unsere wirkliche Chance. Sie müssen Druck ausüben auf Internetfirmen und deren Dienste, denn Washington hört nicht auf einfache Bürger, sondern auf Internet-Milliardäre. (...) Aber am meisten verspreche ich mir davon, dass mehr Nutzer ihre Nachrichten verschlüsseln.“

Und schon sind wir bei der taz, wo Christian Rath genau nachfragt, warum Greenwald die Dokumente eigentlich nicht aus der Hand gibt.

Im Falle des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestages, der gerne einen Blick in die Originale würfe, ist die Antwort eindeutig wie einleuchtend: er mache sich strafbar, wenn er US-Geheimdokumente an andere Regierungen weitergebe, sagt Greenwald. „Außerdem ist es auch nicht meine Aufgabe als Journalist, Regierungen zu helfen.“

Bei Greendwalds Antwort auf die Frage, warum er den Zugang zu den Dokumenten so stark kontrolliere, ist es etwas komplizierter:

„Wenn Medien etwas veröffentlichen, das nicht veröffentlicht werden soll, dann zerstört das die Reputation von Edward Snowden und auch meine.“

Im NZZ-Interview, um kurz darauf zurückzukommen, liest sich das wie folgt:

„Wir hätten mehr Dokumente veröffentlichen können, richtig. Aber wir wollten uns nicht dem Vorwurf aussetzen, verantwortungslos zu agieren und Menschen zu gefährden. Wenn Snowden das gewollt hätte, dann wäre er nicht zu Laura und mir gekommen, sondern hätte die Dokumente Julian [Assangne, Anm. AP] gegeben.“

Da ist er also wieder, der gute, alte Streit zwischen Journalisten und Wikileaks, ob völlige Transparenz oder bewusstes Gatekeeping zum Schutze Dritter das Richtige ist. Greenwald als Journalist ist selbstverständlich Team Gatekeeping.

Zumal er, jetzt wieder die taz, auch bei der Weitergabe an Kollegen mit rechtlichen Konsequenzen rechnen müsste.

„Außerdem können wir nicht einfach Zehntausende amerikanische Topsecret-Dokumente an ausländische Medien weitergeben. Es bestünde die Gefahr, dass die US-Regierung uns nicht mehr als Journalisten ansehen würde, sondern als Informationsverteiler. Wir könnten so den verfassungsrechtlichen Schutz der Pressefreiheit verlieren und der Spionage beschuldigt werden.“

Allerdings werde, um das Thema zum Schluss zu bringen, derzeit geprüft, wie man ein paar mehr Medien Zugang zu den Dokumenten gewähren könne.

[+++] And now for something completely different: Es gibt eine neue Folge der Serie „Google gegen des Rest der Welt“ bzw. „Mathias Döpfner und wie er die Welt sieht“ bzw. „Wie die Welt Mathias Döpfner sieht“.

Da hatten wir uns gerade so schön an die Brieffreundschaft via FAZ zwischen Döpfner, Googles Eric Schmidt (Altpapier, Altpapier) und EU-Kommissar Joaquín Almunia (Altpapier) gewöhnt. Da schert Döpfner schon wieder aus und spricht über die von ihm als untragbar empfundene Marktmacht Googles. Bzw. sprach, denn das war schon gestern Abend, als er im Festsaal der Universität Tübingen als Gastredner der 11. Tübinger Mediendozentur zugegen war.

Die Themen? Die üblichen: Die EU-Kommission mache zu wenig gegen die Wettbewerbsverzerrung durch Google, sondern fördere vielmehr ein System, nach dem Konkurrenten von Google als Ausgleich für schlechtere Google-Platzierungen Werbefenster kaufen könnten. „Das ist die EU-behördlich sanktionierte Einführung eines Geschäftsmodells, das man in weniger ehrenwerten Kreisen Schutzgeld nennt“, so Döpfner laut Springers Tageszeitung Die Welt. Angst habe er vor den großen Medienkonzernen wie Facebook, Google und Amazon aber trotzdem nicht: In Sachen journalistischer Qualität seien die Verlage diesen weit voraus.

Wie jetzt? Journalistische Qualität? Stehen bei der Bild-Zeitung etwa große Reformen an? Nein, natürlich nicht. Nach Döpfners Ansicht läuft das mit dem Qualitätsjournalismus schon alles ganz großartig: „Wir dürfen nicht alles anders machen als bisher - sonst gehen wir wirklich unter.“

[+++] Wer jetzt noch nicht genug hat von den Themen Geheimdienste und Internetkonzerne, dem sei empfohlen, heute Abend das ZDF einzuschalten. Elmar Theveßen hat sich auf der Suche nach der geheimen Weltregierung bei NSA, GCHQ, Google und Facebook umgesehen. Und ist fündig geworden, wie Michael Hanfeld auf der Medienseite der FAZ schreibt: Der Zweck ihres Bündnisses: Datengewinnung und Überwachung. Das Ergebnis: eine ,Verschwörung gegen die Freiheit’.“ Letzteres ist, Sie ahnen es, der Titel der Doku, die auch Markus Ehrenberg im Tagesspiegel beeindruckt, wenn auch leicht verwirrt hat: „Oft schwindelt einem der Kopf bei all den Orten, Namen, Treffen, Dokumenten und Insiderwissen, unterlegt von dräuender Musik, als würde gleich Godzilla um die Ecke kommen. Zurück bleibt ein Gefühl davon, wie eng die Verflechtungen von Informationsauswertung, Wirtschaft und Politik sind.“


Altpapierkorb

+++ Seit Montag läuft das Insolvenzverfahren bei der Münchner Abendzeitung, schreibt das Handelsblatt. Komplettabwicklung nicht ausgeschlossen. +++

+++ Für Giovanni di Lorenzo folgt auf die doppelte Wahl (Altpapier) die doppelte Qual: Auf der Titelseite der Bild-Zeitung muss er sich als „Wahl-Depp“ beschimpfen lassen. +++

+++ In Dänemark spielt sich derzeit ein Zeitungsskandal ab, wie ihn sich Ferienserien-Autoren nicht schöner hätten ausdenken können. So steht es zumindest heute auf der Medienseite der FAZ. Dirk Schümer berichtet von den Ermittlungen gegen das Klatschblatt „Se og Hør“, das in Deutschland „Gesehen und Gehört“ hieße. Klingt harmlos, ist es aber nicht: Die Blättchen hat sich nämlich Kreditkartendaten gekauft, um so an private Daten etwa zu Flugreisen oder Übernachtungen Prominenter zu kommen. Aufgeflogen ist die Geschichte im April, nachdem ein ehemaliger Redakteur der Zeitung einen Schlüsselroman darüber verfasst hatte. „Der Skandal erinnert sonderbar an den dänischen Serien-Welterfolg ,Borgen’. Da beeinflusst ein zwielichtiger Spindoktor massiv den Wahlkampf, weil er den Londoner Einkauf der Gattin des Premierministers mit einer staatlichen Kreditkarte publik macht – so erst nimmt die inzwischen legendäre Story um die Politikerin Birgitte Nyborg ihren Lauf.“ +++

+++ Um aufgemotzte Autos geht es derweil auf der Medienseite der SZ, für die Jürgen Schmieder Ryan Friedlinghaus interviewt hat. Der ist Chef der (untertrieben gesagt) Schrauberwerkstatt „West Coast Customs“, die die meisten aus „Pimp my Ride“ auf MTV kennen und die derzeit wieder eine Hauptrolle im amerikanischen Reality-Fernsehen hat, diesmal bei Fox Sports. So erfährt man, dass Friedlinghaus sein Engagement bei MTV heute recht kritisch sieht: „Es geht Produzenten und Fernsehsendern darum, die Einschaltquoten kurzfristig zu erhöhen. (...) Also wurde der Zustand der Autos immer schlechter, die Vorschläge wurden immer verrückter. Das Fernsehen jedoch wirft einen einfach weg, wenn es mit einem fertig ist. Auf der Straße gilt man dann aber als einer, der sich verkauft hat. Ich musste deshalb die Entscheidung treffen, ob es sich wirklich lohnt, die Sendung weiterzumachen. Wir haben die Reißleine gezogen, weil wir unsere Street Credibility nicht verlieren wollten.“ Und was macht Friedlingshaus heute für seine Street Credibility? Er baut Cupcake-Küchen im Transporter ein. +++

+++ Was bedeutet es, wenn Jens Riewa, Jorge Gonzalez und Rebecca Mir am Samstagabend mit Oliver Geißen ausschließlich über Abba sprechen? Ja, genau, RTL zeigt die 1001ste Folge der „Ultimativen Chartshow“. Aber das ist nicht die eigentliche Nachricht, die Hans Hoff auf der Medienseite der SZ verkündet. Sondern, dass dies das Zeichen dafür ist, dass die groß angekündigte Abba-Show mit Thomas Gottschalk vorerst nicht läut. Aber nur vorerst, so Hoff: „Diese höchst uninspirierte Couchbesetzung deutet darauf hin, dass man den Plan der ernsthaften Beschäftigung mit dem Thema noch nicht aufgegeben hat. Man wolle es beizeiten mit kenntnisreichen Gesprächspartnern bearbeiten, heißt es aus dem Sender, zu den erwünschten Gesprächspartnern gehören nach RTL-Einschätzung mindestens zwei, besser noch drei, am liebsten gar vier der Originalmitglieder.“ +++

+++ Fix und Foxi haben einen neuen Besitzer, zumindest Rechte-mäßig: Er heißt Stefan Piëch, ist im Kinderunterhaltungsbusiness tätig und im Nebenberuf Neffe von Ferdinand, schreibt die SZ. +++

+++ Letzter Fernsehtipp des Tages: „14“, die verfilmten Tagebücher aus dem Ersten Weltkrieg, sind nach der Ausstrahlung auf Arte (Altpapier) nun auch heute und morgen, leicht verkürzt, in der ARD zu sehen. Lena Bopp (FAZ) ist angetan: „Dem Film gelingt das Kunststück, trotz der Vielzahl von Stimmen und der Fülle an Details ohne Brechung einen weiten Bogen über den europäischen Kontinent während des Krieges zu spannen. Das ist der gründlichen Recherche zu verdanken. Aber auch der klugen Auswahl, die keine geringe Aufgabe gewesen sein dürfte.“ +++

Der Altpapierkorb füllt sich morgen wieder.