Neues aus den Haßbergen

Peter Maffay greift in Bayerns Radiodebatte ein. Neues von der Zeitungskrise nicht nur, aber auch in Bayern. Sogar neue Zombiezeitungen. Immerhin werden keine sensiblen FAZ-Redakteure abgebaut. Außerdem: ein richtig gute schlechte Fernsehfilmkritik.

Beliebtes Narrativ des Medienwandels: alt gegen jung, also alte Inhalte, die ältere Mitbürger gerne in ihren überkommenen Medien nutzen, gegen neue, frische, die digital besser konsumiert werden.

Eine Erscheinungsform ist die weiterhin unentschiedene Debatte um die Radiosender-Verschiebung beim Bayerischen Rundfunk, über die z.B. hier zu lesen war. Deren Variation besteht bekanntlich darin, dass der alte Klassiksender ins kaum genutzte Digitalradio abgeschoben werden soll, während der Jugendsender Puls, um endlich Reichweite zu bekommen, stattdessen im analogen UKW-Radio zu hören sein soll. Gerade kommen neue Debattenbeiträge herein: Im großen Leitartikel auf der SZ-Meinungsseite argumentiert Reinhard Brembeck, als Feuilletonredakteur ein klassischer Klassik-Freund, dass der BR so "das Negativklischee vom typischen Klassikhörer: alt, finanziell gut gestellt, einer Minderheit angehörend und ganz seiner Passion verfallen" verfestige.

Die Gegenstimme zum gedruckten, einstweilen nicht frei online verfügbaren Leitartikel ist ungedruckt im Internet bei sueddeutsche.de zu haben und stammt von Peter Maffay, dem historisch verdienstvollen Musiker, der freilich auch schon so alt ist, dass mehrere Generationen alternder Ex-Jugendsender ihn nicht mehr spielen. "Dabei geht es doch im Grunde um eine Sache, die vor allem auch uns Musikern sehr wichtig ist: die Musik!", lautet eines seiner Argumente dafür, dass die klassische Musik (die Maffay auch gern hört, wenn's passt, am liebsten "zu einem von mir frei gewählten Zeitpunkt und an einem von mir frei gewählten Ort") doch ins Digitalradio gehöre.

Klüger ist freilich die Forderung des Feuilletonisten Brembeck an den BR:

"Wenn es dem Sender so wichtig ist, sowohl Jugendliche als auch Klassikfans anzusprechen, dann muss er sein ganzes Programmschema ändern und seine fünf UKW-Sender gezielt auf diese Gruppen ausrichten."

Wurde in dieser Debatte eigentlich schon mal geschrieben, dass Bayern 3 oder zumindest der Werbeverkehrswetterhitmix, der in bayerischen Hotels zum Frühstück eingespielt wird, in jedem Wettbewerb der allerfiesesten Dudelsender ganz weit vorne dabei wäre?

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[+++] Die klassische Erscheinung des Medienwandel-Gegensatzes bleibt natürlich die Zeitungskrise. An dieser Stelle verpflichtet ja auch der Name.

Tagesaktuell in diesem Rampenlicht steht mit einem "Verlust im hohen einstelligen Millionen-Euro-Bereich" auch 2013 mal wieder die renommierte FAZ. Die Verlust-News wurde gestern gleich doppelt performt: Einerseits gedruckt im Handelsblatt [für dessen Onlineauftritt ich auch schreibe], das selbst online nur knapp berichtete, aber natürlich allerhand Aggregation nach sich zog (z.B. kress.de, dwdl.de), andererseits mit einem Auftritt des noch frisch gebackenen Geschäftsführungs-Vorsitzenden Thomas Lindner auf dem "Mediengipfel" des Medienforums NRW gestern in Köln.

Einen Widerschein von Lindners "unkonventionell, weil offen und nicht mit einer unnötigen Gravitas vorgetragenen" Rede gibt Christian Meier bei meedia.de. "Erfrischend ehrlich", würde Torsten Zarges bei dwdl.de sogar nennen, wie Lindner in Köln erläuterte, dass die FAZ "seit ein paar Jahren ... rote Zahlen" schreibe, "aktuell im mittleren einstelligen Millionenbereich". Zarges gibt auch den besten Überblick über das, was sonst so beim kölschen Alles-Mögliche-Medienkongress, der dieses Jahr gemeinsam mit dem Fernsehkabel-Kongress stattfindet, aber traditionell jedes Jahr immer wieder anders optimiert wird  (wozu die Filmstiftung NRW-Chefin Petra Müller dem KSTA ein bemerkenswert umständliches Interview gegeben hat), bislang so lief.

Doch zurück zur FAZ, bei der immerhin lediglich und bereits bekannt, Seiten aus der täglichen Zeitung gestrichen wurden, aber keine von "diesen weichen, sensiblen, empathischen, einfühlsamen FAZ-Journalisten" "abgebaut" werden sollen, wie sich die TAZ-Kriegsreporterin freut. Sensibel und einfühlsam beleuchtet heute die zum Glück weiterhin erscheinende Medienseite heute einen anderen Zeitungskrisenherd, die insolvente Abendzeitung aus München:

"Wer dieser Tage die 'Abendzeitung' besucht, bekommt nicht den Eindruck einer Zeitung in Agonie. Jeder Hollywood-Produzent würde die modern anmutende Kulisse dankbar in einen Film einbauen. Von der Decke liefern mehrere Bildschirme ständig die Bilder der Nachrichtenwelt in ein Großraumbüro, an dessen Tischen in stiller Geschäftigkeit die Zeitung von morgen entsteht. Durch Glaswände kann jeder von außen dem Treiben der zugegeben nicht gerade zahlreichen Menschen beim Verfassen ihrer Texte oder beim Gestalten der Seiten zuschauen. Von Juni an werden hier noch weniger Menschen arbeiten. Denn Ende Mai geht das Insolvenzgeld aus",

lautet der Einstieg Jörg Michael Seewalds, der sonst oft TV-Produktionen des Bayerischen Rundfunks empathisch beschreibt. Anschließend weiß er einiges Triste aus dem Münchener Journalismus zu erzählen ("Am 1. August werden acht Blätter der Funke-Gruppe ..., die an die Klambt-Gruppe in Baden-Baden gehen, aufgelöst. Wie es heißt, wechselt nur ein einziger Redakteur in den Südwesten, an mehr sei Klambt nicht interessiert gewesen"), und einige Szenarien rund um die AZ, z.B. dass beinahe der Münchener Verleger Dirk Ippen sie hätte kaufen wollen. Doch nun, da das Insolvenzgeld ausgeht, "sind nicht mehr so viele Szenarien denkbar". Sozusagen die gute Nachricht: Die vom Insolvenzverwalter beschlossene Preiserhöhung der lange besonders preiswerten AZ (Altpapier) "von sechzig Cent auf einen Euro unter der Woche ... habe das Blatt nur zehn Prozent seiner Leser gekostet". Das hilft zumindest dem Lokalboulevardrivalen TZ, der nun ebenfalls mehr Geld verlangt.

[+++] Falls Sie zufällig gerade Lust auf einen großen grundsätzlichen Text über den Medienwandel und was denn bitte schön gedruckte Zeitungen tun sollten, verspüren: Jürgen Kalwa, u.a. New Yorker Sportkorrespondent der FAZ, hat den neulich (Altpapierkorb) geleakten  hausinternen "innovation report" der New York Times gelesen. Ein Gute-Laune-Stück ist selbstredend nicht ("Auf den ersten Blick deprimiert einen vermutlich dieser Report. Erst recht, wenn man sich klar macht, um wie viel weiter zurück die deutschen Presseverlage sind"), was er für Carta darüber geschrieben hat. Aber instruktiv sind Argumentationen wie:

"Tatsächlich ist intern der Kampf um die Frage, was man für die gedruckte Ausgabe einen Tag später übrig lässt und was man digital so gut wie komplett abfrühstückt, noch immer nicht entschieden. Dabei geht es gar nicht mehr so sehr um das Konzipieren von Geschichten, die man noch für den nächsten Tag bereit halten sollte, sondern bereits um solche, die man in der nächsten Stunde nach Bekanntwerden der News nachlegt."

Falls Sie doch lieber mit weiteren aktuellen Zeitungskrisenherden aus der deutschen Provinz bzw. den Provinzen Ihr Bild vervollständigen möchten, wäre da zum Einen die schon erwähnte und in diesen Dingen verlässliche (Ex-WAZ-)Funke-Gruppe. Der im August dort antretende neue Manager, der einmalige schweizerische Fußball-Nationalspieler Rolf Bollmann, hat dem schweizerischen Portal persoenlich.com schon mal ein freundlich formuliert: skurriles Interview ("Im Gegenzug gehe ich nun als kleiner Schweizer Manager mit dem Militärvelo nach Deutschland – aber ohne böse Absichten!") gegeben, das zu schönsten  Hoffnungen auf künftiges Zeitungskrisen-Entertainment berechtigt. Und der führende Funke-Gruppen-Insider Bülend Ürük von newsroom.de stößt Bollmann schon mal vom Velo Bescheid, indem er sonstige Bollmann-Zitate remixt.

[+++] Zum anderen erscheint eine neue "Zombiezeitung", so wie die Funkes sie in nordrhein-westfälischen Regionen als erste ersonnen haben, am Horizont, und zwar wiederum in Bayern, ganz in dessen Norden:

"Die 'Neue Presse' (Coburg) wird ... vom 1. Juli an die lokalen Inhalte für zwei ihrer vier Ausgaben von der bisherigen Konkurrenz beziehen: von der Mediengruppe Oberfranken ('Fränkischer Tag') in Bamberg",

berichtet kress.de. Das kostet "voraussichtlich 12 Arbeitsplätze" und ist vor allem wegen der Gesellschafter, die zu denen mit (etwa im Vergleich mit Funke) eher gutem Ruf zählen, interessant: Der Coburger Zeitungsverlag gehört zu 70 Prozent dem Süddeutschen Verlag, also der Südwestdeutschen Medienholding. "Die übrigen 30% an der Gruppe hält die SPD-Medienholding DDVG."  

Um rasch noch in die Region selbst zu schalten: Eine stundenaktuelle Top-Schlagzeile bei np-coburg.de heißt "Gerüchte: Verbüßt Hoeneß seine Haftstrafe in Oberfranken?" Tut er wohl nicht. In eigener Sache steht dort nichts Aktuelles, dafür grundsätzlich:

"E wie Engagement. Täglich aufs Neue geht eine sehr engagierte Redaktion zu Werke. Ein motiviertes Team fragt: Was ist das Interessanteste und Spannendste aus den Landkreisen Coburg, Kronach, Lichtenfels und Haßberge. Dazu: Was ist das Wichtigste aus Bayern, aus Deutschland und der Welt. Das ist die Mischung, aus der täglich die NP entsteht."

Die Landkreise Lichtenfels und Haßberge sind's, die laut kress.de von der Zombie-Regelung betroffen werden.
 


Altpapierkorb

+++ Gestern standen hier im Altpapier harsche Worte über die aktuelle deutsche Fernsehkritik. Heute steht auf der Medienseite der Süddeutschen eine Fernsehfilmkritik, die man von den ersten Zeile ("Deutschland 1949: Ein Land in grau-grau-beige. Und zugegeben auch ein klein wenig braun. Die Alliierten verwalten die Besiegten und manch Deutscher ist verbittert und trinkt, weil er Nazi war. Doch die meisten sind fleißig, rechtschaffen und sehr ernsthaft") bis zum Schluss gerne liest. Überschrift: "Wie Iris Berben die Gleichberechtigung erfand". Berben spielt die Anwältin Elisabeth Selbert, die seinerzeit "den Satz 'Männer und Frauen sind gleichberechtigt' ins Grundgesetz" "kämpfte". Kernpunkt der Kritik: "Warum muss man über ... so eine mutige Figur so einen mutlosen Film machen wie 'Sternstunde ihres Lebens', der ein so unerträglich betuliches Deutschlandbild zeichnet?" Autorin der Kritik: Nadia Pantel. +++ Übrigens schaltete die ARD für diesen ihren heutigen 20.15 Uhr-Film viertelseitige bunte Anzeigen in Zeitungen wie der SZ, was ja auch nicht mehr viele tun ...  +++ Indes: "Angesichts der Hauptfigur, die ihrer Zeit weit voraus ist, wirkt die Inszenierung des fast ausschließlich aus Innenaufnahmen bestehenden Films ausgesprochen zurückhaltend, und das hat sicher nichts damit zu tun, dass sämtliche Schlüsselpositionen hinter der Kamera mit Frauen besetzt waren. Erica von Moeller (Regie) und Sophie Maintigneux (Kamera) versehen die rauchgeschwängerten Bilder mit den für Stoffe dieser Art typischen fahlen Farben, verzichten ansonsten aber konsequent auf eine moderne Bildgestaltung; andererseits korrespondiert diese vergleichsweise nüchterne Umsetzung natürlich mit der sachlichen Haltung Selberts." (TPG hier nebenan). +++ Was sagt Iris Berben selbst? (Tsp.) +++

+++ Der SZ-Medienseiten-Aufmacher knüpft beinahe nahtlos an. Da würdigt Katharina Riehl zum 60. Geburtstag die Brigitte, die jedenfalls immer "ein hervorragender Seismograf für die Befindlichkeiten der deutschen Gesellschaft, ein Gradmesser dafür, wie Frauen sich gerade so sehen", gewesen sei. +++

+++ Fürs SZ-Wirtschaftsressort sprach Caspar Busse mit dem Bundeskartellamts-Präsidenten Andreas Mundt, der mit Sätzen wie "Google ist ein marktbeherrschendes Unternehmen" nun auch Sigmar Gabriel Recht gibt. Fragen, wie sich Googles Youtube zu verbotenen deutschen Video-on-demand-Projekten verhält, bekam Mundt offenbar nicht gestellt. Dafür sagt er noch: "Ich finde es unverständlich, wenn die Netzgemeinde immer gleich 'Zensur' ruft, wenn auf die Einhaltung der Gesetze gedrängt wird, sei es das Wettbewerbsrecht, das Urheberrecht oder der Daten- oder Jugendschutz." +++

+++ Thomas Stadlers "Dieses Land wird von Feiglingen und Heuchlern regiert, denen es niemals um die Interessen ihrer eigenen Bürger geht, sondern nur um die Erhaltung und Verfestigung ihrer eigenen Machtposition" bei Carta gilt ebenfalls Siggi Pop Gabriel, weil der nämlich kein Wort über die NSA verlor. +++

+++ Derselbe, Stadler, bei netzpolitik.org, mit einer weiteren Einschätzung zum EuGH-Urteil zu Google und Vergessen: Außer "zwei begrüßenswerte Klarstellungen" habe der EuGH "den Treppenwitz zu seiner Entscheidung ... übrigens auch gleich mitgeliefert". "Im Urteil stand der volle Name des spanischen Klägers, mit der Folge, dass jetzt ganz Europa die Geschichte seiner Zwangsversteigerung kennt und Google es jetzt eigentlich auch unterlassen müsste, das Urteil des EuGH zu indizieren."+++

+++ Kein schöner Trend: Berichterstatter an internationalen Krisenherden werden bedroht. Das betrifft einen Bild-Zeitungs-Reporter in der Ukraine (meedia.de) und den türkischen Spiegel-Korrespondenten Hasnain Kazim. "Kazim hatte einen Bergmann in Soma in einer Überschrift bei 'Spiegel Online' am vergangenen Mittwoch mit den Worten zitiert: 'Scher Dich zum Teufel, Erdogan!' Regierungsanhänger und regierungsnahe Medien erweckten danach den Eindruck, 'Der Spiegel' selber wünsche Erdogan zum Teufel" (faz.net). Ob Kazim selbst dies in die Überschrift geschrieben hatte, bleibt freilich eine Frage. Schließlich arbeiten bei SPON eine Menge erfahrene Klickoptimierer. +++

+++ "Der Bertelsmann-Konzern verliert mit der Print-Tochter Prinovis den Druck-Auftrag des 'Spiegel' - und gewinnt ihn mit Mohn Media nur zur Hälfe zurück" (turi2.de). Die andere Hälfte, nämlich "die Süd-Auflage" ging an "die mittelständische Stark Druck in Pforzheim". +++ "Seit wenigen Monaten wird der Spiegel bereits am Standort Ahrensburg bei Hamburg gedruckt und nicht mehr am Standort Itzehoe, den das Druckereiunternehmen im April aufgeben will. Seit 2001 wird der Spiegel ebenfalls von Prinovis in Dresden gedruckt." (meedia.de). +++ Bzw., April ist ja schon vorbei, "Ende April hatten die Drucker im Prinovis-Werk in Itzehoe ihren letzten Arbeitstag" (textintern.de). +++ Dass 1000 Druckerei-Mitarbeiter im insgesamt nur 30.000 Einwohner zählenden Itzehoe wegen der Schließung ihre Stelle verlieren, war schon im Februar 2013 beschlossen wirden (Altpapier). +++

+++ "Wenn man kein Geld gibt, riskiert man, dass es das Projekt gar nicht gibt. Zugegeben, das ist eine Ebene abstrakter als die normale Pay-Logik", argumentiert Stefan Niggemeier in der auch eigenen Krautreporter-Sache, und "vielleicht reift allmählich auch die Einsicht, dass es ein Problem ist, wenn wir für Dinge, die einen Wert haben und uns etwas wert sind, nichts zahlen". Dann kommt er noch mit "Andererseits: Andrew Sullivan", ungefähr so wie andere Leute, wenn es um Blogger und Geld geht, gerne "Andererseits: Stefan Niggemeier" sagen ... +++ "Artikel, die nur fürs Netz geschrieben werden? Gibt es seit Jahren. Von renommierten Autoren? Klickt mal bei Carta rein. Werbeunabhängig? Praktisch jeder Blogger ist das ..." (hansoberberger.de unter der Überschrift "Krautreporter - Abo aus Mitleid"). +++

+++ "Die digitale Zivilgesellschaft ist auf Twitter. Alle anderen sind bei Facebook" (netzpolitik.org). +++

+++ Frische Idee des Medienrechts-Professor Bernd Holznagel: "den Landesmedienanstalten rechtliche Zuständigkeiten zu geben, um unter Vielfaltsgesichtspunkten die Netzneutralität zu sichern" (Funkkorrespondenz). +++

+++ Und Harald Keller bespricht für die TAZ die neue, nun bei ProSieben laufende Serie "The Crazy Ones" des "Ally McBeal"- und "Boston Legal"-Erfinders David E. Kelley. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.