Roboterjournalismus ist vielleicht gar nicht so schlecht. Ein früherer ARD-Hörfunkdirektor argumentiert mit Niklas Luhmann gegen die Öffentlich-Rechtlichen. Die geplante Berichterstattung von ARD und ZDF zur Europawahl steht in der Kritik. Außerdem: Ist die Weltsicht lautsprecherischer Online-Kommentatoren ein Indiz dafür, dass sich das Verhältnis zwischen Journalisten und Lesern verschlechtert hat?
„Ist jetzt Demut gefragt?“ lautete vor einigen Wochen an dieser Stelle die zugespitzte Frage, die sich auf einen NZZ-Text Rainer Stadlers bezog, der unter anderem konstatierte, die „Besucherkommentaren der Informationsplattformen“ hätten die „aufklärerische und zuweilen selbstzufriedene Selbstsicherheit des fortschrittsgläubigen Journalismus erschüttert“.
In Stadlers damaligen Text klingen schon einige Motive an, die nun eine Rolle spielen in der Debatte um Stefan Willekes Zeit-Text aus der vergangenen Woche, in dem dieser von Begegnungen mit Lesern berichtet, denen die Zeit-Rezension von Akif Pirinçcis Drucksache „Deutschland von Sinnen“ überhaupt nicht gefiel (siehe Altpapier). Kein Wunder, dass Stadler nun ausführlich auf Willekes Artikel eingeht. Der NZZ-Mann findet es bemerkenswert, dass sich ein Redakteur hier gewissermaßen als „Marktforscher“ betätigt. Stadler schreibt:
„Seit längerem regelmäßig zu beobachten ist (...) die Kluft zwischen der Weltsicht der Journalisten und dem Publikum, das sich in den Online-Kommentaren zu Wort meldet (...) Die Frage ist allerdings, ob die Internet-Kommunikation eine Kluft sichtbar machte, die es bereits in der Ära des Papiers gab und die im digitalen Milieu erst manifest werden konnte, oder ob sich Journalisten und Leser auseinandergelebt haben. Ebenso wenig wissen wir, wie repräsentativ die zahlreichen dissidenten Leserstimmen sind.“
Eine der beiden von Stadler aufgeworfenen Fragen beantwortet Ciceros Alexander Kissler mit Nein. Die Entwicklung habe in erster Linie nicht im weitesten Sinne technische Gründe:
„Der vielleicht entscheidende Grund für die kollabierende Leserbindung lautet (...): Immer mehr Menschen haben den Eindruck, da werde an ihrem Leben, ihren Eindrücken, ihren Haltungen vorbei geschrieben. Da bastle sich eine abgehobene Medienelite die Welt, wie sie ihr und nur ihr gefalle.“
„Hochmut nach dem Fall“ ist Kisslers Text überschrieben, der Mann vom Monatsmagazin findet den Artikel aus der Wochenzeitung „vulgärpsychologisch“.
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Inwieweit die lautsprecherischen Online-Kommentatoren „repräsentativ“ sind (Stadler), interessiert Kissler allerdings nicht. In der Diskussion darum, ob „die Entfremdung“ zwischen Lesern und Altmedien „Fortschritte macht“ (Kissler) sind noch einige Aspekte unterberücksichtigt: Zum Beispiel der Umstand, dass das gute alte „Geht sterben“, das halbwegs smarte Zampanos aus Digitalien gern den etablierten Medien zugerufen haben, nun auch zumindest sinngemäß von weniger smarten Leuten zu hören ist, nämlich solchen, denen man lieber nicht im Dunkeln begegnen möchte (siehe diesen Leserkommentar zu Willekes Text). Außerdem: Dass jene, die nun pöbeln gegen die etablierten Medien, ihre Informationen überwiegend aus nicht etablierten bis obskuren Quellen beziehen, ist unwahrscheinlich. Ihre sogenannten Meinungen sind von teilweise Jahrzehnte langem Altmedienkonsum geprägt, ihre Abgesänge auf die „Schönredner und Weggucker und Besserwisser“ (Kissler) sind zu einem nicht unwesentlichen Teil rhetorische Gesten.
[+++] Ebenfalls - bzw. erst recht - far from over: die Diskussionen, die infolge der FAZ-Artikel Eric Schmidts und Mathias Döpfners (siehe dieses und dieses Altpapier) entstanden sind. Steffen Grimberg (Zapp-Blog) kritisiert zum Beispiel den Google-ist-viel-besser-als-sein-Ruf-Beitrag aus der FAS, der als Reaktion auf Döpfners Text entstanden ist:
„Hauptargument des FAS-Beitrags: Google Plus habe als eigenständiges soziales Netzwerk ja nun nicht so dolle funktioniert und vor allem Facebook noch nicht versenkt – was ein echter Monopolkonzern, so dürfte ja der Umkehrschluss lauten, spielend geschafft hätte. Doch das verkennt ein wenig, dass Google Plus eben noch ein paar andere nützliche Dinge für Google hinbekommt. ‚Identitäten‘ sammeln und für optimalen Anzeigenbeschuss sorgen, zum Beispiel.“
Die FAZ selbst druckt heute - nicht zum ersten Mal - einen Text der Ökonomin und ehemaligen Harvard-Professorin Shoshana Zuboff, wobei die Redaktion im Vorspann einen Bezug zu Döpfners Beitrag herstellt:
„Wenn Sie Mathias Döpfners Brief an Eric Schmidt beunruhigt hat, ist das gut. Google überträgt seine radikale Politik vom Cyberspace auf die reale Welt. Ein neuartiges Monopol entsteht, das Rechte an der Wirklichkeit verkauft.“
Zuboff schreibt dann:
„Auch viele Protagonisten der digitalen Welt schauen auf die EU (...) und erwarten von ihr, dass sie die Bedrohung durch Absolutismus und die Monopolisierung der Rechte abwendet. Die EU (...) kann für die Zukunft stehen, indem sie für die Herrschaft der demokratischen Rechte und die Prinzipien eines fairen Marktes eintritt. Das sind die kostbaren Errungenschaften eines jahrhundertelangen Kampfes, und wir dürfen sie heute nicht aufgeben.“
Anderer Großkonzern, andere dystopische Aussichten:
„Facebook treibt trotz allen Widerstands europäischer Datenschützer seine umstrittene Gesichtserkennungstechnik voran“,
berichtet Springers Welt. Es geht um ein Programm namens DeepFace.
Fiete Stegers (ndr.de) schreibt derweil über den für Journalisten eingerichteten Service Facebook Newswire, mit dem der Gesichtsbuchladen einen „Nachteil gegenüber Twitter wettmachen“ will:
„Die Absicht hinter dem neuen Angebot ist (...) klar: Journalisten auf Inhalte innerhalb von Facebook verweisen und die eigenen Bedeutung als Kommunikationsplattform unterstreichen. Also in etwa das, was Journalisten bezwecken, wenn sie selbst Pressemitteilungen zu eigenen Exklusivmeldungen an die Nachrichtenagenturen weitergeben.“
[+++] Einen gar nicht pessimistischen Blick in die Zukunft wirft Lorenz Matzat (netzpolitik.org) beim Thema Roboterjournalismus (siehe dieses und dieses Altpapier):
„‚Neurale Netzwerke‘, ‚deep learning‘ und ‚künstliche Intelligenz‘ – digitale Technologien werden immer besser und fähiger. Ob damit nun ein physischer Roboter oder ein Algorithmus zur Texterzeugung gesteuert wird, ist letztlich eine Frage des Softwaredesigns. Allerdings wäre Roboterjournalismus uninteressant, wenn er nur dazu dienen könnte, Sportergebnisse zu verschriftlichen. Das wäre so, als wenn das Roboter-Auto nur auf einer schnurgeraden Straße ohne andere Verkehrsteilnehmer fahren würde. Doch immer mehr Informationen liegen strukturiert vor bzw. werden dazu umgewandelt. Roboterjournalisten können direkt an das sagenumwobene ‚Semantische Netz‘ andocken (...) Unstrittig ist, dass stetig die Zahl der Sensoren und mit dem Internet verbundenen Geräte enorm steigt. Roboterjournalisten (...) werden aus Bereichen berichten könnten, die Menschen gar nicht zugänglich sind. Vielleicht entstehen hier sogar neue journalistische Genre.“
[+++] Ganz andere Debattenfront: Der Tagesspiegel publiziert einen Text Jens Wendlands, der bis 2003 Hörfunkdirektor des SFB war und zumindest am Erscheinungsort der Zeitung einen gewissen Bekanntheitsgrad haben dürfte: Sein teilweise luhmannesker Text, der auch in diesem Buch hätte stehe können, ist ein „Plädoyer“ für eine „Erneuerung“ bzw. konkreter: „neue Agilität“ der Öffentlich-Rechtlichen sowie einen „Paradigmenwechsel von einer Rundfunk- zur Netzpolitik“
„Das Konstrukt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (nimmt) immer mehr Züge einer geschlossenen Gesellschaft an und droht zum Paradefall einer Systemtheorie, der Autopoiesis zu werden, wonach sich eine geschlossene Institution gewissermaßen auf sich selbst zurückzieht, ihre Entwicklung und ‚Erfolge‘ im Wege der Selbstbeförderung generiert und eine Inflation vorhandener Programme mit den Eckpfeilern Krimi, Kochen, Talk und dergleichen mehr betreibt. Niklas Luhmann hat diese vorherrschende Programm-Litanei so systematisiert: ‚Und so arbeitet auch das System der Massenmedien in der Annahme, dass die eigenen Kommunikationen in der nächsten Stunde oder am nächsten Tag fortgesetzt werden. Jede Sendung verspricht eine weitere Sendung. Nie geht es dabei um die Repräsentation der Welt, wie sie im Augenblick ist.‘“
[+++] Mehr Medienpolitik: Der Aufsichtsrat des Grimme-Instituts hat laut Pressemitteilung beschlossen, einen von vielen Auguren als bedrohlich empfundenen Vertrag zwischen dem Institut und der nordrhein-westfälischen Landesmedienanstalt (siehe unter anderem Altpapier von Dienstag) „weiterzuentwickeln“ bzw. „die Zusammenarbeit zwischen Grimme-Institut und Landesanstalt für Medien NRW auf planungssicherer Basis verlässlich zu verstetigen und zu intensivieren.“ Was laut Michael Hanfeld (FAZ-Medienseite) bedeutet:
„Mit der Entscheidung vom Dienstag ist (der Vertrag) endgültig vom Tisch.“
Wie auch immer: Die Formulierung „auf planungssicherer Basis verlässlich zu verstetigen und zu intensivieren“ verdient eine gesonderte Würdigung. Tausende von Pressemitteilungen von Verlagen, Sendern, Parteien und anderen Bastionen des Hochgeists haben wir schon studiert, aber ein derart funkelndes Modul der Verlautbarungartistik ist uns bisher nicht untergekommen
Das Stichwort Grimme kann als Überleitung zu einer Besprechung im FAZ-Feuilleton dienen: Hans-Jörg Rother würdigt das Buch zum Film „Work Hard Play Hard“, der in kürzlich mit eine Grimme-Preis in der Kategorie Information und Kultur ausgezeichnet wurde (Disclosure: Ich war Mitglied der Jury - RM):
„Das Filmbuch zu (...) ‚Work Hard Play Hard‘ unterscheidet sich von anderen Büchern dieser Art. Denn statt sich mit Entstehungsgeschichte, Inhalt und Stil zu befassen, diskutieren die Publizistin Eva Bockenheimer, die Regisseurin Carmen Lossmann und der Philosoph Stephan Siemens miteinander. Ebenso wie ihr Gespräch kreisen auch die ergänzenden Beiträge fast ausschließlich nur um das Problem, auf das es der Regisseurin ankam, als sie die neuen Arbeitswelten in führenden Wirtschaftsunternehmen sichtbar machte: das scheinbar freie Sichbewegen ohne Stechuhr und festen Schreibtisch, die kommunikative Atmosphäre in den Büroetagen, die Einbettung des Einzelnen in ein Team von gegenseitiger Verlässlichkeit. Dieser kreativen Wende steht die Erfahrung eines nahezu unbegrenzten Einsatzes für die Interessen des Unternehmens gegenüber.“
+++ Anlässlich des morgigen Tags der Arbeit stellt die SZ (Seite 30) anhand von Kurzprotokollen fünf langjährige Journalisten (unter anderem Ex-Redakteure von FTD und dapd) vor, die heute was ganz anderes machen - zum Beispiel als Anzeigenverkäuferin oder Schulpastorin arbeiten. Und ein früherer Henri-Nannen-Schulabsolvent wird folgendermaßen zitiert: „Als ich mit einer Bekannten zusammensaß, sprachen wir über die prekäre Jobsituation und über Möglichkeiten, Geld zu verdienen mit etwas, das man gerne tut. Da kam mir die Idee, den Trainerschein fürs Tennis zu machen, das war immer mein Hobby. Heute verdiene ich damit mehr als mit Texten etwa für das Jobmagazin der Raiffeisenbanken, die ich regelmäßig schreibe.“
+++ Im Europawahlblog der SZ erläutert Carolin Gasteiger Hintergründe eines rechtsextremen Wahlwerbespots, der am Montag „unmittelbar nach den ‚Tagesthemen‘ lief“: „So zweifelhaft der ausgestrahlte Spot war - es handelte sich um eine abgeschwächte Variante. Das Original muss viel schlimmer gewesen sein. So schlimm, dass sich der RBB, der die Wahlwerbespots im Ersten koordiniert, weigerte, ihn auszustrahlen. Darin seien ‚evident strafrechtlich relevante Botschaften‘ zu erkennen gewesen, teilt der Sender auf Anfrage mit.“
+++ Verwandtes Thema: ARD und ZDF kämen „ihrem Auftrag, die politische Willensbildung vor der Europawahl am 25. Mai mitzugestalten, (...) nicht ausreichend nach“, gingen „nationale Sonderwege“ und schöben Wichtiges zu Phoenix ab, schreibt Paul Wrusch in der taz - und bezieht sich dabei unter anderem auf diese Kritik.
+++ Der „Ausstieg der ARD aus dem Profiboxen“ (siehe Altpapier von Dienstag) sei „nicht endgültig“, glaubt das Hamburger Abendblatt zu wissen. Der Geschäftsführer des Boxstalls Sauerland wird mit den Worten zitiert, man rede „mit der ARD über neue Formate".
+++ Die Radio Group, die - vorwiegend unter dem Namen Antenne - 15 Lokalradios im Südwesten und Hessen betreibt, steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Das weiß die Rhein-Zeitung: „Die vertraulichen Unterlagen offenbaren: Die Antenne-Sender halten sich offenbar nur über Wasser, weil es Schwenk und seinen leitenden Mitarbeitern immer gelingt, Mitarbeiter, Dienstleister, Vermieter und andere Gläubiger bei der Bezahlung von Gehältern, Honoraren und Rechnungen hinzuhalten – mal ein paar Tage, öfter auch monatelang, teils sogar über Jahre.“
+++ Ebenfalls in der Rhein-Zeitung: ein Artikel über heftig.co, die „mysteriöseste Seite des Internets“, die „ohne nennenswerte Kosten“ reichlich Reibach macht.
+++ Der Aufmacher der FAZ-Medienseite heute: „ein Besuch bei dem Oppositionssender Hawa Smart“ in Syrien.
+++ Wer sich für die wunderbare Welt der TV-Programmzeitschriften und die mindestens ebenso wunderbare Welt des Kartellrechts interessiert, klicke zu Tagesspiegel, meedia.de und horizont.net.
+++ Was trieb Hunter S. Thompson, bevor es mit dem Gonzo-Journalismus losging? The Atlantic würdigt seine frühen, eher klassisch journalistischen Arbeiten.
+++ Und zum Schluss ein Ratespiel: Welcher Hobbyjournalist, der seinen Lebensunterhalt einst bei einem gestern aus der Champions League geflogenen Klub verdiente, bezeichnet Angela Merkel als „my good friend“? Auflösung hier.
Neues Altpapier gibt es wieder nach dem Feiertag.