Optionen, die den Leuten angeboten werden

Gefahren, die von Google ausgehen, jetzt auch von Nicht-Springer-Mitarbeitern ausgemalt. Eine bekannte Zeitungsmarke könnte erhalten bleiben, aber womöglich ganz ohne Mitarbeiter. Zum Second Screen, der zum Fernsehen gehört wie Chips, gehört auch Rassismus. Außerdem: Bernd Stromberg vs. Werbeblocker.

Die hintergründigste, in diesem Sinne lustigste Überschrift steht heute auf Seite 2 der FAZ und lautet: "Das wird man doch wohl noch mal speichern dürfen". Im Artikel darunter geht's um die Vorratsdatenspeicherung, die trotz des aktuellen EuGH-Urteils in den Vorstellungen zuständiger deutscher Politiker "doch noch nicht tot" ist, wie die TAZ es übertitelt.

Der Grund, aus dem das bekanntlich CDU-freundliche FAZ-Politikressort das Thema so locker betrachtet, ist, dass sein Text vor allem Reaktionen von Vorratsdatenspeicherungs-Freunden aus der SPD sammelt. Und also zeigt, dass die SPD weiterhin wenig netzpolitische Grundüberzeugungen hat, sondern je nach Ressortschwerpunkt, Posten und Machtposition mal so, mal so argumentiert. Am Rande kommt auch der stellvertretende CDU-Vorsitzende Thomas Strobl vor, der gerade "eine schnelle gesetzliche Neuregelung" der VDS forderte (z.B. faz.net).

Den gründlichsten Über- und Unterbau zu allen Daten-Fragen liefert tagesaktuell wieder das FAZ-Feuilleton. Unter den gewohnten Vorzeichen (fast ganzseitiger Text, rote Überschrift: "Wer die Daten hat, bestimmt unser Schicksal") springt heute Jaron Lanier, am bekanntesten als "Vater des Begriffs 'virtuelle Realität'" und aktuell auch auf dem Buchmarkt am Start, Mathias Döpfner in seiner grundsätzlichen Google-Kritik vom vergangenen Mittwoch (Döpfners Ganzseiter, Altpapier) bei. "Das von ihm beschriebene Problem wird sich für ganze Volkswirtschaften noch verschärfen", heißt es im Vorspann sogar.

Laniers Text steht am Donnerstagmorgen noch nicht frei online, kommt aber sicher bald, wie man faz.net kennt. Er lässt bei einigen aus solchen gedruckten Ansprachen geläufigen Forderungen Luft raus, etwa der, Google zu zerschlagen ("Google kann man nicht wie andere Unternehmen zerschlagen, weil es sein Geld in einem praktisch unteilbaren Geschäftsfeld verdient. Gut 90 Prozent von Googles Einnahmen stammen aus einer einzigen Aktivität, nämlich der Plazierung von Werbelinks. Dies ist ein beispiellos ganzheitliches Geschäftsmodell"), und der, bessere Datenschutzbestimmungen jetzt noch per Gesetz einzuführen:

"Wenn es um die qualitative Nutzung von Daten geht, wie beim Datenschutz, ist kaum vorstellbar, dass der Staat immer auf der Höhe der Entwicklung ist. Darum hat der Staat so viel Mühe mit dem Urheberrecht im digitalen Zeitalter. Es ist schlicht unmöglich, die Entwicklung von Computerprogrammen vorwegzunehmen, da es in den gesetzlichen Bestimmungen auch um qualitative Aussagen geht."

Etwas provokant argumentiert Lanier zwischendurch ebenfalls:

"Ein Unternehmen wie Google staatlicher Kontrolle zu unterwerfen ist auch deswegen so schwer, weil viele Menschen sich an Gratisdienste gewöhnt haben, geradezu süchtig danach sind und das Unternehmen in Schutz nehmen. Das erinnert an Menschen, die autoritäre Regimes verteidigen, weil sie sich einen kurzfristigen Vorteil davon versprechen."

In einer halben Spalte neben dem Text meldet die FAZ kontextsensitiv, dass Google in die Nutzungsbedingungen für seinen E-Mail-Dienst Gmail die Passage "Unsere automatischen Systeme analysieren Ihre Daten (auch E-Mails)" neu eingefügt hat. Wohin all das führen dürfte, ist laut Lanier eine Zukunft, in der "fast jeder ... weniger verdienen, weniger Sicherheit haben" wird, "während die mit den größten Computern extrem reich werden". Der vielleicht wichtigste Satz bezieht sich wiederum auf Googles ganzheitliches Geschäftsmodell, die Werbung, und lautet:

"Werbung ist keine Kommunikationsform mehr, sondern das bezahlte Mikromanagement der Optionen, die den Leuten angeboten werden."

Deshalb plädiert Lanier dafür, "die Nutzung von Daten kostenpflichtig zu machen", und zwar so, dass jeder "Einzelne den Preis für die Nutzung seiner Daten selbst bestimmt."

Sie sehen: Der Artikel ist lang und ziemlich irreduzibel, aber lesenswert. (Und auf die Frage, weshalb er sich von Microsoft bezahlen lässt, einem Nicht-so-Darling vieler Internetnutzer, hat er auch eine gute Antwort). Falls zufällig gerade Lust auf lange Online-Texte über das Google-Problem haben: Das Hamburger Abendblatt hatte kürzlich einen von Philipp Klöckner veröffentlicht, einem "Suchmaschinisten", der allerdings wieder das Problem hat, der Springer-Sphäre zurechenbar zu sein.

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[+++] Die härteste News aus der Zeitungsbranche, hart sowohl im Sinne von Nachrichtenwert als auch in dem von hart, steht wohl noch in keiner gedruckten Zeitung, weil sie erst zu spät für die Druckerpressen kam (bzw. kein Fußballspielergebnis betrifft): Für die insolvent gegangene Abendzeitung aus München gibt es offenbar nur zwei tatsächliche Kaufangebote. Das eine davon "sieht vor, 30 Mitarbeiter zu behalten", das andere, keinen, bloß "die Marke" zu erhalten. Das schreibt der in Redaktionsversammlungs-Dingen immer sehr engagierte Bülend Ürük bei newsroom.de.

Was dies umso härter macht: dass Insolvenzverwalter Axel Bierbach kürzlich noch (Altpapier) im Interview mit "Claudia Fromme und Claudia Tieschky, den engagierten Redakteurinnen der 'Süddeutschen Zeitung'" (Ürük), von vier mal so vielen Interessenten gesprochen hatte als jetzt tatsächlich boten.

[+++] Tieschky hat für die heutige SZ-Meinungsseite einen engagierten Kommentar zur aktuell besonders Bayern betreffenden, jedoch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk insgesamt relevanten Frage geschrieben, ob der Bayerische Rundfunk sein Radioprogramm für klassische Musik aus dem UKW-Bereich ins technisch bessere, aber bislang kaum genutzte Digitalradio verlegen darf (Vorgeschichte bei der SZ, u.a. in diesem Altpapier):

"Was in der Debatte gar nicht vorkommt: Der BR hat natürlich nicht nur eine UKW-Frequenz, um die sich Junge und Ältere streiten müssten."

Sondern insgesamt fünf UKW-Frequenzen:

"Wenn der BR wirklich Ernst machte, könnte er Jugend und Bildungsanspruch der Klassik selbstverständlich auf fünf UKW-Plätzen unterbringen. Er müsste nur bei den Unterhaltungsprogrammen Platz schaffen, bei Bayern 1 oder Bayern 3, den Programmen mit austauschbarer Massenware. Doch dort läuft Werbung, die Einnahmen bringt. Beide Programme ließen sich genau wie die Klassikwelle in das angeblich so zukunftsträchtige Digitalradio verschieben. Aber es würde Geld und Marktanteile kosten."

Und solche "austauschbare Massenware" in gewaltigem Umfang gehört halt zur sog. Grundversorgung durch eine große Anzahl öffentlich-rechtlicher Radio- und Fernsehsender. Gerad das weniger Austauschbare wird in den Randlagen hin- und herprogrammiert, wie es den Reichweiten-Optimierern passt.

[+++] Was geht im Fernsehen? Die SZ-Medienseite bringt als Aufmacher mal wieder ein Allerlei über den sog. Second Screen  ("Gehörten früher nur Bier und Chips zu einem gemütlichen Fernsehabend, können viele Zuschauer ... mittlerweile auch vor dem TV-Gerät nicht mehr auf ihr Smartphone oder den Tablet-PC ... verzichten"), angereichert mit professoralen Allgemeinplätzen (Christoph Neuberger, "Professor für Kommunikationswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München, hält die Hoffnung auf günstige Online-Werbung fürs eigene Programm für den Grund. Selbst und gerade, wenn kein sendereigenes Angebot auf dem Zweitbildschirm laufe: Jede Facebook-Empfehlung, jeder witzige Tweet steigere die Bekanntheit von Formaten") sowie Sendersprecher-Auskünften (Einer "von ProSiebenSat1 etwa nennt die siebte Staffel der Castingshow 'Germany’s Next Topmodel' als Erfolgsbeispiel. Pro Folge hätten 60.000 Zuschauer das Pro-Sieben-Digitalangebot 'Connect' genutzt, das sich als 'idealer Begleiter zur Sendung etabliert' habe").

Was genau inhaltlich auf den Second Screens zu GNTM so passiert, hat sich Sonja Alvarez vom Tagesspiegel mal angeguckt:

"'Germany's Next Topmodel-Kandidatin Aminata wird auf Facebook rassistisch beleidigt. ProSieben wirkt überfordert angesichts der Flut von Kommentaren."

Ebenfalls überfordert wirkt Facebook selbst:

"'Wir sind der Überzeugung, dass auch kontroverse Diskussionen, solange sie unseren eindeutigen Richtlinien entsprechen, auf Facebook stattfinden sollen', teilt ein Sprecher mit",

und klingt eher so, als habe er sich die Stellungnahme aus dem amerikanischen Englisch per Übersetzungs-Tool besorgt als selber eine Meinung gehabt. Links zu den entsprechenden Facebook-Seiten enthält der Tsp.-Artikel, und bei Aminata bleiben die Beleidigungen weiter dokumentiert: "Denn ich möchte dass deutschland sieht was für menschen es noch LEIDER in unserer generation gibt!"

[+++] Neben GNTM gibt's gefällige öffentlich-rechtliche Massenware heute abend auch wieder. Der Schweizer Pasquale Aleardi, "der einen Monsieur le Commissaire wie gemacht für die weibliche Zielgruppe verkörpert - schlank, Haare wie Pfeffer und Salz, dunkle Augen, immer eine Spur zu verträumt und fahrig mit seinem Notizbuch, in dem er alles notiert, was unwichtig scheint, und immer so französisch lässig mit T-Shirt unterm Cordsakko", ist als neuester deutscher Fernseh-"Kommissar Dupin" für die ARD in der Bretagne unterwegs. "Es ist weder besonders spannend noch psychologisch ausgefeilt, was da zu sehen ist, aber unsympathisch ist es auch nicht" (Ursula Scheer, FAZ). "Die bretonischen Komparsen, heißt es, hätten den Film in einer Vorführung gelobt. Nur an einer Szene hatten sie etwas auszusetzen: Der Fisch werde bei ihnen niemals nach dem Käse gegessen" (Jörg Seewald, Tagesspiegel). Des Kommissars "rätselhafte Antipathie gegen das Wasser" stellt "eine interessante Parallele zu dem von Walter Sittler verkörperten Gotland-Kommissar aus der ZDF-Krimireihe 'Der Kommissar und das Meer' dar" (Tilmann P. Gangloff hier nebenan).

Dass auch diese Kriminalschmonzette natürlich von der ARD Degeto proudly präsentiert wird, deren Chefin Christine Strobl die Frau des heute hier ganz oben erwähnten Thomas Strobl, hat selbstverständlich nichts zu bedeuten.
 


Altpapierkorb

+++ Große "Anti-Werbeblocker-Offensive" beim auch bereits erwähnten Konzern ProSiebenSat.1. Seven One Media-Digitalchef Thomas Port spricht von "digitaler Wegelagerei" durch Unternehmen wie Adblock Plus (horizont.net, inkl. eingebettetem Anti-Werbeblocker-Video mit Christoph Maria "Stromberg"-Herbst. +++

+++ Comcast, "der größte Konzern auf dem US-amerikanischen Kabelmarkt will den zweitgrößten - Time Warner Cable - schlucken", und hat, u.a., weil er über "einen der größten Lobbying-Haushalte aller US-Unternehmen" verfügt und Barack Obamas Wahlkämpfe unterstützt hat, wohl auch gute Chancen. Das berichtet Dorothea Hahn in der TAZ. +++ Über Gefahren für die Netzneutralität (bzw., dass sie eigentlich schon "beerdigt" wird), schreibt Johannes Kuhn bei suedeutsche.de. +++

+++ "Weil Roboterjournalismus so gut wie nichts kostet, sind auch Berichte über völlig unbekannte Dorfmannschaften und unzählige Amateursportler vorgesehen", er sei "gedacht als Arbeitsentlastung für Redaktionen. Die Tätigkeit der Mitarbeiter soll ergänzt, aber nicht von Computern ersetzt werden", heißt es im vielleicht ausführlichsten Bericht über die deutschsprachige Schreibsoftware der schwäbischen Firma Aexea  (netzpiloten.de). +++

+++ "Das ist einerseits gut, denn Mainstream gibt es ja genug. Und andererseits, in diesem Fall, auch ein wenig platt. Denn es ist längst Mainstream, sowohl dem Print- wie dem Digital-Journalismus seine Berechtigung zuzusprechen. Ringiers Kommentar kommt so gesehen etwa fünf Jahre zu spät", schreibt meedia.des Christian Meier dialektisch zur Cicero-Jubiläumsausgabe bzw. einem Michael-Ringier-Essay darin. +++

+++ Eine Klage, die die langjährige Lebensgefährtin und jetzige Ehefrau von Jürgen Trittin gegen den Stern verlor, beglossiert die FAZ-Medienseite: "Die Zeitschrift hatte ihre Reportage über den Wandel" Trittins "vom Kommunisten zum Finanzexperten unter anderem mit einem Foto garniert, das die Europareferentin des Bundestags mit Trittin und seiner Mutter zeigte", und weil sie "sich doch auch zuvor schon mehrfach an seiner Seite präsentiert" hatte, "etwa bei der Veranstaltung 'Berliner Meisterköche', wie die Kammerrichter anmerken", gab ein Berliner Gericht der Illustrierten recht. +++

+++ Für die FAZ-Medienseite war Jan Wiele bei der Neuverfilmung des DDR-Klassikers "Nackt unter Wölfen" durch Nico Hofmann und die Ufa für den MDR, zu der UMUV-Autor Stefan Kolditz das Drehbuch schrieb. +++

+++ Ein Radiofeature über Staatstrojaner empfiehlt die TAZ dann noch.  +++ "Ein hübsches Magazin, zumindest eins, von dem man gern wüsste, wie die zweite Ausgabe aussähe", nennt Katharina Riehl auf der SZ-Medienseite die neue Allegra, der der kaum mehr in Druckerzeugnisse engagierte Springer-Konzern (Pressemitteilung) eine "zunächst einmalige Wiederauferstehung spendiert". +++

+++ Und wer ganz begeistert ist "von der Dynamik und dem Spirit" bei Springer: Architekt Rem Koolhaas, der für Springer in der Springer-/ Dutschke-Straßen-Gegend das neue Silicon Valley oder so was baut (großes Welt-Interview mit Ulf Poschardt und Cornelius Tittel). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.