Alle haben Problem mit der Werbung: mit ganzseitigen Zeitungsanzeigen oder getarnter online. Außerdem: das hundepfiff-ige Erfolgsrezept der "Deutschen Wirtschafts Nachrichten". Twitters neuer deutscher Geldeintreiber.
Die interessanteste gedruckte Medienseite an diesem Mittwoch ist mal wieder die der Süddeutschen (S. 31).
Da wird zum Einen geschaut, was "ein Pionier des reinen Onlinejournalismus in Deutschland" zurzeit so macht. Zum Anderen wird ein Phänomen des klassischen Zeitungsjournalismus bzw. eines von seiner ursprünglichen Finanzierung beleuchtet: eine spektakuläre Anzeige, die mit einem Schlag immer noch relativ viel Aufmerksamkeit erzielt und deshalb denen, die sie schalten, die (je nach Verhandlungsgeschick) immer noch relativ hohe Summe wert ist, die der Zeitungsverlag dafür kassiert.
Es geht um eine ganzseitige Anzeige, die vergangene Woche in vier unterschiedlichen Zeitungen erschien: "in der FAZ ..., aber auch in der Zeit, im Tagesspiegel und im Bremer Weser-Kurier":
"Dort wird 'ein gewisser Andreas Kreiter', der sich 'rühmt, 'Hirnforscher' zu sein', als Tierquäler an den Pranger gestellt - inklusive steckbriefartigem Porträtfoto und balkenartiger Überschrift: 'Kreiter macht eiskalt weiter'."
Diese (PDF) bestenfalls grenzwertig gestaltete Anzeige ist's, der der Rektor der Universität Bremen, Bernd Scholz-Reiter, in einem Offenen Brief an Verlagsleitungen und Chefredaktionen der Zeitungen, u.a. "Ausgrenzung und Entmenschlichung einer Person" vorwirft. Die SZ wirft die Frage "Darf man das - einen Forscher derart plakativ und persönlich angreifen...?" auf, und kann das auch gut tun:
"Zumindest FAZ und Zeit haben sich abgesichert. Auf Anfrage teilen sie mit, sie hätten sich Haftungsfreistellungserklärungen geben lassen. Ansprüche würden an den Urheber der Anzeige weiter gereicht. Zweifel am Inhalt bestanden offenbar: Bei der Zeit versuchte die Anzeigenabteilung angeblich sogar, den Auftraggeber zu einer Korrektur zu bewegen, etwa auf das Foto von Kreiter und dessen Namen im Titel zu verzichten. Die FAZ wiederum erkundigte sich bei Zeit und Weser-Kurier, wie die mit der heiklen Vorlage verführen. So verließ sich einer auf den anderen - alle druckten die Anzeige unverändert. (Die SZ lehnte den Auftrag ab.)",
schreibt Ralf Wiegand. Die Uni prüfe juristische Schritte und Beschwerden bei Institutionen wie dem Presse- und dem Werberat, die aber, ohnehin nicht gerade Tiger mit scharfen Zähnen, sich bereits beide nicht zuständig fühlten. Fazit:
"Die Verlage können - oder müssen - frei entscheiden, ob sie eine Anzeige annehmen oder nicht. Dabei betreten sie manchmal vermintes Gebiet, zumal Verlage finanziell unter Druck stehen, während manche Auftraggeber die Grenzen der Meinungsfreiheit aggressiv erforschen."
Dieses Drucks wegen könnte so etwas gedruckten Zeitungen häufiger geschehen, nicht nur, weil Online-Anzeigen ohnehin weniger Aufmerksamkeit erzielen, sondern weil auch niemand weiß (außer der NSA und ihren Partnerkonzernen), welche Nutzer überhaupt welche Anzeigen sehen. Dass der SZ ein ziemlich kontextsensibler Verschreiber durchgerutscht ist ("Tierschutzgegner Bundesrepublik Deutschland e. V." heißt der schaltende Verein nun gar nicht), wie er sich gedruckt halt nicht mehr korrigieren lässt, macht den Artikel nur noch aufschlussreicher.
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[+++] Digital bleiben Milieus an den Grenzen der Meinungsfreiheit oder einfach mit anderen Meinungen oft innerhalb ihrer Grenzen unter sich. Manchmal werden "große Nachrichtenportale auf ihren Onlineauftritten und Facebook-Seiten von Kommentaren überflutet", wie aktuell die TAZ am Beispiel der "Friedensbewegung 2014" unter der Überschrift "Guerillakrieg gegen Nachrichtenportale" berichtet.
Damit zum "Pionier des reinen Onlinejournalismus": Michael Maier ist's, den die Süddeutsche so nennt, also der frühere Chefredakteur von Berliner Zeitung und Stern (tagesaktuell wieder in den Medienmedien wegen seiner "mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit", aber in branchenumfeldgemäßer Richtung schnellenden Auflagenkurve) sowie der Netzeitung. In dieser Netzeitung war anno 2000 auch das Altpapier entstanden. Seit 2012 betreibt Maier die Deutschen Wirtschafts Nachrichten (DWN), bei denen die SZ nun einen "Redaktionsbesuch" unternahm:
"15 feste Redakteure arbeiten für die Wirtschaftswebsite, dazu kommen noch 20 freie Mitarbeiter. Neben den DWN füllen sie auch die anderen, kleineren Seiten des Hauses: Die Deutschen Mittelstands Nachrichten, die Deutsch Türkischen Nachrichten, die Deutsch Russischen Nachrichten und die Deutschen Gesundheits Nachrichten. Zwei Millionen Leser erreichen die DWN nach eigenen Angaben. Nach dem Handelsblatt sind sie damit inzwischen die zweitgrößte Wirtschaftsseite in Deutschland, wie [Verlagsleiter Christoph] Hermann stolz sagt. Und obendrein sei man seit dem ersten Tag profitabel. All das ohne den Startvorteil einer eingeführten Printmarke, ohne großes Medienhaus im Rücken ..."
Also die Probleme, an denen die ambitionierte Netzeitung einst gescheitert war, scheint Maier gelöst zu haben. Was die DWN erfolgreich ("Unter den zehn bei Twitter und vor allem Facebook meistgeteilten deutschen Artikeln 2013 tauchen die DWN denn auch zweimal auf") macht, vor allem bei Verschwörungstheorie-freudigen AfD-Wählern, wie der Vorspann suggereriert, sind "aufgeregte und gerade daher so virale Geschichten".
Niklas Hofmann, der schon kürzlich in einem Blinken TV-Video (Youtube) die DWN vorstellte, umreißt das Rezept so:
"Legitime EU- und Regierungskritik ist immer wieder durchzogen von ganz bestimmten sprachlichen Codes. Vom 'Dog-Whistle' spricht man im Englischen - wie der Pfiff mit der Hundepfeife werden die Signale nur von denen wahrgenommen, die sie verstehen sollen. Das funktioniert selbst bei einer banalen Geschichte über neue Methoden in der Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners. Weil dabei auch geprüft wird, ob Insektizide mit kleinen, ferngesteuerten Fluggeräten versprüht werden könnten, titeln die DWN: 'Regierung will Schmetterlinge mit Drohnen jagen'. Und die Leser hören den Pfiff genau ..."
[+++] Entscheiden Sie selbst, wieviele Katzensprünge es braucht, um zu Spiegel Online zu gelangen. Jedenfalls "'Spiegel' vs. Niggemeier 0 - 1". Dieser Tweet von turi2.de, der Stefan Niggemeiers Blogeintrag zum Spiegel-Medienressort-Artikel über sog. "Native Advertising" gilt (Altpapier gestern), bzw. dem Bericht dazu, ist nicht unbedingt wegen des Spielstands interessant. Irgendwie läuft das Match ja auch schon länger.
Aber die Folgetweets, vor allem von Katharina Borchert (die noch immer als @lyssaslounge twittert, auch wenn sie als SPON-Geschäftsführerin längst "Young Global Leader" usw. ist), sind es. Es geht um die Fragen, zunächst ob überhaupt und dann, wann SPON die native Werbekolumne in redaktionellem Gewand, die Niggemeier entgegen den Print-Spiegel-Beteuerungen entdeckt hatte, depubliziert hat. Borchardts Tweets
"@turi2 Bitte mal Cache leeren. Die Werbung ist längst runter von der Seite."
"@Christian_Meier @turi2 Damn. Ich krieg's nicht mehr. Kollegin auch nicht. Kümmer mich gleich. Danke."
"@turi2 @Christian_Meier Nutzt Ihr zufällig Opera als Browser?"
"Seufz. In meiner Chrome-Version ist nichts zu sehen. Wir haben die Domain (1/2)"
"... die Domain heute morgen um 10:30 offline genommen. (2/2)"
vermitteln einen guten Eindruck von den technischen Aspekten den Onlinejournalismus. Wieauchimmer, inzwischen ist das "Abklemmen" (Niggemeier in der Fortsetzung seines Textes, die auf insgesamt "hundert vermeintliche Nachrichtenartikel ..., die im Auftrag der staatlichen Lotteriegesellschaft des Landes Nordrhein-Westfalen für das Glücksspiel warben", hinweist) für alle Browser gelungen.
Jetzt 95, 22, zehn ... ein Gründe, warum der an dieselbe Sache angekoppelte meedia.de-Artikel des schon genannten Christian Meier über den "relativen Erfolg nativer Werbung" seriös wirkt, obwohl Meier mit Werberslang ("... wird es keinen totalen Switch auf Content Marketing geben") nicht geizt: weil er seine Thesen nicht durchnummeriert. Meier schließt:
"Dass 'native Werbung' auch auf deutschen Websites zunehmend zum Einsatz kommen wird, steht darum außer Frage. Eine Verweigerung aus grundsätzlichen Erwägungen wäre durchaus zu argumentieren. Funktionieren würde diese Verweigerung aber nur in einer besseren Welt. In der mit (nicht nervender) Online-Werbung, zahlenden Online-Nutzern und mit Zusatzeinnahmen (Shops, Events und Co.) genug Geld in die Kasse kommt."
Dass kommerzielle deutsche Webseiten nicht geradean solch einer Weltverbesserung arbeiten, steht eigentlich auch außer Frage.
[+++] Kaum ist das 0 - 1 für Niggemeier gegen den Spiegel rumgegangen, ist auch in der Partie gegen die Zeit-Medien ein Treffer gefallen, und zwar nicht für die nicht für die Zeit. Wenn Ihnen der Bildblog-Eintrag über das exemplarisch irrtümliche Lob für die Bild-Zeitung anhand von 22 Jahre alten Schlagzeilen, das der US-amerikanische zeit.de-Kolumnist Eric T. Hansen mit der Floskel "wenn ich mich nicht irre" eingeleitet hat, noch nicht begegnet ist, klicken Sie hier.
Andererseits, vielleicht hat Hansen auch nur die großen Transatlantiker Sam Hawkens bzw. Karl May zitiert, und beim Gegenlesen wurde das "hihihi" rausgekürzt.
+++ Viele in dieser Nische twittern gerne, aber es sind wenige, und zu wenig, um Twitter in Deutschland zu monetarisieren. Deshalb wurde nun ein "neuer Geldeintreiber" angeheuert. Falk Steiner stellt Thomas de Buhr, den Wirtschaftswissenschaftler mit dem "Lebenslauf ... eines Verkäufers" in der TAZ vor. +++
+++ Guter Rat aus den Staaten, wie ihn zeit.de-Kolumnist Hansen erteilt, kommt derzeit auch von Stipendiaten. Ruth Ciesinger war "mit Hilfe eines Rechercheprogramms der amerikanischen Botschaft in Berlin" drüben, hat die Messingtafel, die im Foyer der Washington Post an die vormaligen Eigentümer erinnert, und den "97 Jahre alten, mit dunklem Holz getäfelten Redaktionssaal" der Detroit News mit eigenen Augen gesehen und schreibt also ausführlich über Zeitungszukunfts-Aspekte (Tagesspiegel). Das aber nicht ohne Verweise zurück nach Berlin: "Wenn aber jeder über alles schreiben und potenziell gelesen werden kann, warum sollten manche dafür Geld bekommen - während es so viele andere kostenlos tun? Aber angenommen, es gäbe keine unabhängigen Institutionen mehr, die versuchen, objektiv zu informieren, wer tut es dann? Der bloggende Politikprofessor über Außenpolitik, der Pharmareferent über Vorteile der neuesten Krebstherapie und der Senatssprecher über Klaus Wowereits Erfolge auf der BER-Baustelle? Ja? Nein?!" +++
+++ Drüben ist noch Daniel Drepper. Sein Erfahrungsbericht zum investigativen Journalismus in den USA ist nun u.a. bei Carta zu haben. +++
+++ Mangel an Journalismusprofessoren ist keines der drängenderen Probleme des deutschen Journalismus. Was der Jenaer Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Seufert über die Zeitungswirtschaft im DPA-Interview (newsroom.de) sagt, ist aber instruktiv. Z.B.: "Die Verlage haben es durch Kosteneinsparungen geschafft, sich trotz gesättigter Nachfrage zu stabilisieren. In den vergangenen fünf Jahren büßten sie kaum Gewinne ein. Das geht unter anderem auf moderate Lohnanstiege, das Auslagern von Produktionsprozessen und einen deutlichen Beschäftigungsabbau zurück. ... Die Zahl der Mitarbeiter im Verlagswesen ist seit 1991 um 85.000 auf 265.000 gesunken. Das ist ein Rückgang von 24 Prozent. Dieser personelle Aderlass ist aber nicht unproblematisch ..." +++
+++ Wieder große Digitaldebatte vorn auf dem FAZ-Feuilleton. Heute ist's Harald Welzer, der seinen Beitrag ("Die Ausforschung unserer Privatsphäre durch Staaten und Konzerne bedroht schon jetzt Freiheit und Demokratie") allerdings mit einem unangebracht wirkenden Blick in die Nazizeit einleitet: "Einer meiner persönlichen Helden ist Cioma Schönhaus. Der entzog sich im Frühjahr 1942 der Deportation und lebte als sogenanntes U-Boot, also als untergetauchter Jude, bis zum Sommer 1943 in Berlin. Sein Überlebenstrick bestand darin, dass er alles anders machte, als man es von jemandem erwarten würde, der im Untergrund existiert. ... ... Er überlebte den Holocaust. Warum ich diese Geschichte erzähle? Weil Schönhaus heute nicht mehr entkommen würde. ..." +++
+++ Über die "Net Mundial"-Konferenz in Sao Paulo, die zu einer "Entamerikanisierung des Netzes" beitragen soll, berichten das Politikressort sowie auf der Medienseite Wolfgang Kleinwächter als teilnehmendes Mitglied des Icann-Direktoriums: "Der Multistakeholder-Prozess ist komplex, zeitaufwendig und verwirrend. Dafür sind seine Resultate nachhaltig und garantieren Sicherheit, Stabilität und Fortentwicklung des Netzes. Im Cyberland ist noch viel Platz", schreibt er. Das Internet sei "gerade deshalb so mannigfaltig, weil so viele an ihm mitwirken". +++
+++ Noch mannigfaltiger werden die Möglichkeiten des Fernsehempfangs dank des neuen schwedischen Diensts Magine (Tagesspiegel). +++
+++ "Und ich bin fest davon überzeugt: In fünf Jahren wird jedes Kind eine Drohne steuern". Diese Zukunftsvision äußert Markus Horeld, stellvertretender zeit.de-Chefredakteur und Drohnenfan, auf der TAZ-Medienseite am Rande. Eigentlich geht's im Artikel darum, wie schwer es heute noch zumal in Berlin ist, Drohnen fliegen lassen zu dürfen. +++
+++ Außerdem auf der oben gelobten SZ-Medienseite: Beim Deutschlandradio soll ein "Achterteam" die anstaltsinternen Problemfronten klären helfen; im neuen "Tagesschau"- und "Tagesthemen"-Studio wirken die Moderatoren wie "Autofahrer in alten Filmen mit simulierter Landschaft im Heckfenster", meint Claudia Tieschky. +++
+++ "Jetzt rächt sich, dass der Sender Thomas Roth verpflichtet hat. Während Moderatorinnen mitunter bereits mit Anfang 50 vom Schirm verschwinden, wurde aus Proporzgründen dem 63-Jährigen die Moderation überlassen ... Wie großartig hätte es sein können, wenn es nun Ingo Zamperoni überlassen wäre, durch die Sendung zu führen! Wie Gene Kelly einst durch den Regen tanzte, würde Ingo Zamperoni leichten Fußes durch die Krisengebiete dieser Welt führen", würde dazu die TAZ-Kriegsreporterin sagen. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.