Hungriges Trüffelschwein

Die ARD startet mit einem neuen "Tagesschau"-Studio und weiteren Stahlmantelgeschossen durch, will aber nicht zu jung werden. Zeitungs- und Cappuccino-Preise im Vergleich. Außerdem: Springers Angst vor Google, Sterns Laberrhabarberblödsinnsabgesonder.

Kaum hat das renommierte gedruckte Leitmedium Der Spiegel durchscheinen lassen, welche frischen Ideen es in intensiver Arbeit entwickelt hat, um im Mai noch besser als sowieso schon zu werden ("moderner, klarer, übersichtlicher", Altpapier vom Montag), startet auch das renommierte Bewegtbild-Leitmedium "Tagesschau" mit einer Verbesserungs-Offensive mittels eines großen Studio-Relaunchs durch:

"Mit großformatigen Fotos können wir die Themen ausdrucksstärker, authentischer und emotionaler bebildern",

lässt sich Dr. Kai Gniffke, "Erster Chefredakteur ARD-aktuell", in der ausführlichen Pressemitteilung zitieren, mit der die ARD ihre gestrige Pressekonferenz in Hamburg, die Berichterstattern erste Einblicke ins neue "Tagesschau"-Studio gewährte, begleitet. Die "Tagesschau" wird sogar noch früher noch besser als Der Spiegel:

"Am Karsamstag ist große Premiere: Um 20 Uhr sendet die Tagesschau erstmals aus dem neuen Studio. Am Tag danach verkündet der Papst übrigens seine Osterbotschaft. Auch auf der Medienwand im Tagesschau-Studio",

schreibt tagesschau.de mit jenem feinen Understatement, das sie beim sog. Ersten exzellent beherrschen, am Ende des Berichts in eigener Sache.

Mindestens ebenso gut verstehen sie es bei der ARD, sämtliche Kanäle mit PR zu befüllen, wenn auf etwas gespannt gemacht werden soll, zum Beispiel Twitter mit den besten Fotos, die es wohl derzeit öffentlich vom neuen Studio gibt (Hamburger Abendblatt: "Um das neue Studio hatte der NDR eine große Geheimniskrämerei veranstaltet. Selbst am Tag der Präsentation wurden Fotos nur mit Sperrvermerk herausgegeben"), zum Beispiel Youtube mit noch gespannter machenden Clips und cleveren Claims.

Stecken hinter diesen raffinierten Filmchen die Trailerfüchse aus Saarbrücken, die jeden, der einmal eine ARD-Sendung vom Anfang, also den Trailern davor, bis zum Ende, also den Trailern danach, gesehen haben sollte, immer gleich daran erinnern, anschließend unbedingt um- oder auszuschalten? Nein. "Hier hat die ARD die Dienste der Kommunikationsagentur fischerAppelt in Anspruch genommen" (meedia.de).

Wenn dann noch der Grandmaster der moderierten Spannungsmache, @Volker_Herres, die PR-Kanäle verbindet, bräuchte es eigentlich gar keine unabhängige Berichterstatttung mehr. Dazu am Rande ein aktuelles fun-fact aus den USA: "In den Vereinigten Staaten kommen durchschnittlich 4,6 PR-Leute auf einen Journalisten. Das ist das Ergebnis einer neuen Erhebung des US-Arbeitsministeriums. Die Werbespezialisten verdienen zudem um 40 Prozent mehr als ihre Kollegen in den Informationsmedien ..." (TAZ).

Aber noch haben wir in Deutschland ja eine üppige unabhängige Medienlandschaft, die schon deshalb ebenfalls gern berichtet, weil sich Foto-Klickstrecken integrieren lassen. Wechseln wir also vom positiven Swing der PR ("Zudem wird die Tagesschau stärker als bisher auf exzellenten Fotojournalismus setzen") zur redaktionellen Berichterstattung um das "wohl modernste Studio Deutschlands" (meedia.de noch mal).

"Zudem werde die Tagesschau stärker als bisher auf exzellenten Fotojournalismus setzen" (dwdl.de). "Aufgebaut ist die Medienwand hinter den Moderatoren, die künftig an ebenfalls neuen Pulten arbeiten  - und zwar nicht mehr so festgenagelt wie bisher. Bewegung im Studio ist erwünscht, zumindest bei den 'Tagesthemen'" (Tagesspiegel), also: "Auf eines müssen die 'Tagesthemen'-Moderatoren künftig allerdings achten: Welche Schuhe sie tragen - denn die werden bei ihren Gängen durchs Studio fortan für die Zuschauer zu sehen sein". "Miosga läuft bei den 'Tagesthemen' jetzt herum", überschreibt Springers Welt die Edition der EPD-Meldung, die aber auch einen Traditionalisten beruhigenden Baustein ("Die Nachricht ist der Star") enthält. "Der Designer des ZDF-Moderatorentisches ist derselbe wie bei der ARD: Jürgen Bieling" (DPA-Meldung, u.a. bei taz.de).

Was hat Bieling so designt?

"Zwei Tische, die ein wenig wie kleine Amöben-Windräder geformt sind", schreibt in der ausführlisten unabhängigen Besprechung Ursula Scheer bei faz.net, die auch "eine etwas eigenwillige Definition von Realität" in der ARD-PR konstatiert und weitere Sprachbausteine kontrastiert:

"Thomas Hinrichs, der Zweite Chefredakteur von ARD aktuell, betont vor allem mit Bildern ließen sich Menschen ganz anders für eine Nachricht interessieren. 'Dass Tausende von Kindern in Syrien ums Leben gekommen sind, rauscht an vielen Menschen vorbei', sagt er. Das richtige Bild eines Kindes könne das ändern."

Indes der schon eingangs zitierte Erste Chefredakteur:

"'Keine Angst vor Emotionen!', sagt dazu Kai Gniffke. Die Zuschauer hätten Emotionen, Emotionen weckten Interesse, und nichts sei schlimmer als Langeweile bei den Nachrichten. Gleichzeitig betont er: 'Die 20-Uhr-Nachrichten bleiben das journalistische Stahlmantelgeschoss der ARD. Da sind wir humorlos.'"

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Um im bunten Sprachfarbenmix zu bleiben: Stahlmantelgeschosse hat die ARD viele im Köcher. In Online-Medienressorts kontextsensitiv unter oder neben  die fotoreichen "Tagesschau"-Studio-Meldungen platziert ist heute eine weitere DPA-Meldung zur ARD. Der schon erwähnte, nicht nur gern vor Kameras posende, sondern seine Posen auch gern vertwitternde Volker Herres hat gemeinsam mit der Degeto-Crew sage und schreibe "100 Drehstarts" (Überschrift bei berliner-zeitung.de) bzw. "fast 100 Drehstarts ... für das laufende Jahr" (Kleingedrucktes) angekündigt.

"'Wie ein Trüffelschwein' habe die Degeto die Stücke ausgewählt", sagte offenbar deren Geschäftsführerin Christine Strobl.

Was dieses hungrige Trüffelschwein so auf der Agenda hat? "Liebe, Abenteuer, Romantik, Mord - das ist Teil unseres Auftrags" (Herres), das heißt z.B., der irren Krimioffensive des ZDF (tagesfrisch: "Mutter und Tochter ermitteln gemeinsam") begegnet die ARD mit neuen Krimis. Eine Menge Filmereignisse gibt's aber auch wieder. Als neuer Degeto-Redaktionsleiter ist schließlich der aus Teamworx-Zusammenhängen geläufige Sascha Schwingel aktiv, der in der DPA-Meldung mit dem großen Satz zitiert wird: "Wir wollen nicht zu jung werden."

Auch das ist ein schöner, reeller Vorsatz, der die ARD mit ihrem Publikum, das dieses Ziel zu großen Teilen schon erreicht hat, verbindet.

[+++] Harter Schnitt. Wenn alles immer besser und noch mehr wird, muss es natürlich doch bezahlt werden. Sei es mit dem Rundfunkbeitrag, dessen Zahler nicht wählen können, ob nicht schon eine Krimioffensive mehr als genug ist, sei es im Internet, wo auch nicht alles gratis ist, wie es scheint.

"In Wahrheit zahlen wir mit unserem Verhalten. Mit der Berechenbarkeit und kommerziellen Verwertbarkeit unseres Verhaltens."

Das schreibt nun, "Herzlichst, Ihr Mathias Döpfner" an den "Lieben Eric Schmidt" und die Leser der FAZ. Sein ganzseitiger Feuilletonaufmacher ist eine Antwort auf den durch seine Läppischkeit (Altpapierkorb) frappierenden Aufsatz des Google-Hierarchen Eric Schmidt oder seiner Redenschreiber aus der letzten Woche. Der von Döpfner geleitete Springer-Konzern war darin als ein deutscher Vermarktungspartner, der von Google profitiert, genannt worden.

Wenn man die Frage beiseite lässt, was genau "Qualitätsjournalismus" ist und wieviel davon Springer überhaupt noch anbietet, argumentiert Döpfner differenziert zurück:

"Unsere Geschäftsbeziehung ist die des Goliath Google zu dem David Axel Springer. Wenn Google einen Algorithmus ändert, bricht bei einem unserer Tochterunternehmen in wenigen Tagen der Traffic um 70 Prozent ein. Das ist ein realer Fall. Und dass dieses Tochterunternehmen ein Wettbewerber von Google ist, ist dabei sicher Zufall. Wir haben Angst vor Google. Ich muss das einmal so klar und ehrlich sagen, denn es traut sich kaum einer meiner Kollegen, dies öffentlich zu tun."

Und:

"Google definiert mit siebzig Prozent Weltmarktanteil die Infrastruktur im Internet. Die nächstgrößte Suchmaschine ist mit 16,4 Prozent Baidu in China - und das deshalb, weil China eine Diktatur ist und den freien Zugang zu Google verbietet. Danach kommen Suchmaschinen mit Marktanteilen von maximal sechs Prozent. Es sind Scheinwettbewerber. Der Markt gehört nur einem. Der Anteil Googles am Online-Werbemarkt in Deutschland steigt von Jahr zu Jahr und liegt derzeit zirka bei sechzig Prozent. Zum Vergleich: Die 'Bild'-Zeitung, die seit Jahrzehnten vom deutschen Kartellamt als marktbeherrschend eingestuft wird (weshalb Axel Springer Pro Sieben Sat.1 oder auch Regionalzeitungen nicht kaufen durfte), hat neun Prozent Marktanteil der Printwerbung in Deutschland. Im Vergleich ist Google nicht nur marktbeherrschend, sondern sozusagen super-marktbeherrschend."

Am Ende erbittet Döpfner "freiwillige Selbstbeschränkung des Siegers".

[+++] Noch ein harter Schnitt, von den Milliarden der genannten Konzerne an den Kiosk, wo die Münchener Abendzeitung, die im März (Altpapier) insolvent gewordene Boulevardzeitung beziehungsweise "Stadtzeitung", wie ihr Insolvenzverwalter Axel Bierbach sagen würde ("Sie ist besser als Boulevard"), auf viel niedrigerem Preisniveau erheblich teurer werden wird:

"Wir gehen von 60 Cent auf einen Euro und am Wochenende von 80 Cent auf 1,20 Euro",

sagt Bierbach im Interview mit der Süddeutschen. Die dazu anlaufende Werbekampagne

"zielt auf Preisvergleiche. Sie setzt den neuen Zeitungspreis in Relation zu den Kosten von einem Cappuccino, einer Kinokarte, einer Maß Bier - Dinge, für die wir alle viel mehr Geld ausgeben, ohne darüber viel nachzudenken. Sie zielt auf das Münchner Lebensgefühl und darauf, dass man dieses Qualitätsprodukt Zeitung nicht mehr für 60 Cent herstellen kann."

Das ist sicher kein doofer Gedanke.


Altpapierkorb

+++ "Wie wenig es bringt, alle alles machen zu lassen, zeigt sich beim Stern. Wie mit einer großen Schippe hat man dort 'Köpfe' im Blatt und im Internetauftritt verteilt. Die Personalisierung als Instrument der Leser-Blatt-Bindung hat eine Inflation an Stellungnahmen zur Folge, die vor allem zu einem führt: zum Laberrhabarberblödsinnsabgesonder sondergleichen. 'Peaches' Mutter Paula Yates ging vor … diese Woche ging Peaches nach …', heißt es etwa im Nachruf auf Peaches Geldof. Und nein, die Autorin ist nicht 82. Sie ist 28 Jahre alt. So kann sie dann auch Bedeutsames benennen: 'Ich finde, Peaches hatte Style.'" (TAZ-Kriegsreporterin). +++

+++ In der TAZ informiert außerdem Svenja Bednarczyk über Plattformen, die per Google Überwachungskamera-Streams finden, die deren Besitzer absichtlich oder aus Versehen nicht mit einem Passwort gesichert haben. "Dort können andere User live mitgucken, sich eine Animation der vergangenen Stunden anzeigen lassen. "Auf Opentopia sind über 2.000 offene Kameras abrufbar. Es gibt unter anderem Einblicke in das Wartezimmer einer amerikanischen Arztpraxis, eine Schweizer Metzgerei, eine Uni-Bibliothek in Texas, in der man den Studierenden direkt auf den Bildschirm blicken kann, oder ein sehr unaufgeräumtes Kinderzimmer in Südkorea." +++

+++ A propos TAZ und tazzwei. +++ Vorn auf derselben Zeitung freut sich Ines Pohl über die jüngsten Pulitzerpreise, die "ein starkes Signal - nicht nur ins eigene Land hinein, sondern in die Welt hinaus" setzten. Hintergründe bringt Dorothea Hahn hinten im Blatt. +++ Der Tagesspiegel tut's auch. Aber Sie haben das ja schon gestern im Altpapier gelesen. +++

+++Die Degeto muss noch weitere PR beauftragen. "Mit sehr, sehr gutem Willen ließe sich der ARD-Spielfilm 'Die Männer der Emden' so zusammenfassen: ein Abenteuerstreifen zu den Feiertagen und für die ganze Familie, tolle Schauspieler, opulente Bilder, exotische Kulissen wie die deutsche Kolonie Tsingtao an Chinas Küste; dort braut man ein schönes Bier. Dazu stolze computergenerierte Kriegsschiffe, schneeweiße Marineuniformen, Palmen und Meer und eine Story, die selbst die ARD-Filmtochterfirma Degeto mit ihrem berüchtigten Hang zum Süßlichen nicht gänzlich verhunzen konnte" (Joachim Käppner, SZ). +++  "Weil dieser Eventfilm wie eine lautstarke Melange aus 'Piraten der Karibik' und 'Das Boot' anmutet, scheint ein wenig unterzugehen, dass er durchaus einen spannenden Ansatz hat" (Oliver Jungen, FAZ, der dann aber doch von "drei Stunden Schwelgefernsehen mit viel Erotik der Exotik" schreibt). +++

+++ "... Eine verheerende Rolle spielt in diesem verunsicherten Markt aber auch eine aufgeregte Medienpublizistik, die jeden Morgen im Internet die Marktanteile zelebriert, als ginge es um sportliche Ergebnisse. Wer sich nicht entblödet, beispielsweise über die Übertragung der Grimme-Preis-Verleihung bei 3sat zu schreiben, sie sei 'ein Quotendesaster' gewesen, wer jeden Morgen wieder meint, 'Tagessiege' vermelden zu müssen, als wäre da am Vorabend tatsächlich eine bedeutende Schlacht geschlagen worden, der suggeriert eine Schein-Objektivität der Zahlen. Hier wird nicht das bessere Fernsehen gefeiert, sondern das vermeintlich (wirtschaftlich) erfolgreiche. Auch die Medienpublizistik ist offenbar so verunsichert, dass sie das Fernsehen als kulturelles Phänomen kaum noch wahrnehmen und beschreiben kann." (Diemut Roether im aktuellen epd medien-Heft, im Leitartikel "Das Ende von 'Wetten, dass..?' ist ein guter Anfang"). +++ Wer entblödete sich nicht? "Jens Schröder in der meedia.de-Rubrik "Fünf Dinge, die Sie über die Quoten vom Vortag wissen müssen". +++

+++ Schade, dass der erwähnte Grandmaster Herres nicht bei der Diskussionsveranstaltung in Lutz Hachmeisters IfM in Berlin war, auf der "Ralf Husmann, der Macher von 'Dr. Psycho' (richtig gut) und 'Stromberg' (erfolgreich)" so mit älteren Bielefeld-Witzen erklären wollte, warum es keine guten deutschen Fernsehserien gibt, dass sich Evelyn Roll zu einem eigenen Fernsehserien-Exposé für die SZ-Medienseite inspiriert fühlte ("In einem "verlassenen und von Wölfen bedrohten Dorfes in der Uckermark" hat sich "ein konspirativer Writers’ Room etabliert ... ..."). +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.