Was "unser Kampf des 21. Jahrhunderts" sein wird, und ob die neue "Magna Charta des Datenschutzes" dabei hilft. Welches Schicksal dem halbjahrhundert-alten Grimmepreis drohen könnte. Welche Radioschlacht in Bayern läuft. Außerdem: ein Blick in die neue ADAC-Motorwelt.
Ein Männlein steht nicht mehr still und stumm im Walde, sondern manngeworden, voller "Kraft und Macht und Potenz", mitten auf der Bühne, und zwar vor dem Vorhang, der heruntergelassen wurde, obschon alle Fragen offen sind ... Die Leitartikler elektonischer und gedruckter Medien geizen beim Kommentieren des Urteils des Europäischen Gerichtshofs in den verbundenen Rechtssachen C-293/12 und C-594/12 (zur Vorratsdatenspeicherung) nicht mit großen Metaphern.
Dass alle Fragen offen sind, meint Thomas Stadler (internet-law.de) so, dass sich "nach dieser Entscheidung ... juristisch kaum mehr prognostizieren" lässt, "wo genau die Grenzen einer zulässigen und grundrechtskonformen Vorratsdatenspeicherung verlaufen" sollen. Das Bild des mit einem Schlag groß und stark gewordenen Männleins schöpfte Heribert Prantl gestern für das Grundrecht auf Datenschutz, das der EuGH also sensationell aufgewertet habe.
Dass Prantl von der SZ und sein Interpretations-Kontrahent Jasper von Altenbockum (der bei faz.net schrieb, dass Bundesjustizminister Heiko Maas "vor der Netz-Propaganda" bzw. der "propagandistischen Polemik, die seit Jahren im Netz gegen die Speicherung von Daten zum Zweck der Verbrechensbekämpfung geführt wird", "kuscht", und per kursiv gesetztem Nachtrag kritisch-polemische Leserkommentare zu seinem Kommentar als "eindrucksvolle" Bestätigung dieser Sichtweise anführt) "die Spannbreite abdecken, die jetzt zu erwarten ist", meint Frank Lübberding (wiesaussieht.de). Worauf er zurück in die Geschichte geht und mithilfe von Ernst Fraenkels "Doppelstaat"-Begriff "eine neue europäische Richtlinie, die den Schutz der Privatsphäre in allen Mitgliedsstaaten verbindlich regelt", fordert. Denn:
"Angesichts der NSA und der faktischen Hegemonie des amerikanischen digital-industriellen Komplexes wäre die europäische Kleinstaaterei ein desaströser Rückschritt."
Dass man auch bloß kurz in die Geschichte zurück treten kann, um sich mehr Schwung für den Blick nach vorn zu holen, bewies Oliver Stock, sozusagen derjenige Hoodiejournalist (nur im übertragenen Sinn), der bereits in eine noch vor allem papierbasierte Chefredaktion berufen worden ist:
"Es ist unser Kampf des 21. Jahrhunderts. So wie im 19. Jahrhundert Arbeiter um eine Sozialgesetzgebung gerungen haben, so wie das 20. Jahrhundert geprägt war von der Überwindung des Nationalismus, so werden unsere Jahrzehnte vom Umgang mit der digitalen Revolution geprägt sein" (handelsblatt.com-Kolumne "Was vom Tage bleibt").
Die beiden die die Spannbreite absteckenden Fraktionen haben für die gedruckten Tageszeitungen jeweils nachgelegt. Für die Meinungsseite der SZ, die auf ihrer "Thema des Tages"-Seite das Urteil als "Magna Charta der Bits und Bytes" (Überschrift) bzw., mit einer Metapher des Rechtsanwalts Ulrich Karpenstein, als "Magna Charta des Datenschutzes, die in die europäische Rechtsgeschichte eingehen wird", bezeichnet, griff erneut Prantl in die Tasten und steigerte sich geradezu in religiöse Sphären:
"Das ist das große Urteil zum Datenschutz in Europa. Das ist die Auferstehung der Grundrechte in der Europäischen Union. Das ist das Ostergeschenk aus Luxemburg."
Lieber vom "Popanz Vorratsdatenspeicherung", die aber nur "sprachlich" das "Monstrum" sei, als das sie immer erscheine, leitartikelt FAZ-seits Reinhard Müller.
Wenn Sie noch tiefer in die Facetten dieses Sujets einsteigen wollen, empfehlen wir den gestrigen, sowohl ausgelassene Freude ("Was dann kam werdet Ihr nicht glauben. ;-)") als auch Überblick über viele weitere Urteils-Kommentierungen ausstrahlenden Liveticker von netzpolitik.org. Dort stoßen Sie dann auch auf den Link zur "Netzzombies sterben nie"-Metapher des Digital-Prantls Sascha Lobo, der vermutlich kaum mehr mit Hoffmann von Fallersleben-Kinderliedern aufgewachsen ist.
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[+++] "Das Allerheiligste" aber, von dem auf der FAZ-Medienseite die Rede ist, das ist nicht der wiederauferstandene Datenschutz, sondern es sind, Freunde des Grimmepreises würden es sofort unterschreiben, "die Nominierungskommissionen und die Jurys des Grimme-Preises und des Grimme Online Award".
Eingekleidet in eine bemerkenswert freundliche Besprechung der großen Grimme-Jubiläums-Gala vom Freitag, in der er anders als Dietrich Leder gestern sogar für Moderator Michael Steinbrecher nette Worte ("souverän-sympathisch") findet, tut FAZ-Medienseitenchef Michael Hanfeld kund, dass ihm ein Geheimpapier aus Marl zugespielt worden ist:
"ein unter Geheimhaltung ausgehandelter Vertrag ... , der die Zusammenarbeit des Grimme-Instituts mit der Landesanstalt für Medien (LfM) regelt. Es geht um viel Geld und um - Einfluss. Der Vertrag, dem die Aufsichtsgremien der beiden Institutionen noch zustimmen müssen, hält fest, dass die LfM künftig das Recht hat, 'geeignete Personen für die Nominierungskommissionen bzw. die Jurys des Grimme-Preises bzw. des Grimme Online Award vorzuschlagen'".
Womit also die zumindest heilige Kuh der Jury-Unabhängigkeit verloren wäre. Diese LfM ist eine der vierzehn deutschen Landesmedienanstalten, die unter denen, die sie kennen und nicht für sie nicht arbeiten, überwiegend keinen guten Ruf haben. Dass sie beim Grimmeinstitut Einfluss erhält, wäre insofern nicht ungerecht, als dass die (wiederum aus Rundfunkgebühren finanzierte) LfM das Institut künftig auch mitfinanzieren soll. Was jedoch droht, so der kraftvolle Zuspitzer Hanfeld:
"ein Bermudadreieck, in dem zwischen Düsseldorf und Marl um Geld und Einfluss gerungen wird"
sowie dem zweifellos renommiertesten der zahlreichen deutschen Fernsehpreise
" die Malaise ..., an welcher der Deutsche Fernsehpreis einstweilen zugrunde gegangen ist".
Wenn Sie noch etwas Atmo direkt aus Marl, diesem "armen, ausgebluteten, von seiner guten Seele verlassenen" Grimme-Sitz, schnuppern wollen, klicken Sie zur aktuellen TAZ-Medienkriegsreportage "Wer was erleben will, soll halt nach Bochum fahren". Sie ist heute wieder sehr lesenswert, nicht (nur), weil in jener Kolumne außerdem auch diese auftritt, sondern etwa noch wegen des Hinweises auf "DB debil", jenes in Zügen überubiquitäre Kundenmagazin der Deutschen Bahn, das Bahnreisende vom Umdrehen der oft schwer erträglichen Grinseporträtfotos auf dem Titel kennen. Bzw. konkret auf das dort nun die Reihe "Frauen, die Deutschland prägen" einleitende Interview mit Liz Mohn,
"der Chefin von Bertelsmann. Und damit auch von Gruner + Jahr - und auch dem Bereich für Auftragsmagazine, wie dem der Deutschen Bahn. Ey, wie eklig ist das denn?!?"
Immerhin, einer der beiden Fernsehstars auf dem Titel des aktuellen Hefts grinst überhaupt nicht.
[+++] Zurück auf die FAZ-Medienseite, wo noch ein vergleichsweise dicker Hund schlummert, auch wenn Gutachten im Auftrag des Verbands Bayerischer Lokalrundfunk und des Privatsenderverbands VPRT sicher keine Geheimpapiere sind. Es geht um die Pläne des Bayerischen Rundfunks, seinen Radiosender BR-Klassik nicht mehr über UKW zu verbreiten (Altpapier) und die dadurch frei werdende Frequenz dem Jugendradio namens "Puls" zu übergeben. In einem solchen Gutachten gelangt nun Johannes Kreile, nach Angaben seiner Kanzlei einer der "herausragenden Medienrechtler in Deutschland", aber auch ein Freund der klassischen Musik, zur Ansicht, dass
"...der Programmtausch sogar 'unzulässig'" sei. "Es verstoße gegen das Bayerische Rundfunkgesetz und gegen den Rundfunkstaatsvertrag, weil 'kein inhaltlicher Austausch eines Programms' stattfinde, sondern 'eine veränderte Frequenznutzung'. Zudem sei eine 'analoge Verbreitung bisher ausschließlich digital verbreiteter Programme unzulässig'."
Wenn Sie aktuell farbige, meinungsstarke Hintergründe dazu lesen möchten: Der schon als Bayer berufene Don Alphonso hat sich in seinem FAZ-Blog des Themas ebenfalls angenommen, und zwar natürlich mit viel Polemik:
"Ausgerechnet der Bayerische Rundfunk, dessen ergrautes Jugendformat 'Zündfunk' seit Jahrzehnten Jugendradio macht, wie sich das nur Alt-68er Medienpädagogen in Nordrhein-Westfalen mit einer Neigung für genderneutrale Ausdrucksweise ausdenken können, ausgerechnet diese staatsparteinahe Mammutbehörde will also flippiger werden."
Mit viel Emphase aber auch:
"Bescheidene 260.000 Hörer soll BR Klassik täglich haben, aber die sind organisiert und setzen sich für ihren Sender ein. Das sind nicht die hektischen Zapper mit 2 Minuten Aufmerksamkeitsspanne. Das ist das Publikum der Stationstaste, das sind die Dauerklatscher, die Schweiger bis zum letzten Verhallen, die Inderpausenichtheimgeher, diejenigen, die sich all den entwürdigenden Prozeduren der Kartenbeschaffung unterwerfen, um von Bayreuth bis Mailand mit dabei zu sein."
In einer der Kommentarschlachten untendrunter steht dann noch der schöne Satz: "Der BR ist sowas wie der Siggi Pop bei der Tecnoparty und lebt vom Befriedigen der Wünsche des Rundfunkrates."
Dazu auch hier noch rasch eine Meinung: Auch wenn die Frage, warum trotz aller grundsätzlichen gesamtgesellschaftlichen Digitaleuphorie ausgerechnet Digitalradio (in das BR-Klassik verlagert werden soll) sich überhaupt nicht durchsetzt, zweifellos vielschichtig und interessant ist - wenn eine gern von ihrem "Auftrag" redende öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt tatsächlich ihr Klassikprogramm aus dem viel verbreiterteren UKW-Radio entfernen sollte, um stattdessen einen weiteren, vielleicht anders juvenilen Popsender einzuspeisen, wäre das ein guter Grund, viel grundsätzlicher als bisher über die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu diskutieren.
+++ Der ADAC empfiehlt in seiner Mitgliederzeitschrift Motorwelt, noch ja der allerauflagensstärksten deutschen Zeitschrift überhaupt, gern Produkte von Herstellern, mit denen er kooperiert? Nein, oder nicht nur. Er warnt inzwischen im redaktionellen Teil auch vor Produkten, die er anderswo im selben Heft mit seinem "quasi amtlichen Logo" und dem Hinweis "Hier sparen Mitglieder" in Anzeigen bewirbt. Ein solches Beispiel beschreibt Frank Überall in der TAZ. +++
+++ "Die dänischen Medien haben offenbar gemeinsam entschieden, gar keine Korrespondenten zu senden", und insgesamt werden die "Kollegen, die nach Afghanistan kommen, um zu reisen", "rapide weniger": Christine-Felice Röhrs, einst Tagesspiegel-Reporterin und nun für afghanistan-analysts.org dort, schätzt im Tagesspiegel die Folgen der Morde an Anja Niedringhaus und anderen Journalisten ein. +++
+++ Fernsehkünstlerinnen im Gespräch mit der SZ-Medienseite (1) - Sarah Kuttner über ihre neue ZDF-Neo-Sendung "Kuttner plus Zwei": "Du musst dir das nicht anschauen, niemand muss sich die Sendung ansehen. Ich hab die Talkshow sicher nicht neu erfunden. Es geht einfach darum, sich zu unterhalten, zu dritt, weil ich das für eine relativ natürliche Gesprächssituation halte - nicht so konzentriert wie im Zweier-Interview und auch nicht so krass wie in einer großen Talkrunde..." +++ Fernsehkünstlerinnen im Gespräch mit der SZ-Medienseite (2): "Entweder man gibt Gas, macht alles, verdient Geld und denkt nicht an die Zukunft. Oder man sagt fast alles ab, macht sich rar und wartet auf die ganz andere besondere Rolle". Das sagt Sibel Kekilli, die auch in der neuen "Game of Thrones"-Staffel dabei ist. Was für eine Spannbreite schon wieder! +++
+++ "Protzt mit eurer Kompetenz, will man rufen, seid elitär, zeigt sündhaft teure Edelproduktionen, aber hört bitte mit dieser Verlogenheit auf", ruft Oliver Jungen in der FAZ ZDF-Neo wegen dieser neuen Kuttner-Show zu: "... Wie lange ein gutbezahltes Team wohl an dieser 'Authentizität' gebastelt hat? Am ärgsten trifft es bei diesem Volkstheater die Sprache: In Sätze von marternder Banalität sind Jugendsprachfetzen wie 'Alter', 'krass', 'ankotzen', 'ultra' und 'pullern' eingelassen, um den Zuschauer mit bräsiger Rotzigkeit da abzuholen, wo man ihn vermutet. ... ... Was wir in der Berliner Altbauwohnung in Reinform präsentiert bekommen, ist der Radau der Redundanz, die bedingungslose Kapitulation von Erkenntnis und Interesse, Noise". +++
+++ Torsten Körner epd medien-Tagebuch-Beitrag über den Hoodie-/Kapuzenjournalismus ("... Erstaunlich auch, dass der Kapuzenpullover, der vom Straßenfeger bis Mark Zuckerberg alle Schichten birgt und popkulturell kaum noch zu fassen ist, hier noch als verlässliches Symbol taugen sollte, offenbar als Zeichen für die Unangepassten, die digitalen Freibeuter"), die schließlich in die schönen Worte "Narrare necesse est" mündet, steht inzwischen frei online. +++
+++ Mehr Radio-Zoff: "Der Gärungsprozess im Deutschlandradio mit den Funkhäusern in Berlin und Köln hält an" (Tagesspiegel). +++ Die gute Frage, was dort eigentlich los ist, kann meedia.de auch nicht so richtig beantworten, indem es die seit einer Woche in diesen und jenen Medien zirkulierenden Versatzstücke in anderer Reihenfolge anordnet. +++ Was aber kein Vorwurf ist, schließlich ist man auch nach dem vierminütigen Videointerview mit dem Deutschlandradio-Gesamtpersonalratsvorsitzenden, Jörg Sucker, bei NDR-Zapp, ungefähr so schlau wie zuvor. Wegen der gewissen Distanz zum "renommierten Deutschlandradio, wo sich viele als Speerspitze des deutschen Hörfunkjournalismus verstehen", ist Bastian Berbners Textbeitag dennoch lesenswert. +++
+++ Eine nicht so gute Nachricht u.a. für evangelisch.de steht ferner auf der SZ-Medienseite: Konpress, nach eigenen Angaben "Schnittstelle zu den christlichen Verlagen und unseren Kunden" und "Service-Agentur", "hat online insgesamt 1088 Kirchenmitglieder befragen lassen, Menschen also mit Internetanschluss und Kirchenbezug" und festgestellt, dass evangelische und katholische kirchliche Internetpräsenzen noch nicht ungeheuer bekannt sind. +++
+++ Was am neuen Preisträger des Wächterpreises der Tagespresse (evangelisch.de) besonders interessant ist: Es ist die Münchener Abendzeitung bzw. ihre Korrespondentin Angela Böhm, die (also die Zeitung) überregional zuletzt durch ihre Insolvenz und ihre ungewisse Zukunft Aufsehen erregte. +++
+++ Sie finden "Hundehass-Journalismus" (meedia.de) bzw. die Zeitschriftenidee Kot und Köter unsympathisch? Dann hätten Sie mal die inzwischen überwiegend gelöschten Kommentare unter dem meedia.de-Artikel lesen sollen... +++
+++ Und wenn heute abend im ZDF der inzwischen selten vor der Kamera performende Intendant Thomas Bellut Altkanzler Gerhard Schröder befragt, wird damit eine Fernsehreihe in sehr loser Folge fortgesetzt. "Das ZDF belebt damit die 2004 zuletzt ergänzte Reihe 'Zeugen des Jahrhunderts' neu" (SZ). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.