Das Radio hat keine Lobby, will jetzt aber auch "fit für die digitale Zukunft" werden. Ein Gruner+Jahr-Magazin macht eine Kreuzfahrt. Afghanische Journalisten machen eine traurige Geste, und die City of London macht aggressive Lobbyarbeit gegen Datenschutz.
Etwas gespannt könnte man heute die TAZ aufschlagen und durchblättern. Schließlich hat am vergangenen Wochenende Silke Burmester ihre Spiegel Online-Kolumne beendet und dieses Beenden so anmoderiert, dass Interessenten gespannt auf eventuelle Hintergründe sein könnten. Und mittwochs in der TAZ schreibt Burmester schließlich immer ihre Kriegsreporterin-Kolumne. Steht heut' etwas darin, das über neue Entwicklungen beim populären Onlineleitmedium SPON, dessen Startseite jeder Journalist mit Internetzugang einmal täglich hinabscrollen muss, Aufschluss gibt?
Nein. Burmester beherrscht zwar unterschiedliche Grade der Verschlüsselung, aber: Nein. Auf einen gewiss berechtigten, vielleicht etwas preiswerten Scherz übers Handelsblatt folgen ein verschlüsselterer über die "Kreuzwortseite der Stern-TV-Beilage" und dann ein persönliches Bekenntnis der Autorin ("... Nun finde ich aber Orchester so dermaßen langweilig und mir geht es so dermaßen am Arsch vorbei, ob die beim SWR an drei oder vier Geigen zupfen, dass ich überhaupt keine Lust habe, mich darüber zu informieren"), das zweifellos kontrovers diskutiert werden wird, noch zweifelloser aber alles andere als SPON-unkomaptibel ist.
Schließlich lautet ein bekanntes Bonmot, dass Autoren bei Spiegel Online alles schreiben dürfen außer differenziert. Und durch irre Differenziertheit zur SWR-Orchester-Frage (siehe z.B. dieses Altpapier bzw. den darin erwähnten Carta-Text), die sich z.B. ja auch mit dem Umstand koppeln ließe, dass derselbe SWR es für eine gute Idee hält, eine prominente "Kultblondine" aus dem Privatfernsehen für einen, auch das eine frische Idee, "Regionalkrimi" einzukaufen, besticht dieser Beitrag nicht.
Na ja. Ein Grund, schon jetzt etwas gespannt auf s Aufblättern der nächsten Mittwochs-TAZ zu sein - zumal ja auch die "(kostenpflichtige) mehrtägige Kreuzfahrt in der Ostsee" mit Prominenten, zu der das gleichermaßen Prominenten- wie wirtschaftsnahe Gruner+Jahr-Magazin Gala jubiläumshalberseine Leser "einlädt" (wie gerade in einer einfühlsam differenzierten Gala-Analyse bei meedia.de Georg Altrogge berichtete, der ehemalige Nachfolger des amtierenden Gala-Chefredakteurs Christian Krug in anderer Funktion), ein Super-Medienfront-Thema wäre ...
[+++] Wenn wir aber beim Radio sind, das eben keine Lobby hat, aber endlich eine braucht, wie aktuell Alexander Kissler (cicero.de) fordert: Es gibt neben der südwestdeutschen Sache mit den Orchestern einen neuen Anlass für Freunde klassischer Musik, oder auch nur alle, die meinen, dass zum sog. Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen im Radio nicht nur Dudelsender mit Burger- und Discounter-Werbung gehören, einen weiteren Grund sich zu ärgern:
"Nicht minder dreist sind die Überlegungen des Bayerischen Rundfunks, die letzte fast sortenreine Klassikwelle der ARD in das Internet und zu DAB plus zu verlagern. Ja, DAB plus ist eine wunderbare Einrichtung, für die die Sender viel zu leise trommeln. Die Abdeckung aber ist indiskutabel, eine flächendeckende Verbesserung nicht in Sicht",
schreibt Kissler. Das "Telemedienkonzept zur Digitalisierung von BR-Klassik" sehe neben neuen Onlineangeboten vor, dieses BR-Klassik "auf UKW voraussichtlich 2016 abzuschalten", informiert der Bayerische Musikrat, der eine Onlinepetition gegen dieses Vorhaben gestartet hat. Das Senden auf Ultrakurzwelle soll dann natürlich noch nicht eingestellt werden, sondern mit anderen, vermeintlich populäreren Programmen fortgesetzt. Dass so etwas für den Klassiksender einen "massiven Hörerverlust" nach sich zöge, liegt auf der Hand, solange weit über 90 Prozent des Radioempfangs nicht digital stattfinden. Hier geht's zur Petition.
Heute hat die SZ-Medienseite eine knappe Meldung dazu: "Der BR hat auf Kritik zum geplanten Wechsel von BR Klassik zu DAB+ reagiert. Martin Wagner, von 1. Mai an Hörfunkdirektor des Senders, sagte, man wolle die Klassikangebote stärken und 'für das Digitalzeitalter fit' machen." Noch etwas mehr solcher sämtliche eventuellen Befürchtungen bestätigenden Worthülsen gibt's frei online bei radiowoche.de.
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Und wenn wir gerade beim Radio sind: Gerade nimmt sich auch ein Leitmedium, das bei Reichweite und Differenzierungsgrad sogar Spiegel Online hinter sich lässt, des Deutschlandradios an! Gerade ist dieses ja unter Schirmherrschaft des Bundespräsidenten 20 Jahre alt geworden. Heute zitiert bild.de aus einem "offenen Brief an den Intendanten", in dem von Managementfehlern, "mehreren Millionen Euro Schaden" und einem "Versorgungsinstitut für Freunde und Gleichgesinnte", das der Sender zu werden drohe, die Rede sei. Von solcher internen Kritik schrieb kürzlich schon der Tagesspiegel. Die ungewöhnliche Zurückhaltung der Bild-Zeitung, die sonst ja jede vermeintliche Gelegenheit auf öffentlich-rechtlichen Rundfunk draufzuhauen, schwungvoller ausnutzt, dürfte damit zusammenhängen, dass der Vorgänger des kritisierten und jeweils zitierten Intendanten Willi Steul, ja zum engeren Kreis der Bild-Zeitungs-Meinungskoryphäen zählt, also Ernst Elitz.
[+++] Falls Sie jetzt doch noch zu guter Laune sein sollten: Es gibt natürlich wesentlich Schlimmeres als die eben umrissenen Problemfelder, und auch an diesem Mittwoch in Medien- und verwandten Ressorts mehrere Artikel, die dieses Schlimmere aus unterschiedlichen Perspektiven differenziert umreißen.
Beispiel 1 steht auf der SZ-Medienseite. Tobias Matern berichtet aus Afghanistan:
"Dieses Mal greifen sie selbst zur Waffe, sie ist stumpf, aber eine andere haben sie nicht. Sie schießen nicht, sie formen keine Überfallkommandos, sie sprengen sich nicht in die Luft, um möglichst viele Menschen mit in den Tod zu reißen. Aber sie lassen die Kugelschreiber stecken. Und verweigern so den Taliban das Wort."
Nach dem fürchterlichen Mordanschlag auf den AFP-Reporter Sardar Ahmad (siehe z.B. Guardian mit Link zu Ahmads letztem Tweet, z.B. Bild-Zeitung mit großem Foto von dem einzigen Kind Ahmads, das den Anschlag überlebte ...) haben "knapp 50 prominente afghanische Journalisten" eine gemeinsame Erklärung abgegeben, erstmals 15 Tage lang keine Veröffentlichungen der Taliban, die diese Morde begangen haben, mehr zu verbreiten.
Über eventuelle Anschläge werde aber weiter berichtet. Und dass die Taliban eigene Internetseiten "in den Landessprachen und in Englisch" haben und über viele Verbreitungswege verfügen, ja, dass Afghanistan "einen regelrechten Medienboom" "erlebt" mit "Dutzenden Zeitungen, ... 174 Radiostationen und 65 Fernsehkanälen", erfährt man ebenfalls:
"Im Fernsehen laufen inzwischen nicht nur Nachrichten, sondern auch Comedy-Sendungen, Sport, Shows wie 'Afghanistan sucht den Superstar' und Spielfilme aus Bollywood."
Ob das jemandem hilft, ob das Kugelschreiber-Steckenlassen etwas anderes als eine traurige Geste ist, die niemand bemerkt, müssen eventuelle Leser selbst entscheiden.
Beispiel 2 steht im FAZ-Feuilleton unter einer roten, also auf Digitaldebatte verweisenden Überschrift. "Daten, die das Leben kosten", lautet sie. Sascha Lobo reagiert auf den SPD-Europapolitiker Martin Schulz, dessen Beitrag sie bei der FAZ irgendwie für wichtig halten, schreibt jedoch nett, dass es "für das Verständnis des kommenden Kampfes essentiell" sei, "der konkreten Gefahr nachzuspüren, statt sie diffus zu beschwören".
Dann verknüpft er die "4700 Drohnentoten", die schon 2013 zusammengekommen waren (und von denen viele in und um Afghanistan gelebt hatten, als sie noch keine Toten waren), mit Anti-Datenschutz-Lobbyisten, zu deren "aggressivsten ... die Gemeindeverwaltung der Londoner Innenstadt, die City of London Corporation" gehöre. "Denn bei der Wahl der Gemeindevertreter können auch Unternehmen abstimmen. Nach der Zahl ihrer Mitarbeiter. 2009 hatten deshalb rund 8000 Bürger jeweils eine Stimme. Die ansässigen Unternehmen konnten 24 000 Stimmen abgeben. Die Gemeindeverwaltung der Londoner Innenstadt wird faktisch von Finanzkonzernen bestimmt, eine einzigartige Pervertierung der Demokratie."
Natürlich lobbyiert London nicht immer direkt für Drohnenkrieg, auch wenn BAE Systems ein wichtiger Drohnenlieferant ist, sondern für Datenkraken des Internets. Der Zusammenhang:
"Natürlich ist ein Drohnenmord etwas völlig anderes als ein zum Zeitpunkt größten Unbehagens angebotenes Schminkset oder ein Job, den man nicht bekommt, weil irgendeine Profilberechnung eine geringe Erfolgswahrscheinlichkeit ergibt. Die Verbindung aber besteht in der Abschaffung der digitalen Privatsphäre zum Zweck der Effizienzsteigerung und in der Zuordnung einer Person zu einem Profil, ohne dass sie darauf den geringsten Einfluss hätte. Oder auch nur davon wüsste."
Ein großer Lobo wieder, der viele schillernde Details neu zusammensetzt. Lesenswert, aber noch nicht frei online. [Inzwischen doch.]
Wenn Sie das interessiert, könnten sie so lange Lobos neue SPON-Kolumne lesen, die natürlich doch auch differenziert.
Altpapierkorb
+++ Neues zur jüngsten Print-Krise (Altpapier): "Das siebenköpfige Team darf über seine Arbeit mit niemandem reden, gegenüber ehemaligen 'WZ'-Kollegen sagten sie, dass sie eine 'Ausbildungsmannschaft' seien. Details - verboten". Doch Bülend Ürük hat spitz gekriegt, dass Journalisten der Rheinischen Post "hinter dem Rücken der Redaktion der 'Westdeutschen Zeitung'" schon daran arbeitet, bald deren Zeitungsseiten zu füllen (newsroom.de). +++
+++ Daniela Katzenberger her oder hin: Der Mittwochs-Fernsehfilm der ARD ist immer noch um ein Vielfaches vielschichtiger als die Krimiflut, die das ZDF auch an seinem Montagstermin vergießt. Das belegen die vielen Besprechungen zum heutigen Film "Neufeld, mitkommen!". +++ Er "basiert auf einer Reportage, geschrieben von Jana Simon, erschienen im Tagesspiegel. Simon hat mit Kathi Liers auch das Drehbuch geschrieben. Sie wollen Introspektion und Konzentration: Dramatik ohne das Drama der Tat, Qual ohne Quälerei, Realismus ohne Spekulation. Durch die Entscheidung, das Geschehen nach Tat und Urteil zu starten, durch den Entschluss, die Tat nur kurz zu berichten und nicht bildlich auszuwalzen. Da geschieht etwas im Unterholz der Gesellschaft, jeder Überbau wird weggelassen" (Tagesspiegel). +++ Auch die Kameraführung "fast schon reportagehaft" (Tilmann P. Gangloff, der hier nebenan natürlich auch den Kameramann nennt: Eckhard Jansen). +++ "Dramaturgisch ist es aber auch eine Kapitulation vor den Usancen des pädagogischen Erklärfernsehens. Dabei macht der Film vieles richtig", meint Ursula Scheer in der FAZ. Insgesamt aber mehr falsch, am Ende sei es "ein Film mit gutgemeinten Botschaften (Achten Sie auf Warnsignale, gehen Sie zur Polizei, lassen Sie sich helfen!), in erster Linie aber ein Film über Erwachsene, die nicht wissen, in welcher Welt ihre Kinder leben." +++ Johann Osel (SZ), noch etwas dialektischer, lobt wiederum: "Der Film maßt sich nicht an, Lösungswege aufzuzeigen. Ein schweigsamer Film darüber, dass vermutlich Schweigen genau das Falsche ist." +++ Dass die am Anfang dieses Absatzes erwähnte Jana Simon beim ersten Anschauen des Films schlucken musste, und warum natürlich, erzählte sie Lan-Na Grosse im TAZ-Interview. +++
+++"Das nennen wir ein würdiges Finale!" Aber "wer sich die Spannung erhalten will, lese jetzt bitte nicht weiter"! Ob es etwas zu bedeuten hat, dass die FAZ diesen Hinweis nur am Anfang der Onlineversion von Nina Rehfelds Korrespondentenbericht aus Phoenix bringt? Wer sich nicht für "How I Met Your Mother", diese "Kult-Sitcom" interessiert, braucht jedenfalls auch nicht weiterzulesen. +++
+++ Indes in Kairo "Kult": Bassem Youssefs Late-Night-Show "El Bernameg", über die die FAZ außerdem berichtet. Ob es etwas zu bedeuten hat, dass faz.net das über- bis totstrapazierte Präfix so inflationär verwendet? Ein Müller von Blumencron'scher Suchmaschinenoptimierungs-Trick? +++
+++ Das "Land, das in Sachen Meinungsfreiheit in einer Liga mit Iran, China und Russland spielt und es in Sachen Korruption mit jeder Bananenrepublik aufnehmen kann", und das daher "auch so behandelt" gehöre wie die genannten, ist Deniz Yücel (TAZ) zufolge die Türkei. Wobei: Welches Land würde nicht gerne wie China behandelt? +++
+++ Nachdem dwdl.de kürzlich an Mediakraft, das digitalzukunftsfitte Netzwerk für Youtube-Rauflader, wegen der Reaktion auf Schleichwerbevorwürfe den Vorwurf des "Giftens" gerichtet hatte, stellte sich der CEO mit dem einprägsamen Namen Spartacus Olsson zum Interview. Begrifflich ist Olsson ebenfalls fit: "Wenn 'nonlinear' als Begriff für die zeitsouveräne Abrufbarkeit gemeint ist, dann ist es ein schiefer Begriff. Denn eigentlich geht es nicht um linear oder nonlinear, sondern um synchron oder asynchron. Ein Video läuft linear ab, wird bei uns aber asynchron geguckt, während im klassischen TV alle Zuschauer synchron gucken". Ob Youtube Rundfunk ist, "muss der Gesetzgeber beantworten". +++
+++ Dass aus der "solidarisch gezahlten Haushaltsabgabe" produzierte Inhalte der Gesellschaft nicht bloß "länger als sieben Tage in den Mediatheken", sondern am besten "unter freier Lizenz" dauerhaft zur Verfügung stehen müssten, fordert Tobias Schwarz bei Carta. +++
+++ Eine "Stadt, die alles andere als alltäglich ist"? Jedenfalls, der Tagesspiegel hat schon "24 Stunden Jerusalem" oder Teile davon gesehen. Den deutsch produzierten Nachfolger zu "24 Stunden Berlin" sendet Arte am 12. April. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.