Die Zeit macht in Hamburg gute Laune mit "kleinen Flitzern". Antizyklik in Pinneberg. Sind Journalisten die einzige Berufsgruppe, für die das Internet nicht toll ist? Kann man sie bald wie Pizzaboten bestellen? Außerdem: Googles Weltherrschaft.
Am Ende der "langen Nacht der ZEIT" war's soweit: Die bekannte Wochenzeitung erschien an ihrem Verlagsort Hamburg erstmals mit dem gespannt erwarteten, anzeigensatten Hamburg-Lokalteil.
"Wir wollen ein Pflichtblatt werden, das Vergnügen macht. Nicht l'art pour l'art, sondern rein in die Debatten", zititert das Pinneberger Tageblatt (auf das wir gleich noch kommen) bzw. dessen übergeordneter Onlineauftritt shz.de den Geschäftsführenden Zeit-Redakteur Patrik Schwarz. Und tatsächlich kriegt man beim Abscrollen des Zeit Hamburg-Onlineauftritts unmittelbar richtig gute Laune von all den "vielen interessanten, schönen, aktuellen Texten" oder schon dem entsprechenden Versprechen.
Das zurzeit ganz groß ganz oben stehende Porträt "Jan Delay: 'Diese Sponti-Energie, das ist einfach Hamburg'" gehörte, falls es nicht längst schon drin gestanden hat, genau so mit genau dem Power-Foto auf den Titel des "Hamburg: Das Magazin aus der Metropole"-Heftes, das manchmal sog. Qualitätszeitungen beigefügt ist. Allerdings stellt dieses ja die Corporate Publishing-Tochter des Zeit-Verlags her, sodass Helmut Schmidt oder irgendein Editor-at-large erst mal für Autor Moritz von Uslar eine Ausnahmeregelung von den gestrengen Ethikregeln der Zeit-Medien erlassen müsste.
Hanseatischen Schalk im Nacken hat Steffen Richter, der die Hamburg-Seiten "gerade" leitet, auch, wenn er z.B. verspricht, dass "regelmäßige Kolumnen die Spieltage der beiden Hamburger Bundesligaklubs begleiten". Schließlich heißt die Zweite Liga, obwohl dort u.a. der VfR Aalen gegen die SV Sandhausen antritt, offiziell ebenfalls "Bundes-", und wer immerzu nervtötenderweise "DIE ZEIT" statt Die Zeit schreibt, muss eben alle offiziellen Bezeichnungen übernehmen.
Wer sich bei der Konkurrenz heute schon mit dieser Zeitungsmarkt-News befasst, ist die TAZ auf ihrer Medienseite. Nachdem sie Hamburg pressemäßig als immer noch "Axel-Springer-Land" bezeichnet hat, sodass die Zeit als umso weißerer Ritter erscheinen kann (obwohl der Berliner Digitalkonzern eigentlich ja bloß noch nicht fertig damit ist, seine Hamburger Aktivitäten loszuwerden), schildert Judyta Smykowski ausführlich, wie die Zeit Hamburg mit lokalen bis hyperlokalen Blogs und Bloggern zusammenzuarbeiten plant. Schließlich bestehen bereits allerhand Stadtteil-Blogs wie hh-mittendrin.de und die eimsbuetteler-nachrichten.de (wo Fußballfreunde übrigens den Artikel lesen müssen, der mit den Worten "Mit etwa so vielen Siegchancen wie Christen im Kolosseum gegen die Löwen reiste der SC Victoria zum Auswärtsspiel ..." beginnt).
"Die Zeit will die 'kleinen Flitzer' - "Die Blogs haben wie so kleine Flitzer die Stadt abgebildet", wird Charlotte Parnack, Print-Redaktionsleiterin der Zeit-Hamburg-Ausgabe, zuvor zititert - ... stärker an sich binden. Sie sollen ihre Texte zukünftig auch im Onlineteil der Hamburger Zeit veröffentlichen können. Auch bekannte Hamburger Blogger wie Nico Lumma, Michalis Pantelouris oder Erik Hauth würden für die Hamburg-Zeit über politische, gesellschaftliche und kulturelle Themen schreiben, so Parnack. 'Wir wollen den Hamburger Bloggern auf Zeit Online damit ein Schaufenster schaffen und zeigen, was es im Onlinejournalismus in Hamburg schon alles gibt.'"
Ist das nicht reizend? "Kuscheliger Konsens", wie in eigentlich anderem Zusammenhang ("Der Journalismus ist ein Beruf im extremen Wandel, verbunden mit fürchterlich schlechten Nachrichten für seine Angehörigen") Thomas Knüwer, am Ende auch noch mal Harald Staun einen mitgebend, die Print/ Online-Thesen der Zeit-Führungspersönlichkeiten Bernd Ulrich/ Jochen Wegner (Altpapier) gerade nennt.
Was es in Hamburgs schon gibt, was tatsächlich vorbildlich sein könnte und im TAZ-Text ebenfalls genannt wird: die von der Agentur Open Data City und hh-mittendrin.de entwickelte App "Call-a-Journalist". "Ihr ruft, wir berichten!", heißt das Prinzip, das noch nicht allgemein gilt, sondern speziell den vom Abriss bedrohten (vielleicht allerdings doch "unwichtigen") Esso-Häusern am Spielbudenplatz auf St. Pauli, also damit sie "nicht plötzlich in einer Nacht und Nebel Aktion verschwinden".
[+++] Sich einen Journalisten ungefähr so bestellen zu können wie einen Pizzaboten, könnte mittelfristig noch mehr Potenzial haben, im Positiven wie im nicht so Positiven. Bevor wir zu den täglichen grundsätzlichen Journalismuszukunfts-Visionen gelangen, aber noch der schon angeteaserte Katzensprung nach Pinneberg. Dort findet unter wenig Beachtung (neun Zeilen bei meedia.de) ein zur besonders in Nordrhein-Westfalen grassierenden "Zusammenlegeritis" der Lokalzeitungen (Altpapier vom Montag) bemerkenswert antizyklischer Vorgang statt: eine "Wiederaufnahme der Mantelherstellung nach rund zehn Jahren" (Verlagsmitteilung).
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Das heißt, der Mantelteil zum überregionalen Ummanteln der Lokalressorts dieses Tageblatts, der bisher vom Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag zugeliefert wurde, wird nach "zweijähriger Neuaufstellung der Redaktion" wieder in Pinneberg selbst erstellt. Die Pinneberger bekommen die Welt künftig wieder von Pinneberg aus erklärt statt von außerhalb (womöglich gar aus Flensburg?).
Dass das erheblich teurer sein dürfte als das Zuliefer-Modell, versteht sich. Insofern ist es ein spannendes Experiment. Dass Lokalzeitungsleser keineswegs "nur Services und Feierabend-Entertainment" geboten bekommen wollen, sondern "Relevanz und Orientierung am Morgen", schreibt auch Michael Haller, einer unserer bekannteren Journalismusprofessoren, in einem Buch, das die Berliner Zeitung bespricht. Beziehungsweise sagte es Haller sogar, denn Thomas Schuler bespricht nicht bloß das Buch, sondern sprach offenbar mit Haller etwa auch über Cordt Schnibbens App-Idee (die Haller nicht so toll findet), und reicherte das Resultat mit Beobachtungen aus dem Süddeutschen an:
"Vor zehn Tagen meldete der Donaukurier in Ingolstadt auf Seite eins unterm Aufmacher zur Krimkrise dreispaltig, dass ein Landwirt den eigenen Enkel überrollt habe - 'um ein Haar' hätte er ihn beim Rückwärtsfahren übersehen. Der einjährige Bub wurde ins Krankenhaus gebracht; dort konnte man keine Verletzungen feststellen und schickte den Vater mit dem Kind wieder nach Hause. Ein typisches Beispiel für den zwanghaften Versuch, lokalen Ereignisse Bedeutung zu verleihen und sie auf Seite eins zu holen"
[+++] Der Journalismuszukunfts-Text des Tages kommt von Antje Schrupp und erklärt gelassen, warum das Internet an sich für viele Menschen unbedingt eine Verbesserung darstellt, bloß für Journalisten möglicherweise nicht so. "Wir nennen es nicht Arbeit", schreibt Schrupp, die selber auch zumindest teilweise Journalistin ist, mit Bezug auf einen Martin Giesler-Artikel (blog.rebellen.info) sowie natürlich auf ein legendäres Bestellerbuch:
"Wenn eine Bäckerin neben ihrem Job bloggt, käme sie nie auf die Idee, das Arbeit zu nennen. Wir nennen es nicht Arbeit, wir nennen es Engagement, Hobby, Aktivismus, Liebhaberei. Tierärztin hätte nie den Anspruch, dass sie mit ihrem privaten Blog Geld verdienen muss, ein Richter nicht den Anspruch, dass er während der Arbeitszeit seine Social Media Kontakte pflegen kann. Warum haben Journalisten diesen Anspruch?"
Ungefähr deshalb, weil Journalisten anders als diese Bäckerin schon vor der Internetära "ihre politischen Ansichten in ihrer Arbeit umsetzen" konnten, lautet eine der Antworten. Daher würden sich Journalisten der Filterbubble von einer anderen Seite nähern als Nichtjournalisten. Überdies hätten sie "eine berufsbedingt verzerrte Vorstellung von Reichweite". Dieser Text verdient es, gelesen zu werden, auch wenn er nur drei Thesen (und damit neun weniger als die oben erwähnten Die Zeit-Führungspersönlichkeiten Ulrich/ Wegner) spendet.
Dass Schrupp es nicht Arbeit nennt, heißt übrigens nicht, dass sich am Rande ihres Blogs nicht flattrn oder über Paypal spenden ließe.
[+++] Jetzt noch der Lobo dieses Donnerstags, also der Artikel, der in großem Bogen ernste, berechtigte Warnungen in die Überfülle des Diskurses einspeist.
Ein Angehöriger des schon erwähnten Springer-Konzerns ist es, Robert M. Maier, "Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Visual Meta GmbH", die seit 2011 mehrheitlich zum Springer gehört. "Angst vor Google" lautet die Überschrift seines Artikels, der fünf von sechs Spalten der ersten FAZ-Feuilleton-Seite dicht füllt. "Warum leistet niemand diesem Monopolisten Widerstand? Google kann machen, was es will: Es bietet die Suchergebnisse an, die ihm selbst nutzen. Seine marktbeherrschende Stellung ist eine Gefahr für die Gesellschaft", lautet der Vorspann. Maier erläutert durchaus sachlich die 2010 bei der EU eingereichte Wettbewerbs-Beschwerde gegen Google, deren Erfolg weiterhin unklar ist. Unter anderem so:
"Nutzer haben in vielen Bereichen gar keine Möglichkeit mehr, zu entscheiden, welche Daten sie preisgeben und was damit geschieht. Selbst wenn ich mich dagegen entscheide, Gmail zu nutzen: Sobald ich an jemanden eine Mail schicke, der Gmail nutzt, hat Google zumindest die Möglichkeit mitzulesen. Wenn jemand meinen Telefonnummern, meinen Post- und E-Mail-Adressen in seine Google-Kontaktliste einträgt, kann Google wissen, wo ich wohne und wie ich zu erreichen bin. ... Damit wird das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ausgehebelt. Das Monopol von Google wird noch dadurch gestärkt, dass Google in Deutschland und Europa kaum Steuern zahlt und sehr viel mehr Geld als deutsche und europäische Wettbewerber zur Verfügung hat. Angeblich erzielt Google 54 Prozent seiner Gewinne im Ausland, zahlt darauf aber nur geschätzte drei Prozent Steuern. Normal sind in Deutschland für Unternehmen eher dreißig. Diese Steuerpraxis scheint nach heutigem Stand legal zu sein, ist aber aus Sicht deutscher und europäischer Unternehmen und Bürger verheerend. ..."
Inzwischen steht der Text auch frei online.
+++ Nach dem nach Angaben des Bundesverbands Presse-Grosso "schwarzen Tag für die Presselandschaft in Deutschland" neulich, dem eines Gerichtsurteils zugunsten des Bauer-Verlags (Altpapier), hat dieser Verband nun "Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision beim Bundesgerichtshof beantragt". "Für den deutschen Pressevertrieb geht es um alles", schreibt die FAZ in ihrer Meldung. Der Verband hat aber auch eine einflussreiche Institution an seiner Seite: "Nach Informationen dieser Zeitung steht die Bundesregierung im Austausch mit den Pressegroßhändlern. Denn Berlin wollte mit dem neuem Wettbewerbsgesetz, der im vergangenen Sommer verabschiedeten GWB-Novelle", ja "gerade das Pressevertriebsnetz erhalten", schreibt Jan Hauser. Der Ausgang sei noch offen. +++
+++ Auch ein Riesenhema: Netzneutralität. Das EU-Parlament stimmt am heutigen Donnerstag darüber ab (savetheinternet.eu, zeit.de). +++ In den USA arbeiten Netflix und der Konzern Comcast an der Aushöhlung (sueddeutsche.de), die in Europa droht. +++
+++ Zurück nach Hamburg: Beim bekannten Magazin Stern herrsche weiterhin oder immer noch, auflagen-, aber auch chefredakteurshalber schlechte Stimmung. Das schreibt Ulrike Simon (Berliner Zeitung) unter der Überschrift "Der 'Stern' verglüht". +++
+++ Das Münchener Magazin Bunte hat in Sachen "Wetten, dass...?" investigiert und erzielt vor allem mit dem Satz "Was da abgelaufen ist, hat seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt" (der einem ungenannten "Insider" zugeschrieben wird, wobei das Possesivpronomen sich auf Markus Lanz persönlich bezieht, der es also schon geahnt hatte!), die üblichen "Wetten, dass...?"-Meldungs-Meldungen (meedia.de, Tagesspiegel: "Auf keinen Fall soll Lanz durch 'Wetten, dass..?' deshalb weiter demontiert oder demotiviert werden", selbst Michael Hanfeld von der FAZ lässt sich nicht lumpen ...). +++
+++ Außerdem im Tagesspiegel: Neues, diplomatisch Nichtssagendes zur gestern via Bild-Zeitung verstärkten Aufregung im Deutschlandradio. +++
+++ Allerlei Meinungen zur neuen RTL-Serie "Der Knastarzt": "Wie bei Dr. House, nur um Lichtjahre schlechter gespielt und um Lichtjahre schlechter inszeniert. Wollte man das als Bauerntheater verunglimpfen, würde man wohl allen agronomischen Laienspielscharen bitter Unrecht tun" (Hans Hoff, SZ). "Nicht der grandiose Trash, den man hinter dem Titel vermuten könnte. Es gibt bloß so gar keinen Grund einzuschalten, nicht einmal explodierende Fahrzeuge wie in der Stunde davor" (Stefan Niggemeier, FAZ). "Ist halt ein bisschen blöd, dass RTL mindestens zehn Jahre zu spät dran ist, um damit unsere Sehgewohneiten zu revolutionieren" (Peer Schader, Programmstörer-Blog). "Clevere Mischung aus Knast- und Arztgeschichten mit kriminalistischem Einschlag" (Tillman P. Gangloff hier nebenan). +++ "Immerhin sind die Grundidee (ein inhaftierter Internist darf hinter Gittern praktizieren) und die Genre-Mixtur aus Knast- und Arztgeschichten mit kriminalistischem Einschlag ungewöhnlich" (tittelbach.tv). +++
+++ "Es ist so etwas wie ein unausgesprochener internationaler Standard entstanden, an dem das Publikum neue Produktionen in erster Linie bewertet", sagt in anderem Zusammenhang Jan Mojto in einem interessanten dwdl.de-Interview. +++
+++ Der erwähnte Michael Hanfeld hat offenbar ein Faible für die Eifel und würdigt die gleichzeitig laufende ARD-Kriminalklamotte mit dem raffinierten Titel "Der Bulle und das Landei - Von Mäusen, Miezen und Moneten" ausführlich ("... Man fragt sich allerdings, wie sie diesen Dreh eigentlich hinbekommen haben. Denn im Film scheint stets die Sonne – in der Eifel! Dort also, wo es auch im Juli gern mal schneit. Von derlei sibirischen Verhältnissen ist hier jedoch keine Spur. Die Fachwerkhäuser von Monreal, die Ruinen der Löwen- und der Philippsburg oberhalb des Dorfes strahlen postkartenidyllisch. Warum auch nicht? ... ...") +++
+++ Kaum im Amt, setzt der neue TAZ-(Co-)Chefredakteur Andreas Rüttenauer erste Zeichen, scheint's. Gar auf der Titelseite! +++
+++ Im Tagesspiegel dann noch ein großes Interview mit Ulrich "Grimme" Spies, dem in Kürze in den Ruhestand gehenden operativen Leiter des Grimme-Instituts, der morgen noch das 50-jährige Jubiläum des Preises betreut. "Kühlt die Leidenschaft nicht irgendwann ab?", fragt Thomas Gehringer, "Die hat eigentlich ständig zugenommen...", antwortet Spies. "Eine der größten Verletzungen, die man mir in meiner Leidenschaft für den Preis zufügen konnte", sei das Streichen des "Adolf", also von Adolf Grimmes Vornamen aus dem nach ihm benannten Preis, sagt er dann noch. Je länger das Interview geht, desto skeptischer zeigt sich Spies hinsichtlich der Zukunftsaussichten des Instituts. +++
U.a. dazu wird gewiss morgen mehr an dieser Stelle stehen.