Wilder Westen Youtube

Die Hoodiejournalismus-Debatte hat fertig. Schleichwerbung auf Youtube? Die grauen Herren aus den Landesmedienanstalten könnten sich bald an Pionierleistungen versuchen. Das Verfassungsgerichtsurteil zum ZDF setzt einige Mühlen in Gang.

Eine der funkelndsten, faszinierendsten und vibrierendsten deutschen Journalismusdebatten der letzten Tage, wenn nicht gar der letzten Woche (Altpapier, Altpapier, Altpapier, Altpapier) geht glücklich zu Ende.

Wer ungefähr alles, was ungefähr jeder zum sog. #Hoodiejournalismus sagen könnte, so in Worte kleidet, dass es nun aber wirklich ausreicht, sind zwei hochrangige Journalisten der Die-Zeit-Medien. Schon mit ihren beigefügten Autorenfotos unterlaufen sie womöglich vorhandene Erwartungshaltungen geschickt: Während zeit.de-Chefredakteur Jochen Wegner auf dem bekannten Bild ausschaut, als könnte er beinahe bereits Leitartikel gedruckter Zeitungen verfassen, kommt der stellvertretende Chefredakteur der gedruckten Wochenzeitung, Bernd Ulrich, so leger rüber, als wäre ihm gerade sein Kapuzenpulli über die Ohren gezogen worden.

Ihren Beitrag zur neu "entfachten" "Print/Online-Debatte" bzw. "neuen Debatte über das Verhältnis von Print- und Onlinemedien" haben sie in die im Internet bis weit über den Überdruss hinaus beliebte, doch auch schon vor fast einem halben Jahrtausend an der Kirchentür zu Wittenberg bewährte Form der Thesen gekleidet. Zwölf sind's, in die Wegner und Ulrich Binsen, die man vielleicht schon etwas länger nicht mehr gehört hat ("Apple hat nach digitalem Lehrbuch so ziemlich alles falsch gemacht und ist genau damit erfolgreich"), und solche, ohne die Journalismuszukunftsthesen-Cocktails einfach nicht auskommen ("Journalismus, der sich als täglich frisch gedrucktes Zeitungsmuseum geriert, kann Nostalgie wecken, aber nicht überleben"), samplen und sprachlich schön mit Stabreimen ("Ein Hoch auf den Hoodie"), Endreimen ("Herumprobieren statt schwadronieren") sowie mit einfach überall angebrachten Wahrheiten ("Seien wir demütig") auch nutzwertig aufbereiten. Die Zeit wäre nicht Die Zeit, wenn sich in den Thesen nicht auch prägnant formulierte Denkanstöße verbergen würden, die womöglich, wer weiß?,  weitere Debatten anstoßen, wie etwa in These Nr. 7:

"Dabei geht es schon längst um etwas anderes: nicht darum, ob sich die Struktur von Öffentlichkeit zugunsten von Online wandelt, sondern darum, ob die Öffentlichkeit überhaupt noch eine Struktur hat – jenseits von Hysterien und Hypes und kommerziellen Strukturen wie Google. Online- wie Print-Journalisten haben ein Interesse daran, dass Diskurse erkennbar sind, dass das große Selbstgespräch der Gesellschaft funktioniert. Machen wir unsere Arbeit."

Auch das gehört zum immer nur etwas wohlfeilen Wohlfühl-Stil, den die Die-Zeit-Medien einfach in allen Schläuchen Aggregatzuständen beherrschen - nicht allein und gedruckt und online. "Diesen Artikel finden Sie als Audiodatei im Premiumbereich unter www.zeit.de/audio".

[+++] Distinktiver Schlips über sehr weißem Hemd unter brauner Weste - das ist der Stil des "Report Mainz"-Moderators Fritz Frey, der sich auch in seinen Moderationen in etwas altväterischer Art gefällt. Jetzt aber haben er und seine Sendung eine Debatte losgetreten, die über Journalistenbubbles hinausreicht. Was das ARD-Politmagazin über Schleichwerbung auf Youtube in gut sechs Minuten berichtete, referierte sogar Spiegel Online. Den Kern der Sache fasst netzpolitik.org so zusammen:

"Bei bekannten Youtube-Stars wie Y-Titty mit einer riesigen Zielgruppe unter jungen Menschen soll es verschleierte Werbung in Form von Empfehlungen geben, die nicht transparent gemacht werden. Der Fall ist insofern interessant als dass Youtube noch Wilder Westen zu sein scheint, aber Experten davon ausgehen, dass dort dieselben Regeln für Werbung gelten wie im Fernsehen. Bis das mal rechtlich geklärt ist, bleibt eine Grauzone in der viel experimentiert wird. Um die 50.000 Euro brutto verlangt Mediakraft für eine Produktplatzierung in einem Y-Titty-Clip, der an garantiert 650.000 Zuschauer ausgestrahlt wird."

Tatsächlich zeigt der SWR-Beitrag gut, wie die Jungs von Y-Titty "das Coolste an der Werbung" verstehen. Die abgefilmten, weil schriftlich gegebenen Auskünfte ihrer Rechtsabteilung bzw. der ihres Youtube-Netzwerks Mediakraft (Werbung sei "auf klare Weise" gekennzeichnet, Platzierungen würden im "gebotenen Umfang" deutlich gemacht ...) machen immerhin deutlich, wie unklar ist, wer denn was ge- oder sogar verboten hat. Die Süddeutsche, die auf ihrer gedruckten Medienseite heute einen wie durchklickbar gestalteten "Überblick über die allerbeliebtesten Kanäle" mit Produktnähe im deutschsprachigen Youtube-Angebot gibt, umreißt die Rechtslage so: "Privatpersonen dürfen in ihrer Freizeit Empfehlungen aussprechen, die Wettbewerbsgesetze greifen nur, wenn der Mensch hinter der Kamera gewerblich handelt."

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Der Experte, der bei "Report Mainz" davon ausgeht, dass seine Institution zuständig sei, ist Jürgen Brautmeier, seines Zeichens Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen und Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten. Am vergangenen Donnerstag gab es in Berlin eine Veranstaltung dieser Anstalten (bei der auch ich war), auf der Brautmeier sagte, dass es es wenig helfe, auf Schleichwerbung im Fernsehen zu achten, wenn auf Youtube schrankenlos geworden werde. Der in Gestalt der redegewaltigen rheinland-pfälzischen Staatskanzleichefin Jacqueline Kraege präsenten Medienpolitik schlug er vor, "einen medienrechtlichen Rahmen, in dem die Landesmedienanstalten auf aktuelle Fragen flexibel reagieren können", zu schaffen, weil sich die Mediennutzung ja so rasant ändere, dass der Gesetzgeber sowieso "nur hinterher laufen kann".

Valenzen hätten die vierzehn deutschen Landesmedienanstalten immerhin frei. Sehr viele andere sinnvolle Aufgaben, als halt im Privatfernsehen auf Schleichwerbung und so etwas zu achten, haben sie gerade nicht. So könnte ihnen nun wirklich eine neue Was-mit-Internet-Aufgabe übertragen werden, meint zumindest Kurt Sagatz vom Tagesspiegel:

"Im Düsseldorfer Landtag wird zurzeit über einen Regierungsentwurf debattiert, nach dem die Medienwächter bereits von diesem Sommer an über die Telemediendienste wachen sollen. Sodann könnten die Pläne der Medienanstalt für Product-Placement-Regeln in den fernsehähnlichen Internetangeboten in Angriff genommen werden. Zunächst sollen die Anbieter durch Gesprächen zu einer Kennzeichnung gebracht werden. Ist dies nicht möglich, könnten jedoch auch Beanstandungen ausgesprochen oder Ordnungswidrigkeiten festgestellt werden."

Wenn die grauen Herren aus den Medienanstalten Internet-Zuständigkeiten erhalten, während, wie meedia.de zeigt, "der jugendlichen Zielgruppe" der Youtube-Performer "das Thema Schleichwerbung herzlich egal zu sein" scheint,  dürfte ein interessanter cultural clash bevorstehen.

[+++] Und ein bisschen was muss sich an der deutschen Medienordnung, wie der von Jacqueline Kraege gern benutzte Oberbegriff lautet, nach dem jüngsten Verfassungsgerichtsurteil zum ZDF-Staatsvertrag (Altpapier gestern) ja ändern. "Das Grundsätzliche in dem höchstrichterlichen Urteil hat auch Auswirkungen auf die Rundfunkräte und Verwaltungsräte in der ARD", schreibt die SZ-Medienseite heute knapp. Claudia Tieschky hat schon mal mit Susanne Pfab gesprochen, die "das Büro, das die Gremien in der föderalen ARD miteinander vernetzt", nämlich die Geschäftsstelle der Gremienvorsitzendenkonferenz leitet. Inwieweit die vom Gericht vorgegebene Drittel-Quote für Politiker und "Staatsnahe" in den ARD-Gremien eingehalten ist (die die Klickfüchse von handelsblatt.com schon mal zum Durchklicken gestaltet haben), müsse für jede Rundfunkanstalt nach den Gesetzen der jeweiligen Bundesländer überprüft werden.

So weit, dass die fürs Privatfernsehen zuständigen Landesmedienanstalten auch mal Zuständigkeiten für das öffentlich-rechtliche Fernsehen der Landesrundfunkanstalten erhalten, wird es natürlich nicht kommen. Aber die Zusammensetzung der zuständigen Gremien wird wieder etwas mehr Diskussionsstoff bieten.

"Ein Gremiensitz ist bisher viel zu sehr ein Versorgungsposten für Altgediente. Es sind aber Menschen gefragt mit wirklichem Interesse an der Fortentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, auch, was das Digitale angeht",

fängt Tabea Rößner schon mal. Die Grünen-Medienexpertin, die im Zapp-Blog des (mit dem Urteil zufriedenen) NDR-Redakteurs Steffen Grimberg gemeinsam mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich die Haupt-Lorbeeren zugesprochen bekommt, wurde für die Berliner Zeitung nun von (der mit dem Urteil unzufriedenen) Ulrike Simon befragt. Dieses Interview ist schon wegen der subtilen Suggestivfrage, mit der es beginnt ("Sie haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts am Dienstag als wegweisend und historisch bezeichnet. Nun haben Sie eine Nacht darüber geschlafen. Sind Sie immer noch der Ansicht?"), lesenswert.


Altpapierkorb

+++ "Es gibt kein Gattungsschicksal", sagt Stephan Scherzer, enorm optimistischer Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger, im Tagesspiegel-Interview. "Erst Online, dann Print - auch so kann es funktionieren", meint er und spricht dann vom "sehr erfolgreichen Magazin", das aus chefkoch.de entstanden sei. Ja, "heute gibt es so viele Titel wie nie zuvor, mehr als 6000 Magazine. Zwar wurden 2013 rund 30 Zeitschriften eingestellt, aber mehr als 100 neu gegründet". +++

+++ "In den Vereinigten Staaten machen Zeitungen von allen Nachrichtenmedien noch immer das größte Anzeigengeschäft", auch wenn sich ihre Anzeigeneinnahmen "in den vergangenen zehn Jahren ... halbiert" hätten, hat die FAZ der neuen "State of the News Media"-Studie des Pew Research Center entnommen. +++ Ebd., also in der FAZ, geht's um Amazons "City on a Cloud Innovation Challenge", mit dem der Konzern "an die Daten der Kommunen herankommen" will. +++

+++ Im einst sog. Berliner Zeitungsviertel rund um Dutschke-, Springer- und Kochstraße wird kräftig neu gebaut: bei der TAZ (Hausblog über den "Neubau eines taz-Verlagshauses in der Friedrichstraße und der Umzug aller Mitarbeitenden in drei Jahren") wie auch bei Springer. +++

+++ Was Joachim Gauck so zum 20-jährigen Gründungsjubiläum des Deutschlandradios sagtem steht ausführlich im Tagesspiegel. +++

+++ Die meistbesprochene Fernsehsendung heute heißt "Burning Bush". Der Titel hat nichts mit US-Präsidenten zu tun. "Št?pán Hulík ..., der das Drehbuch zu besagtem Film geschrieben hat, schien ... nicht erstaunt, als er auf den Titel angesprochen wurde: Er wisse schon, sagte er, dass in der atheistischen Tschechischen Republik nur wenige Menschen mit der Geschichte von Moses vertraut seien, dem Gott in der Wüste in Gestalt eines brennenden Dornbuschs erschien", informiert Lena Bopp (FAZ), die nur eines auszusetzen hat: dass "der Film aus drei Teilen mit einer Gesamtlänge von rund 210 Minuten besteht, obwohl es zwanzig Minuten weniger genauso getan hätten". +++ "Das anfangs etwas umständlich gestrickte Handlungsmuster des Films, der gern bei den Alltagsdetails eines Telefonklingelns, eines versoffenen Beamten oder aufgeregten Studentendisputs verharrt, lässt mitunter eindrückliche Momente erkennen, wenn etwa das vor der Bahnschranke wartende Auto von Jiri umrisshaft im Spiegelbild auf der Windschutzscheibe verrät, was da gerade Dringliches vorbei transportiert wird und private Lebenswege abschneidet" (Joseph Hanimann, SZ): Sowjetische Panzer sind's. Der Film spielt um 1968 in Prag. +++ Für die TAZ sprach Rudolf Balmer mit Regisseurin Agnieszka Holland "in einem Englisch mit leicht mitteleuropäischem Akzent" "in einem Hotel in Paris", wo die Polin gerade "für einen amerikanischen TV-Sender ihre neue Miniserie 'Rosemary's Baby' nach dem bereits 1968 von Polanski verfilmten Roman von Ira Levin" inszeniert. Balmer fragte auch nach "der Krimbesetzung durch Russland". +++ Eigentlich auch interessant gewesen wäre die Produktionsgeschichte des Films, einer HBO Europe-Produktion. +++

+++ Ist das denn der Fernsehtipp hier bei evangelisch.de? Nein, das ist - Überraschung - "Alarm für Cobra 11". Als Kennerin dieser RTL-Serie, "die den Mythos der deutschen Autobahn, dieser Strecke der unbegrenzten Geschwindigkeits-Möglichkeiten, plus Action à la Hollywood in mittlerweile über 140 Länder trägt", entpuppt sich auch Ursula Scheer, die auf der FAZ-Medienseite Hauptdarsteller Erdogan Atalay vorstellt: seine Rolle des Semir Gerkhan, "das ist so etwas wie der 'Derrick' des Privatfernsehens, ein 'Derrick' auf Speed allerdings, der von Detonation zu Detonation brettert, von Crash zu Schießerei". Die Serie entwickele sich weiter, "jetzt soll die Handlung komplexer werden und mehrere Folgen überspannen." +++ Doch "die diversen Verfolgungsjagden zu Land, zu Wasser und auf einem Zug sind spektakulär wie stets, es gibt die gewohnte Menge an Totalschäden" (TPG hier nebenan). +++

+++ "Ein Überlastungsproblem war es nicht, da wir ständig System-Stresstests durchführen, die weit höhere Zugriffszahlen problemlos überstehen": Mehr konnten Sprecher der Pay-TV-Plattform Sky dwdl.de zum Bildausfall am Dienstag, ausgerechnet als Bayern München überraschend deutscher Meister wurde, noch nicht sagen. +++

+++ Und der unabhängige, weiterhin im Bestand bedrohte russische Fernsehsender TV Doschd (siehe z.B. dieses Altpapier) hat unter tvrain.ru/sos eine Online-Fundraising-Webseite gelauncht. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.