Mainzer Milchschaumkunst

Ist das ZDF-Staatsvertragsurteil aus Karlsruhe klug oder ein schlechter Witz? Geht es nicht weit genug, oder geht es zu weit? Außerdem: das „unpolitische Rumgenerde“ der Onliner, das Luftgitarrenspiel des Hoeneß-Anwalts, der Burnout eines Schweizer Praktikanten. Gute Nachrichten für Arbeitsuchende gibt es auch, denn „drei bis vier“ Jobs bei Buzzfeed in Berlin sind zu haben. Eine mindestens ebenso gute Nachricht für Handelsblatt-Fans: Ein Porträt in der Reihe „Leser stellen sich vor“ kostet nur 5.000 Euro.

„Die Regelungen zur Zusammensetzung des Fernsehrats“ und auch des Verwaltungsrats verstoßen gegen das Grundgesetz. Das ist der Kern des gestrigen Urteils des Bundesverfassungsgerichts, das wenige Kommentatoren komplett positiv bewerten. Die Unzufriedenen argumentieren allerdings sehr unterschiedlich.  

Am härtesten teilt Christian Bommarius in seinem Leitartikel für die Berliner Zeitung aus. Er spricht von einer „Kapitulation des Gerichts vor der Politik“:

„Das Bundesverfassungsgericht verlangt in seiner Entscheidung, zur Sicherung der Staatsferne den Anteil von Politikern und ‚staatsnahen Personen‘ von mehr als 40 Prozent auf ein Drittel zu reduzieren. Wie bitte? Das wäre keine Staatsferne, sondern eine leicht gelockerte Umarmung."

Da ist was dran, aber man könnte anfügen, dass in dem Urteil neben der von Bommarius erwähnten Forderung noch eine weitere Regulierung eine wichtige Rolle spielt:  Demnach soll es nicht mehr möglich sein, dass die Gruppe der formal „staatsfernen“ Personen - die Repräsentanten der „gesellschaftlich relevanten“ Bereiche - so de facto politikbetriebsnah sind wie bisher:

„Von der Bestellung als staatsferne Mitglieder sind solche Personen auszuschließen, die Mitglieder von Regierungen, Parlamentarier, politische Beamte oder Wahlbeamte in Leitungsfunktionen sind. Unter die Inkompatibilitätsregelungen müssen aber auch solche Personen fallen, die in herausgehobener Funktion für eine politische Partei Verantwortung tragen“,

heißt es in der oben verlinkten Begründung in Abschnitt 2e.

In diesem Zusammenhang muss man vielleicht noch mal daran erinnern, dass bisher 72 der 77 Fernsehratsmitglieder „zumindest indirekt von der Politik bestimmt werden“, wie Fritz Wolf in einem vor einem Jahr veröffentlichten Gutachten der Otto-Brenner-Stiftung (OBS) über das Wirken der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgremien schrieb.

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Man könnte gegen Bommarius auch mit Wolfgang Janisch argumentieren, dem Karlsruher Gerichtskorrespondenten der SZ, der für süddeutsche.de unter anderem folgenden Aspekt herausstellt:

„Die Verfassungsrichter wollen nicht nur die Kopfzahl der Politiker in den Gremien verringern. Sie wollen einen fundamentalen Kulturwandel durchsetzen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll wieder stärker zu dem werden, was er ohnehin immer sein sollte: zu einer gesamtgesellschaftlichen Veranstaltung (...) Dazu dient eine ganze Reihe flankierender Vorgaben (...) Wichtigstes Beispiel: Bisher wurden die sechzehn Vertreter der ‚gesellschaftlich relevanten Bereiche‘ letztlich von den Ministerpräsidenten ausgewählt. Karlsruhe hat dieses widersprüchliche Auswahlverfahren - der Staat bestimmt die staatsfernen Vertreter - nun kurzerhand untersagt.“

Und dennoch kann man Bommarius alles in allem Recht geben, wenn er bildmächtig grantelt, wenn nicht gar prantlt:

„Natürlich, wer es als Erfolg betrachtet, wenn ein Vier-Zentner-Mann nach mehrmonatiger Diät zwei Pfund verliert, wer dem Alkoholiker gratuliert, dem es endlich gelingt, von dem Kasten Bier, den er gewöhnlich an jedem Tage zu trinken pflegt, einmal in der Woche eine Flasche ungeleert zu lassen, der wird auch das 14. Rundfunkurteil des Bundesverfassungsgerichts als Meilenstein auf dem Weg zur verfassungsrechtlich verlangten Staatsferne des Senders beklatschen. In Wahrheit ist es fast das Gegenteil: Die Kapitulation des Gerichts vor den Begehrlichkeiten der Politik.“

Was spricht dafür, dass Bommarius Recht hat? Zum Beispiel, dass einer der Mister Wichtigs der deutschen Medienpolitik, der Staatskanzleichef Johannes Beermann aus Sachsen, das Urteil folgendermaßen bewertet:

„Die Grundarchitektur von ZDF-Fernsehrat und ZDF-Verwaltungsrat hat das Gericht bestätigt. Klug hat es dem Gesetzgeber bei der Frage der Zusammensetzung der Gremien insgesamt einen breiten Gestaltungsspielraum zugestanden.“ 

Zwar ist es üblich, Urteile, wie auch immer sie ausgefallen sind, so zu interpretieren, dass sie die eigene Position stützen. Beermanns Äußerung darf man aber als paternalistischen „Gut gemacht, Jungs!“-Zuruf interpretieren.

Sehr kritisch, aber im Ton moderater als Bommarius äußert sich Maximilian Steinbeis im Verfassungsblog:

„Warum geht man nicht gleich so weit, die ZDF-Gremien rundwegs zur staats- oder jedenfalls exekutivfreien Zone zu erklären? Das wäre die Lösung, die Richter Paulus in seinem engagierten Sondervotum fordert. Aus dessen Sicht ist das Gebot des Grundgesetzes, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk von staatlicher Machtausübung zu entkoppeln, solange nicht genüge getan, als die exekutivische Staatsgewalt überhaupt noch maßgeblich etwas mitzureden hat in den ZDF-Gremien.“

Der Tagesspiegel würdigt das erwähnte Sondervotum von Andreas Paulus ausführlich:

„Das Gericht formuliert lediglich die Forderung nach einer ‚hinreichenden‘ Staatsferne (...) Paulus sieht darin eine Relativierung, denn 2008 habe sich Karlsruhe deutlich positioniert (...) Das gegenwärtige Geschacher wird bleiben, fürchtet der Kritiker jetzt (...) Das Urteil sei ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, allerdings bleibe ‚das Versprechen eines staatsfernen Rundfunks und Fernsehens auch nach der nunmehr 14. Rundfunkentscheidung des Bundesverfassungsgerichts unerfüllt.‘“

Apropos „Geschacher“: Man darf wohl davon ausgehen, dass bei den großen Parteien längst B-Pläne dafür in den Schubladen liegen, wie der „breite Gestaltungsspielraum“ (Jo Beermann) künftig zu nutzen ist, denn die Tendenz des Urteils hatte sich ja bei der mündlichen Verhandlung im November abgezeichnet.

Thomas Stadler (Internet-Law) betont einen anderen Aspekt:

„In seiner Entscheidung betont das Gericht (...)  erneut den Programmauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der auch durch die Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien und neuer Medienmärkte nicht überholt sei. Es wird sehr deutlich, dass das BVerfG keinen Grund dafür sieht, das Betätigungsfeld des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, gerade auch mit Blick auf die Entwicklung des Internets, in irgendeiner Form einschränkend zu interpretieren.“

Reinhard Müller hat auf der Titelseite der FAZ verschiedene Dinge zu bemängeln:

„(Die) Praxis der ‚Freundeskreise‘ mit ihrer ‚Farbenlehre‘ (zeigt) eine gewisse Versteinerung, zugleich aber eben auch eine zulässige Form der Selbstorganisation. Bräsigkeit und selbstverordnete Unmündigkeit sind noch keine Verfassungsverstöße. Karlsruhe betont hier wieder den angeblich weiten Spielraum des Gesetzgebers, um dann doch recht präzise Vorgaben am Maßstab der gerichtseigenen ‚realtitätsgerechten Betrachtung‘ zu machen.“

Das führt Müller dann zu genau der Grundsatzkritik des Verhältnisses zwischen Verfassungsgericht und Öffentlich-Rechtlichen, die man von einem markenbewussten FAZ-Mann erwarten darf:

„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in seiner jetzigen expansiven Form ist auch eine Schöpfung des Bundesverfassungsgerichts. Da eine Einigung aller Ministerpräsidenten auf durchgreifende Reformen als ausgeschlossen gelten kann, und die Karlsruher Richter aus dem schlanken Grundrecht der Rundfunkfreiheit einen Moloch mit Bestands- und Entwicklungsgarantie geschaffen haben, liegt es nicht fern, dass die Schöpfer selbst gelegentlich mäßigend eingreifen. Sie tun es auch wirklich nur mäßig.“

Einen Baseball-Schläger hat Müller, wenig überraschend, auch zur Hand:

„(D)er rührende Versuch, die Rundfunkgremien staatsfern zu halten, ändert ja nichts daran, dass etwa die Sender öffentlich-rechtliche Zeitungen im Internet machen, losgelöst von Sendungen und finanziert mit einer alle Haushalte treffenden Abgabe. Auch darüber wird Karlsruhe noch zu befinden haben.“

Der große Kommentar bei der direkten Konkurrenz fällt dagegen wohlwollend aus. Medienredakteurin Claudia Tieschky meint auf Seite 4:

„Die Richter schränken staatliche Macht klar ein, gehen aber nicht so weit, den Rundfunk vor jedem Konflikt mit parteipolitischen Interessen vorsorglich zu schützen. Auch deshalb ist es ein kluges Urteil. Das Verfassungsgericht erkennt damit auch an, dass Parteien immer noch eine wichtige gesellschaftliche Rolle spielen und darum - in Maßen - auch die Gesellschaft in den Gremien repräsentieren. Es ist ein Urteil, das keine Ordnung stürzt, sondern Ordnung herstellt.“

Die strengste formale Kritik übt Prof. Dr. jur. habil. Dr. rer. pol. Volker Boehme-Neßler, der für Legal Triune Online in die Tasten gehauen hat:

„(...) Das Urteil ist (...) hochproblematisch, denn das BVerfG überschreitet darin die eigenen Kompetenzen. Seine Aufgabe wäre es gewesen, die Verfassungswidrigkeit des ZDF-Staatsvertrags zu prüfen. Stattdessen macht es der Rundfunkpolitik konkrete Vorgaben, wie der nächste Staatsvertrag inhaltlich aussehen muss. Solche Entscheidungen treffen in der Demokratie aber die Parlamente, nicht die Gerichte. Eine gewisse justizielle Zurückhaltung ist eine wichtige Tugend, gerade für ein Verfassungsgericht. Sonst riskiert es seine Akzeptanz und langfristig auch seinen Einfluss.“

Ob sich die Veränderungen in der Besetzung der Gremien in einer anderen Politikberichterstattung niederschlagen, ob also der Zuschauer profitiert von der BVerfG-Entscheidung, steht noch mal auf einem ganz anderen Blatt. Teilweise in diese Richtung argumentiert Christian Rath im taz-Kommentar:

„Politiker werden nur dann auf eine Instrumentalisierung des Rundfunks verzichten, wenn sie damit rechnen müssen, dass so etwas bekannt wird und es ihren Umfragewerten massiv schadet. Das Verfassungsgericht kann dies nicht anordnen. Sein ZDF-Urteil trägt aber zumindest atmosphärisch dazu bei. Insofern ist es immerhin ein nützliches Urteil.“

Und was sagt der Mann, dessen Abservierung als Chefredakteur die Klagen gegen den Staatsvertrag überhaupt erst ausgelöst hat?

„Ich glaube, die Auseinandersetzungen um meinen Fall haben sich gelohnt",

freut sich Nikolaus Brender (laut dpa/Die Welt). Um jetzt mal die Fußballsprache zu bemühen: In gewisser Hinsicht hat Brender in der Nachspielzeit dank eines Treffers der Verfassunsgsrichter noch ein Unentschieden erreicht.

Weitere Einschätzungen im Schnelldurchlauf: Peter Hauk, der Chef der CDU-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg, ist nach Lektüre des Urteils in Sachen ZDF zu dem Schluss gekommen, dass auch „der vorläufig von Grün-Rot verabschiedete Staatsvertrag verfassungswidrig“ sei (dpa/Die Welt again). Michael Hanfeld meint, Tabea Rößners Bewertung, das Urteil sei „historisch“, sei „reichlich übertrieben“; es sei vielmehr „mickrig“ (FAZ-Medienseite). Und was Helge Rossen-Stadtfeld sagt, Medienrechtler an der Bundeswehruniversität München, kann man bei Radio Bremen hören.

Nicht verkehrt wäre es natürlich, wenn durch das Urteil noch mal eine Diskussion über jene generellen Mängel der Rundfunkkontrolle in Gang käme, die nicht Gegenstand des Verfahrens waren. Zum Beispiel über die Absurdität, dass die Gremien organisatorisch Teil des Systems sind, das sie kontrollieren - anders als bei den privaten Sendern, bei denen für die Aufsicht die Landesmedienanstalten, also externe Institutionen, zuständig sind (siehe dazu noch einmal die oben erwähnte OBS-Studie).

[+++] Um mal zu den Inhalten des ZDF zu kommen: Mittlerweile online steht das hier gestern schon zitierte Thomas-Bellut-Interview mit dem Handelsblatt (zu Jugendkanal, Champions League und irgendwas mit Samstagabend). Eine Plattform aus dem Verwandtschaftskreis der Zeitung hat es zugänglich gemacht. Eine besonders aussagekräftige Passage findet sich in der Beschreibung der Interviewsituation:

„Der einzige Luxus, den sich der 59-Jährige (...) zum Gespräch über die vielen Baustellen seines Senders gönnt: Ins Milchhäubchen auf dem Cappuccino hat Belluts Assistentin die Initialen ‚ZDF‘ gezaubert.“

Das wirft natürlich viele Fragen auf: Intendanten, was wärt ihr ohne eure Assistentinnen? Werden die Initialen nur dann herbeigezaubert, wenn die Hartfrager vom Handelsblatt den Lerchenberg erklimmen, oder genießt Bellut den Blick auf das liebliche Milchschaumkunstwerk auch dann, wenn er sein Heißgetränk unbeobachtet zu sich nimmt? Können die Assistentinnen anderer ZDF-Führungskräfte auch so gut „zaubern“?

[+++] Völlig außer Acht lassen wollen wir auch heute nicht den Themenkomplex Hoodiejournalismus bzw. die gerade mal wieder entflammte Debatte darüber, was Onlinejournalisten von anderen Journalisten unterscheidet (siehe unter anderem Altpapier von Montag und Dienstag). Worüber eigentlich geredet werden müsste, hat Andrej Reisin für publikative.org aufgeschrieben:

„Meine kleine Privat-Wette an dieser Stelle: Nahezu jeder ‚Online-Job‘ im Journalismus, egal, ob bei sueddeutsche.de oder bei taz.de, beim ‚Online-Auftritt‘ einer Fernsehsendung oder eines Radiosenders besteht zu einem gewissen Teil, meist jedoch zu einem Großteil daraus, die Inhalte anderer Leute zu ‚produzieren‘. Wenn aber zwei Drittel aller ‚Onliner‘ zu zwei Dritteln ihrer Zeit ‚Webseiten bauen‘, auf die sie die Artikel, Beiträge, Filme anderer Leute ‚einpflegen‘ und mit Bildern, Links, Hintergrundinfos, Agenturmaterial, Audios und Gott weiß was anreichern, dann hat das mit Journalismus so viel zu tun wie die Schlussredaktion einer klassischen Zeitung oder Zeitschrift.“

Und damit nicht genug:

„Die wichtigen Inhalte, die großen Stories werden (...) nach wie vor von Journalisten geschrieben, gedreht und erzählt, die nicht vornehmlich als ‚Onliner‘ wahrgenommen werden, was natürlich auch mit den Möglichkeiten Geld zu verdienen zu tun hat. Häufig genug müssen sich “Onliner” damit begnügen (und schlimmstenfalls gefallen sie auch noch darin), einen besonders ‚witzigen‘ oder ‚originellen‘ Zugang zu bereits existierenden Themen oder politischen Auseinandersetzungen zu finden, um mit etwas ‚Eigenem‘ zu reüssieren. Dieses ‚Eigene‘ aber ist häufig eben nur unpolitisches, irrelevantes Rumgenerde. Ein Augenzwinkern für Eingeweihte, eine Nachricht auf den Kreativ-Klowänden des Internets: ‚Guck mal, ich habe eine interaktive Karte gebastelt, mit allen vermissten Flugzeugen in der Geschichte der zivilen Luftfahrt.‘ Lob vom Chef, Applaus auf Twitter, danke, husch, husch ins Körbchen.“

Jürgen Kalwa findet Reisins von Vocer republizierten Text zwar gut, kann das Verhalten der von letzterem gebashten Hoodie-Selfieproduzenten aber nachvolllziehen, wie er bei Carta schreibt:

„Es ist ein Reflex, der (...) ganz gut die Gefühlslage einer frustrierten Medienarbeiter-Generation widerspiegelt, die prekär ist und mit jedem Tag schlechter wird. Und die natürlich noch verstärkt wird, wenn sie erkennen muss, dass ihnen die etablierten Kollegen keine vernünftige Karriereperspektive gönnen nach all dem Ackern in einem Milieu rapide sinkender Profitabilität. Klar. Da fühlt man sich auf den Schlips getreten. Auch wenn man keinen hat. Oder nicht mehr trägt.“

Wobei immer noch die Frage bleibt, was die, die prekär dran sind, dazu treibt, sich Sorgen zu machen um einen Chefredakteur, dem ein paar Würden- und Bedenkenträger vielleicht einen weiteren Aufstieg vermasseln. Oder wie es gestern an dieser Stelle hieß: „Whatever happened to Klassenbewusstsein: Solidarität brauchen doch vor allem jene, die schwächer sind als man selbst.“


ALTPAPIERKORB

+++ Hiesige Medien greifen gerade einen instruktiven Bericht des Schweizer Wirtschaftsmagazins Bilanz in Sachen Hoeneß auf. Bei welt.de ist eine gekürzte Fassung zu finden, die in gewisser Hinsicht auch Vorabwerbung in eigener Sache ist, weil eine deutsche Version der Schweizer Monatszeitschrift ja bald der Welt beiliegen soll. Die FAZ greift den Bilanz-Text ebenfalls auf - und zitiert einen „bekannten Wirtschaftsanwalt“, der mit einem fulminanten, wenn auch möglicherweise nicht hundertprozentig stimmigen Bild den sehr defensiven Auftritt von Hoeneß‘ Anwalt während des Prozesses beschreibt: „Sein Verteidiger Hanns Feigen hat sozusagen Luftgitarre gespielt in einem Orchester mit dem Staatsanwalt vor einem Dirigenten ohne Taktstock.“

+++ Über das Stichwort Hoeneß gelangen wir relativ mühelos zum ARD-Film „Die Fahnderin“, in dem eine ebensolche einen Steurersünder zur Strecke bringt. Der „spannende Wirtschaftskrimi“ spiele aber „vor allem auf den Fall Zumwinkel“ an, meint Thomas Gehringer (Tagesspiegel). „Acht Jahre sind seit dem Kauf der ersten CD mit Bankdaten deutscher Steuerbetrüger vergangen, jetzt gibt es endlich die erste fiktionale Auseinandersetzung mit dem gesellschaftspolitisch brisanten Thema“, frohlockt tittelbach.tv. Das Problem besteht für Oliver Jungen (FAZ, Seite 13) aber nicht zuletzt darin, dass der Film so wirkt, als sei er vor allem produziert worden, um Reaktionen wie die von Grandmaster Tittel hervorzurufen. Jungen spricht jedenfalls von einem „ärgerlichen Stück Zweckfiktion“ und rät dringend davon ab, sich den Film anzuschauen, obwohl Katja Riemann in der Hauptrolle „nicht mal schlecht“ performt: „Was die Dialoge besonders hölzern wirken lässt, ist eine Lieblingsangewohnheit des Pädagogikfernsehens: Viele Sätze sind eigentlich an das Publikum gerichtet und sollen Hintergrund vermitteln.“ Und nicht zuletzt: „Das Design ist braunstichig in die sechziger Jahre verrückt, und besonders irre sind die Kostüme. Diese völlig sinnlose Retro-Ästhetik ist gerade wegen ihrer Sinnlosigkeit das einzig Charmante.“

+++ Mehr ARD-Fiction: Ambros Waibel (taz) findet bei der neuen Vorabendkrimiserie „Monaco 110“ viele Gründe zum Mosern. Aber: „Das Bairisch der Darsteller klingt nie so forciert wie in der grausigen Daily-Bayern-Soap ‚Dahoam is dahoam‘, die seit Jahren mit nicht zu erklärendem Erfolg im BR läuft; und ja, die Sprache ist sogar natürlicher als in Franz Xaver Bogners ‚München 7‘.“

+++ Medienpolitik jenseits von Karlsruhe: Wie der Bayerische Verfassungsgerichtshof die Klage des Juristen Ermano Geuer gegen den Rundfunkbeitrag einschätzt, ist noch völlig unklar („Wer gehofft hatte, das Gericht würde schon am Dienstag eine Tendenz erkennen lassen, wurde enttäuscht“, schreibt die möglicherweise enttäuschte Karoline Meta Beisel auf der SZ-Medienseite). Und Zeit Online informiert über die Kritik an einem neuem Entwurf des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags.

+++ Kriegslistig wie immer, wenn jemand ein paar Krümel vom Hamburger Zeitungsmarkt abhaben will, den gewissermaßen qua Naturrecht der Springer-Verlag beherrscht, reagiert nun eben dieser auf das Vorhaben der Wochenzeitung Die Zeit, am 3. April mit einer Hamburg-Beilage an den Start zu gehen (taz Nord).

+++ Zumindest den letzten Absatz dieses Beitrags, der bei der hier eher selten zitierten Plattform Lead Digital erschienen ist, verdient es gelesen zu werden. Es geht um ein Phänomen, für das unter anderem der Euphemismus Native Advertising in Umlauf ist: „Das Handelsblatt zeigt an sehr prominenter Stelle auf seiner Seite drei die Rubrik ‚Leser stellen sich vor‘. Der Name ist Programm und nirgendwo das Wörtchen Anzeige zu entdecken. Wussten Sie, dass man sich für 5000 Euro in diese Rubrik einkaufen kann? Ein offizielles Angebot für dieses nicht als solches gekennzeichnete Sponsored Porträt liegt mir vor.“

+++ Über die geplante Expansion von Buzzfeed - sowohl im Sinne von Markterweiterung als auch im Sinne von mehr Journalismus - schreibt Sabine Sasse in der FAZ. Nach „drei bis vier deutschen Mitarbeitern, die noch in diesem Jahr von Berlin aus die erste deutsche Version von Buzzfeed starten sollen“ wird derzeit gefahndet. Um den Buzzfeed-Hype geht es auch im torial Blog.

+++ Um die Ankündigung mehrerer Schweizer Tageszeitungen, die Online-Kommentarspalten künftig zu schließen, geht es bei watson.ch. Dort sagt Marco Boselli, der Chefredakteur des Schweizer Gratisblatts 20 Minuten: „Unser letzter Kommentar-Praktikant erlitt auf Grund der Zustände in den Talkbacks gar ein Burnout. Wir haben die Pflicht, unsere Mitarbeiter vor solch unmenschlichen Zuständen zu schützen.“

Neues Altpapier gibt es wieder am Donnerstag.