Grusel, Schock, Streuselkuchen

Die Gebührenzahler und die Jugend blicken gebannt nach Berlin: was für ein spannender Tag für unsere Rundfunk-/ Medienpolitik! Außerdem: Eine Karriere ohne Höhepunkt endet.

So spannend wie an diesem Donnerstag war es schon lange nicht mehr in der deutschen Medienpolitik. Deren Entscheidungsträger, die Ministerpräsidenten der Bundesländer, entschieden heute nicht allein über die Frage, ob den Bürgerinnen und Bürgern ab 2015 neue "Semmelpfennige" (so Friedrich Schoch in der noch aktuellen epd medien-Ausgabe), deren Wert sich im Lauf eines Jahres auf den Gegenwert eines Beutels oder sogar mehrerer Beutel Hornspäne (Altpapier) addieren könnten, zugute kommen. Also über die Frage, um wieviele Cent der monatliche Rundfunkbeitrag gesenkt werden soll, um 73 oder doch bloß 48.

Die Ministerpräsidenten entscheiden überdies auch noch über den gemeinsamen Jugendkanal von ARD und ZDF, auf den unsere Jugend schon gespannt wartet. Wobei einiges dafür spricht, dass diese Entscheidung in einer Vertagung dieser Entscheidung bestehen könnte.

"Man kann es auch so sagen: Die Rundfunkpolitik ist tot. Was in Berlin aufgeführt wird, ist eine Dreißiggroschen-Oper mit lauter Hauptdarstellern. Wenn es aber nicht zufällig um Geld geht, beweisen die Länderchefs in Rundfunkdingen ein sagenhaftes Desinteresse",

schreibt im recht wütenden Leitartikel der Süddeutschen (S. 4) Claudia Tieschky. Eine kleine Schwäche des Artikels liegt darin, dass er zwischen den Begriffen Rundfunk- und Medienpolitik hin- und herspringt. Rundfunkpolitik gefiele den Politikern wahrscheinlich besser, weil der Begriff mitschwingen lässt, dass weiterhin rund um hohe Türme herum gefunkt wird. In der Sache hat Tieschky völlig Recht, wenn sie "die Welt der Rundfunkgesetze gruselig gestrig" nennt und beklagt, dass das Medienkonzentrationsrecht "aus der Frühglobalisierung" stammt:

"Vor allem aber sieht die gesamte deutsche Medienordnung aus wie aus einer Zeit, in der das Internet gerade erst erfunden wurde. Sie regelt eine kleine Welt, die es so nicht mehr gibt."

Wo deutsche Rundfunk-/ Medienpolitik am ehesten gemacht bzw. das Nichtmachen verwaltet wird, zeigt das Anschreiben an die Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, das die Power-Enthüller von newsroom.de als PDF präsentieren: in der Peter-Altmeier-Allee 1 in 55116 Mainz. Die ist nicht nach dem beinahe gleichnamigen Ex-Power-Twitterer benannt, sondern nach dem ersten Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz, an dessen hübschen (Foto) Regierungsgebäuden sie entlang führt. Dort also sitzt Malu Dreyer, die als amtierende Ministerpräsidentin und Nachfolgerin des relativen Rundfunk-/ Medienpolitikers Kurt Beck die genannte Kommission leitet.

Was newsroom.de, auch noch als 25-seitiges PDF mit 19 Seiten Erläuterungen präsentiert, sind Papiere zum geplanten ARDZDF-Jugendsender (aus denen epd medien schon vor einem Monat zitierte), die heftige Wirkungen gehabt haben sollen:

"Die Ministerpräsidenten waren nach Newsroom.de-Informationen regelrecht geschockt, als sie die dürftigen und konzeptionsschwachen Papiere für einen Jugendkanal zur Kenntnis nehmen mussten, so ein Newsroom.de-Gesprächspartner."

Bülend Ürük hat die Inhalte mit dem Zielgruppenforschungs-Wissenschaftler Thomas Wind durchgesprochen ("Erneut begehen ARD und ZDF den Fehler, aus den 14- bis 29-Jährigen eine homogene Zielgruppe zu konstruieren, als gemeinsamer Nenner wird das Etikett 'Digital Natives' genutzt und zudem konstatiert, dass den 14- bis 29-Jährigen die 'Suche nach Orientierung und ihrem Platz in der Gesellschaft' gemeinsam sei") und schreibt in kräftigen Worten vom "Dilettantismus der Konzeptschreiber des SWR" und "bislang größten konzeptionellen Desaster", das ARD und ZDF heute erleben dürften.

Eine andere Baustelle der Rundfunk-/ Medienpolitik, ebenfalls im Südwesten, beschreibt ebenfalls mit wütender Verve der Kabarettist Matthias Deutschmann bei Carta.

"Das SWR Sinfonie Orchester ist seit seiner Gründung am 1. Februar 1946 ein herausragender Botschafter der Kulturnation Deutschland. Man stelle sich vor: Zu einer Zeit, als in Nürnberg Nazi-Kriegsverbrecher aufgehängt wurden, spielte man in Baden-Baden auf Betreiben Frankreichs schon wieder Strawinsky. Dieses Orchester steht für die Rekultivierung Deutschlands",

erläutert er den Kern seines rants. Denn die Abschaffung dieses Orchesters ist trotz vieler Proteste so gut wie beschlossen. Wenn Deutschmann die Mehreinnahmen von ARD und ZDF, über die heute die Ministerpräsidenten bestimmen, mit dem "selbsterdachten" Finanzloch des SWR gegenrechnet, geschieht diese Rechnung natürlich ohne die schwäbische Hausfrau. Schließlich achtet die auch von ihm zititerte Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) genau darauf, dass Mehreinnahmen eben nicht von den Sendern verwendet werden. Wenn Deutschmann aber die Sparquoten für die Orchester ("giftige ... 25 Prozent") mit der des Hörfunksenders SWR3, "längst so etwas wie ein Privatsender mit öffentlich-rechtlicher Schutzhülle" (ein Prozent) vergleicht und daraus die Gleichung "Löst das SWR Sinfonieorchester auf, dann gibt es mehr Geld für Katzenberger & Co" ableitet, macht er dennoch Punkte.

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ARD/ZDF-Konzepte, junges Publikum zu gewinnen, basieren weiterhin weitgehend darauf, mit Rundfunkgebühren Privatfernseh-Celebrities einzukaufen. Wenn sie aus der Radiowerbung der öffentlich-rechtlichen Verkehrsmeldungssender auch dem älteren Publikum schon bekannt sind, umso besser.

Im schon eingangs erwähnten epd medien-Artikel, der die "etwas trostlose Lage der deutschen Medienpolitik" und die Nischendiskussionen der vergangenen Wochen gut zusammenfasst, ruft Friedrich Schoch in Erinnerung:

"Das Bundesverfassungsgericht hat zum klassischen Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks immer wieder auf dessen besondere kulturelle Verantwortung hingewiesen. Zugleich hat das Gericht vor einer 'Erosion der Identifizierbarkeit öffentlich-rechtlicher Programme' gewarnt. Im Verantwortungsbereich des SWR kann beobachtet werden, wie der Kulturauftrag klein geschrieben wird. Es ist offenbar in Vergessenheit geraten, dass eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt - so das Bundesverfassungsgericht - ungeachtet ihrer Programmautonomie 'Subjekt der mittelbaren Staatsverwaltung' ist. Der Bundesgerichtshof hat 2011 (in einem Strafverfahren gegen den ehemaligen Leiter der Sportredaktion des HR) nachdrücklich betont, dass die Rundfunkanstalten an der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe mitzuwirken haben. Dies ist der Ansatzpunkt für die Medienpolitik. Die Programmautonomie der Anstalten ist kein Freibrief zur Beliebigkeit. Im Gegenteil, das Bundesverfassungsgericht hält 'gesetzliche Programmbegrenzungen' ausdrücklich für zulässig."

Doch der Rundfunk-/ Medienpolitik attestiert auch er "ein gewisses Desinteresse an der Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks". Und:

"Ein Resultat des fehlenden Gestaltungswillens ist, dass die Medienpolitik in den Sendern nicht mehr ganz ernst genommen wird."

Dass die Rundfunkgremien, auf die sich die Senderchefs stets gern berufen, viel Anlass geben, sie ernst zu nehmen, lässt sich auch nicht behaupten. "Eine kulturpolitisch blinde Runde von Spesenrittern mit Streuselkuchen im Kopf, die destruktiven Pläne des Intendanten brav abgenickt haben", nennt Deutschmann sie. Insofern auch kein Wunder, wenn Sender Politikern dünne Konzepte aufschreiben, die diese nicht groß interessieren, außer wenn sie sie kurz vor der Sitzung durchlesen. Grundsätzlich warten sie sowieso ab, wie Bundesgerichte in jahrelangen Verfahren entscheiden werden.

Wie noch am ehesten Entwicklungen in der Rundfunk-/ Medienpolitik entstehen: indem einflussreiche Lobbys zur richtigen Zeit Wortmeldungen platzieren. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags hat es irgendwie bloß in die Neue Osnabrücker Zeitung geschafft (wohl nicht frei online, TAZ-Meldung). Tobias Schmid vom VPRT, dem Verband der werbefinanzierten Privatsender, ist für eine Gebührensenkung von etwa einem halben Euro und für einen "Einstieg in den Ausstieg" aus der Werbung bei öffentlich-rechtlichen (Tagesspiegel-Interview), zumal er die Mehreinnahmen durch die neue Rundfunkbeiträge für höher hält als von der KEF errechnet:

"Eine innere Stimme sagt mir, dass es nicht bei den 1,14 Milliarden Überschuss bleiben wird – aber Rechnen war ja noch nie die Stärke des anderen Systemteils."

Wobei diese innere Stimme gut harmoniert mit der äußeren Stimme der Unternehmen Rossmann und Sixt, die gegen den Rundfunkbeitrag klagen und gerade ein Gutachten veröffentlichten, das auf 3,2 Milliarden Euro kommt (FAZ neulich, inzwischen frei online).

Gegenläufige Lobbyarbeit läuft natürlich auch. Gleich "sechs Branchenverbände von Gewicht" (kress.de), etwa die Produzentenallianz, fordern, mit dem noch zur Disposition stehenden Geld teilweise "die Qualität des Programms einen großen Schritt nach vorne zu bringen".

Das ist angesichts der Ausgangslage, also des hohen Niveaus, auf dem gejammert wird, so dreist, dass es sogar den eigentlich sehr Öffentlich-Rechtlichen-freundlichen Stefan Niggemeier erzürnt, der stattdessen sämtliche Semmelpfennige für die Gebührenzahler fordert:

"Mögen die 73 Cent auch läppisch wirken: Die Reduzierung wäre ein klares Zeichen und eine vertrauensbildende Maßnahme. Und die Kreativen müssen das Geld, das sie brauchen, um bessere oder wenigstens besser bezahlte Arbeit zu machen, aus dem bestehenden Etat heraus verhandeln. Hilft alles nix."

Qualitätsoffensiven könnten ARD und ZDF ohne Weiteres auch starten, indem sie ein wenig weniger neue Krimis und Schmonzetten pro Jahr herstellen und die, die sie herstellen, stattdessen ein bisschen besser ausstatten. Genug Dokumentarfilme u.ä., die die frei werdenden Sendeplätze füllen könnten, laufen ja auf den späten Sendeplätzen.


Altpapierkorb

+++ "Rente mit 56, ein sozialdemokratischer Traum": Den besten Harald-Schmidt-Show-Nachruf heute verfasste Felix Dachsel, der einst aufs gleiche "schwäbische Gymnasium nahe Stuttgart" wie der Meister ging, für die TAZ: "Damit endet eine Karriere ohne Höhepunkte: Schmidt war immer gleich gut". +++ "Es gab klügere Leute im deutschen Fernsehen und musikalischere, gemeinere und auch lustigere, aber bei keinem waren diese Halb- und Dreiviertel-Begabungen so wunderbar austariert wie bei Schmidt, der mit seinem Geist genauso rücksichtslos prahlte wie mit seinen Unzulänglichkeiten" (Cornelius Pollmer, SZ). +++ Oliver Jungen war für die FAZ noch mal im Köln-Mülheimer Studio, sein Text wirkt leicht überkandidelt ("Und mit aller gebotenen Subjektivität rufen wir schneidig in die Runde: Antreten zum Zapfenstreich!"). +++

+++ Detlef Esslinger erklärt auf der SZ-Medienseite, um was es bei den "Streiks von Redakteuren und Druckern" geht, die die SZ teilweise treffen: "Verdi fordert derzeit in vielen Branchen eine Gehaltserhöhung um exakt diesen Prozentsatz", 5,5 Prozent, "unabhängig von der jeweiligen Konjunktur. Die Gewerkschaft nimmt sich dabei die IGBergbau, Chemie, Energie (IGBCE) zum Maßstab, die 5,5 Prozent gefordert und 3,7 Prozent durchgesetzt hatte. Aber der Chemie geht es gut bis sehr gut. In der Druckindustrie ist die Stimmung von Insolvenzen, Umsatzrückgängen und Personalabbau geprägt." Und: "Grob gesagt halten die Zeitungsverleger ihre Journalisten für betriebswirtschaftliche Ignoranten, die sinkende Vertriebs- und Anzeigenerlöse wegdiskutieren wollen - und die Journalisten ihre Arbeitgeber für Geheimniskrämer, die auch in den goldenen Zeiten des Gewerbes schon geizig waren und nun auch noch die silbernen schlechtreden wollen." +++

+++ Stefan Fischer erklärt ebd. ein weiteres rundfunkpolitisches Problem: "DAB+ ist der allseits gewünschte Versuch, den deutschen Radioempfang zu digitalisieren". Doch "hinter vorgehaltener Hand berichten ... viele Entscheidungsträger in den Sendern, wie schwierig es dessen ungeachtet sei, Politiker zu interessieren für das Infrastruktur-Projekt." +++

+++ Bei den sog. "Heimatzeitungen" der Madsack-Verlagsgruppe sind 25 Stellen, rund 50 Prozent, in Gefahr (kress.de). +++ 

+++ Auch in Israel ist der Printmarkt "angespannt": Die Tageszeitung Ma’ariv erscheint nicht mehr, der Haaretz-Gruppe, an der Du Mont Schauberg beteiligt ist, geht es ebenfalls nicht gut, berichtet Lissy Kaufmann im Tagesspiegel. +++

+++ Was sagt Wegner? Ein Interview mit Jochen Wegner zur merkwürdigen Moritz-Gathmann-Kündigung bei zeit.de (Altpapier vorgestern, gestern) hat meedia.de "schriftlich geführt". +++ Den relativ ausführlichsten Artikel heute zur "Feinde des Internets"-Liste der Reporter ohne Grenzen hat der Tagesspiegel. +++ Der Zukunft der De:Bug (siehe ebenfalls Altpapier gestern) widmet sich die TAZ. +++

+++ "Wie die russischen Staatsmedien während der Paralympics behinderte Sportler als Superhelden glorifizieren", darunter im Tschetschenienkrieg verletzte Soldaten, berichtet Ronny Blaschke in der Berliner Zeitung. +++ Die neue TV-Produktion des gerade Oscar-prämierten "Gravity"-Regisseur Alfonso Cuarón, "Believe" (NBC), hat Nina Rehfeld für die FAZ-Medienseite angesehen: "Die Pilotfolge der Serie war alles andere als preisverdächtig, wenn man über die fesselnden ersten zwei Minuten einmal hinausschaut." +++

+++ Das Deutsche Fernsehballett hat "volle Auftragsbücher", obwohl es nicht mehr aus dem Rundfunkbeitrag finanziert wird (Tsp.). +++

+++ "Was geht vor beim Magazin Stern?", fragt Wolfgang Michal bei Carta freundlich, schließlich freuen sich Leute von der Illustrierten immer, wenn man "Magazin" sagt. Anlass: die Uli-Hoeneß-Story, mit der der Stern "so defensiv" umging. +++ Und hat die neue Blattstruktur der FAZ damit zu tun, dass es mit der "Seligkeit eines kulturbeflissenen, gleichsam industriell hinterlegten Edeljournalismus" "vorbei" ist? Das meint Hans F. Bellstedt ebenfalls bei Carta. +++

+++ "Die Musik? Nicht gerade Led Zeppelin. Und der Titel des ersten Albums könnte auch entschlossener sein: 'Bei allem sowieso vielleicht'. Es erscheint diesen Freitag. Muss Beckmann jetzt auch noch Musik machen? Absolut." Gleich hinterm Politik-Buch das FAZ-Feuilleton auf macht ein popliterarisches Edo-Reents-Stück über das neue (Musik!-)Album von Reinhold Beckmann. +++ Der sich heute abend aber erst mal wieder der Aufgabe widmet, Überdruss am öffentlich-rechtlichen System zu erzeugen, und im unmitelbaren Anschluss an Maybrit Illners Uli-Hoeneß-Talkshow durch eine Uli-Hoeneß-Talkshow führen wird.

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.