Immer diese Ökonomie

Außer natürlich in der Digital-Berichterstattung ... Vermarktungsdilemmata im Netz. Youtube-Konkurrenz. Sterbende Zeitschriftenmärkte. Ein schwarzer Tag für die ganze Printbranche vielleicht sogar. Einschaltquoten des Wulff-Filmfilms und allgemeiner. Talkshowminutenpreise im Vergleich. Uneinholbarer Startvorteil für ARD und ZDF. Immerhin droht nicht unmittelbar Meinungskartell-Gefahr.

Gleich zwei neue Artikel aus der großen Sphäre des Ungedruckten kreisen um denselben wunden Punkt.

"Geht es um Digitalisierung und Vernetzung, wird in Deutschland gerne über jeden Wimpernschlag gesprochen, der im Silicon Valley zu verorten ist. Wann kommt die iWatch von Apple, welchen Big Deal plant Mark Zuckerberg als nächstes, warum ist Threema das bessere Whatsapp und welcher geklonte US-Dienst wird vollmundig von einem x-beliebigen Berliner Startup vorgestellt?",

klagt Gunnar Sohn bei Carta.

Dabei, ergänzt Martin Weigert bei netzwertig.com, gehören

"die Firmen, die einst, frisch aus den Garagen gekrochen, unsere Fantasie anregten, ... heute zum milliardenschweren Establishment. Ihre Visionen sind nicht verschwunden. Doch ihre Macht, die Zwänge der Wirtschaft sowie die Bedürfnisse von Geldgebern und Aktionären erfordern es von ihnen, ohne Rücksicht auf Ideale zu agieren. Nicht Bosheit treibt sie an, sondern das System. Es herrscht purer Pragmatismus"

bei diesen Firmen, wenn sie mit Geheimdiensten kooperieren, Datenschutz oder Netzneutralität aushöhlen o.ä..

Bloß bei vielen deutschen Berichterstattern herrscht weniger Pragmatismus. Es wäre womöglich unfair, zu unterstellen, dass einige halbbewusst den unfassbaren Richard-Gutjahr-Fame erträumen. Aber Weigert denkt den generationellen Aspekt mit. Vor zehn Jahren musste eben, insbesondere im Medienbereich, oft noch grundsätzlich erklärt werden, wozu das Internet gut ist, oder dass überhaupt. Der Ansatz ist geblieben, obwohl, "immer so zu tun, als hätten die Disruptoren oder der persönliche Lieblingsdisruptor - ob er nun Apple, Google oder wie auch immer heißt - nur das Beste der Allgemeinheit im Sinn" inzwischen genauso problematisch sei wie die längst nicht mehr so verbreitete Haltung, "allem Neuen ablehnend gegenüberzustehen".

Sohn wiederum zeigt an allerhand Beispielen, wie wenig in der Menge des Lesbaren tatsächlich den "realwirtschaftlichen Konsequenzen, die Bits und Bytes bewirken", gilt:

"Die Ökonomie im großen und kleinen Maßstab ist ein blinder Fleck im digitalen Diskurs".

[+++] Wenn man gezielt sucht, findet man natürlich oft Bruchstückchen zu solchen Fragen. Zum Beispiel auf der Medienseite der Süddeutschen heute die kleine Meldung "Die Internet-Videoplattform Sevenload wird nach Angaben von Burda eingestellt". Dieses Sevenload ist thereotisch ein deutscher Youtube-Konkurrent. Dazu lesenswert ist die dwdl.de-Meldung, schon weil sich in den Kommentaren unten drunter Sevenload-Gründer Ibrahim Evsan zu Wort meldet; dieser Meldung zufolge verhandelt Burda über einen Verkauf. Zumindest für die 20 Mitarbeiter in Köln dürfte beides auf dasselbe hinauslaufen.

Was man außerdem aktuell an Netzökonomischem findet: die transparente Schilderung des "Vermarktungsdilemmas" von netzpolitik.org ebd.:

"Bis vor kurzem hatten wir Zeit-Online als Vermarkter. Der Vertrag ist ausgelaufen und uns fehlen darüber 2000 Euro an Einnahmen, die sicher jeden Monat reinkamen (plus manchmal mehr, wenn Werbung verkauft wurde)",

schreibt Markus Beckedahl. Und benennt auch das Problem solcher Onlinewerbung, die allenfalls ein Teil im Finanzierungs-Mix sein kann:

"Wir brauchen Werbung als wichtige Säule in der Refinanzierung unserer Arbeit. Aber verweifeln daran, dass Anti-Tracking-Tools und Full-RSS-Feed dazu führen, dass Werbung kaum jemand erreicht."

Was man außerdem aktuell an Netzökonomischem findet: einen Bericht der Berliner Zeitung aus den USA. Daniel Haufler beschreibt, wie das Video-on-demand-Portal Netflix "in einer unscheinbaren kleinen Meldung" mit positivem Sound, nämlich über eine "direktere Verbindung" mit seinen Kunden, den Umstand verschleiert, dass es einem Kabelkonzern Millionen Dollar für bevorzugte Durchleitung, also für Benachteiligung der Konkurrenz bezahlt. Also die gern geforderte Netzneutralität aushebelt. Das ist auch vor dem Hintergrund, dass der Markteintritt dieses Netflix hierzulande weiterhin gespannt erhofft wird, interessant. Immerhin gäbe es dann ja wieder eine Art Wettbewerb für Youtube.

Beziehungsweise, die eben benutzte Formulierung, dass es in der Praxis keine deutsche Youtube-Konkurrenz gibt, stimmt nicht ganz. Es gibt ja noch die Videoportale der privaten Fernsehsender, z.B. myvideo.de, die in der Medienberichterstattung zum letzten Mal größer auftauchten, als das Bundeskartellamt den deutschen Privatsendergruppen untersagt hatte, eine gemeinsame VoD-Plattform zu gründen. "Der Digital-Darwinismus und die Ohnmacht des Kartellamts" heißt der meedia.de-Artikel, der daran erinnert, allerdings aus Anlass der jüngsten Unsinns-Entscheidung dieses Bundeskartellamts (Altpapier gestern). Damit in die Welt der gedruckten Medien.

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[+++] Die Print-Ökonomie erfährt mehr Beachtung in Berichterstattung, vor allem in den Printmedien, die sie ja betrifft, die also in eigener Sache berichten (und ja auch weite Teile der Onlinemedien finanzieren). "Ehrlicherweise muss man festhalten, dass der Markt der Programmzeitschriften ein sterbender ist. Fast alle Programmzeitschriften verlieren Auflage ... Eigenständige Redaktionen muss man in dem Segment mit der Lupe suchen": So umreißt bei meedia.de also Stefan Winterbauer nochmals mit Recht den Markt, in den das Kartellamt nun eingreifen zu müssen wähnt. Es könnten aber auch noch größere Probleme aufziehen:

Von einem "für unseren Berufsstand und die Printbranche insgesamt sehr enttäuschenden" Urteil schreibt der Bundesverband Presse-Grosso selbst. "Von einem 'schwarzen Tag für die Presselandschaft in Deutschland'" soll er dem Bericht der Süddeutschen zufolge gesprochen haben. Das Urteil ist eines des Oberlandesgerichts Düsseldorf, das dem Bauer-Verlag Recht gegeben hat. "Das muss sich nach einem Triumph anfühlen für die Verlegerin Yvonne Bauer", leitet Jan Hauser auf der FAZ-Medienseite seinen Artikel ein und findet: "Überraschend ist das Urteil, weil die Politik diesen neutralen Pressevertrieb schützen wollte und deshalb die zentralen Verhandlungen des Grosso-Verbandes im Wettbewerbsgesetz für rechtens erklärt hat. Das Oberlandesgericht Düsseldorf erklärte die Gesetzespassage jetzt aber für ungültig und sieht sie als Verstoß gegen europäisches Kartellrecht".

Künftig könnte der Bauer-Verlag, der viele noch vergleichsweise auflagenstarke Printmedien im Angebot hat, von den Grossisten bessere Konditionen für sich verlangen, also kraft seiner Macht im (stark schrumpfenden) Markt das Äquivalent zur Netzneutralität aushebeln. Allerdings will der unterlegene Grossoverband vor eine höhere Instanz, den Bundesgerichtshof ziehen. Allerdings hat das Oberlandesgericht eigentliche keine Revision zugelassen. Allerdings kann der Verband das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde einlegen. Heißt in der Praxis, dass es noch lange dauern wird, bis ein höchstes Gericht die Rechtslage klärt - so wie in so gut wie allen medienjuristischen Fragen in Deutschland.

[+++] Damit in die Welt des Fernsehens, wo Fragen wie die nach dem politischen Einfluss auf öffentlich-rechtliche Sender und die nach den Ex-GEZ-Gebühren ja auch noch höchstrichterlicher Klärung harren. Immerhin genießt die Ökonomie des Fernsehens höchste Priorität in der Medienberichterstattung. Beziehungsweise genießen gleich zwei Ökonomien sie: die der Gebühren und die der Quoten, die das Privatfernsehen in seinen jungen Jahren ersonnen hatte. Medienredakteure berichten ungefähr so hingebungsvoll über Einschaltquoten wie Digitalredakteure von den Gadgets neuer Applegeräte. Kurz zu den Wulff-Film-, also "Der Rücktritt"-Quoten: "'Rücktritt' fällt durch", "enttäuschend" (TAZ), "Die Wulffs verlieren Familienduell gegen Dr. Kleist", "floppte ... gehörig" (Hamburger Abendblatt). Bloß Michael Hanfeld, der heute wieder an allen Ecken und Enden der FAZ-Medienseite dies und das glossiert, ordnet ein:

"Den Sat.1-Film ... haben am Dienstag 2,78 Millionen Zuschauer gesehen. Die ARD kam derweil mit 'In aller Freundschaft' und 'Familie Dr. Kleist' auf 5,32 Millionen und 4,84 Millionen. Das ZDF bat zum 'Gipfeltreffen des Humors' mit 'Karnevallissimo', wofür sich 4,05 Millionen Zuschauer interessierten. Was sagt uns das? Dass bei Sat.1 an diesem Abend ein öffentlich-rechtliches Programm lief und bei den Öffentlich-Rechtlichen eines, das den Kultur- und Bildungsauftrag der Sender etwas freier interpretiert. Doch ... Sat.1 hat sein Profil derart heruntergewirtschaftet, dass zwischen den Wiederholungen amerikanischer Serien ein Film wie dieser ... untergeht."

Es gibt aber auch noch eine völlig andere Meinung: "Doku-Drama schneidet im Sendeplatzvergleich sehr gut ab", findet zumindest die Ufa - die Produktionsfirma des Films also. Hanfeld wiederum zeigt sich heute auch auf seiner eigenen Seite pluralistisch: Medienseiten-Aufmacher ist ein weiterer "Ein Insider erzählt"-Artikel darüber, wie unscharf und manipulierbar die gleich nebenan ausführlich zitierte deutsche GfK-Einschaltenquotenmessung tatsächlich sei.

Zur anderen Fernsehökonomie, der der Gebühren: Der neue KEF-Bericht ist raus. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten "lässt nicht locker. Die Expertenkommission drängt auch in ihrem neuen Bericht darauf, dass die Länder den Rundfunkbeitrag von derzeit 17,98 Euro 2015 um 73 Cent auf 17,25 Cent absenken sollen" (Tagesspiegel). Während die KEF nicht locker lässt, lassen die Entscheidungsbefugten, die Ministerpräsidenten der Bundesländer, die in der Kurt-Beck-Nachfolge von Malu Dreyer personifiziert werden, weiterhin offen, ob sie sich an die Empfehlung halten wollen.

Verbreitung fand vor allem der vorletzte Absatz der Onlinezusammenfassung des KEF-Berichts schon. Da heißt es:

"Bei Talksendungen und Nachrichten im Fernsehen sowie bei Kulturwellen im Hörfunk zeigen sich erhebliche Kostenunterschiede. Die Kommission fordert die Anstalten auf, Wirtschaftlichkeitspotenziale zu erschließen."

Und weil gut Talkshows klicken, stieg die DPA gern darauf ein und fasst der Tsp. zusammen, "dass 'Günther Jauch' 2011 bei den Kosten je Sendeminute mit 4705 Euro die Konkurrenz weit überragt. Dahinter kommen 'Hart aber fair' (2954 Euro), 'Anne Will' (2239 Euro), 'Beckmann' (2214 Euro) 'Maybrit Illner' (1940 Euro), 'Menschen bei Maischberger' (1522 Euro) und 'Markus Lanz' (1372 Euro). Selbst unter Berücksichtung, dass der Minutenpreis bei Jauch sich von 2011 auf 2012 auf 4634 Euro vermindert hat, bleibt der Abstand riesengroß." Bzw.: "Jauch-Talk 2,5-mal so teuer wie Maybrit Illner" (bild.de). Bzw.: "Lanz ist billiger" (FAZ-Medienseite).

Hanfeld ist aber auch der einzige, der sich schon weiter in die Tiefen des gedruckt 316-seitigen KEF-Berichts gekniet hat. Er analysiert in einer weiteren Randspaltenglosse, zwischen üblichen Bausteinen ("Rumgedruckse allenthalben", was Malu Dreyer gilt, usw.), heraus,

"dass die Ausgaben der Sender fürs Programm gesunken sind, die fürs Personal sind gestiegen, die für die betriebliche Altersversorgung im Besonderen: Dafür geht der Rundfunkbeitrag drauf, die Struktur frisst das Geld."

Um einen Schritt zurück von der Tagesaktualität zu treten: Es ist halt

"schlicht ... Tatsache, dass die Öffentlich-Rechtlichen mit ihren Gebührengeldern online einen uneinholbaren Startvorteil haben, der sich im Bereich des hochwertigen Journalismus durch Werbeerlöse privater Anbieter nie und nimmer kompensieren lässt."

Das sagt, im sonnigen Lugano lächelnd an einer profilstarken Mauer lehnend, Stephan Russ-Mohl, der "angesehene Journalistik-Professor". Oder es sieht zumindest so aus bei newsroom.de, wo Beiträge oft mit Privatfotos der befragten Experten illustriert werden. Dort hat Bülend Ürük einige Stimmen eingeholt zur Frage, wie sie denn den von Georg Mascolo angeführten privat-öffentlich-rechtlichen Rechercheverbund von SZ, WDR und NDR beurteilen. Dass das Netzwerk Recherche diese Kooperation ausdrücklich nicht im geringsten kritisieren möchte, bedürfte eigentlich keinerlei Erwähnung. Aber die weiteren Stimmen ("... Es ist also ein wenig wie beim Ei des Kolumbus ...", analysiert Gregor Daschmann, Professor aus Mainz; "Soweit aus der bisherigen Berichterstattung ersichtlich ... entsteht hier aber meiner Meinung nach nicht zwingend ein 'Meinungskartell'", sagt Petra Werner, Professorin aus Köln, lächelnd vor einer weißen Wand) sind noch ganz interessant.
 


Altpapierkorb

+++ Was man dem Wulffs-Filmfilm sicher nicht vorwerfen kann: Dass er die Bild-Zeitung nicht einige dutzende Mal beim Namen nannte oder dass er ihre Rolle besonders kritisch beleuchtete. Aber durfte das Springer-Blatt denn nun als Bonusmaterial zum Film den Wortlaut von Christian Wulffs legendärer Mailbox-Nachricht, den sie bis immer nur über die Bande von lieben Kollegen etwas angesehenerer Zeitungen kundgetan hatte, veröffentlichen? Was sagt Rechtsanwalt Christian Schertz? Das steht natürlich im Tagesspiegel. +++

+++ "Imaginäre Interviews mit den Seelen von Angela Merkel oder David Beckham" und Erörterungen der Frage, "welche Gemeinsamkeiten ... Kim Kardashians Hintern und die Bilder des Malers Tizian" haben? Gibt's auf philosophersmail.com, der neuen Webseite des Populärphilosophen. Die Redakteure sind alle Philosophen, weiß die TAZ. Und die Ökonomie? "Finanziert wird das Projekt vom Londoner popphilosophischen Institut The School of Life, das unter anderem Kurse darüber anbietet, 'Wie ich mir weniger Sorgen um Geld mache'. Oder: 'Wie finde ich einen Job, den ich liebe?'" +++

+++ Außerdem berichtet die TAZ von einem Mordanschlag auf einen früheren Chefredakteur einer chinakritschen Tageszeitung in Hongkong, Kevin Lau Chun-to. +++

+++ Die SZ berichtet über den Lichtblick, die Gefangenenzeitung aus Berlin-Tegel: "In der Regel seien ... Krawalltexte sogar gut für das Knastklima: Weil die Häftlinge das Gefühl hätten, Gehör zu finden, gäbe es weniger Frust. 'Der Lichtblick hat damit eine Ventilfunktion, die helfen kann, Aggressionen abzubauen.'" +++

+++ Das oben erwähnte Youtube und seine Sperrtafeln, gegen die die GEMA nun erfolgreich gerichtlich vorging, ist noch mal Thema im Tsp.. +++

+++ Über eine irights.info-Veranstaltung rund um Drohnenjournalismus berichten heise.de und kress.de. +++

+++ Zur als antisemitisch empfundenen Karikatur in der SZ neulich (Altpapier) erinnert Hanning Voigts (Frankfurter Rundschau) daran, dass es ja schon vor wenigen Monaten einen ähnlichen Fall gab. Und schließt: "Die nicht reflektierten antisemitischen Stereotype könnten sich unabhängig vom Bewusstsein des Autors ihren Weg ins Werk gesucht haben." +++

+++ Diether Dehm wiederum, kürzlich zu Gast im Altpapier, gastierte nun auch bei Anne Will. "Die fehlenden juristischen Kenntnisse kompensierte Dehm mit seinem ausgeprägten Gerechtigkeitsgefühl", schreibt Frank Lübberding in seiner faz.net-Kritik. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.