Journalismuszukunft in aller Munde und von den Größten in nur vier Buchstaben zusammengefasst: Mehrwertsteuer abschaffen und Werbung platzieren, Tickets verkaufen und Online-Portale in Uganda. Außerdem: ein neuer öffentlich-rechtlicher Werberahmen-Krimi aus Berlin.
Sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel:
"Journalismus ist natürlich wichtig... ...."
um kurz das etwas quälende Videointerview auf Youtube zu verlinken, das inzwischen immerhin die magische Marke von 1.000 Klicks souverän durchbrochen hat.
Sagt bzw. schreibt netzwertig.com-Blogger Martin Weigert in seinem Beitrag mit der Überschrift "Sehr geehrter Herr Schirrmacher…" (was völlig korrekt ist; den Dr.-Titel, den etwa die Econ Referenten-Agentur natürlich aufführt, kann man sich im informelleren Alltag auch mal sparen), schreibt Weigert also:
"Die Zukunft des Journalismus beginnt im Kopf."
Starker letzter Satz des lesenswerten Beitrags, der daher rührt, dass netzwertig.com sich in Frank Schirrmachers jüngstem, "im Netz bereits intensiv diskutierten" Journalismuszukunfts-Digitaldebattenbeitrag "Das heilige Versprechen" (siehe Altpapier gestern) wiedererkannt hat, aber halt gern auch genannt worden wäre, in aller Bescheidenheit und Höflichkeit: "Genau die Art, wie Sie in Ihrem Text traditionelle, allgemein anerkannte Medienmarken mit dem Respekt der namentlichen Erwähnung wertschätzen und gleichzeitig ein junges, Ihrer Leserschaft vermutlich weitgehend unbekanntes Fachblogs oder 'Portal' zwar indirekt wiedergeben, aber nicht nennen, zeigt die Kluft, die zwischen den implizierten Ambitionen des Qualitätsjournalismus, dem Leser verpflichtet zu sein, und der Realität besteht."
Und was sagt Schirrmacher?
"Na ja."
Große Journalismuszukunfts-Äußerung in nur vier Buchstaben, die bei Twitter gleich eine durchaus fulminante Diskussion nach sich zog (auch wenn diese am Ende - verstehe einer Twitter - sich irgendwie zur Frage verlagert, wie und wo Dorothee Bär denn Weihnachten zu verbringen plant...).
Großes Kopfkino hochrangiger Persönlichkeiten rund um die großen Fragen nach der Journalismus- oder Zeitungszukunft schon wieder. Nur damit's nicht untergeht: Eine nicht neue, vergleichsweise pragmatische Frage gehört auch dazu. "Die Mehrwertsteuer auf Zeitungen gehört abgeschafft", wurde Helmut Heinen, immerhin ein Präsident (des Zeitungsverlegerverbandes BDZV) gestern im Wirtschaftsressort schon wieder der FAZ zitiert. Inzwischen ist das Interview nicht nur vom BDZV für Nichtabonennten des Blattes aggregiert, sondern steht auch im Medienwirtschafts-Blog ebd. frei online. Heinen argumentiert darin:
"Wenn die Umsatzsteuer auf Vertriebserlöse wegfällt, wäre das ein inhaltlich weitgehend neutrales Thema. Zeitungen könnten auch als haushaltsnahe Dienstleistungen im Sinne des Einkommenssteuerrechts gelten und damit bis zu einer gewissen Größenordnung von der Steuerschuld absetzbar sein. Wenn Sie einen Gärtner beschäftigen, können Sie vom Lohn eine gewisse Summe von der Steuerschuld abziehen. Die lohnintensive Zeitung ist sicher eine Dienstleistung, die auch haushaltsnah erbracht wird, auch wenn das im räumlichen Sinn nicht unbedingt stimmt. Wenn man den Zeitungen helfen will, ist eine steuerliche Erleichterung besser als Subventionen."
Da ist beinahe schade, dass das zu frisch reinkam und Kommunikationsstudentin Katharina Baum (die junge Frau, die im eingangs verlinkten Youtube-Video die Kanzlerin befragt) diese Frage nicht mehr in ihr Interview integrieren konnte. Den Journalismus wiederum zum Gärtner machen, das dürfte viel Potenzial für redensarten-gewandte Kollegen wie Michael Hanfeld von der FAZ bieten.
Heute hält sich die FAZ, was Diskussionsanstöße auf umrissenen Diskurshöhen betrifft, zurück (sieht man einmal von einer "Denen vertrauen?"-Anzeige auf ihrer Seite 5 ab, die den Google-Vorstandsvorsitzenden Eric Schmidt so und oberhalb dieses Textes zeigt, die also das verdienstvolle Ansinnen hat, das breite Vertrauen in Google zu hinterfragen, freilich aus dieser Ecke stammt).
Aber die Medienseite der Süddeutschen gießt neuen Stoff in die Journalismuszukunfts-Diskurse. Einerseits erläutert dort Johannes Boie die neue API von zeit.de, also die allen Programmierern offenstehende Schnittstelle zu sämtlichen Inhalten der Wochenzeitung Die Zeit (außer den neuesten):
"Sorge, Inhalte gratis zu verschenken, hat man in Hamburg nicht. Im Gegenteil. Eine gut funktionierende Schnittstelle und die technischen Weichen, die man im Vorfeld habe stellen müssen, seien die Grundlage für künftige Geschäftsmodelle, sagt Chefredakteur Wolfgang Blau. Etwa, wenn man künftig Texte automatisiert gegen Geld anbieten und lizenzieren wolle, oder Werbung in von Dritten übernommenen Texten platzieren wolle."
Wie denn ausgerechnet die Zeit z.B. "Werbung in von Dritten übernommenen Texten platzieren" wollen könnte, würde man natürlich gern genauer wissen. Andererseits besteht der Reiz solcher "künftigen Geschäftsmodelle" ja vor allem darin, dass niemand weiß, ob und wann sie kommen (und ob, wenn sie kommen, nicht eher Google das Geschäft macht). Außerdem rückt Boie zurecht, was dem Blau-Kritiker Schirrmacher gestern entgangen war: dass Blau erst ab April beim Guardian arbeiten und bis dahin noch als zeit.de-Chefredakteur amtieren wird.
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Überdies auf der SZ-Medienseite: ein Bericht, "wie sich der Schweizer Konzern Ringier auf eine Zeit einstellt, in der das Printgeschäft nicht mehr wächst."
"Nicht mehr wächst" könnte eine Art Euphemismus sein, aber die derzeitige Medienressortleiterin Claudia Tieschky ist ja niemand, die Sprechblasen einfach übernimmt. Sie sprach mit dem "einstigen Tennisprofi" und jetzigen Ringier-Chef Marc Walder ("In der digitalen Welt herrscht die the-winner-takes-it-all-Regel. Das war im Grunde die Lehre der vergangenen Jahre, das war eine brutale Lehre"), schildert dessen Pläne (u.a.: in Kenia, Ghana, Nigeria, Tansania, Rwanda und Uganda "mit Online-Portalen Geld verdienen") und identifiziert dadurch das "Walder-Prinzip":
"Im Grunde weist das Walder-Prinzip in eine Zeit, in der Medienkonzerne sich Journalismus leisten, aber ihre Einnahmen mehr oder weniger unabhängig davon erzielen. Die Frage ist dann, wie viel Journalismus sich der Patron noch leisten mag, wenn man mit allem anderen so gut Geld verdienen kann."
Steht diese Formulierung im Raum, dann helfen schöne Geschäftsführer-Aussagen, dass die Zeitungen auch dann noch berichten würden, falls "Madonna schlecht singt", wenn die Zeitungskonzerne mit dem Verkauf von Madonna-Konzertticktets ihr Geld verdienen, auch nichts mehr.
[+++] Kürzlich brachte die Süddeutsche, bzw.: brachte eigentlich jede Zeitung als Gute-Laune-Stück zur Journalismuszukunft einen Bericht über das erfolgreiche Missy Magazine. Das rückt heute die TAZ zurecht mit Hinweisen darauf, dass "die fünf Herausgeberinnen der Missy um die Zukunft ihres Heftes, das übrigens keine von ihnen ernähren kann", bangen würden.
[+++] Und noch 'ne Einschätzung zum Wirtschaftsjournalismus, der wg. des nächste Woche bevorstehenden FTD-Endes ja auch ein virulenteres Thema als sonst ist: Von "geradezu unterirdischem Wirtschaftsjournalismus in Deutschland" sprach, auch in Bezug auf die FTD selbst, der Volkswirtschafts-Professor Sebastian Dullien auf dem ver.di-Journalistentag in Berlin. Von dieser Veranstaltung berichtet evangelisch.de hier nebenan (und fand für den Bericht dennoch die schöne Überschrift, auch sie ein Zitat: "Ein guter Journalist ist ein unbestechlicher Menschenfreund").
+++ Der Titel des heutigen Altpapier bezieht sich nicht auf Julia Jäkel (am Rande: herzlichen Glückwunsch nachträglich zum 70., Uli Wickert!), sondern entstammt einem Fernsehdarstellerinnen-Porträt des Tagesspiegels bzw. direkt dem ARD-Programm: "Deutschlands schönste Assistentin in Deutschlands erfolgreichstem Krimi", wie Markus Ehrenberg schreibt, also die Schauspielerin Friederike Kempter, die bislang in den so erfolgreichen (aktuell vgl. meedia.de) Münsteraner "Tatorten" mitwirkte, spielt nun in der Rolle der Elitepolizistin Julia Klug in einer neuen der zahllosen ARD-Werberahmenkrimiserien mit, einer in Berlin angesiedelten, und der Tsp. verehrt ihr großes Porträt. Weil das Altpapier ja das Format ist, das auch die Infofluten der Vergangenheit im Blick hat, noch der Hinweis, dass der Lokalrivale BLZ schon kürzlich ein Kempter-Porträt hatte. +++
+++ Noch 'ne aktuelle, sich in Windeseile verbreitende Kampagne rund um Google: die von dem kalifornischen Konzern selbst heute gestartete gegen das geplante Leistungsschutzrecht ("Willst Du auch in Zukunft finden, was Du suchst?"). Falls Sie Presseagenturberichte auf Zeitungswebseiten dazu interessieren: hier und hier in inzwischen erweiterter Form gibt's welche. +++
+++ Noch 'ne Journalismuszukunftseinschätzung: "Der Zeitungs-Journalismus ist noch lange nicht vor seinem Ende. Er muss sich aber anpassen und öffnen, wenn er auch künftig seine Leser erreichen will. Und er braucht Verleger und Herausgeber, die sich mit Anerkennung hinter ihre Produkte stellen, weil sie sie wegen ihrer Qualität, Vielfalt, Ernsthaftigkeit und Tiefenschärfe, als Medium des zweiten Gedankens und der programmierten Entschleunigung schätzen und sie dafür selbstbewusst verteidigen", schrieb am Wochenende in der Märkischen Oderzeitung der Chefredakteur Frank Mangelsdorf. +++ "Kleine Lokalzeitungen müssen sich fragen, ob sie es sich leisten können, sechs Mal die Woche ein Blatt zu drucken und zu verteilen. Vielleicht reicht auch drei Mal", meint auf Carta der junge Journalist Steffen Daniel Meyer, dessen Großmutter ebenfalls meint, dass ja "oft gar nichts drin" steht in täglichen Zeitungen. +++
+++ "Es geht uns darum, das Thema Integration und Einwanderungsgesellschaft breiter aufzustellen - das ist ja nicht nur Kopftuch, Kriminalität und Koran", sagt Projektleiterin Ferda Ataman zur Berliner Zeitung, die den neuen Mediendienst Integration vorstellt (und irgendwie erkennt man sofort, dass Ataman früher bei Spiegel Online war). +++
+++ Sachsen bleibt doch Sachsen, bzw. im sog. Sachsensumpf-Prozess geht es doch nicht so schnell voran (TAZ), wie dies. neulich meinte. +++
+++ Der Tsp. stellt die achtteilige Dokureihe "Why poverty?" auf Arte vor, an der sich "70 Sendeanstalten weltweit" beteiligten: "Der herausragendste Film ist aber 'Solar Mamas' am späten Donnerstagabend (0 Uhr 05)..." +++ Die FAZ stellt die zweite "American Horror Story"-Staffel beim Abosender Fox vor, und nicht ganz so ausführlich den heutigen ARD-Fernsehfilm "Sechzehneichen" (Heike Hupertz: "Diese Version der 'Frauen von Stepford' ist vor allem eins: gekonnt und glaubwürdig nervenzehrend. Nicht unvorstellbar, dass solche Männerparadiese zwischen Kronberg und Königstein tatsächlich existieren"). +++
+++ Außerdem stellt die FAZ die Studie "Jihadismus und Internet: Eine deutsche Perspektive" der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik vor, während die Süddeutsche die Spiegel TV-Suche nach kreuz.net-Hintermännern nachvollzieht. +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.