Eine Sitzordnung im Zeichen des orthodoxen Kreuzes, und anderes von der Talkshow-Front. Redselige Ermittlerkreise, schwindende Beweiskraft digital vorliegender Daten. Kommt Snowden doch nach Deutschland? Außerdem: wen Rumänien bei der Pressefreiheit übertrumpft, welcher Rundfunk-Hierarch noch ein Jahr dranhängt.
Die Frage an gegenwärtig aktive Talkshowgastgeber, ob sie auch mal Adolf Hitler in ihre Sendung einladen würden, ist, grob geschätzt, ungefähr so wichtig, so aufschlussreich für Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit und zum Glück auch so obsolet wie die, ob Leningrad sich im Zweiten Weltkrieg, während der fürchterlichen Belagerung durch Armeen unter dem Oberbefehl des genannten Diktators, hätte ergeben sollen. Bloß unpräziser formuliert ist sie.
Wer diese Frage jetzt gestellt hat: Sandra Maischberger sich selbst. Im Zuge ihrer letzten Antwort im Spiegel Online-Interview zu ihrer viel beachteten Talkshow am späten Dienstagabend sagt sie en passant:
"Würde man Hitler in eine Talkshow einladen? Das ist ein Grenzfall."
Eigentlich hatte Interviewer Stefan Kuzmany ihr die Frage "Würden Sie sich auch mit einem Neonazi zusammensetzen und über Demokratie diskutieren?" gestellt. Also teilweise in etwa das, was René Martens hier kürzlich schrieb: "Dass Maischberger irgendwann mal Nazis einlädt, um mit ihnen über Antisemitismus zu plaudern, kann man mittlerweile nicht mehr ausschließen". Und eigentlich, nach der äußerst überflüssigen Hitler-Einlassung, antwortet Maischberger:
"Meine Grundüberzeugung ist, dass es gesellschaftliche Phänomene gibt, die unter der Haut gären. Wenn Sie die nicht ansprechen, wird eine größere Menge von Menschen denken, hier gäbe es eine Verschwörung in den Medien. Es gibt da nur zwei Möglichkeiten: Entweder machen Sie es nicht, weil es so viel Gegenwind gibt - und zwar von beiden Seiten. Oder Sie machen es, weil Sie das Gefühl haben: Das ist unsere Aufgabe. Dass man sich damit keine Freunde macht, haben wir nicht zum ersten Mal erlebt. Aber das kann uns nicht schrecken."
Da schwingt natürlich viel Selbstmarketing angesichts der dichten Konkurrenz der öffentlich-rechtlichen Talker mit. Darüber lässt sich aber mindestens diskutieren. Ich würde sagen: In Talkshows darüber zu reden, dass es leider auch andere, unsympathische bis völlig falsche Überzeugungen gibt, deren Anhänger aber nicht zugegen sind, hilft niemandem im geringsten. Zumal wenn es so irre viele Talkshows gibt wie derzeit in Deutschland. Ob Talkshow-Ausgaben, die so etwas versuchen, dann immer gelingen, ist eine andere Frage und muss hinterher beurteilt werden.
Wie Maischbergers "Homosexualität auf dem Lehrplan"-Sendung gelungen ist, dazu gibt es weiterhin ein buntes Meinungsbild. Die Sendung wurde "eine Plattform für homofeindliche Äußerungen. So trat ein, was viele Kritiker im Vorfeld befürchtetet hatten", findet Christiane Meister hier bei evangelisch.de (und weist darauf hin, dass der Talkgast und Evangelikale Hartmut Steeb "Positionen, die sich weit weg bewegen vom Familienpapier der Evangelischen Kirche in Deutschland", vertrat).
"Insofern war die Sendung von Sandra Maischberger ein gelungener Versuch gegen die Logik der Ausgrenzung", schreibt Frank Lübberding fast am Ende in der Print-Version seiner gestern hier zitierten faz.net-Kritik, bevor er aus eher gesamtgesellschaftlicher als medienkritischer Perspektive den Nutzen solcher Versuche noch rasch bezweifelt ("Aber nach dem Referendum in der Schweiz kann man Zweifel haben, wie weit solche Versuche tragen. So wird der rechte Front National in Frankreich vor den Europawahlen im Mai mit mehr als 30 Prozent prognostiziert ..."). Lübberding hat bei wiesaussieht.de weitere Kritiken zusammengestellt, darunter die heftige seines Mitstreiters Hans Hütt, die heute in der TAZ steht und gestern bereits in noch längerer Fassung bei taz.de stand:
"Sandra Maischberger ist es am Dienstagabend gelungen, das Nichtwissen über unsere Gesellschaft zu mehren",
schreibt Hütt mit Bezug auf Niklas Luhmann. Dann beschreibt er auch mit Liebe zum Detail die Sitzordnung der Maischberger-Gäste im Studio, die nämlich "den Linien des orthodoxen Kreuzes" gefolgt sei. Zur queer.de-Meinung geht's hier und zu einem "Und das ist auch gut so"-Beitrag des frischgebackenen Springer-Mannes Matthias Matussek hier.
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[+++] Ob in der Sebastian Edathy-Sache seit gestern (Altpapier gestern) Wissen oder Nichtwissen gemehrt wurde - unklar.
Das Rechercheteam von Süddeutscher Zeitung und Norddeutschem Rundfunk ist nun ebenfalls dran. Und berichtet, dass Edathy "Bilder, die gar nicht strafbar sind und dennoch ratlos machen", online bestellt habe. "Das niedersächsische Justizministerium verlangt eine schriftliche Stellungnahme der Ermittler, wer einen Reporter über die Razzia informierte und weshalb er von draußen in Edathys Wohnung hineinfotografieren konnte", heißt es bei in den Berichten auch. Andererseits stößt zu den vorhandenen Verdächten auch noch der der Strafvereitelung: Edathy könnte "einen Hinweis auf die bevorstehende Einleitung des Verfahrens und die geplante Razzia bekommen haben", berichtet welt.de. Der Staatsanwaltschaft Hannover würden "Indiskretionen und Ermittlungspannen vorgeworfen". Im weiteren Verlauf zitiert derselbe Artikel dann "aus Sicherheitskreisen", "aus Ermittlerkreisen" und "aus Ermittlerkreisen". Am Indiskretionen-Vorwurf könnte also etwas dran sein.
Die Harke-Redakteur Stefan Reckleben hat nun Edathys Haustür in geschlossenem Zustand mit dem davor stehenden Medieninteresse ("lässt nicht nach) fotografiert. Ein Blick über die Homepage der Nienburger Zeitung zeigt, dass vergleichbare Hauswände öfters fotografiert werden. Zur offenen Frage des Fotos von der Balustrade ist etwa der lawblog.de-Beitrag interessant.
Und grundsätzlich hat der Blogger Fefe "Presseanfragen..., ob es sein kann, dass dem Edathy von den Geheimdiensten das Material untergeschoben wurde", beantwortet. Er findet dabei "sehr begrüßenswert, dass dieser traurige Anlass jetzt dazu führt, die Frage nach der Beweiskraft von digital vorliegenden Daten mal offen zu stellen". Technisch könnte es also sein. Aber seiner Meinung nach kaum logisch, da Edathy "sich stets eher als Vorantreiber des Geheimdienst-Sicherheitsstaats" gezeigt und etwa die Vorratsdatenspeicherung befürwortet habe. Und tatsächlich könnten Äußerungen Edathys bei abgeordnetenwatch.de zum Thema die Sache fast weiter verkomplizieren.
[+++] Groß in und auf der TAZ heute: "So will Ströbele Snowden nach Deutschland holen". Astrid Geisler und Konrad Litschko kennen schon die Drucksache 18/420, mit der Grüne und Linke das deichseln wollen. Es würde schließlich zur neuen Rangliste der Pressefreiheit passen, um die es ebenfalls gestern hier ging und die weiterhin kommentiert wird.
"Russland steht nahezu unverändert auf dem 148. Platz" unter 180 Staaten, heißt es in der EPD-Analyse über Snowdens aktuelles Aufenthaltsland. "In USA weniger Pressefreiheit als in Rumänien", fand Sonja Álvarez vom Tagesspiegel den spektakulärsten Chartsanalyse-Dreh, der wiederum das Heimatland des "Aufklärers des Jahres" (Grimme-Institut) betrifft. Weitere Analysen haben sueddeutsche.de und die FAZ nun frei online, die sich überdies dem zurückgefallenen Japan ("... belegt nun Rang 59 und wird zum direkten Listennachbarn von Chile und Mauretanien") bzw. bedenklichen Entwicklungen im Staatsrundfunk dort widmet. Mit dem deutschen öffentlich-rechtlichen geht's weiter im Altpapierkorb.
+++ Relativ breaking: Lutz Marmor "hängt noch ein Jahr dran", soll also bis 2016 ARD-Vorsitzender bleiben. "Der Wunsch nach Kontinuität hängt mit der Umbruchphase nach der Umstellung auf die haushaltsbezogene Rundfunkabgabe zusammen", erläutert Ulrike Simon die News der Berliner Zeitung, aber auch damit, dass sonst gerade niemand den Vorsitz wolle. Die vorgesehene Nachfolgerin, MDR-Intendantin Karola Wille, wolle das erst 2016, wenn die Kika- und andere MDR-Affären durchgestanden sein dürften. +++
+++ "Die vor wenigen Wochen heiß gehandelte Senkung der Rundfunkgebühr um 73 Cent pro Monat wird immer unwahrscheinlicher" (FAZ). "Die Vorsitzenden der Rundfunk- und Verwaltungsräte der ARD fordern, die Handlungsspielräume für solch Korrekturen 'nicht voreilig zu verengen'" (SZ). Siehe frei online weiterhin Tsp. gestern. +++
+++ Was gestern zwar nicht auf der SZ-Medienseite stand, dass dieselbe vorgestern auf einen sogenannten ZDF-Publikumsrat hereingefallen war, stand gestern doch auf der "Forums"-Seite 17, das ist die mit Leserbriefen und Wettervorhersage, als eine von von drei "Korrekturen", und zwar in diesen Worten: "In 'Mehr Ärger für Lanz" auf Seite 35 vom 11. Februar konnte der Eindruck entstehen, der 'Publikumsrat' sei ein offizielles ZDF-Gremium, das sich gegen den Moderator Markus Lanz wende. Tatsächlich handelt es sich jedoch um eine private Zuschauer-Initiative." +++
+++ Heut auf der SZ-Medienseite: "ein Lehrstück für Medien rund um die Welt". Johannes Boie berichtet, wie sich die US-Webseite upworthy "von Facebook abhängig gemacht" hatte und "jetzt bitter dafür bezahlen" muss. Wegen eines neuen Algorithmus brach die zuvor von Facebook vermittelte Reichweite wieder ein. "Für Medienunternehmen kann dies nur bedeuten, sich nicht zu sehr auf Facebook und andere Netzwerke zu verlassen. Es muss noch andere Wege geben, um in die Köpfe der Leser zu gelangen." +++ Gleich zwei Lehrstücke analysiert meedia.de: einen brand eins-Versuch, was Onlinewerbung zum Verkauf von Printabsos betrifft, und den "Facebook Fraud". +++
+++ Das hat man auch nicht oft, dass gleich zwei Medienseiten am selben Tag Fotoausstellungen nicht etwa im Netz, sondern in Bochum (diese empfiehlt Bernd Graff in der SZ) bzw. Hamburg (des Fotografenkollektivs "attenzione" aus Hannover und Witten; TAZ) empfehlen. +++
+++ "Arte verheddert sich crossmedial", meint Lena Bopp auf der FAZ-Medienseite zu "Mit innerer Überzeugung". +++ Michael Hanfeld verheddert sich ebd. ein bissel bei seiner "Vorschau auf eine Serie, die es niemals geben wird: Die deutsche Version von 'House of Cards'" ("... Es müsste nicht unbedingt Nico Hofmann produzieren. Für das Casting aber wäre Katharina Thalbach als Angela Merkel gesetzt. Der Film 'Der Minister' war allein schon wegen der Szene sehenswert, in der sie die Kanzlerin am Kochtopf darstellt ... ... Material also gäbe es reichlich, schon die in Berlin regierende große Koalition ist für einen Polit-Thriller im Fernsehen wie gemacht. Und beim ZDF zum Beispiel gibt es mit Norbert Himmler einen ambitionierten Programmgestalter ..."). +++
+++ "... Nadine Schön formuliert mit mehr Pathos: 'Wenn man von Digitalisierung spricht, sollen alle an Deutschland denken.' Wir hoffen mal, nicht im Negativen", berichtet netzpolitik.org von einem netzpolitischen CDU-Pressegespräch. +++
+++ Ob Axel Springer nach N24 auch noch den Postillon übernimmt (meedia.de)? +++ Und über einen ein paar Jahrhunderte älteren Postillon schrieb ich in epd medien. +++
+++ Neuer Talkshowbesprechungs-Trend, mehr auf die Inszenierung zu achten? "Aber man sah ihr längst mehr auf die (vom Regisseur ins Bild gerückten) Beine, als dass man ihr zuhörte", schreibt Jürg Altwegg (faz.net) über die AfD-Sprecherin Frauke Petry. Gastgeberin war Anne Will, Thema, erst zum zweiten Mal in der laufenden Woche, die Schweizer Volksabstimmung. +++
+++ Wird Harald Schmidt Marlene Dietrichs Nachfolger, nämlich bei der "Unsichtbarkeits-Nummer"? (Tagesspiegel) +++
+++ Was macht eigentlich Sandra Maischberger? Zeigt sich bei ARD-Glamourveranstaltungen am Berlinalerande mit Volker Herres (Twitter). Dann führte sie durch den Abend (ARD). +++ Dort aufgeschnappte Coolness-Einschätzungen künftiger "Tatort"Darsteller dokumentiert die Berliner Morgenpost. +++ Und eine hübsche Milieustudie von einer WDR-Veranstaltung an einem anderen Berlinalerande, bei der sogar Dominik Graf mit dem Finger aufzeigte, schrieb Tobias Rüther (faz.net). +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Freitag.