Heute auf der Agenda: Eine neue Enthüllungsplattform ist an den Start gegangen, außerdem liegen Analysen zur Vor- und Nachberichterstattung der Volksabstimmung in der Schweiz vor. Und in Sachen Maischberger steht die generelle These im Raum, dass Talkshow-Redaktionen Guerilla-Marketing betreiben.
Viel Aufmerksamkeit zieht heute das neue Projekt eines Mannes auf sich, der noch gar nicht so lange als Schwergewicht des Journalismus gelten darf: Glenn Greenwald hat mit seinen etwas weniger bekannten Gefährten Laura Poitras und Jeremy Scahill (dessen Name aber immerhin dank eines ARD-Films geläufig sein könnte) The Intercept an den Start gebracht.
Es ist die erste Plattform des Onlinejournalismus-Unternehmens First Look Media, das wir dem durch Ebay reich gewordenen Pierre Omidyar (siehe Altpapier) zu verdanken haben. Er „gilt als Milliardär mit einer Vorliebe für sinnvolle Hobbys“, wie Martin Kaul schreibt, der das Projekt in der taz vorstellt:
„Interception - das heißt zu Deutsch etwa Abfangen, Abhören oder Überwachen. Und Intercept - da geht es, aufgepasst, um kristallografische Parameter, um Höhenunterschiede von Aufnahmestandpunkten in der Luft und andere komplizierte Dinge. Vereinfacht gesagt: um Lufthoheit also. Genau das ist der Grund, weshalb das Projekt von Greenwald und Co. seit Wochen mit Spannung erwartet wird. Hinter der Homepage verbirgt sich eines der womöglich ambitioniertesten Journalismusprojekte der letzten Jahre: Eine erste Garde globaler Enthüllungsreporter, ein Sack voll vertraulicher Dokumente aus dem Nachlass Edward Snowdens sowie ein Detail, das jede Kampfkasse braucht: Kohle ohne Ende.“
Im Editorial, falls dieser Begriff noch angemessen sein sollte, betonen die Macher von The Intercept aber auch, dass die Veröffentlichung weiterer Snowden-Dokumente nur der erste Schritt sein soll:
„Our longer-term mission is to provide aggressive and independent adversarial journalism across a wide range of issues, from secrecy, criminal and civil justice abuses and civil liberties violations to media conduct, societal inequality and all forms of financial and political corruption“,
Einer der ersten beiden Artikel stammt von Greenwald und Scahill, es geht um die unzuverlässigen Methoden, mit denen das US-Militär Ziele für Drohnenangriffe ermittelt.
Thomas Thiel (FAZ) konstatiert:
„Mit seiner These, das blinde Technikvertrauen habe zum Tod mehrerer Unschuldiger geführt, betritt der Text kein Neuland. Neu sind immerhin die Quellen, mit denen Greenwald und Cahill sie belegen, unter anderem mit Videomaterial“,
Der FAZ-Mann findet den Auftakt insgesamt „etwas enttäuschend“:
„Weitreichende Schlüsse über den journalistischen Stil, den Omidyar mit First Look Media pflegen will, lassen sich aus der ersten Publikation noch nicht ziehen.“
[+++] Stefan Niggemeier greift die Diskussion auf, die die Ankündigung der heutigen Ausgabe von „Menschen bei Maischberger“ mit dem Titel „Homosexualität auf dem Lehrplan: Droht die ‚moralische Umerziehung‘"? ausgelöst hat. Manche Leser des gestrigen Altpapiers werden die beiden Anführungszeichen registrieren. Die hat man auf der Website der Sendung am gestrigen Nachmittag hinzugefügt - wenige Minuten, nachdem Niggemeiers Text erschienen war.
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Der nimmt unter anderem Bezug aufs Altpapier (das aber auch Kritik herausgefordert hat, etwa von Frank Lübberding). Niggemeier fragt:
„Was ist ‚moralische Umerziehung‘? Ist damit eine Art Gehirnwäsche gemeint, die Kindern ihre natürliche Abneigung gegen Homosexualität abgewöhnt? Oder wenn damit nur eine Erziehung hin zu mehr Toleranz und Akzeptanz gemeint sein sollte: Warum würde sie dann ‚drohen‘?
Niggemeier betont, es hülfe nicht, wenn man jene Diffamierer, die Maischberger eingeladen hat, „aus dem Diskurs verdammt“:
„Man muss sich mit ihnen und ihrer Forderung nach fortdauernder Diskriminierung von Homosexuellen auseinandersetzen. Aber Voraussetzung dafür wäre, eine öffentlich-rechtliche Talkshow nicht nur als billige Boxbude zu betrachten. Und Voraussetzung wäre vor allem, sich die ideologischen Begriffe und Narrative der Gegner von Aufklärung und Gleichberechtigung nicht im Vorfeld schon zu eigen zu machen. Ich kann nicht glauben, dass man darüber überhaupt diskutieren muss.“
Wolfgang Michal konstatiert in einem Kommentar unter dem Niggemeier-Text, es handle sich bei Titeln wie dem der aktuellen Maischberger-Sendung um „gezielte Provokationen“ der Redaktionen, die recht genau wissen, was sie damit auslösen. Es sei gewünscht, dass empörte Kritiker
„mit ihrem lautstarken Protest unfreiwillig für bessere Quoten und für eine ausführlichere Vor– und Nachberichterstattung sorgen. Man könnte das Guerilla-Marketing nennen. Die Frage ist: Spielt man dieses zynische Spiel mit oder nicht?“
Der Tagesspiegel peppt eine dpa-Meldung mit Maischbergers Reaktionen - von denen Niggemeier in seinem Blog eine „eklige“ hervorhebt - mit einer nach allen Regeln der Aufmerksamkeitsökonomie gestrickten Headline auf:
„Magazin will Maischberger ‚Homo-Hasser‘ als Gäste verbieten.“
Gemeint ist die gestern hier zitierte Website queer.de.
[+++] Ebenfalls im Tagesspiegel beschäftigt sich der Stephan Russ-Mohl mit der „Mitschuld“ der Schweizer Medien am Ausgang der Volksabstimmung am Sonntag:
„Zwei Medienforschungs-Institute (haben) bereits vor der Abstimmung unabhängig voneinander einen Mitschuldigen am Abstimmungsergebnis ausfindig gemacht: die Schweizer Medien (...) Ein Großteil der Journaille rechnet sich der ‚weltoffenen‘ Schweiz zu - und damit den Eliten, die wissen, dass das Land seinen Wohlstand in einer globalisierten Wirtschaft nicht zuletzt den Ausländern mitverdankt. Trotzdem habe, so berichtet der Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich, die rechtspopulistische Initiative von der mit Abstand größten Zeitung, dem Gratisblatt 20 Minuten, aber auch vom sonst eher linksliberalen Tages-Anzeiger Zuspruch erhalten."
Rainer Stadler befasst sich in der NZZ mit der Kritik der internationalen Presse am Ausgang der Abstimmung:
„Angenommen, die Schweizer hätten vor zehn oder zwanzig Jahren einer Initiative gegen ‚Masseneinwanderung‘ zugestimmt: Die ausländische Presse hätte sie mehrheitlich verbal verprügelt. Jetzt hingegen klingt die Kritik verhaltener.“
Stadlers Analyse geht weit über das eigentlich Thema hinaus:
„Die alten Abwehrreflexe gegen ausländerfeindliche oder -kritische Positionen sind (...) gebrochen. Die migrationspolitischen Debatten der vergangenen Jahre haben einen Mentalitätswandel bewirkt, nicht nur in der Schweiz, sondern auch im Ausland. Die Redaktionen können zudem im Online-Zeitalter jene Stimmen, die gegenüber einem freien Personenverkehr kritisch eingestellt sind, kaum noch ignorieren. Diese Positionen sind nun dauernd und zahlreich präsent, für jedermann einsehbar in den Besucherkommentaren der Informationsplattformen. Die Digitalisierung sprengte die Kontingentierung, die im Reich des Gedruckten aus Platzgründen noch nötig war. Diese Entwicklung erschütterte die aufklärerische und zuweilen selbstzufriedene Selbstsicherheit des fortschrittsgläubigen Journalismus.“
Das generelle Fazit des NZZ-Medienredakteurs:
„Die traditionelle Meinungspresse ist demütiger geworden.“
Dass bei manchen Journalisten die Digitalisierung dazu beigetragen hat, die „selbstzufriedene Selbstsicherheit“ zu „erschüttern“, ist ganz generell erst einmal erfreulich, und die Währung Meinung ist schwächer geworden, seitdem jedermann in Sekundenschnelle seine publizieren kann. Der Begriff „traditionelle Meinungspresse“ ist aber so weit gefasst, dass man auf Stadlers These von der neuen Demut antworten könnte: Für die Bild-Zeitung trifft sie eher nicht zu - und aus anderen Gründen für eigentlich keine der im Altpapier regelmäßig ausgewerteten Medien. Aber das ist nicht der Punkt, Stadler wird viele neue Demütige kennen, vielleicht zählt er auch sich selbst dazu, die köstliche Formulierung „Stimmen, die gegenüber einem freien Personenverkehr kritisch eingestellt sind“ könnte dafür sprechen.
Der Punkt ist folgender: Wenn dem so ist, dass Journalisten anders, das heißt, vor allem: vorsichtiger formulieren, weil sie befürchten, Leser oder User zu verschrecken, von denen sie seit der Digitalisierung besser zu wissen glauben, wie sie ticken - wäre das, abgesehen davon, dass so ein Verhalten mindestens zu Magengeschwüren führt, die richtige Strategie? In Stadlers Argumentation kommt zudem zu kurz, dass das, was „in den Besucherkommentaren der Informationsplattformen“ zum Ausdruck kommt, ja nicht zuletzt geprägt ist von oft Jahrzehnte langem Konsum der „traditionellen Meinungspresse“.
In der gestrigen „Hart aber fair“-Sendung zum Thema besang im Übrigen der Schweizer Journalist Roger Köppel „das Selbstbestimmungsrecht der Völker“ (zitiert nach Arno Frank/Spiegel Online), während die um eine Abgrenzung von weiter rechts stehenden Talkgästen bemühte CSU-Politikerin Christine Haderthauer betonte: „Das Selbstbestimmungsrecht, da zu leben und zu arbeiten, wo man wolle, gehöre zu den Menschenrechten“. So fasst es der darob erstaunte („Solche Töne hat man bislang nicht von der CSU gehört“) Philip Plickert in seiner faz.net-Frühkritik zusammen.
[+++] Ebenfalls für faz.net war Tobias Rüther bei einer Berlinale-Veranstaltung „im Spiegelzelt am Gropius-Bau, wo am Montagnachmittag über die neuen internationalen Vertriebsmärkte von Kino und Fernsehen diskutiert“ wurde, es aber nicht allein um Vertriebsfragen ging. Mit dabei war „Breaking Bad“-Produzent Mark Johnson. Rüther fasst seinen Redebeitrag zusammen:
„In der ersten Staffel von ‚Breaking Bad‘ hätten sie die Folgen noch mit Anfang und Ende geschrieben, das ab der zweiten aber aufgegeben: Weil die Zuschauer von heute ihre Lieblingsserien so nicht mehr sehen würden, also Folge um Folge, sondern sie am Stück verschlängen wie Romane. Was wiederum die Autoren dieser Serien in die Lage versetzen hätte, Figuren im Laufe der Zeit komplett auf den Kopf zu stellen oder sich von Fernsehtraditionen zu trennen: ‚Vergesst die Cliffhanger!‘, sagt Mark Johnson.“
Nico Hofmann war auch zugegen, er performte dort unter anderem folgenden Satz:
„Das klassische Fernsehen wird es in Deutschland in zehn Jahren nicht mehr geben.“
So sehr es zu hoffen ist, dass sich einiges tut beim klassischen Fernsehen: Hofmanns These ist nicht unkühn, aber auf solchen Veranstaltungen kommt so etwas natürlich immer gut an.
+++ Heute läuft im „klassischen Fernsehen“ der neue Stefan Aust, und vielleicht ist das ja zumindest in einer Hinsicht ein besonderes Ereignis. Wer weiß, ob er noch viel Zeit hat für Filme, wenn er als Herausgeber der Welt schuften muss? „Der geplünderte Staat" heißt die bei arte zu sehende Dokumentation, die er mit Thomas Ammann gedreht hat. Sie „räumt auf mit der Mär von den Wohltaten öffentlich-privater Partnerschaften“ (Hamburger Abendblatt). Ursula Scheer (FAZ, Seite 37) findet: „Was Aust und Ammann erzählen, ist bekannt, interessant sind die Details dennoch, die sie zutage fördern. Die Verwicklungen um den Bau der Justizvollzugsanstalt Waldeck zum Beispiel, bei der ein Investor einen Politiker geschmiert haben soll. Die immer noch unbeantwortete Frage, wie genau die Kosten der Elbphilharmonie explodierten.“ Die Autoren hätten sich aber lieber „auf weniger Baustellen“ beschränken sollen, meint Scheer.
+++ Im Feuilletonaufmacher der FAZ führt Edo Reents heute aus, „im Umgang mit Thomas Mann“ sei „eine Tendenz hin zu weiterer Trivialisierung, Verflachung und, was am schlimmsten ist, Langeweile“ zu beobachten. Wir erwähnen das an dieser Stelle deshalb, weil laut Reents „zumindest mitverantwortlich“ für diese Entwicklung der Dokudrama-Gott Heinrich Breloer ist, „der uns die ganze Familie als interessanten ‚Stoff‘ angedreht und, mit Hilfe seines Stammschauspielers Armin Mueller-Stahl, Thomas Mann als Figur präsentiert hat, die vor Gravität und Behäbigkeit kaum laufen kann. Auch wenn sein Verfahren noch so oft gerühmt wird – intellektuell ist es hochmanipulativ und im Grunde unredlich, indem es durch die Vermischung realer und fingierter Elemente zwar den Anschein des Authentischen erweckt, aber Feinnervigkeit ins Gegenteil verkehrt.“
+++ Der Medienseiten-Aufmacher der SZ ist den Bemühungen hiesiger Medienaufseher um eine Kennzeichnungspflicht von Scripted-Reality-Formaten gewidmet: Thomas Fuchs, Chef der Medienanstalt Hamburg Schleswig-Holstein, hoffe, schreibt Laura Hertreiter, „auf eine zweite Gesprächsrunde im Frühjahr“, nachdem die betroffenen Sender bisher auf stur geschaltet haben. Notfalls „setzen wir uns für eine Kennzeichnungspflicht per Gesetz ein“, droht Fuchs. Hertreiter stellt auch Erwin Lennartz vor, einen sehr oft für Scripted Reality-Formate gebuchten Darsteller.
+++ Ebenfalls in der SZ: Ein sog. ZDF-Publikumsrat hat beim ZDF-Fernsehrat eine Programmbeschwerde in der Causa Lanz/Wagenknecht eingelegt. Der Hinweis, dass es sich bei diesem Rat (zumindest noch) um kein institutionalisiertes Gremium handelt, sondern kaum mehr als eine Website, fehlt allerdings. [Nachtrag, 10.40 Uhr: Siehe auch Bildblog]. Sabine Schiffer, die im Text zitierte „Sprecherin“ des Rats, verdient möglicherweise noch gesonderte Aufmerksamkeit.
Neues Altpapier gibt es wieder am Mittwoch.