Rattenrennen zum "Tatort"

Die ARD ist nicht der ADAC. "Datenschutz-Paula" endlich im Amt. Facebook in der "magischen Mitte des Mainstreams". Ein neuer internetrechticher Paukenschlag des Landgerichts Köln.

Nach dem arg Alice-Schwarzer-lastigen Altpapier gestern soll heute auch überm Strich die multithematische Vielfalt rüberkommen, die den Medienjournalismus immer so herausfordernd, aber auch erfüllend macht. Zum Beispiel die ARD.

Gestern war wieder die große Pressekonfererenz, die nach der Sitzung der Intendanten an turnusmäßig wechselndem Ort regelmäßig Medienredakteuren vermeldenswerten Stoff an die Hand gibt. Im sozialen Echtzeitmedium Twitter war die #ARDPK dank der ARD-Pressestelle gut wiedergespiegelt. Manch Zitat ("Marmor: 'Wir arbeiten nicht mit #ADAC-Methoden'") mag leichte Schmunzler hervorgerufen haben. In den Zeitungen ist allerdings wenig gelandet. "Tatort" halt. Nur der Tagesspiegel, die treue Seele, berichtet ausführlicher von der Veranstaltung im heimischen Berlin.

Während die Überschrift-stiftende Nachricht, dass die ARD "keine Ansprüche auf die Mehreinnahmen nach der Reform der Rundfunkgebühren" erhebt, Kenner der Prozeduren kaum überraschen kann, ist die weiter unten stehende "Tatort"-News interessant. Der MDR hat im Rahmen seiner Bemühungen, "seine Krimifamilie neu aufzustellen" (MDR) auch den Thomalla/ Wuttke-Nachfolge-"Tatort" offiziell im Internet ausgeschrieben. Die hochoffizielle Angebotsabfrage finden liebe Produzentinnen und Produzenten hier. Und auch Laien können an Vorgaben wie "Die Einsendung des Angebotes erbitten wir in 6-facher Ausfertigung ausgedruckt und als mit Microsoft Office lesbare Dateien auf Datenträger (z. B. USB-Stick) ..." erkennen, wie professionell es bei solchen Produktionen inzwischen zugeht, und was für Eventualitäten alle mit bedacht werden müssen:

"Bitte kennzeichnen Sie die Umschläge deutlich mit dem Hinweis 'Tatort Sachsen – Angebotsnummer: 14.36.1.02.05.2014', um ein unbefugtes Öffnen zu vermeiden!"

Zugleich untermauert die Ausschreibung die bei der ARD-PK offenbar von der RBB-Intendantin Dagmar Reim, die für ihren "Tatort"-Schauplatz Berlin ja ebenfalls ein neues Ermittlerteam anzuheuern im Begriff ist, offenbar geäußerte Vermutung, dass solche Ausschreibungen eher nicht "zu einem allgemeinen Modell" werden dürften, schon weil "viele Produzenten gar nicht begeistert seien, für jedes Projekt an einem Rattenrennen mit teuren Vorleistungen teilnehmen zu müssen" (Tsp.).

[+++] Die Gefahr des unbefugten Öffnens dicker Briefumschläge, die im deutschen Osten als Erinnerung natürlich noch besonders nachhallt, führt zum Megathema Datenschutz. Die Amtszeit der neuen Datenschutzbeauftragte des Bundes, Andrea Voßhoff, hat nun aber wirklich begonnen. Als die Personalie im Dezember (Altpapier) bekannt wurde, war die Begeisterung nicht gerade groß. Die Webseite vosshoff.de ist wie damals noch immer temporarily unavailable.

"Insgeheim ruht manche Hoffnung auf Andrea Voßhoff .... Sie könnte, wenn sie wollte, alle verblüffen - gerade weil sie bisher nicht als Bürgerrechtlerin aufgefallen ist. So wie nur die SPD Hartz IV durchsetzen konnte und die Grünen den Kosovokrieg, so würde in dieser politischen Logik die CDUlerin Andrea Voßhoff die Vorratsdatenspeicherung stoppen. Schön wär's. Aber damit ist nicht zu rechnen",

schickt Christian Rath auf der TAZ-Meinungsseite seine Leser auf eine kleine Achterbahnfahrt der Empfindungen. Sie könnte nämlich doch nicht, selbst wenn sie wollen sollte, weil sie überhaupt "keine Entscheiderin" ist. Das ist der Bundesinnenminister, der aus der Verteidigung zurück versetzte Thomas de Maizière, für den Voßhoff jedoch die Gefahr verkörpere, als "Datenschutz-Beauftragte, die sich für Vorratsdatenspeicherung ausspricht, ... zur Hassfigur der Internetcommunity" zu werden, und so "den Dialog mit der Netzgesellschaft" sogar erschweren. So verläuft Raths etwas gewundene Argumentation, die den umso launigeren "TAZ-Check" zur Netzpolitik ("... Fazit: Zivilgesellschaft gefragt") flankiert.

Johannes Kuhn sieht bei sueddeutsche.de für "Datenschutz-Paula", selbst wenn sie bloß dank "großkoalitionärer Posten-Arithmetik und sozialdemokratischem Desinteresse am Thema" auf ihren Posten gelangt sei, "den Tiefpunkt bereits hinter sich" (also hinter ihr) und "fünf Chancen". Zum Beispiel die, anders als ihr Vorgänger, der eigentlich vielerseits geschätzt Peter Schaar, "in der Bevölkerung ... Bewusstsein für die Tragweite des Datenschutzes im digitalen Zeitalter" zu schaffen.

Zumindest Kuhns Anregung, für Informationsfreiheit einen eigenständigen weiteren Beauftragten-Posten zu schaffen, könnte die Große Koalition dankbar aufnehmen, sobald wieder jemand versorgt werden muss. Minister Friedrich, falls es in der Landwirtschaft nicht klappen sollte, könnte ein Kandidat sein.

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[+++] Die Tragweite führt natürlich wieder zu kalifornischen Konzernen, die mit dem amerikanischen Geheimdienst kooperieren. Dass sie das nicht immer freiwillig tun, haben einige von ihnen durch eine kleine Informationsoffensive gezeigt. "Wirklich befriedigende Transparenz bringen die Angaben nicht. Es scheint mehr, als bewege man sich einen minimalen Schritt vorwärts, um damit argumentieren zu können, man habe sich um bessere Transparenz bemüht", meint netzpolitik.org.

In der deutschen Medienwahrnehmung belegt so etwas ohnehin nur hintere Plätze. Dafür gelten Dezimalsystem-Jahrestage viel. Zehn Jahre Facebook ist ein großes Thema.  Bzw. "wieder mal ein Anlass, Kübel des Hasses über Faceboook auszukippen", wie sich Thommy Knüwer in seinem Blog beschwert, ohne dabei behaupten zu wollen, "dass Facebook ein Engel ist", nicht ohne allerdings Journalisten an ihre "verfickte" bzw. exakt: "VERFICKTE" Pflicht zur Recherche zu gemahnen. Knüwer ist freilich auch wieder "verliebt", in die neue App namens "Paper".

Nüchterner Sascha Lobo, der bei SPON mal wieder die "gesamte digitale Sphäre" kompakt umreißt, und zwar natürlich als "Spannungsfeld". Dieses befindet sich zwischen Facebook, dem erfolgreichen "Sozialnachrichtenkonzern", und dem deutschen Verfassungsschutz, der, was digitale Gefahrenabwehr für die Bürgerinnen und Bürger und ja auch Bundeskanzler betrifft, womöglich über ein Jahrzehnt lang weniger erfolgreichen Behörde. Dass beider Chefs, Mark Zuckerberg und Hans-Georg Maaßen, gerade Interviews gewährten, ist nur eine unter mehreren Gemeinsamkeiten, die Lobo herausziseliert.

Auf wiederum andere Weise beschreibt Peter Glaser bei heise.de das Phänomen Facebook. Es sei "eher ein Erwachsenenkindergarten unter algorithmischer Aufsicht oder eine globale Nutzerabwimmelanlage als eine soziale Organisationsstruktur" und werde "schon jetzt von den wenigsten seiner Abermillionen Nutzer gemocht", einerseits, doch andererseits

"ist Facebook dabei, dem Konsens-Medium des 20. Jahrhunderts, dem Fernsehen, das Wasser abzugraben und selbst zur magischen Mitte des Mainstreams zu werden."

Und auch der noch deutlich Facebook-freundlichere FAZ-Leitartikel von gestern steht inzwischen frei online. Dass viele Kübel über Facebook ausgegossen werden (Knüwer bezieht sich u.a. auf einen Teaser im Onlineauftritt das manager magazins und das "Technik & Motor"-Ressort weit hinten in der FAZ), lässt sich also nicht behaupten. Auch darum hier noch mal rasch der Hinweis auf die App "What Facebook shares about you".

Jenen Leitartikel schrieb Carsten Knop, der für Unternehmensberichterstattung verantwortliche FAZ-Redakteur, der gerade auch in einem FAZ-Blog einen solch optimistischen Journalismuszukunfts-Text veröffentlichte, wie er zumal in der FAZ schon lange kaum mehr zu lesen war. Die Krise-gleich-Chance-Dialektik ist sichtlich von Unternehmenslenker-Rhetorik beeinflusst, tut zu lesen abervielleicht gut tut:

"Die Medienhäuser und Journalisten, die diesen Übergang schaffen, stehen vor einer guten Zukunft. Sie haben einen herausfordernden, aber auch erfüllenden Beruf."


Altpapierkorb

+++ Shootingstar im deutschen Internetrecht ist das LG Köln, bekannt durch die Redtube-Abnahmwelle. Jetzt die nächste Landgericht-Entscheidung, die "lebensfremd" ist, aber "allgemein verbreitete Online-Nutzungspraktiken" betrifft (netzpolitik.org): Es geht um Fotos, die nur vermeintlich lizenzfrei sein könnten und der kölschen Entscheidung gemäß womöglich so mit einem Urheberverweis versehen, also bearbeitet werden müssten, dass das schon wieder einen Eingriff ins Urheberrecht darstellen könnte. Siehe auch SPON, wuv.de (das die auf Social-Media-Recht spezialisierte Anwältin Nina Diercks mit der Einschätzung "Die Entscheidung ist ihre Aufregung nicht wert" ist). "Ich halte das Urteil ebenfalls für falsch, aber vollkommen abwegig oder schwachsinnig ... ist es wohl eher nicht", würde Thomas Stadler sagen, der den Fotografen, der einstweilen erfolgreich geklagt hat, der Treuwidrigkeit beschuldigt. +++

+++ Was geht in der Schwarzer-Debatte (Altpapier gestern). Darauf, dass "die Frauen, die für die Emma schreiben, unterirdisch schlecht bezahlt" würden, Schwarzer "aber Manns genug ist, die böse Seite des Unternehmertums voll auszukosten und selbst Kohle zu horten", weist TAZ-Kriegsreporterin Silke Burmester hin. +++ Darauf, dass Schwarzer "beim Staat erfolgreich Millionen-Subventionen für Projekte" einwarb, aus anderer Perspektive Springers Welt. +++ Frank Lübberding nimmt bei wiesaussieht.de Hans Leyendeckers Kategorie "Prominenten-Malus" auseinander, und außerdem noch Ralf Höckers Ansicht (vocer.org), dass "die Veröffentlichung ihrer Selbstanzeige im 'Spiegel' ... Unrecht" sei. +++

+++ Die neue "Anstalt" gestern im ZDF nimmt nicht ohne Respekt vor zumindest "stimmlich" "anerkennenswerten Leistungen" Harald Keller bei fr-online.de auseinander. +++ Neu in der ZDF-Unterhaltungsabteilung: die "emotionale Sympathieträgerin" Michelle Hunziker (Tsp.). +++

+++ "Zu den größten Verlegern im Land gehört ab sofort der Bundestagsabgeordnete Dietmar Nietan", und zwar in seiner Eigenschaft als Schatzmeister der SPD und damit Chef der DDVG (FAZ-Blog). Eine der so gesehen bislang größten Verlegerinnen ist nun ja Bundesumweltministerin. +++

+++ Wissenswertes über Petitionen ("Auf Plattformen wie OpenPetition, Change.org oder Campact kann jeder sein Anliegen veröffentlichen, debattieren und unterzeichnen lassen kann. ... Im Unterschied zur Bundestags- oder White-House-Petition ist der Adressat nicht zu einer Reaktion verpflichtet") bündelt die Süddeutsche auf ihrer Print-Medienseite. openpetition.de-Gründer Jörg Mitzlaff will nach der Lanz-Erfahrung "künftig keinen Protest mehr gegen Menschen ...zulassen: Die Seite sei kein 'Meinungsportal', sondern ein 'politisches Werkzeug'"). +++

+++ Viel besprochen: der Fernsehfilm "Der Prediger" heute abend in der ARD. "Ungewöhnlich abstrakt und meist klug erzählt, auch wenn Devid Striesows Figur mit einer im Grunde überflüssigen Liebesgeschichte und quasi-romantischen Naturerlebnissen etwas zu offensichtlich nach sich selbst suchen muss", findet die SZ und lobt die Fiktion-Chefin des BR, Bettina Ricklefs, weil sie zeigt, "dass man mit Rundfunkgebühren sinnvolle Dinge anstellen kann, wenn man nicht immer nur auf die Marktanteile schielt". +++ "Irgendwann rastet einer aus. Nach gut einer Stunde ist das, wenn man als Zuschauer selbst schon ganz mürbe geworden ist von all diesen Gesprächen - ... ... -, wenn der Kopf schwer ist von all diesen Unterredungen zwischen Seelsorge, Verhör und Beichte, in denen nur immer weiter verschwimmt, was dieser Mann da im Schilde führen mag, dieser verurteilte Mörder, der plötzlich von Jesus redet...": was Ursula Scheer da auf der FAZ-Medienseite etwas spoilerartig aufbaut, "zeigt wie großartig der Drehbuchautor und Regisseur Thomas Berger den inneren Druck aufgebaut hat, um den es in seinem Film 'Der Prediger' geht." +++ "Gottes Wege sind unerforschlich, gutes Fernsehen wie diese exzellente Arbeit voller schauspielerischer Präzision Menschenwerk" (Nikolaus von Festenberg, Tagesspiegel). +++ "Dieser Film macht das ganz große Fass auf: Glaube" (Lea Streisand in der TAZ), "mit einem weniger exquisiten Cast hätte diese wortlastige Inszenierung in die Hose gehen können". Der von Devid Striesow gespielte Bischof ist übrigens evangelisch. +++ "Ganz erheblichen Anteil gerade an der Wirkung der dialogreichen Szenen hat die Bildgestaltung durch Gunnar Fuß, dessen Licht zudem dafür sorgt, dass Eidingers Augen noch blauer als sonst wirken. Striesow dagegen, eigentlich nicht minder blauäugig, muss sein Wesen zunächst hinter einer Brille verbergen..." (Tilmann P. Gangloff bei evangelisch.de). +++

+++ Die FAZ vermeldet auf ihrer Medienseite, dass die "Stiftung namens 'Vielfalt und Partizipation'", die nordrhein-westfälische SPD-Politiker wie Marc Jan Eumann planten und die v.a. die FAZ heftig kritisiert, "zwar weiterhin 'Stiftung' heißen", aber "eine von der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien ... gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung" werden soll: "Durch die Ansiedlung bei der LfM und die Finanzierung aus dem (durch Rundfunkgebühren gespeisten) LfM-Haushalt soll die Staatsferne der 'Stiftung' garantiert werden." +++ Und berichtet (S. 3) über den neulich auch hier erwähnten russischen Fernsehsender TV Doschd: "So ernst wie jetzt, da ein Anbieter nach dem anderen Doschd mit fadenscheinigen Begründungen vom Netz nimmt, war die Lage noch nie", denn, auch wenn Staatsanwälte nun nicht mehr ermitteln, "teilte auch noch der für die Ausstrahlung von Doschd bedeutendste Vertragspartner, ein Anbieter von Satellitenfernsehen, mit, den nunmehr 'unzweckmäßigen' Sender ab kommender Woche nicht länger zu übertragen. Insgesamt ist Doschd dann ... von mehr als achtzig Prozent seiner Zuschauer abgeschnitten." +++

+++ Womöglich ein wenig "langweilig" (noch mal die beteiligte TAZ-Kriegsreporterin), dafür absolviert: die "Journalist des Jahres"-Feier des medium magazins. Fotos und Zitate hat meedia.de. +++

Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.