Zwischen Pranger und Fallbeil wird wieder geteert und gefedert. Besonders im Fall von "Prominenten-Malus"? Die Alice-Schwarzer-Diskussion ist voll im Gange, nicht bloß im Dschungelcamp der Talkshows.
Wie zu erwarten: Aufregung, an der Alice Schwarzer beteiligt ist, legt sich nicht mir nichts dir nichts. Diejenige um die Spiegel-Publikmachung einer von Schwarzer begangenen, behördlich inzwischen allerdings erledigten Steuer-Straftat (Altpapier gestern) hat so richtig Fahrt aufgenommen und blitzt in vielen Ressorts vieler Medien auf.
Durchaus lässige Sätze erscheinen, die sowohl Schwarzers Verdienste im schönen Sinne, als auch ihre vielfältigen Medienäußerungen (z.B. im Zitaten-Cocktail der TAZ, einem handverleseneren als die agenturmäßig angebotenen Steuersünder-zum-Durchklicken-Cocktails ...), als auch noch gesamtgesellschaftlichere Aspekte ("Eine tolle Elite haben wir da im Land", klagt Stefan Winterbauer, der auf seinem meedia.de-Foto daneben guckt, als müsste auch er dringend mal in Talkshows eingeladen werden) im Blick haben.
Zum Beispiel Michael Hanfeld, jawohl, auf der FAZ-Medienseite 31:
"Hätte Alice Schwarzer auf ihrer Website einfach einen Punkt gemacht ('Das Konto war ein Fehler. Den bedauere ich von ganzem Herzen'), ginge die Aufregung schnell vorbei. Doch wird diese anhalten, weil und solange sie auf ihrer Opferrolle beharrt."
Zum Beispiel in der TAZ "aus Wiesbaden Arno Frank" mit Bezug auch auf Theo Sommer, den "Hanseat und Intellektuellen" (Winterbauer) von der Wochenzeitung Die Zeit:
"Ihre Fallhöhe ergibt sich aus dem Umstand, dass sie insgeheim einer Gesellschaft das Geld entzogen haben, der sie öffentlich sonst wortreich den Unterschied zwischen Gut und Böse erklären."
Franks lässigster Absatz lautet:
"Auch Selbstgerechte haben einen Anspruch auf Gerechtigkeit. Das Steuergeheimnis gilt für Schwarzer im gleichen Maße, wie für Kachelmann die Unschuldsvermutung galt - so lange, bis sich jemand aus moralischen Erwägungen darüber hinwegsetzt. Gesellschaften regulieren sich aber über Erregungen, die sich nicht mit einem Hinweis auf Paragrafen abkühlen lassen. Schon gar nicht von Personen, die diese Erregungen oft zu eigenen Zwecken zu dirigieren wussten. Und ihre persönliche und politische Integrität dafür eingesetzt haben, diese Gesellschaft zu einer besseren zu machen."
Warum er dies ausgerechnet "aus Wiesbaden" berichtet, lässt der Text übrigens offen. Um zur Abwechslung konkret zu werden und jemanden zu zitieren, der doch eher pro Schwarzer ist: Hans Leyendecker hat sich zur in der SZ-Printausgabe vom Montag noch nicht beantworteten Frage, ob der Spiegel über Schwarzers Selbstanzeige hätte berichten dürfen, im Verlauf des Tages eine Meinung gebildet, die unter der Überschrift "Die Last der späten Reue" in der heutigen Printausgabe steht:
"Nach Bekanntwerden der Veröffentlichung ihres Steuerfalls hat Schwarzer eine inhaltlich eher fatale Stellungnahme verfasst, die sie zum Opfer einer großen, allgemeinen Verschwörung macht. Die Ichbezogenheit dieses Textes und ihre Lust, hinter allem ein Komplott zu vermuten, irritieren schon sehr. Aber rechtfertigt diese Antwort im Nachhinein den Bruch des Steuergeheimnisses?"
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Eine wörtliche Antwort erspart Leyendecker sich, indem er den nicht gerade naheliegenden Bogen schlägt, mit dem er in seinen Text einsteigt, und (unter Berufung auf "Leute, die sagen", dass es so sei ...) die Schwarzer von heute mit dem 43-jährigen Rolf Hochhuth von anno 1974, so wie Schwarzer ihn seinerzeit beschrieb, vergleicht. Jedoch meint Leyendecker offenkundig: Nein, sie rechtfertigt den Bruch nicht. Und er führt einen im Falle Uli Hoeneß (der ja seinen Höhepunkt noch längst nicht erreicht hat) häufig mit Fragezeichen versehenen Begriff fast fragezeichenlos in die Debatte ein:
"Verglichen mit dem Fall des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff ist der Fall Schwarzer nur eine Bagatelle. Dennoch verbindet die beiden Fälle der Prominenten-Status. Die Steuernachzahlung der Alice Schwarzer interessiert, weil sie prominent ist. Es scheint in der Gesellschaft einen Prominenten-Malus zu geben.
Mit Wulff gelangen wir zum Tagesspiegel, auf dem vorne drauf Malte Lehming das Bild des Fallbeils bemüht (wohingegen vom oben erwähnten, angeblich "mittelalterlichem" Teeren und Federn übrigens hier metaphert wird):
"... Verdammung statt Verzeihung. Selbst der Kopf Unschuldiger wird gelegentlich unter das Fallbeil gelegt - Christian Wulff etwa oder Markus Lanz. So entpuppt sich die schöne, neue, digitale Welt auch als Herrschaft einer schreienden, amorphen Masse, die per Mausklick den Daumen nach oben oder unten senkt."
Bevor Sie aufgrund dieses Ausschnitts nun denken, das sei einer der vielen allgemeinen Das-Internet-ist-böse-Texte - halt. Lehming (der als Berliner im selben Steuer-Zusammenhang ja auch noch das aktuellere "Empörungsgewitter" um den Berliner Kulturstaatssekretär mit verarzten muss) hat im selben Text mindestens einen ebenfalls lässigen Satz, nämlich:
"Was die einen als Entlarvung und Aufklärung feiern, bedauern die anderen als neuen Pranger und Burnout der Seele."
überdies erinnert er auch noch an etwas, an das in solchen Debattenbeiträgen öfter erinnert werden müsste:
"In wenigen Tagen produzieren die Menschen inzwischen mehr Daten als vom Beginn der Zivilisation bis zum Jahr 2003."
Das macht den Überblick so schwer. Was viele Debattenbeiträge belegen: Permanent ein stimmiges Bild der Gesellschaft und der Zivilisationsgeschichte, die zu ihr führte, vorzuhalten und jede aktuelle Aufregung inklusive ihrer Nebenwirkungen in all den digitalen Medien rasch so einzupflegen, dass das aktualisierte Bild dann immer noch stimmig wirkt, ist verdammt schwer. Vielleicht muss es gar nicht unbedingt immer sein.
[+++] Was sagt Schwarzer selbst?
"Alice Schwarzer ist nicht zu sprechen. 'Ich werde mich aus grundsätzlichen Erwägungen', so teilt sie auf Anfrage dieser Zeitung mit, 'über meinen Blog hinaus nicht zur Sache äußern.' ... Jetzt möchte sie schnell wieder zur Tagesordnung übergehen: 'Ganz davon abgesehen, dass ich mitten im Redaktionsschluss von 'Emma' stecke.'"
Diese sympathische Auskunft erteilte sie der bunten FAZ-Seite "Deutschland und die Welt", die heute unter den schönen Überschriften "Im Auge des Medientaifuns/ Nach Selbstanzeige Schmähgewitter gegen Alice Schwarzer" ebenfalls über die Sache berichtet.
Zu einer Tat ist Schwarzer freilich geschritten. Zu einer großen. In den Worten der großen Zeitung, der sie ja besonders verbunden ist: "Alice Schwarzer spendet eine Million" bzw. "Alice Schwarzer stiftet eine Million!". Ja, der Internetauftritt der Bild-Zeitung bietet sogar "die Pressemitteilung von Alice Schwarzer als DOWNLOAD" (PDF)!
Dass diese Stiftung, die Schwarzer also aus ihrem Vermögen stiftet, die aktuellen Diskussionen beendet, ist unwahrscheinlich. Schon die Formulierung von den "zukünftigen Gewinnen" des Emma-Verlags, den Schwarzer ebenfalls in diese Stiftung einbringt, könnte womöglich weitere Diskussuionen befeuern. Schließlich gelten Zeitschriftenverlage nicht uneingeschränkt als tolle Geschäftsidee. Schließlich gab es um den Frauenmediaturm in Köln (Foto oben), in dem der Verlag sitzt, erst kürzlich wieder Subventions- bzw. Steuerdiskussionen (taz.de), schließlich kamen diese auch in der gestrigen Plasberg-Talkshow zur Sprache, in der in Abwesenheit Schwarzers über sie diskutiert wurde. Frühkritiken zur "leidlich vorhersehbaren, von der Redaktion jedoch lässig wie ein Kofferschmuggler aus dem Ärmel geschüttelten 'Hart aber Fair'-Sendung", die eigentlich "ein gelungener Probelauf für die Talkrunden, die wir im März erleben, wenn der Prozess gegen Uli Hoeneß beginnt", war (Matthias Hannemann bei faz.net) liegen natürlich bereits vor (DuMont-Medien, welt.de).
Ohne lange Stefan Kuzmanys Beitrag über Schwarzer und den "deutschen Talkshow-Zirkus" zu bemühen (SPON ist im Schwarzer-Fall ja erst recht Partei): Talkshows sind für die Gemengelage, um die herum Schwarzer-halber aktuell wieder so viel diskuttiert wird, vermutlich eher Teil des Problems als dass sie Anteile einer Lösung bieten. "Die Talkshow ist das Dschungelcamp der Mittelschicht", würde Wolfgang Michal sagen, der offenbar unter dem Einfluss einer Twitter-Talkshow-Session ("Das Lästern über Talkshows ist zum Netzsport geworden. Vor allem das Lästern über Personen. Was will der Heini da neben der @afelia, der soll doch sein Maul halten. Und wer hat bloß den Vollpfosten von der BLÖD-Zeitung eingeladen? Manche Kritiker halten solche Unmutsäußerungen für gelebte Demokratie") einen diesbezüglichen rant für Carta verfasst hat.
Ob dieses Dschungelcamp nicht jenes aufschlussreiche Fernsehen ist, das viele Medienbeobachter darin erkennen möchten (nicht alle, immerhin), oder doch halt bloß RTL-Schund, darüber ließe sich sicher ebenfalls diskutieren. Aber eine grundsätzliche Diskussion über Talkshows und ihre Auswirkungen auf die übrigen Medienkanäle würde sicher ein vergleichsweise sinnvoller Strang sein.
+++ Es hagelt Superlative im großen Interview, das Matthias Matussek zu seinem Abschied vom Spiegel dem Portal theeuropean.de gegeben hat: "schlimmste Tröte in diesem Beritt" (Georg Diez), "das Brillanteste, was die konservative Publizistik in Deutschland zu bieten hat" (Jan Fleischhauers Kolumnen), seine, Matusseks "düsterste Stunde beim Spiegel", die einem "sehr beschränkten Großmaul", das auch genannt wird, verdanken ist... Aber auch der Text des Fragestellers Alexander Wallasch drumherum zog bereits Superlative auf sich und ist wirklich ... lesenswert und ausdruckenswert. Nur z.B.: "Viele Texte dieses Matthias Matussek lesen sich wie Expeditionen ins Unbekannte. Ein großes kindliches Staunen. Ohne Angst. Aber immer entweder die totale Begeisterung oder Vernichtung, Schmerz, düsteres Pathos. Und dann wieder hellster, bis ins Kitschige bimmelnder Glockenklang. Matussek ist die Schreibmaschine." Aber nicht nur das. "Tintengigant" ist er überdies. +++
+++ "Internet-Werbevermarkter wie Axel Springer Media Impact, SevenOne Media (ProsiebenSat 1) und IP Deutschland (RTL) wollen nach Informationen des 'Focus' juristisch gegen den Werbeblocker Adblock Plus vorgehen und bereiten Klagen gegen den Betreiber des Anzeigenfilters, die Firma Eyeo, vor" (Tagesspiegel, heise.de ... bei focus.de aktuell offenbar nicht frei online). +++
+++ "Heute gehe es um die Gleichstellung von Mann und Frau, morgen würden die Herren und Damen aus dem Parlament vielleicht andere Lehrinhalte verordnen wollen. ... Das rühre schon an das Prinzip der Pressefreiheit", so kritisiert die französische Konferenz der Schulen für Journalismus ein neues Gesetz (Süddeutsche). +++ Ebd. geht Katharina Riehl dem Phänomen von fiktionalen Fernsehserienfiguren, die twittern und Ratgeberbücher schreiben (und macht am ende eine bayerischen Schlenker zum "Monaco Franze", der nur bis 1983 im Fernsehen lief, aber "fast 10000 Facebook-Freunde" hat). +++
+++ Außerdem ebd.: ein knapper Bericht über das Fernseh-Comeback Bassem Jussefs, des "bekanntesten Satirikers Ägyptens". Bemerkenswert ist erstens, dass mit Sonja Zekri die wohl neue Feuilletonchefin der SZ ihn schrieb, und zweitens, dass die Rolle der Deutschen Welle als einem der Ausstrahlungsorte von Jussefs Shows darin relativ knapp darin vorkommt. +++
+++ Schöner Binnempluralismus der FAZ: Im S.1-Leitartikel "Der globale Wochenmarkt" gratuliert Carsten Knop Facebook sehr herzlich zum Geburtstag ("Facebook wird an diesem Dienstag zehn Jahre alt. Sein Gründer und Vorstandsvorsitzender Mark Zuckerberg wird wenig später dreißig Jahre alt. Was für eine Leistung in so kurzer Lebenszeit!", "Facebook macht jeden Nutzer zum Reporter seiner Lebensgeschichte und zugleich den Nachrichtenkonsum zu einem individuellen Erlebnis. Das Unternehmen befeuert den Trend zur Verschriftlichung der Kommunikation, mehr noch, als es E-Mail und SMS schon getan haben"...). +++ Auf der Medienseite empfiehlt Stefan Schulz "What Facebook shares about you", die neue App von Sarah Spiekermann und Maximilian Schrems, aber auch prism-break.org ("Hilf mit, die Massenüberwachung ganzer Bevölkerungen unwirtschaftlich zu machen! Wir alle haben ein Recht auf Privatsphäre!"). +++
+++ Heute abend im ZDF: die "Neues aus der Anstalt"-Nachfolgesendung "Die Anstalt". Die FAZ gibt einen möglichen Gag zum Besten: "'Hören Sie mal, waren Engel früher nicht weiß?', fragt Uthoff. 'Ja', antwortet von Wagner, 'das war, bevor der ADAC sie besudelt hat.' Ob die Szene es in die Premiere schafft, ist noch offen". Die Überschrift des FAZ-Artikels lautet "Sie wollen weniger Merkel wagen" und entfaltet ihre Wirkung erst so richtig, wenn man auf der Seite daneben, am Ende des Feuilletons die Überschrift "Wir wollen mehr Hannah Arendt wagen" liest (unter der es dann um "eine neue politische Kultur für Europa" geht). +++ Für den Tagesspiegel hat Jan Freitag den "Anstalt"-Machern Claus von Wagner und Max Uthoff Fragen wie "Wollen Sie als Kabarettisten die Gesellschaft verändern oder nur unterhalten?" gestellt. +++
+++ Was der sprachlich bekanntlich strenge Autor Harald Keller zu einem so ausdrucksstarken Vorspann wie "Mit 'Sleepy Hollow' und 'Beauty and the Beast' starten zwei US-Serien, die auf bekannten Stoffen basieren. Das hat Tradition" sagen würden - unklar. Wahrscheinlich hat ihn jemand anders gedichtet und Keller nur den Text darunter geschrieben (TAZ). +++
+++ Und zum Tode von Thomas Thieringer, dem Fernsehkritiker schreibt Gerhard Stadelmaier wiederum auf der FAZ-Medienseite: "Man hätte sich gewünscht, dass der Kollege Thomas Thieringer noch mehr Kollege hätte sein dürfen: Das heißt, dass sie ihm in München irgendwann eine feste Redakteursstelle als Theaterkritiker oder als Fernsehkritiker, bitte auch als Opernkritiker (er wusste viel über Musik) gegeben hätten. Aber der große, weißbärtige, elegante Herr mit dem hartgaumigen schwäbischen Akzent, wie ihn Leute 'vo’ d’r Alb rrraa' sprechen (er wuchs in Lonsee auf), war wohl zu bescheiden, zu zurückhaltend, zu kultiviert und unintrigant auch, um sich in die Reihe der A-Premieren-Rezensenten zu drängen. Also blieb er freier Mitarbeiter, der sich beizeiten den für dieses Gewerbe üblichen 'Bauchladen' als Speckgürtel zulegte (man schreibt als Bauchladenbesitzer dann eben für mehrere Zeitungen oder Agenturen, Thieringer für die 'Süddeutsche', die 'Frankfurter Rundschau' und den epd)". Freiwillig könnte er nicht frei geblieben sein? +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Mittwoch.