Bezahlt isses, rein musses

In der Lanz-Debatte muss es nun einfach aufwärts gehen. Grundsätzliche Kritik an der Programmverstopfung mit Talkshows. Neue Gremien-Ideen fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen allerdings auch. Ein vertrackter Fall von Medienverantwortung. Außerdem: Dauert die Zeitungszukunft noch 20 Jahre?

Diese Woche wurde der Karikaturenpreis der deutschen Zeitungen wieder vergeben. Humor ist natürlich individuell, aber für die Behauptung, dass man sich die drei Gewinner-Karikaturen ansehen kann, ohne viele Mienen zu verziehen, braucht man sich nicht weit aus dem Fenster zu lehnen. Karikaturisten haben's halt auch nicht leicht: Deutunghoheit läängst verloren, jede Menge Konkurrenz durch all die sog. Comedians und im unglaublich humor- und ohnehin vollen Internet, durch lustige GIFs usw. usf..

Hier aber eine wirklich lustige Karikatur. Sie stammt von Klaus Stuttmann, dem Tagesspiegel-Karikaturisten mit beeindruckendem Output. Sein "Talkshows, Talkshows, Talkshows - warum müssen wir uns das alles reinziehen...? - "Weil wir es bezahlt haben ..." bringt mindestens eine virulente Mediendebatte der Woche auf den Punkt. Was die Markus-Lanz-Petitionsdebatte (zuletzt Altpapierkorb gestern, dann Altpapier vorgestern ... ) betrifft, so könnte es darin nun endlich bergauf gehen.

Denn "immerhin ist nun der Tiefpunkt der Debatte erreicht". Stefan Niggemeier hat ihn in der "superseriösen, superanständigen, superbürgerlichen Wochenzeitung 'Die Zeit'" in einem Artikel Josef Joffes entdeckt. Inspiriert von einem Irrtum, der schon mal in der Wochenzeitung gestanden hat, hat ihn die alte Edelfeder mit den Worten "In analogen Zeiten hieß es: 'Kauft nicht beim Juden!' Heute ist die Verwünschungskultur digital" gesetzt. "Und ein paar Tausend oder Zehntausend oder Hunderttausend Leute, die meinten, sie müssten nicht schweigend jede Verirrung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hinnehmen, den sie bezahlen, sehen sich nun in eine Reihe mit den Nazis gestellt und ihre Kritik an Lanz mit dem Hass auf Juden" (Niggemeier).

An der vehementen Kritik an der Petition kann vor allem verblüffen, wie arg Medienprominente à la Joffe, Thadeusz, Nuhr usw. sich an die beinahe werktägliche Dosis Lanz gewöhnt zu haben scheinen, sodass ihnen schon die Idee, etwas am ZDF-Programmschema zu verändern, unglaublich vorkommt.

Einen Metaebenen-Blick auf die Debatte wirft Dietrich Leder in der neuen Funkkorrespondenz:

"Rund 230 000 Unterstützer fand sie bisher in knapp zwei Wochen für ihre Petition und jede Menge Reaktionen ... . Allen voran machte 'Spiegel Online' Stimmung, das sich immer dann fürs Fernsehen interessiert, wenn es dort um Krawall geht oder man dort Krawall auslösen kann. Neben Befürwortern dieser öffentlichen Forderung nach einem Berufsverbot gab es bald auch Kritiker und dann selbst Kritiker der Kritiker an der Petitionskritik. ... Mit den offenkundigen Schwächen des Moderators Markus Lanz hat das alles wenig zu tun. Auch das durch die Petition erweckte Mitleid mit Sahra Wagenknecht ist nicht angebracht. Sie wusste als häufiger Talkshow-Gast genau, was sie bei Lanz erwartet ... . Erst recht bedarf es keiner Sympathie mit Zuschauern, die von Lanz etwas erwarten, was dieser noch nie geleistet hat und für das der frühere RTL-Mann vom ZDF auch nicht eingekauft wurde -  ein auf Argumenten beruhendes politisches Gespräch. Seine Talkshow zielt auf den Boulevardeffekt ab, die hier eine Indiskretion sein kann und dort eine kleine Entblößung. Diese Effekte erzielt er mal mit plumper Anbiederung, mal mit keckem Auftrumpfen. ... Und genau auf diese Effekte reagieren viele, die über das Fernsehen schreiben, fast zwanghaft".

Eine Schwäche dieses Artikels besteht darin, dass er ohne Not den Begriff "Berufsverbot" strapaziert, den die Petition nicht unbedingt hergibt. Eine Stärke besteht darin, dass die Lanzsache nur eines von zwei Themen ist, die Leder zusammendenkt. Das andere ist die Art, wie die ARD Anfang der Woche sowohl aus selbst geschaffenen Rechtegründen (Altpapier) als auch aus "programmplanerischer Dummheit" ihr Edward-Snowden-Interview versendete, nämlich erst im späten Anschluss an eine Jauch-Talkshow darüber:

"Diese programmplanerische Dummheit ist ein Beleg dafür, dass die ARD politische Themen jenseits von Parteien und Regierungen nur dann zur Kenntnis nimmt, wenn sie darin Material für die vielen Talkshows erkennt, mit denen das Erste abends fast täglich verstopft ist. Die gesellschaftliche Wirklichkeit selbst ist kein Erkenntnisziel, sondern nur Lieferant jenes Stoffes, nach denen die Talkshows gieren. Dass in deren Geplauder noch der brisanteste Stoff an jeglicher Brisanz verliert, demonstrierte Günther Jauch in der jüngsten Ausgabe seiner Sendung beispielhaft."

Das Zweite ist abends auch fast täglich mit Talkshows verstopft, vielleicht etwas ehrlicher, weil öfter vom selben Gastgeber moderiert. Jedenfalls ist jede Debatte über die irrsinnige spätabendliche Fixierung des reichsten Fernsehens der Welt auf Talkshows gut.

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Ob Ergebnisse zu erwarten sind, gar noch sinnvolle, ist eine andere Frage. Wer genug Talkshows gesehen hat, erwartet sowieso keine mehr. Jedenfalls, dass Petitions-Initiatorin Maren Müller "ein 'bürgernahes und verbraucherorientiertes unabhängiges Kontrollgremium' gründen" möchte, "das das Fortbestehen der Qualität im Fernsehen gewährleisten soll", ist eine Info des kurzen Tagesspiegel-Artikels, den die oben verlinkte Karikatur illustriert. Joachim Huber spannt sie, die Info, zusammen mit derjenigen, dass indes "das Institut für Medienverantwortung ... einen 'Publikumsrat bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten' installiert sehen will."

Diesem hauptsächlich in der Goethestraße in Erlangen ansässigen Institut für Medienverantwortung muss man zugute halten, das es nicht dasjenige ist, das Jo Groebel betreibt. Neu geschaffene Räte und Kontrollgremien wären wohl kaum eine sinnvolle Lösung, aber eine sehr deutsche, über die Intendanten und die Gremienvorsitzendenkonferenz vielleicht mit sich reden lassen würden, sofern die neuen Räte und Gremien keine alten ersetzen, sondern zusätzlich geschaffen würden. Markus Lanz wiederum würde sagen, dass das Publikum ja auch bei ihm im Studio sitzt und manchmal auch aus eigener Initiative klatscht.

[+++] Ein extrem vertrackter Fall von Medienverantwortung lenkt den Blick deutscher Medien ins Gastgeberland der nächsten Olympischen Spiele:

"Hätte Leningrad sich ergeben sollen, um das Leben von Hunderttausenden von Personen zu retten?"

Diese Umfrage des russischen Privatfernsehsenders TV Doschd zum 70. Jahrestag des Endes der deutschen Belagerung der Stadt war zwar einerseits so absolut obsolet, wie gegenwärtige Ideen darüber, was Menschen vor Jahrzehnten besser hätten tun sollen, sowieso sind, oder angesichts des in der russischen Debatte genannten Arguments, "Hitler ... habe Leningrad ... vom Erdboden tilgen wollen. Eine Übergabe habe daher nie zur Disposition gestanden", sogar noch obsoleter. Andererseits war es "die folgenschwerste Umfrage" (NZZ) für den Sender überhaupt.

Die Nachricht, dass wegen der dadurch hervorgerufenen Empörung ein weiteres populäres regierungskritischens Medium in Gefahr gerät, ist in deutschen Medien stark vertreten. Die Artikel werden z.B. mit Pussy Riot-Fotos bebildert (Tsp.), da auf dem Sender auch die Mitglieder der Band zu Wort kamen. Besonders empört über die unglückliche Frage waren außer Staatsanwälten, die mit dem "Gummiparagraf" des Extremismusverdachts hantieren könnten, bereits Netzbetreiber:

"Der Vorsitzende der Russischen Kabelfernsehvereinigung hatte als einer der Ersten davon gesprochen, Doschd abzuschalten. Im Laufe des Mittwochs nahmen zwei Anbieter Doschd aus ihren Netzen, so dass nach den Worten von Natalja Sindejewa, der Gründerin und Direktorin des Senders, Doschd zwanzig Prozent seiner Reichweite einbüßte." (FAZ)

Womit also auch ohne staatliche Eingriffe der Restopposition Einfluss genommen wäre.

Vielleicht könnte der Sender, immerhin, die Idee, Gegenwartspublikum voten zu lassen, wie die Menschen sich vor 100, 81 oder 70 Jahren hätten verhalten sollen, ans ZDF lizensieren. Eine entsprechende Show mit dem Zeitgeschichts-Conferencier Johannes B. Kerner oder auch, falls es doch gelänge, ihm Valenzen zu verschaffen, Markus Lanz hätte zweifellos Potenzial.


Altpapierkorb

+++ "In 15, 20 Jahren wird es sie als gedrucktes Medium nicht mehr geben", die Tageszeitung: Diese Prognose stammt von Michael Rümmele, seines Zeichens Geschäftsführer der Tageszeitung Nordbayerischer Kurier aus Bayreuth, beim "Forum Lokaljournalismus" der Bundeszentrale für politische Bildung vor 180 Chef- und leitenden Redakteuren sowie Franz Müntefering (newsroom.de). +++

+++ "Ein frisches Exemplar der 'Washington Post' landet jeden Morgen auf der Veranda meines Häuschens unweit der US-amerikanischen Hauptstadt. Das Printprodukt kommt in einer dünnen Plastiktüte von der Art, die umweltbewusste Hundebesitzer beim Gassigehen mitnehmen", leitet Konrad Ege in epd medien seinen Artikel über die inzwischen vom Amazon-Milliardär Jeff Bezos besessene traditionsreiche Tageszeitung Washington Post ein. "Die Zeitung sieht heute so aus wie vor Bezos, selbst der Online-Auftritt blieb konstant. Man merkt nichts von Bezos", ist die Kernaussage. Über womöglich bevorstehende Veränderungen erführen die Leser nichts, bloß beim Behaupten von keinen Zusammenhängen zwischen Amazon-Geschäften mit amerikanischen Geheimdiensten und der WP-Berichterstattung über amerikanische Geheimdienste gäbe das Blatt sich viel Mühe. +++ "Die Zeitungsflüchtigen" heißt der TAZ-Artikel über den Starjournalist Ezra Klein, der die Washington Post verlässt, um mit einem "Project X" allein online sein publizistisches Glück zu suchen. "Die Aufbruchstimmung bei digitalen Medien erinnert an die Anfänge des Kabelfernsehens", lautet Dorothea Hahns Fazit. +++

+++ "Was die Zeit betrifft, bin ich optimistisch. Die Leser haben genauso viel Zeit wie früher, nur dass sie heute mehr Auswahl haben". Entspannt zur Zeitungszukunft äußert sich auch Veit Dengler, der noch neue österreichische Geschäftsführer der schweizerischen NZZ im großen Süddeutsche-Interview von Wolfgang Koydl. "Eine Paywall allein macht noch keinen Frühling. So wie sie jetzt ist, bildet die Paywall das Print-Abo ab. Sie kann aber viel intelligenter sein, weil sie verschiedene Sachen abgrenzt, die Sie dann als Produkt verkaufen können", sagt er etwa: "Vielleicht will ein Musiker nur ein Feuilleton-Abo haben für 200 Franken im Jahr. Das kann ich ihm in der digitalen Welt leicht anbieten." +++

+++ "Überraschende Wende in einem Rechtsstreit" unter Stuttgarter Zeitungen (TAZ). +++

+++ Die Süddeutsche berichtet knapp von einem 48-stündigen Streik bei Italiens meistgelesener Zeitung Gazzetta dello Sport. Die 160 Redakteure "protestieren gegen Entscheidungen des Eigentümers RCS-Mediengruppe. ... . Es geht die Sorge, Regionalredaktionen könnten geschlossen werden. Besonders stößt ihnen auf, dass RCS einen Sportwetten-Anbieter gekauft hat."

+++ Mit den Geschäftsführerin-Worten "Wir sind bei aller Innovationsfreude auch der kaufmännischen Vernunft verpflichtet" stellt Burda die Zeitschrift Cover, die einst "zur internationalen Marke" hatte ausgebaut werden sollen, ein (meedia.de). +++

+++ Facebook hat erstmals "mehr mit mobiler Werbung verdient als mit Anzeigen auf der klassischen Website", ja "Dienstleistern zufolge müssen Unternehmen bei Facebook sogar mehr für eine mobile Anzeige als für Werbung auf der klassischen Website zahlen"(sueddeutsche.de). +++

+++ Die Zeichen, dass das amerikanische Videoportal Netflix bald auf den deutschen Markt kommt, den die Kartellwächter bisher auch schön frei hielten, mehren sich (neunetz.com, FK). +++

+++ Wo alte Rechts-/ Links-Schemata offenbar nicht gelten, und die Medien nicht viel: im neuen Bundestagsausschuss für Kultur und Medien: "Am 29. Januar lud der Ausschuss ... zu seiner ersten Sitzung. Der neue Anblick der Sitzverteilung war zunächst etwas gewöhnungsbedürftig. Die rechte Seite war fast komplett leer, nur Tabea Rößner und Ulle Schauws von Bündnis90/ Die Grünen und Sigrid Hupach von Die Linke saßen dort. Auf der linken Seite hingegen großes Gedränge mit alten und neuen Gesichtern wie Martin Dörmann, SPD, oder Marco Wanderwitz, CDU/CSU" (medienpolitik.net). +++

+++ Auf der FAZ-Medienseite wundert sich Peer Schader anlässlich von Sendungen wie "Die Schweiz umsonst", "Die Backpacker", "Mit 1000 € um die Welt", "Auf 3 Sofas durch ..." , "Berlin2Shanghai", "Mit dem Tretroller durch Deutschland" und "Mit dem Rasenmäher auf dem Brocken" über all die "Kostenlos-Abenteurer" im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. +++ Indes "Durch die Nacht mit" einander fahren Wallraff und Domscheit-Berg, Daniel, in Stockholm. Wallraff wird "an diesem Abend von der einen oder anderen Wolke runtergeholt" (TAZ). +++

+++ Um nochmals in diese Funkkorrespondenz zu schalten, deren Artikel zurzeit frei online stehen: Bei den Grimme-Nominierungen fällt Dieter Anschlag "in diesem Jahr besonders die Schwäche des ZDF-Hauptprogramms auf, das in allen drei Kategorien jeweils nur wenige Nominierungen verbuchen konnte. Der Bereich 'Fiktion' wird stark wie nie von ARD-Fernsehfilmen dominiert ..." +++ "Sie glauben ja gar nicht, was ich für Angebote kriege mit vertrottelten Omas. Da denke ich mir, dass ich damit ja allen Omas schade, die es gibt. Das kann man überhaupt nicht machen, was da angeboten wird ...", sagt Cornelia Froboess im FAZ-Interview wegen ihres heutigen ARD-Films. +++ "Auch, wenn die Geschichte einen Zug ins Triviale, Sozialromantische hat, kriegt sie die Kurve und kommt - auch dank der unaufgeregten Regie von Nikolai Müllerschön - erzählerisch ans Ziel: nämlich letztlich doch von Menschen zu erzählen, nicht von Karikaturen... , schreibt in der SZ Christine Dössel über diesen Film, "Almuth und Rita". +++ Obacht, tittelbach.tv vergibt dennoch bloß vier von sechs Sternen. +++ " ... Das mag als Handlungskern nicht besonders originell klingen, doch die beiden Schauspielerinnen erfüllen ihre Rollen mit ungeheuer viel Leben, was naturgemäß vor allem für Froboess gilt ... " (Tilman P. Gangloff hier nebenan). +++

Neues Altpapier gibt's dann wieder am Montag.