Die klügsten Ideen für die Zukunft und weitere Digital-Trends aus München. Die neue Huffpo für Milliardäre ist online (natürlich gratis). Außerdem: "Entgleisungen" von Markus Lanz oder "Mobbing" gegen den Dauertalker?
Ein Was-mit-Medien-Beruf, der gerade sehr gefragt ist: Psychologe. Das lässt sich der täglichen Dschungelcamp-Betratschung entnehmen (vgl. Altpapier gestern, in dem auch weitere Psychologen auftraten), zeigt sich aber auch an anderen Fronten der Berichterstattung. Das Blog topfvollgold.de hat sich die der noch bunteren Medien zu Thomas Hitzlspergers Coming-out weiter angeschaut und präsentiert nun "einen der hirnrissigsten Drehs zum 'Geständnis' und 'Bekenntnis'" des ehemaligen Nationalspielers. Journalistisch besteht ein Teil des Drehs in etwa darin:
"In 999.999 von einer Million Fällen geben die Regenbogenhefte ihren Berichterstattungsopfern null Chance zur Stellungnahme, bevor sie einen Kübel Schund über sie ausgießen. Und ausgerechnet dann, wenn sie jemanden mit ihren dämlichen Fragen am besten einfach in Ruhe lassen sollten, rufen sie an oder schreiben eine Mail."
Ein anderer Teil besteht darin, halt einen Psychologen zu befragen. Der, den die Zeitschrift Freizeit Spass befragte, trägt übrigens den attraktiven Nachnamen Niggenaber.
Mit journalistischeren Aspekten des Coming-outs befasst sich auch die (gerade frei online gerückte) Tagebuch-Rubrik im aktuellen epd-medien-Heft. Dorothea Heintze war zufällig gerade auf "informellem Besuch" in der Zeit Online-Redaktion in Berlin, als der "Scoop" dort losging:
" Noch während ich im Büro am Anhalter Platz einen ersten, freundlich servierten Espresso trinke, launcht die Redaktion den größten Scoop ihrer Geschichte: Kurz vor 12 Uhr geht das Coming-out von Thomas Hitzlsperger online. In der nächsten Stunde kann ich live miterleben, was Social Media heute bewirken. Innerhalb weniger Sekunden rattern Hunderte von Facebook-Likes herein, es wird getwittert und gebookmarkt was das Zeug hält. Schon um 12.05 Uhr dominiert Hitzlsperger die Google-News-Seite."
Via Guardian verbreitete sich die News in Windeseile bis nach Malaysia.
"'Magisch' nennt Jochen Wegner ein paar Tage später diese sekundenschnelle Verbreitung in der ganzen Welt und sagt: 'Es ist offensichtlich: Dafür jedenfalls brauchen wir keine Nachrichtenagenturen mehr.'"
[+++] Mit Wegner, bekanntlich der Romantiker (zeit.de, Altpapier) unter den deutschen Online-Chefredakteuren, sind wir schon dort, wohin auch schon von der Freizeit Spass, einer Burda-Zeitschrift, ein Weg geführt hätte: bei Hubert Burdas DLD (Digital-Life-Design)-Sause. Wie sich Wegner, Burda und Jakob Augstein dort auf englisch über die Journalismuszukunft unterhielten, hatte meedia.de unter der Überschrift "Burdas", huch, "Bekenntnis: Das Wortlaut-Protokoll" mitgeschrieben. Den schönsten Gesamtbericht zur gestern zuende gegangenen Veranstaltung schrieb Johannes Boie für das SZ-Feuilleton:
"Ein Glück für die 1000 regulären Konferenzbesucher, die 2750 Euro für ein Dreitagesticket hingeblättert haben, dass Czernys Freunde die wichtigsten Köpfe der digitalen Welt sind und somit oft die klügsten Ideen für unser aller Zukunft verbreiten",
heißt es am Anfang. Steffi Czerny ist die Organisatorin der Veranstaltung und in der Onlinefassung des SZ-Artikel auch auf dem Foto zu sehen, das deren spirit schön einzufangen scheint. Boie war aber nicht bloß ironisch begeistert von der Hochwertigkeit der Tickets und z.B. noch "Burda-Hostessen mit adligen Namen, die die Menge der Konferenzbesucher wie Moses das Meer zu teilen wissen", wenn es gilt, jemanden "in den VIP-Bereich" zu begleiten, sondern auch von den ausgemalten Visionen:
"Die Daten, die nun an allen Gegenständen und Menschen um uns herum gemessen werden, ermöglichen neue Geschäftsmodelle: Gemeinsam benutzte Schraubenzieher, Autos, Wohnungen, Speicher, Hunde. Alles kann geteilt werden, oft so, dass Nutzer und Unternehmen profitieren."
Und dass die Profitabilität solcher und auch noch schlichterer Modelle, zumal aus Unternehmenssicht, größer ist als die von Qualitätsjournalismus bzw. sog. Qualitätsjournalismus, war der Kern des oben erwähnten Hubert-Burda-Bekenntnisses. Wie meedia.de mitschrieb:
"... This is not a good business. There we changed the business model. Focus Online is now on the stock exchange for more or less 300 million. Why? We have Holidaycheck and Elitepartner and Jameda. You cannot live just with Qualitätsjournalismus on the web. Because there is no revenue business from advertising. That's why we went the other way with Focus Online. If we can get another thing into our Focus Online. The online business is a kind of trailer to other content. That's very simple. If you say, that's not Qualitätsjournalismus - I have nothing against it, I can live with this. Because I cannot lose money. Thank you."
Dass die vor allem amerikanischen Gästen nicht alle Feinheiten des Burda-Gedankengangs verstanden haben, ist wahrscheinlich. Dass er sie nicht so brennend interessiert hat, aber auch. Interessant vor dem Hintergrund ist das ebenfalls von meedia.des Christian Meier geführte Interview mit dem internationalen buzzfeed.com-Chef Scott Lamb, der etwa erklärt: "Das Web interessiert sich nicht unbedingt für die Produktionsbedingungen, unter denen ein gedruckter Artikel entsteht" und über "Artikel von 6.000 Wörtern" leicht herablassend-mitleidig, aber gutwillig spricht.
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Ein DLD-Stargast war natürlich, das könnten Sie im bloß gut 2150 Wörter umfassenden Altpapier gestern gelesen haben, Hubert Burdas Geschäftepartnerin Arianna Huffington. Die ist inzwischen nach Süden weitergereist und sendet in der originären huffingtonpost.com digitale "Greetings from Davos". Dort nämlich wird sie den allerneuesten heißen Scheiß vorstellen: "The WorldPost", die unter huffingtonpost.com/theworldpost gerade eben online ging. Dabei handelt es sich um die "Elite-Webseite" (SPON neulich), bei der die inzwischen bekanntlich von AOL besessene amerikanische Huffington Post und Nicolas Berggruen, der "deutsch-amerikanische Milliardär" (Burdas bunte.de neulich), der ja zumindest ein besserer Karstadt-Retter als Thomas Middelhoff war, kooperieren.
Passgenau stellt heute die TAZ das Projekt vor:
"Die Huffington Post ist mittlerweile in immerhin neun Ländern beziehungsweise Regionen aktiv. Auf die dortigen Journalisten will auch die World Post zurückgreifen, zudem sollen Korrespondenten aus Peking, Beirut und Kairo Geschichten liefern. Im Gegenzug soll die World Post das Ressort 'World' der US-amerikanischen HuffPost ersetzen."
Allerdings soll daneben eben auch diese Elite selbst schreiben. Warum ihn bei Berggruen ein schlechteres "Gefühl" "beschleicht" als beim Amazon-Milliardär und Washington Post-Käufer Jeff Bezos und dem Ebay-Milliardär Pierre Omidyar, der bekanntlich Glenn Greenwald anheuerte (und im WorldPost "beratenden Gremium" dabei ist), lässt Jürn Kruse am Ende des TAZ-Artikels offen. Jedenfalls scheint das WorldPost-Ziel zu sein, dass die Milliardäre, die auch jene Konzerne besitzen, welche noch in gedruckten und ungedruckten Medien herkömmliche Werbung schalten oder schalten könnten, in einem eigenen global verbreiteten Medium schreiben (oder schreiben lassen). Wer z.B. dort schreiben wird, zählt die TAZ auf, und nennt dabei auch einen Deutschen:
"Eric Schmidt zum Beispiel, Google-Chef und Mitglied im 'Rat für das 21. Jahrhundert', einer Untergruppe des Thinktanks Berggruen Institute of Governance. Oder Tony Blair, der nicht nur für die World Post schreiben soll, sondern natürlich auch einen Posten bei Berggruens Denkfabrik hat. Der ehemalige britische Premier sitzt im 'Rat für die Zukunft Europas'. Gerhard Schröder ist übrigens in beiden Räten, wurde als potenzieller Autor aber noch nicht genannt. Kommt bestimmt noch."
Noch einen deutschen Autor, dessen Beitrag inzwischen frei geschaltet ist, nennt übrigens Arianna Huffington in ihrem oben verlinkten Text:
"We're also featuring the work of several brilliant young bloggers from around the world, including Spanish journalist Carlos Carnicero on the real threats to the future of the European Union, 19-year-old Italian online security writer Andrea Stroppa on the dark side of our hyperconnected existence, and gay theologian David Berger on whether Pope Francis will actually change the Catholic Church's position on gay rights."
[+++] Was geht im Inland sonst? Gut Meldungen (meedia.de, DPA/ KSTA) rund um die Petition "Raus mit Markus Lanz aus meiner Rundfunkgebühr!" gegen den "Moderator, der nicht fähig ist ohne Entgleisungen zu moderieren". Sie wurde wegen des hier am Montag Thema gewesenen Interviews des ZDF-Dauertalkers mit Sahra Wagenknecht, der "schönen Linken" (Bild-Zeitung), gestartet und hat inzwischen über 46.000 Unterzeichner. Ein paar Hintergründchen hat der Tagesspiegel. Dort analysiert Joachim Huber beschwingt noch mal wieder den ewigen Lanz: Seitdem Lanz auch noch "Wetten, dass..?" übernahm, werde
"die 'Kann’s-der Lanz'-Frage ... in jeder Sendung aufs Neue gestellt. Das ZDF antwortet mit Ja und hält es unverändert für eine grandiose Idee, dass der Talk- zum Showmaster erweitert wurde. Nebenwirkung: Mit der gewachsenen Aufmerksamkeit wird der Quellcode von Markus Lanz, seine gleichnamige Talkshow, genauer beobachtet. Selbst in dieser Oase der Nettigkeit und des Wattebäuschen-Werfens will der Moderator über sich hinauswachsen, den Gute-Laune-Onkel momentweise abstreifen. In der Ausgabe vom 16. Januar gar beabsichtige Lanz eine Imitation von 'Maybrit Illner'."
Wer diese "Kann’s-der-Lanz"-Frage besonders gern stellt, ist natürlich Hubers Tagesspiegel selbst. Und "wirkliche Konsequenzen für Markus Lanz sind indes nicht zu erwarten", genauso natürlich (meedia.de).
Die ulkigste Wendung besteht, ähm: vorerst, darin, dass Sahra Wagenknecht das Interview zum Interview, in dem sie offenbar mitteilt, dass sie "für Talkshows mit Lanz vorerst nicht mehr zur Verfügung" stehe, für den bezahlpflichtigen Bereich im Onlineauftritt der Bild-Zeitung gab.
Was der Sache wiederum Brisanz zu geben scheint: der mit den Hashtags "#hysterisch #Herdentrieb #Lynchjustiz #Mobbing" versehene Tweet Inge Seibels:
"#Lanz hat Mist gebaut,aber so eine #Petition" ist unterste Schublade.Gehört in die Kategorien #hysterisch #Herdentrieb #Lynchjustiz #Mobbing"
Lesen Sie bei Interesse auch die Diskussion unterm Tweet.
Vielleicht ein Kompromissvorschlag: Von einzelnen Interviews völlig unabhängig wäre es für das öffentlich-rechtliche Fernsehen, viele Zuschauer und nicht zuletzt sogar für Markus Lanz selber gut, wenn er Gelegenheit bekäme, sich erheblich rarer zu machen.
+++ Die Deutsche Telekom will Onlinedienste wie musicload.de loswerden. Die rumgehende Meldung stammt ursprünglich aus dem Handelsblatt (Kurzfassung online): "Musicload liegt mit vier Millionen Nutzern in Deutschland auf Rang drei. Doch die Platzierung täuscht über die tatsächlichen Machtverhältnisse hinweg: Marktführer iTunes von Apple beherrscht den Markt, gefolgt von Amazon". +++ Die FAZ-Medienseite 31 fügt hinzu, dass auch der "Online-Kiosk" pageplace.de, "eine seit Juni 2011 betriebene Plattform, über die sich Kunden Bücher, Magazine und Zeitungen in elektronischer Form herunterladen können", betroffen ist und dass das für Kunden nötige Umziehen auf andere Plattformen auch nicht leichter ist als ein Umzug mit Bücherkisten, weil ja "die Händler elektronischer Bücher nicht etwa Buchdateien verkaufen, sondern lediglich das Recht, sie zu lesen". +++
+++ Franz Josef Wagner war mit einem älteren Text vorm Bundesverfassungsgericht (bildblog.de). +++ Weil es im Text um Gabriele Pauli ging, die bayerische Politikerin, geht die Süddeutsche mit zwei Texten darauf ein, die beide recht gewunden wirken. Heribert Prantl holt einen uralten angeblich vergleichbaren Fall hervor, in dem der Stern einst über eine Fernsehansagerin schrieb, "sie sehe aus wie eine 'ausgemolkene Ziege' und bei ihrem Anblick werde 'die Milch sauer'" (S. 4). +++ "Für politische Berichte bedeutet der Beschluss also keine neue Hürde, wohl aber für manchen Text, der allzu schrill und überdreht ist. Oder eben zu durchgeknallt", schreibt Wolfgang Janisch ausführlich auf der Medienseite. +++ "Die weiter gehende Beschwerde Gabriele Paulis, mit der sie sich unter anderem gegen die Billigung der Bezeichnung 'Domina-Posen' wandte, scheiterte beim Verfassungsgericht" (FAZ/ DPA). +++
+++ Nur in 58 Prozent der Beiträge auf deutschen Zeitungs-Sportseiten geht's um Fußball, hat die Macromedia-Hochschule anhand von insgesamt 1.899 Artikeln in neun Tageszeitungen ermittelt (vollständiger message-Artikel als PDF). +++
+++ Die SZ-Medienseite 31 stellt codecademy.com vor, wo "jeder kostenlos Programmieren lernen" kann. +++ Und porträtiert "eine neue Medien-Spezies in Griechenland, die im fünften Krisenjahr vor allem im linken Spektrum gedeiht". Journalisten wie Aris Chatzistefanou, "Griechenlands Michael Moore" arbeiten "fünf Mal so viel für ein Fünftel des Geldes". +++
+++ Der "Filmbrunch" des Bayerischen Rundfunks ist wiederum Thema der FAZ. "BR-Fernsehdirektorin Bettina Reitz hielt eine Brandrede", schreibt Jörg Michael Seewald, und sagte etwa: "Wir haben hohe Ausgaben in der Technik, in der Umstellung auf trimediale Aufgaben, Pensionsansprüche und definitiv nicht mehr Geld fürs Programm." Daher werden die "gerade erst erfolgreich etablierten Heimatkrimis" fürs Dritte Programm, die 2013 die Krimiliste auffüllten, 2014 nicht fortgesetzt. +++
+++ "Mit 'Eine Hand wäscht die andere' ist Hermine Huntgeburth eine herrlich überdrehte Satire auf die Toleranz für menschliche Schwächen gelungen, die man sofort als die eigenen erkennt" (Thomas Thiel in der FAZ über den heutigen ARD-Film um 20.15 Uhr). +++ "Der Film schmunzelt vor sich hin" (Joachim Huber, auch vor sich hin schmunzelnd, im Tsp.). +++ "Mit allen Figuren und ihren Darstellern sollte es unbedingt ein Wiedersehen geben, denn das offene Ende der Geschichte schreit geradezu nach einer Fortsetzung" (Tilmann P. Gangloff hier nebenan). +++
+++ Die Auflagen gedruckter Medien sinken und sinken (kress.de). +++
+++ "Dass Kultur für eine Reinigungskraft und einen Lehrkörper etwas anderes sein muss, auch wenn beide denselben Fernsehapparat zu Hause stehen haben, erklärt sich aus den Lebensbedingungen und nicht aus der Natur", folgert Georg Seeßlen auf der TAZ-Meinungsseite. Im folgenden Satz geht's um Fips Asmussen, im darauf folgenden um Pierre Bourdieu ... +++
+++ Und - breaking! - von der TAZ-Kriegsreporterin: Heute soll Dr. Theo Sommer, "Editor-at-Large" der Zeit, vor einem Hamburger Schöffengericht stehen! +++
Neues Altpapier gibt's wieder am Donnerstag.